Fotos: Coen van Tartwijk, Willeke Machiels, Patrick van Beek
Es dampfte und zischte gewaltig, als am Mittwoch vor zweieinhalb Wochen in einer schmalen Seitenstraße des Amsterdamer Viertels Jordaan vier DJs beziehungsweise DJ-Teams zum traditionellen Kochwettbewerb des Amsterdam Dance Events (ADE) antraten. An einem Ende der offenen Küchenzeile einer Kochschule brutzelten Tassilo Ippenberger und Thomas Benedix von Pan-Pot an einem türkisch inspirierten Fleischgericht, zwei Plätze weiter bereitete Sanna Engdahl alias La Fleur vegetarische Burger vor, während neben ihr die amerikanische Produzenten-Legende Arthur Baker mit Unterstützung durch Soul Claps Eli Goldstein an seiner Version von Soul Food arbeitete. Überhaupt nicht beeindruckt von dem wuseligen Treiben, das durch herumschwirrende Fotografen und Kamerateams komplettiert wurde, zeigte sich Rune Reilly Kølsch, besser bekannt als Kölsch. Der Däne ist ein alter Hase, was das öffentliche Zubereiten von Speisen angeht, belegte er doch dieses Jahr zum zweiten Mal in Folge Platz zwei bei der TV-Kochshow Masterchef Denmark und galt deshalb auch beim ADE DJ Cook Off als großer Favorit. Sein im Vakuumverfahren („Sous-vide“) schonend gegarter Kabeljau mit eingelegtem Gemüse, gebackenem Sellerie, Artischocken-Crème und Apfel-Kräuter-Brühe zitierte große Vorbilder der nordischen Küche, schmeckte fantastisch und überzeugte auch die aus dem Vorjahressieger Seth Troxler, Dave Clark und dem ausgebildeten Koch Paul Oakenfold bestehende besetzte Jury.
Der DJ-Kochwettbewerb gilt als inoffizieller Startschuss für die fünftägige Mischung aus Branchentreffen und Festival, die in diesem Jahr mehr als 5.000 Kongress-Teilnehmer und bis zu 350.000 Partybesucher in die Grachtenstadt brachte. Der prominent besetzte Contest ist auch ein gutes Beispiel für den hohen Stellenwert, den das ADE innerhalb des Dance-Geschäfts besitzt. Nirgendwo sind im Laufe des Jahres in Europa so viele DJs, aber auch Manager, Booker, Veranstalter und Labelbetreiber auf einmal anzutreffen wie an diesen fünf Tagen in Amsterdam. Vor dem Hotel The Dylan an der Keizersgracht und dem benachbarten Tagungsort Felix Meritis, den beiden Festivalzentren, versammeln sie sich bei schönem Wetter in großen Trauben, um die Strahlen der Herbstsonne zu genießen. Der dabei entstehende Eindruck eines entspannten Klassenausflugs in den „Vergnügungspark für Erwachsene“, wie der einheimische DJ Tom Trago Amsterdam einmal im Groove-Interview nannte, täuscht jedoch: Beim ADE wird tatsächlich auch gearbeitet.
Längst haben kleine und große Firmen erkannt, dass hier die wichtigsten Entscheider der Branche anzutreffen sind und sich in einem ungezwungenen Rahmen ansprechen lassen. So eröffnete etwa Native Instruments für die Dauer des Festivals in der Keizersgracht die Traktor Cookery School, eine Kreuzung aus Pop-Up-Showroom und -Restaurant, in der die Tagungsteilnehmer die DJ-Controller des Unternehmens ausprobieren oder an der langen Tafel im lichtdurchfluteten Ladengeschäft Meetings abhalten konnten. Im Konferenzzentrum Felix Meritis wiederum hatte ein Hersteller für Gehörschutz und In-Ear-Monitoring in einer der Lounges eine temporäre Zweigstelle eröffnet, in der sich die aus aller Welt angereisten Kunden ihre Gehörgänge für individuell angepasste Ohrstöpsel und Abhörsysteme ausmessen lassen konnten.
Auch zur Einführung neuer Produkte wird das ADE immer häufiger genutzt. Die DJ-Abteilung von Pioneer etwa lud am Donnerstag zur Vorstellung der sozialen Online-Plattform Kuvo (japanisch für „Wolke“), mit der die Nutzer in Echtzeit verfolgen können, welche Tracks die angemeldeten DJs in ihren Club-Sets spielen. Die Nutzeroberfläche spielte bei der Präsentation vor Journalisten und Fachpublikum jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr betonten die Firmenvertreter den Mehrwert des Systems für die Künstler. Denn mit der Kuvo-Technologie verspricht Pioneer die Lösung eines seit langen schwelenden Problems: Die genaue Erfassung der gespielten Stücke, die zur gerechten Verteilung der Lizenzgebühren beitragen soll, die Clubs an Rechteverwertungsgesellschaften wie die GEMA zahlen. Pioneer möchte hierbei die Nase vorne haben und Kuvo möglichst als Standardsystem etablieren. Deshalb verschickt die Firma die kleinen schwarzen Kuvo-Kisten zur Datenerfassung und Übertragung ins Internet auch kostenlos an Clubs in aller Welt und bietet die gesammelten Tracklist-Daten den Rechteverwertungsgesellschaften „unentgeltlich“ zur Auswertung an. Der Haken: Das System funktioniert (bisher) nur mit CDJs und Controllern von Pioneer. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Musik gab es natürlich auch zu hören, und wie im vergangenen Jahr fanden sich die interessantesten Auftritte abseits der großen Hallenveranstaltungen und Lagerhallen-Raves. Wie zum Beispiel im Compagnietheater, wo die vor Ort ansässigen Entwickler von 4DSOUND ihr gleichnamiges Raumklangsystem aufgebaut hatten. Im Gegensatz zum Atonal Festival in Berlin, wo das 4DSOUND-System im August mit den schwierigen akustischen Voraussetzungen der riesigen Halle des ehemaligen Heizkraftwerks Mitte zu kämpfen hatte, ermöglichte der niedrige Saal des Amsterdamer Theaters ein viel beeindruckenderes Hörerlebnis. Bestens zu nutzen wusste diese Ausgangslage der Finne Sasu Ripatti, der als Vladislav Delay am Freitag eine umwerfende, dreistündige Live-Improvisation voller Drones, Halleffekten und Beat-Schleifen darbot. Ähnlich eindringlich gestaltete sich auch die Live-Performance des neuen Albums des niederländischen Produzenten Dave Huismans alias 2562. Im Künstleraus Pakhuis de Zwijger, einem ehemaligen Kühlhaus im Osten der Stadt, führte er seine Platte The New Today als audiovisuelle Koproduktion mit der Künstlerin Heleen Blanken auf. Deren Videos mit Makroaufnahmen aus der Tier- und Pflanzenwelt wollten jedoch nicht so recht zu Huismans dramatischen, industriellen Klanggebilden und seinen Wechseln zwischen ruhigen und umso intensiveren, rhythmischen Passagen passen. Herausragend war auch der Auftritt von ALSO, der noch jungen Kollaboration von Appleblim und Second Storey aus Bristol, die im zentral gelegenen Club Studio 80 ein stürmisches Techno-Live-Set mit Dubstep-Anleihen spielten und sich auch von technischen Problemen nicht beeindrucken ließen.