Text: Sonja Matuszczyk, Fotos: Stephan Flad
„Was an Flughafenkulisse verloren geht, wird in Sachen Berlin-Flair gewonnen“, versprachen die Veranstalter einen Monat vor Beginn des Berlin Festivals im Zuge der überraschenden Bekanntmachung, dass die Veranstaltung vom Tempelhofer Flugfeld auf erprobtes Clubgelände in Treptow umziehen würde. Das alte Festival im neuen Gewand ist vorüber. Nun stellt sich die Frage: Wurde das Versprechen tatsächlich auch eingelöst?
Bevor man aber vorschnell in die in den Sozialen Netzwerken brodelnden Schimpftiraden einstimmt („Scheiß Headliner! Sowieso, scheiß Line-Up! Scheiß Sound! Zu voll!“), sollte man kurz die Gründe für den Umzug zusammenfassen. „Keine Nacht für niemand“, war eins der diesjährigen Mottos: Ein Festival, das sich als repräsentativ für die Hauptstadt versteht, kann nicht einfach um Mitternacht die Schotten dicht machen. Und Drei-Tage-Wach ging auf dem Rollfeld nicht. Das Ansiedeln an der Ausgehmeile für Berliner und Besucher rund um den Club der Visionäre, erschien somit sinnvoll – zumal die Gegend in den letzten Jahren sowieso schon als Ort für das Festival-Nachtprogramm diente. Kondensiertes Berlin-Erlebnis für den ultimativen Instagram-Post sozusagen: #iwashere. Und in Scharen kamen sie auch, alle 15.000 Tickets wurden verkauft. Hier lohnt der Vergleich zum Vorjahr: 20.000 Tickets wurden damals angeboten, ausverkauft war nicht. Statt urbaner Weitläufigkeit gab es enge, verästelte Fabrikgassen. War der Umzug es wert?
Wenn man den anfänglichen Unmut und die Tempelhof-Nostalgie überwunden hatte, musste man zugeben, dass das Festival gleich am ersten Tag mit einigen Höhepunkten aufwartete: Darkside läuteten auf der Mainstage (gute Entscheidung!) mit einem ihrer letzten Konzerte vor der angekündigten Pause einen abwechslungsreichen Tanzmarathon ein. Dieser wurde sowohl von DJ Koze als auch Ellen Allien munter weiter befeuert, sodass noch bis in die Morgenstunden eine beachtliche Menschenmenge am Zappeln war. Wem das zu großspurig war, der fand parallel dazu im winzigen Arena Club den typischen Up-and-Coming-Bar25-Chalet-House-Sound, der wohl am ehesten das „Berlin-Flair“ symbolisieren sollte (abgesehen natürlich von „Babba“ Sven Väth). Nur die Beschallungs-Situation war ärgerlich, durch die Bank weg. Bedingt durch die räumliche Nähe der Bühnen gab es immer wieder Interferenzen. So störte auf dem Badeschiff die Lautstärke der angrenzenden Mainstage das ein oder andere Set. In der Arena und im Glashaus hatten mehrere Acts sichtlich mit der schwierigen Akustik der Räume zu kämpfen.
Völlig unbeeindruckt von diesen Umständen machte die großartige Nina Kraviz ihrem Ruf aber alle Ehre und spielte am Samstag auf dem Badeschiff wohl das beste Set des Wochenendes. Sie war experimentierfreudig, durchbrach die 4/4-Norm, baute einen cleveren dreistündigen Spannungsbogen auf und hinterließ ein gänzlich entzücktes Publikum mit viel Sand in den Schuhen.
Nun hätte man gut gelaunt ins Glashaus zu Mount Kimbie spazieren können, wenn nicht ein kurzzeitiger Einlass-Stop der feierwütigen Meute den Riegel vorgeschoben hätte. Von da an wurde der Einlass an allen Locations reguliert und machte ein sorgloses Bühnenhopping zu Stoßzeiten nahezu unmöglich. Und zum Leidwesen von Mount Kimbie erwischten sie außerdem noch den schlimmsten Ort für ihren Prog-Dub-Electronica, der mit einem Tweet am treffendsten zusammengefasst wurde: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht den Bass aufdrehen.“
So gab es sicherlich viele gute Momente – Rusties akustische Ausraster und Jimmy Edgars In-Your-Face-Techno am Samstag oder Todd Terjes housige Cartoonwelt am Freitag – denen aber auf Grund der diversen Probleme (Gedränge, Akustik) ein fader Beigeschmack anhaftete. Und wahrscheinlich wäre man mit einem Schulterzucken nach Hause gegangen, wenn nicht doch zum Schluss zwei Headliner dem Berlin Festival 2014 ein würdiges Finale verpasst hätten: Moderat und Trentemøller. Die einen verschluckten uns im IDM-Kosmos mit passender Videountermalung, der andere spuckte uns wieder aus und bot eine Show,die den Festival-Durchschnitt um Meilen übertraf (überdimensionale Windspiele und Pantomime-Ballett, nur so als Stichworte).
Das eingangs zitierte „Berlin-Flair“ bedeutete unterm Strich: langes Anstehen, hohes Stresslevel, mehr Wummern als Klang, überfordertes Security-Personal, eklig viel Glitzer und überteuertes Bier. Na gut, die Spree-Sicht war schön.
Ob der Umzug es wirklich wert war, wird man erst im nächsten Jahr sagen können, diese Ausgabe muss man fairerweise als Testphase betrachten. Aber bitte, liebe Organisatoren, „Berlin-Flair“ hieß schon immer auch Vielfalt – und davon gab es in diesem Jahr zu wenig.