Text: Sven von Thülen
Seit über zehn Jahren ist die Pfadfinderei wahrscheinlich Deutschlands renommierteste Adresse, wenn es um VJing und das Experimentieren mit Bildern und Sound geht. Und ähnlich wie ein Großteil der Künstler, mit denen sie seit ihren Anfängen in den späten Neunzigern zusammenarbeiten, ist das Berliner Grafikerkollektiv dabei, den Ursprungsort dieser Experimente mehr und mehr zu verlassen.
Statt dunkler Clubs bespielt die Pfadfinderei mit ihren Visuals heute immer häufiger große Konzerte und noch größere Festivals. Kein Wunder, wenn Publikumsmagneten und waschechte Pop-Stars wie Modeselektor, Moderat, Boys Noize, die beiden Kalkbrenner-Brüder oder Cocoon Ibiza die Auftraggeber sind. Techno und die unterschiedlichen Spielarten elektronischer Clubmusik haben sich in den vergangenen Jahren endgültig als klassisches Konzertformat mit Eventcharakter etabliert. Große Bühnen und aufwendig konzipierte audiovisuelle Shows inklusive.
„So wie vor zehn Jahren im WMF eine ganze Nacht zu DJs zu freestylen, das kommt eigentlich nicht mehr vor. Visuals im Club gibt es ja nur noch sehr selten“, erzählt Krsn. Und Codec ergänzt: „Unsere Arbeit als VJs ist dadurch konzeptioneller geworden. Die Herangehensweise hat sich erweitert. Früher ging es um Club-Visuals, heute um Bühnengestaltung und komplette Bühnenkonzepte. Da fließen ganz neue Parameter mit ein, wie zum Beispiel der Einsatz von Licht, aber auch die spezielle Dramaturgie einer Show. Es ist ein großer Unterschied, ob du ein freies VJ-Set vorbereitest oder eine neunzigminütige Show mit ihrer eigenen Dramaturgie. Da muss man fokussierter und auch konkreter arbeiten.“
Ihre Arbeit für Moderat, der Techno-trifft-IDM-Supergroup bestehend aus Modeselektor und Apparat, anlässlich deren Debütalbum vor vier Jahren markiert für die Pfadfinderei den Beginn dieser langsamen Verschiebung. Neben dem Artwork und den Visuals entwickelten sie für Moderat zum ersten Mal auch eine komplette Bühnenshow – und als Tüpfelchen auf dem I wurde das Album inklusive ihrer Visuals auch als DVD veröffentlicht. „Wir haben uns damals entschieden, mit Realbild zu arbeiten und von dem ganzen VJ-Vektor-Kram, den wir vorher gemacht hatten, Abstand zu nehmen. Das lag nicht zuletzt an der Musik. Die war ein bisschen ernsthafter und sentimentaler, epischer vielleicht sogar romantischer. Das Ergebnis war dann dieses Konzeptalbum, das sich sehr stark mit unterschiedlichen Materialien auseinandergesetzt hat. Jeder Track hat ein Material zugeordnet bekommen, sei es Papier, Holz, Beton oder Wasser, und damit wurde dann das jeweilige Stück visualisiert“, erinnert sich Codec.
Bloß kein LED-Wettrüsten
Jetzt, vier Jahre später, erscheint das mit Spannung erwartete zweite Album von Moderat an, das schlicht II betitelt ist. Seit Wochen arbeiten die Grafiker der Pfadfinderei fieberhaft an der neuen Live-Show. Sie wissen, dass die alte Maßstäbe gesetzt hat. „Von der Außenwirkung her war das ein sehr wichtiges Ding. Eigentlich immer wenn ich jemanden treffe, der was mit Video und Live-Visuals zu tun hat und ich ihm sage, dass ich von der Pfadfinderei bin, fallen als erste Stichworte die Labland-DVD und unsere Arbeit für Moderat. Ich muss auch zugeben, dass der Erfolg der ersten Produktion jetzt mitunter schon schwer auf uns wiegt. Es gibt mittlerweile einfach hohe Erwartungen. Und an denen werden wir jetzt gemessen. Nicht zuletzt von uns selbst“, sagt Flori. „Uns geht es da vielleicht nicht anders als Gernot, Szary und Sascha, die im Studio sitzen und den Druck haben, das Level des Debüts mindestens zu halten. Das klassische Phänomen des zweiten Albums halt“, ergänzt Krsn.
Um sich inspirieren zu lassen, haben Codec, Krsn und Co. Moderat immer mal wieder im Studio besucht, haben die ersten fertigen Tracks gehört und sich über Ideen, wo es visuell dieses Mal hingehen könnte, ausgetauscht. Von einem über Jahre gewachsenen Grundvertrauen in der Zusammenarbeit berichten die Pfadfinder. Aber auch von einem Ringen um die Ideen. „Für die jetzige Show haben wir alleine fünf oder sechs verschiedene Konzepte und Ansätze erarbeitet“, erklärt Codec. „Ich kann mich an einen Anruf von Gernot erinnern, in dem er gesagt hat, dass wir uns eine Show einfallen lassen sollen, die mehr oder weniger ohne Visuals auskommt, ohne LED“, erinnert sich Flori. „Das vorherrschende und etwas aus dem Ruder gelaufene LED-Wettrüsten auf Konzerten und Festivals wollten sie nicht mitmachen. Deswegen haben wir die Bühne dieses Mal eher als Installationsraum betrachtet und ein Konzept erarbeitet, das im Gegensatz zu dem vorherigen weniger bildhaft ist und weniger explizite Motive zeigt“, ergänzt Codec, um dann gleich anzufügen, dass er mehr auch nicht darüber erzählen darf. Die Vision ist klar. Jetzt läuft die Produktion der Inhalte auf Hochtouren. Wie genau das alles später auf der Bühne aussehen wird, ist noch streng geheim. „Ab der ersten Show ist es mit den Geheimnissen sowieso vorbei, weil alle komplett mitfilmen“, stellt Krsn lakonisch fest. Bis es aber soweit ist und die ausgedehnte Moderat-Tour startet, werden die konkreten Entwürfe wie ein Schatz gehütet.
Ein Lichtung mitten im Club
Ausgedehnte Konzert-Tourneen gehören mittlerweile zum Arbeitsalltag der Pfadfinderei. Die Shows sind nicht nur größer, sondern auch mehr geworden. Und internationaler. Irgendeiner der von ihnen betreuten Künstler und Acts ist immer auf Tour. Mindestens. Mitunter eine nicht zu unterschätzende logistische Herausforderung für das siebenköpfige Kollektiv. „Ende letzter Woche war ich quasi alleine hier. Alle anderen waren auf Tour. Das kommt jetzt häufiger mal vor“, stellt Krsn fest. „Wir versuchen, das unter uns so aufzuteilen, dass einer mal zwei Monate auf Tour ist und danach dann wieder in die Produktion geht. Und umgekehrt. Dass sich das die Waage hält, ist uns wichtig. Ein Jahr durchgehend on the road zu sein, katapultiert einen sowohl intellektuell als auch gestalterisch zu weit raus. So schön und bereichernd es ist, das Ergebnis deiner Arbeit hautnah mitzuerleben, so anstrengend ist der Touralltag aber auch auf die Dauer. Der Kern unserer Arbeit ist nach wie vor die Kreation und die Produktion“, fügt Codec an und Krsn ergänzt: „Uns geht es da ähnlich wie den Musikern, die sechzig Shows in drei Monaten spielen und dann einfach mal eine Pause brauchen, um überhaupt neue Ideen zu entwickeln und formulieren zu können.“
Um dieser Mehrfachbelastung Herr zu werden, entwickelt die Pfadfinderei mittlerweile auch Live-Shows, die sie auf Reisen schicken können, ohne dass einer von ihnen dabei sein muss. Für Boys Noize etwa oder ihre Arbeit für Cocoons diesjährige Ibiza-Saison im Amnesia. „Das ist ja eine wöchentliche Veranstaltung: Da haben wir uns erst mal gefragt, ob es sich lohnt, da jeden Montag jemanden einzufliegen. Und dann: lässt man einfach einen Loop laufen, oder was kann man technisch machen, dass es nicht jedes Mal die gleichen Bilder sind, die da laufen? Letztlich machen wir es so, dass es einen externen Lichtmann gibt, der von uns mit einem speziellen Playersystem ausgerüstet und gebrieft wird. Der ist da vor Ort und macht jedes Mal die Feinjustage. Es ist eine Installation, die soundreaktiv ist und von dem Operator überwacht wird.
Video: Cocoon Ibiza 2013 – Trailer
Wie jedes Jahr haben die wöchentlichen Ausschweifungen im Amnesia ein Motto, das vor allem auch durch die Visuals transportiert wird. „Letztes Jahr war es ‘Space’ und in diesem geht es um Transzendez, das neue Zeitalter, das Ende 2012 eingeläutet wurde, und eine Rückbesinnung aufs Ursprüngliche“, erzählt Flori. „Wir sind dann nach Ibiza geflogen, um uns das Amnesia anzuschauen. Da mussten wir feststellen, dass der Clubbesitzer Liebhaber von afrikanischen Möbelstücken ist, und wenn du als Technokind wie wir in einen Club kommst, ist alles geil, was gerade, dunkel und grau ist und Boxen am Ende des Raums stehen hat. Im Amnesia hängen aber Girlanden an den Seiten und die Säulen sind mit Bambus verkleidet. Alles was wir bis dahin an visuellen Ideen im Kopf hatten, konnten wir damit vergessen. Wir sind dann durch die Kombination aus der Einrichtung und dem vorgegebenen Thema auf Dschungel und Stammestänze zu repetitiver Musik gekommen. Wir werden jetzt also transparente und bedruckte Gaze-Screens und Banner in den Club hängen, die wir dann partiell mit Videos bespielen und so das Gefühl einer Lichtung mitten im Dschungel herstellen,“ führt Flori aus und zeigt Bilder von animierten Kolibris, sich öffnenden Blüten und Palmen, die sich zum Takt der Musik bewegen.