Dass sich Vinyl wieder besser verkauft, war selbst der Süddeutschen Zeitung einen ganzseitigen Artikel wert. Ich kann das bestätigen, die Presswerke verkünden Wartezeiten wie noch nie. Ob das jedoch auch Souljazz oder Downbeat betrifft, kann ich nur vermuten. Dass die Schallplatte ihr historisches Tief überwunden zu haben scheint, gilt zunächst für Clubmusik – von Indie-Rock war das eh bekannt –, doch lässt sich daran auch eine kleine Trendwende im Freistil-Genre ablesen?
Projekte wie Floating Points geben ihren Veröffentlichungen mindestens ein halbes Jahr Vorlauf auf Platte. Osunlade veröffentlicht sein neues Album A Man With No Past Originating The Future (Yoruba) ausschließlich auf Vinyl. Der geneigte Fan darf sich auf ein ganz entspanntes, mitunter aber schweres Werk mit getragenem Piano und säuselnden Flöten einstellen. Angesichts Sun Ra-Kost à la „Satelites Beneath The Stars“ oder Oldschool-Neunziger-Spoken-Word-Souljazz wie „Vessel“ oder „Sour The Plan“, erscheint der Albumtitel augenzwinkernd, viel mehr aber als ein Statement der Überzeugung (Vinyl only / for those who know / ich pfeif auf die Digi-DJs), dass diese Musik alle Referenzen ad absurdum führt und ihren Ursprung in der Zeitlosigkeit hat. Osunlade ist ein Musiclover der alten Schule, der selbstbewusst Musik für Seinesgleichen produziert, weniger als Affront gegen das Digitale, sondern mehr den Menschen zugedacht, die den Wert der Musik an sich, insbesondere auf Schallplatte, zu schätzen wissen.
Video-Playlist: Osunlade – A Man With No Past Originating The Future (Auswahl)
Einer dieser Musiclover, Urgestein, Weggefährte, Weltverbesserer, Enfant terrible, der die Bretter dieser Welt mehrmals ad absurdum führte und herausforderte, ist Rob Gallagher (Galliano, Earl Zinger), der unter seinem neuen Namen William Adamson mit Under An East Coast Moon (Brownswood) eine unglaubliche unvorhersehbare topographische Reisebeschreibung als Konzeptalbum vorlegt. A true Man With No Past Originating The Future. Dabei fällt einem sofort Tom Waits und Dr. John als Referenz ein, aber das hier geht noch weiter zurück und vorwärts. Zurück zu obskuren, fantastisch roh klingenden Fünfziger- und Sechziger-Rock’n’Roll-Basslines, es streift den Avantgarde Blues-Rock eines Captain Beefheart oder den Space Rock à la Amon Düül. Es geht vorwärts mit politischen Inhalten und Geschichten mit Hintergrund (zum Beispiel Befestigungsbau gegen Nazis, Seegefechte gegen Global Warming), die allesamt ihre Inspiration der südostenglischen Landschaft Suffolk sowie dem Kultbuch „Rings Of Saturn“ von W.G. Sebald entspringen. Insgesamt eine grandiose seismo-intellektuelle Erruption eines Nerds. Auch die musikalischen Mitstreiter sowie die Produktion von 2 Banks Of 4 ist klasse, modern, hat viel Raum und Dynamik, vor allem aber verblüfft die schroffe Schönheit zwischen den Zeilen. Ein unglaublich gutes, und in allen Belangen deepes und überragendes anderes musikalisches Statement. Das erste Muss-Album für 2013 – und zwar für jeden. Obendrein vorwärts gedacht, erscheint das Album auf Vinyl als völlig eigenständige, alternative und discoinfizierte Version im „Discomix“ auf schwerem Vinyl. Auch mal ein seltener Ansatz, seinem Album auf einem anderen Format eine weitere Akzentuierung zu geben, ohne dass es ein Remixalbum ist. Letzteres wäre einem Rob Gallagher auch zu schnöde.
Stream: William Adamson – Under An East Coast Moon
Glasgows markante Soulstimme Joseph Malik ist zurück, zu hören auf 9 von 14 Tracks des Produzenten Ben Dubuisson alias Hundred Strong aus Bristol. All Ain’t The Same (High Noon) enthält viel Fender Rhodes oder Hammond-Wehmut, den Blues und Balladensound, den Malik so gut verkörpert wie ein gutes Tröpfchen das Holzfass. Das Album ist musikalisch keine Offenbarung, aber es ist nett seine Stimme wieder zu hören. Das gilt uneingeschränkt auch für Natural Self Neon Hurts My Eyes (Tru Thought), nur dass der seinen verspielten Electronica-Downbeat mehr mit Schraubverschluss, Blechtank und süffisanten Chören verpackt.
Stream: Hundred Strong – All Ain’t The Same (Preview)
Etwas verkorkst, sozusagen verdrehter Wein in Plastikschläuchen, getrieben von drahtigen Bässen, so bastelt Nail, vormals eine Hälfte des UK-Electronic-Act Bent, an einem Electronica-Hybrid aus House, Sample-Trip-Hop, Hall und Knarz. Nun, der Mann war auch schon solo zwischen 1994 und 2000 auf Classic und DiY unterwegs, dem Do-it-yourself-Free-Party-Kollektiv aus Nottingham, der muss sich also nicht neu erfinden, nur mal etwas links vom Geschehen machen, um wieder dabei zu sein. Jemand, der nur das fortführen sollte, womit er bekannt geworden ist, heißt Isolée, und es ist eine Freude, wie „Allowance“ (Pampa) sich fragil, top arrangiert und musikalisch ausgefuchst an die alten, warmen, modalen Isolée-Stücke anlehnt, die wir so geliebt haben. Stehenbleiben und Durchatmen ist auch manchmal eine Kunst. Danke fürs Innehalten. Aber eilt und besorgt euch das William Adamson-Album, ihr werdet es nicht bereuen.
Stream: Isolée – Allowance EP