Interview: Heiko Hoffmann & Sascha Uhlig
Fotos: Ragnar Schmuck
Erstmals erschienen in Groove 137 (Juli/August 2012)
Ein Aufschrei ging durch die Club- und Partyveranstalter-Szene, als die GEMA im April diesen Jahres ihre Tarifreform für das Abspielen von Tonträgern bekanntgab. Ab dem 1. April 2013 sollen demnach für Clubbetreiber die GEMA-Abgaben teils um über 1.000 (!) Prozent steigen. Kein Wunder also, dass sich zahlreiche Clubs in ihrer Existenz gefährdet sehen. Für unsere Diskussionsrunde zur Tarifreform trafen sich Martin Schweda (GEMA-Bezirksdirektor Berlin), Monika Kruse (DJ, Produzentin, Veranstalterin und Labelbetrei-berin), Olaf Möller (Vorsitzender der Clubcommission Berlin, die die Interessen von über hundert Clubs vertritt) und Thomas Sperling (Mitbetreiber des Jenaer Veranstaltungsorts Kassablanca und Labelmitbetreiber von Freude am Tanzen).
Die Teilnehmer der Diskussionsrunde (von links im Uhrzeigersinn): Thomas Sperling, Sascha Uhlig (Groove-Redakteur), Martin Schweda, Olaf Möller, Heiko Hoffmann (Groove-Chefredakteur), Monika Kruse
Monika, seit wann und warum bist du Mitglied bei der GEMA?
Monika Kruse: Eigentlich seitdem ich die ersten Schallplatten und Veröffentlichungen gemacht habe, also seit 1997. Die GEMA kümmert sich um die Rechte von Künstlern, überprüft, was mit den Musikstücken passiert und dass Gelder an die Urheber fließen, wenn sie vervielfältigt oder gespielt werden. Sei es live, im Radio, Fernsehen oder Internet. Die Künstler sollen vom Einsatz ihrer Musiktitel durch angemessene Vergütung profitieren. Sollten sie jedenfalls. (lacht)
Herr Schweda, Sie sind Bezirksdirektor der GEMA in Berlin. Was sind die Gründe für die geplante Tarifreform?
Martin Schweda: Die Tarifreform ist im Prinzip schon 2007 entstanden. Wir haben damals angefangen, mit der Bundesvereinigung der Musikveranstalter über eine Reform zu sprechen, weil immer wieder angemahnt wurde, dass die Tarife nicht transparent genug sind, dass die Leute sich nicht genug zurechtfinden in den Tarifen, nicht wussten, was sie bezahlen müssen. Es gab unterschiedliche Arten von Tarifen für verschiedene Arten von Musiknutzung, elf Tarife, die jetzt zu zwei Tarifen zusammengeführt werden. Mit diesen Tarifen werden jährlich über anderthalb Millionen Veranstaltungen abgerechnet, das heißt, es geht um eine Menge Geld, und wir sind ein wirtschaftlicher Verein. Aus dem Grund gibt es jemanden, der guckt, was wir eigentlich machen, und dafür ist das Deutsche Patent- und Markenamt zuständig, das auch immer wieder den Tarif wegen seiner Intransparenz angemahnt hat.
Die GEMA will von Veranstaltern zehn Prozent der Eintrittsgelder, dafür dass dort Musik von Tonträgern gespielt wird. Sind bei der bisherigen Tarifstruktur deutlich weniger als diese zehn Prozent eingenommen worden?
Schweda: Zehn Prozent der Eintrittsgelder sollen als angemessene Vergütung an die Urheber fließen. Die alte Struktur des Tarifs ist an sich nicht gerecht und unangemessen hoch im unteren Bereich und unangemessen niedrig im oberen Bereich. In den kommerzielleren Bereichen, wo es hohe Eintrittsgelder gibt oder die Räumlichkeiten sehr groß sind, dort sind die Beiträge deutlich weniger als zehn Prozent und in den kleineren Bereichen dort kann es deutlich mehr sein, zum Teil 20 Prozent. Die neuen Tarife streben deswegen eine Linearisierung an, also praktisch eine Gleichbehandlung. Es gibt einen Mindestsatz, egal ob der Veranstalter nun Eintritt nimmt oder nicht, damit der Urheber entlohnt werden kann. Ab drei Euro Eintritt bedeutet das: Eine teure Veranstaltung mit viel Fläche bringt auch viel Geld in die Kasse. Sagen wir zum Beispiel 90.000 Euro an Eintrittsgeldern, dann sollen es halt 9.000 Euro für die GEMA sein. Das ist heute bei Weitem nicht der Fall.
„Bei acht Euro und 200 Besuchern ergeben sich zum Beispiel 1.600 Euro Eintrittsgeld aber bislang nur gerade mal 30 Euro Urhebervergütung. Wo ist da die Gerechtigkeit?“ Martin Schweda
Thomas Sperling: Das entscheidende Problem für uns ist, dass die Pauschalen, die es bisher gab, wegfallen. Eigentlich hat man für eine bestimmte Anzahl von Veranstaltungen im Monat eine Pauschale bezahlt. Jetzt will man zur Abrechnung von Einzelveranstaltungen übergehen und das erzeugt diesen Anstieg von 400 bis 1.600 Prozent GEMA-Gebühren. Für jemanden, der ein Mal im Monat eine Party veranstaltet, acht oder neun Euro Eintritt nimmt auf 300 m², wird es billiger. Für den Club, der zehn Mal im Monat veranstaltet, wird es deutlich teurer als vorher.
Olaf Möller: Und zwar auch deswegen, weil ab fünf Stunden Spieldauer, was für eine Diskothek eigentlich zu 100 Prozent der Fall ist, noch mal 50 Prozent der Komplettgebühr fällig werden und für weitere drei Stunden abermals 50 Prozent hinzukommen. Das heißt, ein normaler Diskotheken-Tarif verteuert sich schon um 100 Prozent. Denn keine Party dauert weniger als acht Stunden. Irgendwann kann ich den Mitgliedern der Clubcommission nur noch empfehlen, ihren Club zu schließen. Es wird einfach so viel teurer, dass das Ganze für viele Clubs existenzgefährdend wird. Ben De Biel vom Club Maria sagt, dass die 15.000 Euro, die er bisher im Jahr an die GEMA zahlt auf 95.000 Euro anschwellen werden. Die GEMA will jetzt 500 Prozent mehr von einem Clubbetreiber, bis zu 2.600 Prozent mehr von einem Barbetreiber. Das geht gar nicht!
Warum sollen etwa Clubs, die länger als fünf Stunden geöffnet haben, denn zusätzlich zahlen, obwohl sie dadurch keine zusätzlichen Eintrittsgelder haben?
Schweda: Der Zuschlag kommt einfach dadurch, dass die Veranstaltung länger ist und die Musiknutzung sehr intensiv.
Sperling: Wir machen um 23 Uhr auf und vor ein Uhr ist nun mal niemand dort, abgesehen von zehn Leuten, für die ich dann hochgerechnet eine hohe Summe bezahle. Und man kann nicht einfach die Leute rausschmeißen, wenn der Haupt-Act zu Ende ist.
Kruse: Ist es nicht ein bisschen kurzsichtig, wenn man dieser großen Szene einfach gewaltig auf den Fuß tritt und sie richtig, richtig viel bezahlen lässt?
Schweda: Es steht außer Frage, dass es für die Clubs teurer wird. 60 Prozent von über einer Millionen Einzelveranstaltungen werden aber entweder günstiger, bleiben gleich oder steigen nur gering.
Möller: Ich zweifle diese 60 Prozent stark an.
Sind die Veranstalter und Clubbetreiber denn der Meinung, dass die GEMA und das Bezahlen für das Abspielen von Tonträgern ein notwendiges Übel ist?
Möller: Ja, ganz klar. Künstler müssen honoriert werden, und zwar nicht nur die Künstler, die live auftreten, sondern auch die, die komponieren, texten und im Vorfeld tätig sind. Ich denke, da kann ich für uns alle sprechen.
Sperling: Bleibt nur die Frage der Angemessenheit und der Nachhaltigkeit. Ein Problem ist auch diese abrupte Einführung.
Tariferhöhungen von 400 bis weit über 1.000 Prozent. Das kann die GEMA doch nicht ernsthaft durchsetzen wollen?
Schweda: Es hat in der Vergangenheit schon etwas nicht gestimmt. In der Tat war es für die Clubs, Diskotheken und hochgradig kommerziell betriebenen Veranstaltungen viel zu günstig. Das Problem ist, dass sich das Thema hauptsächlich um die Erhöhung dreht. Wir reden gar nicht darüber, ob das noch angemessen ist. Was dabei eine Rolle spielt, ist das Eintrittsgeld. Bei acht Euro und 200 Besuchern ergeben sich zum Beispiel 1.600 Euro Eintrittsgeld aber bislang nur gerade mal 30 Euro Urhebervergütung. Wo ist da die Gerechtigkeit?
Möller: Man kann nicht einfach mit diesen acht Euro Eintritt rechnen. Es gibt Gästelistenplätze, außerdem muss ich als Clubbetreiber Mehrwertsteuer bezahlen beziehungsweise der Veranstalter muss zusätzlich Miete an den Inhaber bezahlen. Und wenn der Herr Oeller vom GEMA-Vorstand sagt: „Ach, ist mir doch egal. Das regelt der Markt, wenn wir die Gebühren einführen“, und gleichzeitig Hunderte von Clubs auf dem Gewissen hat, dann hat das echt ein Geschmäckle.
„Warum schafft die GEMA es nicht, diese Tarife so hinzukriegen, dass wenigstens ein Teil der Wertschöpfungskette zufrieden ist?“ Olaf Möller
Schweda: Wir wären ja bereit gewesen, über Einführungsszenarien und Rabattsätze zu verhandeln, das Ganze ist ja auch noch nicht aus der Welt. Wir waren aber nicht in der Lage, das, was wir wollten, nämlich die angemessene Vergütung für die Urheber, mit der DEHOGA, dem deutschen Hotel- und Gaststättenverband, zu besprechen. Denn die DEHOGA hat einfach dicht gemacht.
Sperling: Seit 2007 hat die GEMA versucht, mit der DEHOGA zu sprechen, und die hat es jedes Mal ignoriert, weil die sagten dass zehn Prozent einfach nicht machbar sind.
Außerdem soll es in Zukunft auch einen Aufschlag für digitales DJing geben.
Sperling: Was jetzt dazukommt, ist, dass wenn Musik von nicht-originalen Tonträgern abgespielt wird, es 30 Prozent teurer wird.
Kruse: Wie soll ich denn die Musik, die ich zum Beispiel auf Beatport geladen habe, sonst abspielen? Da bleibt mir doch nur eine CD brennen oder mit dem Laptop auflegen.
Schweda: Eigentlich sind es sogar 50 Prozent Aufschlag, aber für Diskotheken gibt es diese Sondervereinbarung, dass es nur 30 Prozent sind. Hintergrund ist das Vervielfältigungsrecht. Das Werk, was irgendwie da ist, ob auf CD gebrannt oder von iTunes geladen, wurde vervielfältigt.
Allerdings gibt es heute viele Stücke, die nur noch digital erscheinen.
Schweda: Dann müssen sie theoretisch aus dem Internet auf den Laptop geladen werden, mit dem dann aufgelegt wird. Dann fallen die Vervielfältigungsrechte weg. Aber wenn mit dem USB-Stick Titel von einem Laptop auf einen anderen geschoben werden, ist das Stück vervielfältigt.
Kruse: Das ist doch nicht fair. Und wie soll denn der Clubbesitzer nachweisen können, dass derjenige, der von seinem Laptop auflegt, das, was aus dem Internet geladen wurde, auch speziell mit diesem Gerät gekauft hat?
Ein zentrales Problem ist, dass es bislang für Musiker keine wirkliche Alternative zur GEMA gibt, wenn sie ihre Musik urheberrechtlich verwerten lassen wollen.
Möller: Dass die GEMA ein Quasi-Monopol hat, ist ja hinreichend bekannt und inzwischen soll es auch bei den verantwortlichen Bundestagsabgeordneten angekommen sein, dass das ein Problem darstellt. Es gibt Bemühungen, eine Alternative aufzubauen, wo zum Beispiel auch digital abgerechnet werden kann. Cultural Commons Collecting Society, kurz C3S, heißt die Initiative, die aber noch in den Kinderschuhen steckt.
Sperling: Dass man als Künstler zum Leibeigenen wird, weil die ganze Musik, die man macht, nur bei der GEMA urheberrechtlich verwertet werden kann, ist für mich im 21. Jahrhundert fraglich. Wenn ein Künstler erfolgreich ist mit einem Track, dann wird er ihn sicherlich gerne bei der GEMA abgeben, wenn er aber weniger erfolgreich ist, hemmt ihn das in seiner Entwicklung. Wenn einer der Künstler meines Labels fragt, wie das mit der GEMA ist, kann ich ihm nur sagen, dass er lieber die Finger davon lassen soll.
„Wenn einer der Künstler meines Labels fragt, wie das mit der GEMA ist, kann ich ihm nur sagen, dass er lieber die Finger davon lassen soll.“ Thomas Sperling
Ein Problem ist auch die Verteilung der GEMA-Einnahmen. Ein Produzent, dessen Tracks überwiegend im Club gespielt werden, profitiert kaum, weil die GEMA gar nicht in der Lage ist, zu erfassen, was für Musik auf einer Party läuft.
Kruse: Was mich am meisten aufregt, ist, dass diese Tariferhöhung unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit durchgeführt wird. Ich stelle als Künstler aber fest, dass die GEMA eben nicht gerecht ist. Ich habe mal auf meiner letzten GEMA-Abrechnung nachgesehen. Dafür, dass meine Musik gespielt wird, erhalte ich tatsächlich überhaupt gar kein Geld!
Schweda: Bei Tonträgern funktioniert die Ausschüttung vor allem über Zuschläge. Bei Künstlern, die live spielen, geht man davon aus, dass sie eben auch im Radio gespielt werden oder beispielsweise als Hintergrund-Musik in der Gastronomie zu hören sind. Und der, der live aufführt, bekommt einen Zuschlag aus dem Tonträger-Bereich.
Dann sind Urheber von Stücken, die nur im Club gespielt werden, doch stark benachteiligt gegenüber Urhebern, die Konzerte spielen oder deren Musik im Radio läuft.
Schweda: Es gibt 120 Blackboxes, die in Deutschland verteilt sind. Die werden auf unterschiedlichen Dancefloors eingesetzt. Natürlich nur mit Einverständnis des Clubbetreibers. In Berlin stehen derzeit vier dieser Blackboxes, deren Standort ein Mal im Jahr wechselt. Das macht die GEMA nicht selber, sondern Media Control. Die Blackboxes zeichnen zu unbestimmten Zeiten die gespielte Musik auf. Davon weiß auch der Clubbetreiber nichts, um keine Möglichkeit für Manipulation zu lassen.
Wie weiß die GEMA denn, welche Musik sich auf den Blackboxes befinden?
Schweda: Das wird von Mitarbeitern ausgehört und eine Titelfolge erstellt.
Möller: Technisch ist heute doch auch die elektronische Musikerkennung möglich. Etwa durch Programme wie Shazaam. Und für den Künstler ist es auch nicht transparent, weil nicht bekannt ist, ob die Blackboxes eben in vier Schlager-Diskotheken oder Electro-Clubs stehen.
Kruse: Wenn ich jetzt als GEMA-Mitglied vor die Wahl gestellt werden würde, dass eben diese Tariferhöhung durchgeführt wird oder die GEMA für mich gestrichen wird, dann würde ich sagen: Vergiss die GEMA! Denn was ich sehe, ist, dass die Clubszene sterben wird, wenn tatsächlich diese neuen Tarife durchkommen.
„Was ich sehe, ist, dass die Clubszene sterben wird, wenn tatsächlich diese neuen Tarife durchkommen.“ Monika Kruse
Möller: Es ist wirklich erstaunlich, in welcher rasanten Geschwindigkeit die GEMA es schafft, nicht nur die Musiknutzer gegen sich aufzubringen, sondern eben auch Künstler, die eigenen Mitglieder. Warum schafft die GEMA es nicht, diese Tarife so hinzukriegen, dass wenigstens ein Teil der Wertschöpfungskette zufrieden ist?
Schweda: Wenn sie nicht live gespielt werden und die Blackboxes sie nicht aufzeichnen, kann es natürlich passieren, dass ihre Stücke nicht erfasst werden.
Was sind denn die Veränderungen, die ihr euch von der GEMA wünscht?
Sperling: Dass es für uns als Veranstalter höchstwahrscheinlich teurer wird, ist auch bis zu einem gewissen Punkt tragbar. Aber das, was wir zahlen, muss einfach gerechter verteilt werden. Eine Erhöhung um 500 Prozent oder mehr ist natürlich unmöglich. Auch die Zeitzuschläge sind vollkommen an den Haaren herbeigezogen.
Kruse: Es wäre ein großer Fehler, die Tarifreform so durchzudrücken, wie sie jetzt ist. Wenn die GEMA anfängt, auf Basis der Gerechtigkeit etwas zu verändern, dann sollte das auf allen Gebieten passieren. Es sind zu viele veraltete Herangehensweisen und die muss die GEMA überwinden.
Möller: Es kann ja nicht ernsthaft das Ziel sein, irgendeinem Club 500 bis 1.200 Prozent aufzudrücken. Auf dieser Grundlage kann man nicht verhandeln, deswegen wollen wir mit allen Mitteln dagegen angehen. Wir haben hier in Berlin mit Musiknutzern und Urhebern die Initiative „GEMA 2013“ gegründet. Außerdem läuft die Online-Petition, die mittlerweile über 100.000 Menschen unterschrieben haben. Da muss man doch in der Tat mal bei der GEMA darüber nachdenken, dass das nicht richtig sein kann, was man da verkaufen will.
Schweda: Es ist alles verhandelbar. Wir waren halt einfach in der Not, etwas zu tun. Die Bundesvereinigung der Musikveranstalter war an dieser Stelle für uns faktisch ein Monopolist als Verhandlungspartner für die neuen Tarife. Dort war aber keine Bereitschaft zur Verhandlung, deswegen kam es zur Tarifveröffentlichung, und jetzt können wir nochmals darüber reden.