Auch auf die Gefahr hin, mich als Oldschool-DJ zu outen, bin ich doch sehr angenehm überrascht davon, was die neue Generation derzeit auf die Plattenteller – ja genau, die Dinger mit 33 und 45 Umdrehungen in der Minute – packt. Zumindest in Frankfurt am Main sind es Platten, die schon hier in G.I. Discos liefen, als die meisten jungen DJs noch nicht einmal geboren waren. Whodini, Sylvester, Patrice Rushen, auch Chic rutscht mal gern dazwischen. Und das ganz ohne die Absicht, Dance Classics zu spielen. It’s all coming around in circles… Hört man schon seit längerem in den Soundpresets, mit denen manche Produktion zusammengesetzt wird, und der DJ-Auftritt von Dam-Funk letztlich im Robert Johnson brachte mich schon in’s Staunen, als ich sah, wer auf Musik vom Mtume oder Zapp tanzte. Auch Strafes „Set It Off“ muss hier genannt werden, nun erhältllich im superben „Leftside Wobble Mix“, der schon lange auf Soundcloud die Runden drehte. Der Mann hat noch andere gute Ideen da herumliegen.
Mal davon abgesehen nun Musik in loser Reihenfolge, die gehört und gespielt werden möchte. Quer durch den Garten, abseits der Eighties, aber oft auch oldschool, irgendwie. So wie die tollen Mike Huckaby-Mixe für Jazzanovas „I Human“ (Sonar Kollektiv), die es nur auf einer limitierten 10-Inch geben wird. Auch seit längerem schon in der Kiste, schwer einsortierbar und vom Sound eher in den Neunziger Jahren angesiedelt, als es diese Freezone-Compilations gab: Auntie Flos Future Rythm Machine (Huntlers & Palmers), angereichert mit sehr vielen multikulturellen Stilen, und am Ende doch für den Ibiza-Strand bestens geeignet. Und wenn es mal etwas mehr rocken soll, dann „I Want To Blow Your Mind“, kurz und knapp unter zwei Minuten bei 150 BPM. Apropos Tempo, aus Sao Paolo melden sich Drumagick gleich auf zwei EPs zurück, einmal mit ihrem Trademark-Drum’n’Bass, als ob nie eine Pause gewesen wäre, besonders „Ride“ (BMR) erinnert an beste Zeiten im Blue Note-London und ist definitiv das „LK“ von 2012. Für das Brightoner Label Tru Thoughts dann wiederum eine handvoll Tunes, die mit dem Gedanken Drum’n’Bass spielen, diesen aber geschickt umgehen. „Swing Samba“ kann man locker im sophisticated Uptempo-Houseset einsetzen. Freistil eben. Housemusic findet genug rund um diese Kolumne statt, doch mindestens eine Nummer muss auch hier erwähnt werden, da diese all das vereint, was Intensität und auch Sex ausmachen kann, wenn diese sich aus den Lautsprechern und tiefen, ständig mitschwingenden Basslines herausschälen zu einem der Breaks schlechthin. Oder kurz: „Breaking“ (Local Talk) von Kyodai. Geschwindigkeit wieder heraus, ganz nach Kollege Reinboths Nase für musikalische Wellenformen.
Slow Motion ist ein anhaltender Trend. Mal mehr elektronisch wie bei Chymeras Death By Misadventure (Connaisseur) oder sehr stark von der Black Music History beeinflusst auf „Black Notes“ (Discograph) des Marseiller Produzenten und DJs Oil. Wobei die schwarzen Noten eher für die Zwischentöne auf dem Klavier stehen. Also etwas mehr Moll als Dur. Und trotzdem swingend. Eine Art Opus Maximus in Sachen Sound und auch Ideen ist Ecclessia (Forssmusic.com) von Forss. Man muss unweigerlich an Burial denken. Mehr braucht dazu nicht gesagt werden. Hohe Kunst, übrigens auch in einer speziellen Version für das iPad zu haben. Downtempo angereichert mit Samples aus Kanada: Jesse Futermans „Fuse The Witches EP“ (Jus Like Music), nur digital zu erstehen. Den Namen sollte man sich merken. Futerman hat über die letzten zwei Jahre zu seinem Sound gefunden, auch wieder oldschool, aber auch gut. Marc Mac verbreitet mit den Visioneers auf Hipology (BBE) schlicht gute Laune und hält die Fahne für Jazz, Soul, Funk und Latin, gepaart mit Hip-Hop-Beats weiterhin hoch. Zu haben auch als feine 7inch Box! Aus Atlanta erreichte mich ein Päckchen mit neuen Tunes von P’taah, der Candle Family und Voodoo Recharge. Schätze, dass hinter all den Synonymen ein gewisser Chris Brann steckt, kann aber auch nur eine Vermutung bleiben. Die Candle Family nimmt sich eines Barry-White-Grooves an, Voodoo Recharge mischen Blues und Housemusic, P’taahs „Death Trap 2“ hätte auch Anfang des neuen Jahrtausends erscheinen können, klingt und swingt aber ganz wie 2012. Detroit trifft auf Bossabeats. Spannungsgeladen.
Unbedingt noch anhören: Jed and Lucia aus Kalifornien mit „It’s A Wonder“ (Ubiquity), das neue Peaking Lights-Album Lucifer (Domino) etwas weniger Lo-Fi, aber immer noch von einer Hippie-Attitude geprägt, im Positiven. Und „Love Will Find You“ von den Incarnations (Lovemonk), im Original genauso wie im wunderschönen Lexx-Remix.
Stream: Rdio-Playliste – Freistil (Juli/August 2012)