Von der äußeren Hülle auf den Inhalt zu schließen, ist eine allzu verkürzende Sichtweise, die nicht nur bei elektronischer Tanzmusik nach hinten losgehen kann. Aber der unverkennbare optische Bruch des Covers von I I I zu denen der beiden Vorgängeralben des wohl bekanntesten brasilianischen Technoproduzenten scheint nun mal kein Zufall zu sein. Die opulente Farbfülle von C h r o m o p h o b i a (2007) und T a k e M y B r e a t h A w a y (2009) ist hier einer reduzierten „Typo auf Schwarz“-Formsprache gewichen. Sie stellt das perfekte grafische Ebenbild eines musikalischen Evolutionsprozesses dar. Eigentlich überraschend, denn gerade nach den erfolgreichen Remixen von Gui Boratto für Way Out West, Goldfrapp, Massive Attack und die Pet Shop Boys hätten wahrscheinlich viele mit einem songorientierten Album gerechnet.
Aber Pustekuchen: Der bekennende Rockfan Boratto nimmt, wie schon auf der Single-Vorabauskopplung „The Drill/Stems From Hell“ erkennbar war, den Pathos des Pop über weite Strecken zugunsten einer klaustrophobischen Klangdichte zurück. I I I belebt dabei den immer noch erkennbaren Hang zur harmonischen Vereinigung mit dunkler Energie und psychoaktiver Vision. Insbesondere die intensiven Basslinien von „Stems From Hell“ und „Striker“ zeigen mit ihrer morbiden Kraft einen ungemein beeindruckenden Ausweg aus der musikalischen Sinnkrise, in der New-Wave-bezogene Dancefloor-Sounds leider immer wieder stecken. „The Drill“ positioniert den Brasilianer erstmals auch im kompakten Schaffelbeat und leitet über zu „Flying Practice“, das mit seinem Sechzehntel-Ostinato dann mit der für Boratto typischen verspielten Funktionsmelancholie erstmals auch zart besaiteten Zeitgenossen Freudentränen und Schweißtropfen gleichermaßen in die Augen bringt.
Auch unter diesen Rahmenbedingungen bleibt, genau wie bei den unfassbaren Klavierzeilen von „Soledad“, ein Stück Verzweiflung in der kraftvollen rhythmischen Textur präsent und positioniert I I I auf höchst angenehme Art außerhalb des Status Quos der Minimaltechno-Beliebigkeit. Zum Finale macht sich Boratto schließlich doch noch auf den Weg zum Sonnenaufgang an den brasilianischen Strand: „The Third“ und das gemeinsam mit Ehefrau Luciana Villanova am Gesang zelebrierte „This Is Not The End“ entlassen den Hörer mit einer belebenden Intensität zurück ins Tageslicht. Und so bekommt Borattos Lesart elektronischer Tanzmusik den Charme eines deiner Lieblingstapes aus Jugendtagen.
Stream: Gui Boratto – The Drill