Und falls Ihr es immer noch nicht kapiert haben solltet: Nein, sie sind verdammt noch mal nicht aus England. Sie stammen aus einem Land, in dem es keine so richtig coolen Musikmagazine gibt, in dem man nicht wie in Spanien die ganze Nacht durchfeiert und in dem die Partys erst recht nicht immer noch bis in den übernächsten Tag gehen wie in Berlin. Wegen ihrer Herkunft würden manche Leute sie nicht mit einer zehn Fuß langen Stange anfassen, das wissen sie, und es ist ihnen unangenehm, wenn man sie deswegen so komisch anguckt. Sie kontern dann, indem sie sich extra schüchtern benehmen. Dann ist es vielleicht okay. Aber LCD Soundsystem sind halt Nordamerikaner, nordamerikanischer Abschaum, genauer gesagt. Das sagt und singt, besser gesagt: näselt und nörgelt James Murphy als Mark E. Smith-Reinkarnation selber so, auf „North American Scum“, einem Stück, das so eingängig ist, dass man sich auch als Alter Europäer schnell beim Mitsingen eines Refrains ertappt, der alles andere als eine neopatriotische Hymne ist, vielmehr eine weitere nerdige, sozio-dancefloorpolitische, multpopimensionale Selbstverortung und -reflektion, angetrieben von einem zwingenden Punkfunk-Beat. Und jetzt alle: „North A-Merica! North A-Merica!“
Ähm. Diese selbstkritische Abhandlung der eigenen Herkunft auf dem zweiten Album von LCD Soundsystem passt jedenfalls ganz gut zur gesamten Platte. Denn irgendwie ist die im Vergleich zum selbst betitleten Vorgänger von vor exakt zwei Jahren: viel europäischer. Es beginnt mit einem Beat, der klingt wie von „Daft Punk Is Playing At My House“ übrig geblieben. Und dann gibt es: mehr. Mehr New Order-Melancholie auf dem Dancefloor und mehr Pink Floyd-Psychedelik, mehr Heaven 17 und British Electronic Foundation, mehr Hymne und mehr Nachdenklichkeit über von uns Gegangene. Und, ja, mehr Songwriting. Jedenfalls mehr von all dem, was eine ja meist schwierige Hit-Nachfolge-Platte von der sicheren Seite des immer noch anhaltenden NY-Dancerock-Crazes weg auf das offene Wasser bewegt. Dafür kann man James Murphy und seiner Band nicht genug danken. Für Rockverächter wie mich ist „Sound Of Silver“ eine tiefer gehende, gewiefte, hinreißende Versöhnung mit Irgendwie-Rockmusik und Musikmachen in Bandkonstellation, die trotzdem immer noch genug Bumm-Tschack und Bassbassbass hat, um auch in der Disko Spaß zu machen. Und wenn Murphy dann zum Abschluss noch der langen Reihe von gebrochenen New-York-Liebeshymnen der Popkultur mit „New York I Love You“ (zweite Zeile: „…but you’re bringing me down“) eine weitere hinzufügt, dann möchte man sich diesen Schlaumeier-Knödelbär mit der ungünstigen Frisur am liebsten sofort als Actionfigur ins Regal stellen. Neben ganz großen NY-Helden mit ebenfalls ungünstigen Frisuren wie Alan Vega oder Lou Reed.
Sound Of Silver
- Advertisement -
- Advertisement -
In diesem Text
Weiterlesen