Vor einem Jahr gab es bei „Mehr Bass!“ zum ersten Mal einen Überblick über die kreativen Dubstep-Zellen im Groove-Verbreitungsgebiet. Wie sich die Szene seither entwickelt hat, zeigt der als MP3-Download erschienene Sampler Networx Volume One (Barish Records). Hinter Networx stecken Stefan und Carsten Timmer, zwei Brüder aus dem Ruhrgebiet, die unter dem Namen Sal & Lowmax auch als Produzenten aktiv sind und über HipHop sowie Drum’n’Bass zu Dubstep gefunden haben. Ihren title trägt die Compilation nicht von ungefähr, denn die Beiträge wurden mithilfe eines Aufrufs im Internetforum Dubstep.de sowie über Anfragen in sozialen Netzwerken wie Myspace zusammengestellt. Weil der Aufruf auf breite Resonanz stieß, kann der Sampler auch als Gradmesser für den Zustand von Dubstep in der Republik gelten. Abgesehen von einigen Ausfällen, die entweder zu offensichtlich bestimmte Vorbilder kopieren oder einfach unausgegoren klingen, gibt die Mehrzahl der gelungenen Stücke Anlass zu einem positiven Fazit. Sie zeigt, dass es inzwischen eine ganze Reihe einheimischer Produzenten gibt, die eine eigenständige popee von Dubstep entwickelt haben und sich im internationalen Vergleich nicht verstecken müssen. Dazu zählen die Barish-Macher Sal & Lowmax selbst, deren Beitrag „On A Mission“ einen entspannten Triphop-Einschlag hat. Weitere Beispiele sind der in Potsdam ansässige Mr. Boogie, der auf „Let Me Tell Ya“ seine Version von Wobble-Dubstep perfektioniert, und The Next aus Hamburg, der mit „Play“ einen sehr schönen 2Step-Track abliefert. Überzeugen kann auf Networx Volume One auch TKR, der gleich mit drei Stücken vertreten ist: Dem minimalistischen Dubstep-Techno-Track „Bomber (Remix)“, dem atmosphärischen „Angels“ (zusammen mit Phokus) sowie dem groovenden „Dubcake“ (mit Mr. Boogie). TKR heißt im bürgerlichen Leben Thomas Schwarz, wohnt in Jena und hat erst vor einem Jahr angefangen, Dubstep zu produzieren. An dem Genre fasziniert ihn vor allem „der Raum, den man hat, um seine Sounds auszubreiten“. Dass er dies gut macht, haben neben Barish auch andere Labels mitbekommen. So erscheinen die zwei wunderbar melancholischen Stücke „Lunar Phase“ und „Miss U“ Ende Juli bei Trenchant Dubs und das euphorische „Beat’n Up“ auf Bassism (jeweils als MP3). Nicht auf Networx Volume One vertreten ist ein Produzent, der seinen Stil im vergangenen Jahr zu einem Markenzeichen weiterentwickelt hat. „Dirt Cluster“ (Heavy Artillery/Import) ist die bisher radikalste Veröffentlichung des Offenbachers Christian Murariu alias Twisted und besteht fast nur aus Noise-Samples. Twisteds Stücke klingen oft, als hätten die Einstürzenden Neubauten ihre Bohrmaschinen in seinem Studio verloren. Anscheinend hat aber auch er manchmal die Nase voll von dem ganzen Lärm – „für den sonntäglichen Gebrauch“ programmiert er auch tiefe Tracks wie „Just Look“ und „Draw Deep“ (Red Volume/Download). Und das gar nicht schlecht.
Radikal ist auch die Einstellung des Dortmunders Thomas Goertz – was seine Release-Politik angeht. Die Stücke, die er als Ghostleigh herausbringt, erscheinen ausschließlich auf Vinyl, mit von Hand bemalten Labels und Hüllen. Die Liebe zum Detail steckt auch in seiner Musik, die er als „tiefe und soulige Dubstep-/UK-Garage-Interpretation“ beschreibt. Auf der neuesten, vierten Folge seiner EP-Serie „Dleep On/Dleep Off“ (Ghosthleighdubz/Hard Wax) verbindet er wieder die musikalischen Welten von London, Berlin und Detroit, wobei die zum Teil rauen Bässe der Tiefe zusätzlichen Druck verleihen. Teil fünf der Ghostleighdubz-Reihe ist für August angekündigt, inklusive eines Gast-Auftritts von Quantec. Das Berliner Duo Neurosis Orchestra beschreibt seine aktuelle Veröffentlichung „Noir Desire EP“ (Sprengstoff) compilationsinfo als „Soundtrack für verlorene Seelen, die in ihrer eigenen Hölle schmoren“. „Doom-Emo-Dubstep“ wäre eine passende Bezeichnung für ihre monströse Musik, die voller Metal- und Industrial-Einflüsse steckt. Etwas weniger hart, aber immer noch ziemlich düster ist „Watching You“ von Jahcoozi (Sugarcane/Import). Das Stück kommt mit rabiatem Bass und epischen Streicher und ergänzt den Stilmix der Berliner Band auf organische Weise um die Komponente Dubstep.
Mehr Bass!
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