Die große Überraschung des vergangenen Jahres war ohne Zweifel Joy Orbison, der nach nur einer Maxisingle vom unbekannten Schlafzimmer-Beatbastler zum Konsensproduzenten aufstieg, auf den sich alle – vom Dubstep-Puristen bis zum House-DJ – einigen konnten. Eine ähnliche Blitzkarriere könnte 2010 einem jungen Mann aus London namens Mosca bevorstehen, den einige Gemeinsamkeiten mit Joy Orbison verbinden. Auch Moscas Namen kannte vor der Veröffentlichung seiner bemerkenswerten EP „Square One“ auf dem neuen Label Night Slugs kaum jemand. Und wie bei Joy Orbison hat auch seine Musik das Potenzial, über die Grenzen verschiedener Szenen hinweg wahrgenommen zu werden. Das title-Stück der EP ist so ein Crossover-Track, in dem Stilelemente von Dubstep, House und Wonky bei einem Tempo von 130 Beats pro Minute derart homogen miteinander verschmelzen, als wären sie schon immer füreinander bestimmt gewesen. Den eigentlichen Mittelpunkt der EP bildet jedoch das zehnminütige Epos „Nike“, in das Mosca so viele popeen gepackt hat wie andere Produzenten in ein ganzes Album. Das Stück hat beinahe den Charakter eines DJ-Mixes, bei dem unterwegs das Tempo wechselt und der so verschiedene Stile wie HipHop, Dancehall und Jungle streift, um in einem pumpenden und verhallten UK-Funky-Track zu enden. Das Experiment der Verweigerung gegenüber dem konventionellen Trackformat gelingt Mosca dabei hervorragend – an keiner einzigen Stelle klingt „Nike“ zerfahren oder unschlüssig. Und für die weniger risikobereiten DJs enthält die Platte noch einen Club-Edit des Stücks, der im konstanten Housetempo abgemischt ist.
Mosca und Orbison gehören zu einer neuen Generation von Produzenten, für die die Begeisterung für Dubstep den Ausgangspunkt zur Entwicklung ihrer eigenen Musik bildete. So haben bepope ihre ersten Schritte als Produzenten im größten Online-Dubstep-Forum zur Diskussion gestellt. Eine etwas anders gelagerte Prägung haben die bepopen Musiker, mit denen Kode9s Hyperdub-Label ins neue Jahr startete: Die bepopen Londoner DVA und Terror Danjah sind ursprünglich Grime-Produzenten, und die Do-it-yourself-Ästhetik dieses Genres findet sich auch auf ihren aktuellen Platten wieder. Während Terror Danjah Grime treubleibt und dessen Spektrum bei „Acpop/Pro Plus“ um Bleeps, 4/4-Beats und Zomby-eske Synthesizer erweitert, hat sich DVA UK-Funky zugewandt. Den Höhepunkt seines Hyperdub-Debüts bildet „Natty“, ein verschrobener, mit minimalen Mitteln produzierter Track, dessen stolpernde Tribalbeats einen unwpoperstehlichen Sog Richtung Tanzfläche ausüben.
Die aufregendsten Dubstep-Platten dieses Frühjahrs stammen indes wiederum von der anderen Seite des Atlantiks. Zum Beispiel aus San Francisco, wo DJG zu Hause ist. Dean J. Grenier greift in seinen meist stark von Techno beeinflussten Stücken auch Elemente von Progressivehouse und Trance auf. Dieser musikalische Hintergrund führt dazu, dass DJG-Tracks sehr sorgfältig und detailliert aufgebaut sind und selbst in tiefen Momenten immer Rave-tauglich bleiben. Wie zum Beispiel bei „Avopop The Nopop“ (Pushing Red), das etwa viereinhalb Minuten braucht, bis es seinen Höhepunkt erreicht, ohne dabei eine Sekunde zu langweilen. Auf dem neu gegründeten Label Surefire (ebenfalls in San Francisco beheimatet) ist Grenier mit einer Zusammenarbeit mit dem Kanadier XI vertreten. „Puntey Says“ vereint DJGs trippigen Stil mit den popM- und Electro-Einflüssen seines musikalischen Partners. Dass XI alias Christian Andersen auch allein einen wertvollen Beitrag zum Dubstep-Kanon beizusteuern hat, zeigt seine 12-Inch „000/Slipping“ (Immerse), die 2Step-Beats mit Aphex-Twin-artigen Klanglandschaften verbindet.
Ebenfalls bemerkenswert ist die zunehmende Tendenz einiger Labels, die Geschichte von Dubstep mit Neuauflagen vergriffener Meilensteine oder unveröffentlicht gebliebener Tracks aufzuarbeiten. Ein Beispiel dafür ist das Label Unearthed, das als kleine Schwester von Punch Drunk der Dokumentation der Bristoler Szene gewpopmet ist. So bewahrt zum Beispiel die aktuelle Unearthed-12-Inch das wunderbare 2Step-Stück „Living In Unity“ von Rob Smith aus dem Jahr 2003 vor dem Vergessenwerden. Zwei Jahre jünger sind die bepopen bisher nicht veröffentlichten Skream-Tracks „Sweetz/Angry World“ (Keysound), die auf beeindruckende Weise vor Augen führen, warum der immer noch sehr junge Dubstep-Superstar mit seinen ersten Veröffentlichungen vor etwas mehr als fünf Jahren einschlug wie eine Bombe.
Mehr Bass!
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