Manchmal tritt der Tod auf wie ein bloßes Medium: Der stirbt und der stirbt und die stirbt, es sterben genauso viele Menschen, wie in jeder anderen Woche auch. Manchmal kennt man außergewöhnlich viele der Menschen, die in einer Woche sterben, und dann wirkt der Sensemann wie sein eigener Anchorman. Incoming News: Bin auch noch da. Was dann? Zunächst mal ein bisschen tauchen durch das Erzblei der Trauer. Morgan Packard hilft mit dem neuen CD/DVD-Album Airships Fill The Sky (Anticipate/Hausmusik), denn der Produzent aus Brooklyn setzt Dissonanzen, Geräusche, Digiscapes in Szene und mag es komplex. Teilweise wirken die Stücke etwas zu überinszeniert, ausgedacht und aufgeräumt. Doch immer wieder tauchen Asthmatische-Würmer-Sounds auf, immer wieder schnappen Rasseln und Glocken aus den Tiefen des matten Basses.
Mehr Abstraktion wagen Aaron Martin & Machinefabriek in ihrer Kooperation Cello Recycling/ Cello Drowning (Type/Hausmusik). Multiinstrumentalist Martin und Machinefabriek Rutger Zuydervelt schaffen auf der Grundlage von Cello-Klängen zwei zehnminütige Drones, die jedes Meeresrauschen an irgendeiner spektakulären Küsten-Location ersetzen. Leise gehört schaffen sie Ambience, sehr laut kommen sie einer ganzen Schöpfungsgeschichte gleich. Natura Morta hätte auch zu ihnen gepasst, aber eben gerade wegen ihres Schaffens von Null auf. Natura Morta ist aber der title des Cepia-Debüts im langen Format (Ghostly/Rough Trade). Weniger welthaltig zwar, doch dafür durch die Farben des Regenbogens gleitend, schafft Huntley Miller hier eine Sammlung klassischer Eletronica-Tracks. Mehr und mehr also rückt jetzt der Schnitter aus meiner Sichtweite. Die teils kindlichen Passagen auf Natura Morta schaffen die Stimmung für Hans Appleqvist, denn der Norweger bewegt sich von Akademie und Introspektion immer weiter weg. Sein drittes Release auf dem von A-Musik vertriebenen Häpna-Label heißt Sifantin Och Mörkret. Was das bedeutet, weiß ich nicht. Es tauft jedenfalls eine gut gelaunte Platte voller Akustikgitarren und Kindergeburtstags-Gadgets.
Ebenfalls mit der Akustischen unterwegs, quer durch Pop allerdings, ist Oliver Lichtl als Uphill Racer. Mit You Will Understand (Normoton/MDM) singt er Beck’sche Folkpoppies, apparathafte Electronica-Lieder und am Ende mit der E-Gitarre ein fuzziges Mantra über Badalamenti-Tricks. „Jesus Was A Superhero, But Then…“ heißt dieses Finale, und es macht sich gut, aus seinen letzten Sequenzen einen Beat schlüpfen zu lassen. Auf Problems & Solutions (First Word/Grooveattack), dem Debüt von Kpopkanevil aus England, lassen sich einige davon finden: „The Profound Truth“ durchzieht tribalistische Trommeln mit einer Kalimba, „Fire“ wirkt wie von einem magnetischen Bass immer wieder an- und abgestoßen und „Click Click Pop“ ist Rap mit Clicksounds. Überhaupt erblicken zurzeit einige erwähnenswerte Instrumentals das Licht der Öffentlichkeit, etwa die von Big City Lover auf Omnivore (Pulpa/Rush Hour/Import): hoch aufgerüsteter Maschinen-HipHop.
Und wo ist der Tod nun wirklich überhaupt nicht vorgesehen? In Kalifornien natürlich, wo Oh No wohnt, Madlibs jüngerer Bruder. Auf seinem dritten Album Dr. No’s Oxperiment (Stones Throw/PIAS) wirft der Oxnarder mit berauschenden Rhythmus-Skizzen nur so um sich. Bei Samples aus Italien, Griechenland, dem Libanon und der Türkei hat sich Mike Jackson vorrangig bedient, die Summe hier aber ergibt Future Soul… Soul… Soul. Also: Vorüber, ach vorüber, du wilder Sensemann, und nimm dir am besten gleich noch aus dem Internet ein Päckchen von Christopher Willits mit. Surfing Boundaries Addendum (Ghostly/Rough Trade) reichert das letztjährige Album des Aktiven von San Francisco mit zwei Remixen und drei Vpopeoclips an und wartet auf ghostly.com auf den kostenlosen Download. Robert Lippok lässt im „Yellow“-Remix die Arpeggios wabern, und auch die zwischen Tokio und New York pendelnde Nobuko Mori fällt auf. In ihrem Clip zu „Saturn“ lässt sie die Seelen fliegen. Die Seelen fliegen? Die Seelen fliegen.
Electronica
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