Text: Patrick Schütz, Fotos: NC/C
Erstmals erschienen in Groove 149 (Juli/August 2014)
Als sie noch Kinder waren, machte sich ein Teil ihrer Familie bereits um die elektronische Musikszene Münchens verdient. Heute erweitern die Brüder Dario und Marco Zenker den Sound ihrer Heimatstadt um das Element Techno – als Produzenten, DJs, Partyveranstalter und Betreiber des Labels Ilian Tape.
Während dicht vor der Bühne junge Clubgänger tanzen, haben sich weiter hinten einige betagtere Raver eingefunden. Ihre Underground Resistance-Kapuzenpullis tragen sie mit einem gewissen Stolz, schließlich waren sie schon in den Anfangstagen von Techno dabei. In dieser Nacht sind sie zur Ilian Tape-Party in den Münchner Club Rote Sonne gekommen. Marco Zenker spielt ein Live-Set, für das er neben Ableton auch eine Drum Machine und einen Sampler benutzt. Bei seinen Auftritten ist ihm wichtig, kein fertiges Set abzuspielen. Improvisation muss sein. Um noch mehr Abwechslung zu haben, spielt er auch immer öfter DJ-Sets mit seinem Bruder Dario.
Die Entscheidung, als Team aufzulegen, war vielleicht die logische Konsequenz einer jahrelangen gemeinsamen Arbeit: 2007 hatte Dario das Label Ilian Tape gegründet, später stieß Marco dazu. Die Ausgangspunkte waren Minimal-Techno und Dub, doch mit den eigenen Produktionen von Dario und Marco sowie diversen Gastbeiträgen entwickelte sich der Labelsound stetig weiter: analoge Verdichtung ist heute ein wichtiges Klangmerkmal, Detroit und Chicago sind Referenzen. Zuletzt stellten die beiden Betreiber eine Reihe talentierter Newcomer vor: Stenny & Andrea, den mysteriösen Rupcy und Sciahri. Kein Abrissbirnen-Techno, sondern Musik, die trotz einer gewissen Härte immer einen leichtfüßigen Groove bewahrt und Melodien nicht scheut. „Techno ist ja nicht nur düsterer Industrial. Was wir machen, ist eher luftig und funky, es hat nicht diese Schwere“, sagt Dario. Mit diesem Ansatz haben sie dem Sound ihrer Heimatstadt München eine neue Facette hinzugefügt. Die Stadt an der Isar hat eine weit zurückreichende Musikgeschichte, man denke an Giorgio Moroder, das Label Disko B oder DJ Hell. Houselabels wie Gomma, Compost oder Permanent Vacation prägen nach wie vor den Klang der Stadt. Mit Ilian Tape mischt sich jetzt noch Techno darunter.
Techno im Blut
Als Teenager hatten Dario und Marco eigentlich ganz andere Vorlieben: dreckiger Neunziger-Jahre-Hiphop à la Wu-Tang Clan. Eher durch Zufall landete Dario auf einem Psy-Trance-Open-Air im Allgäu. „Das hat mich völlig fasziniert, dieser fette Sound, die Deko, wie die Leute mitgegangen sind“, erinnert sich der 30-Jährige. Den vier Jahre jüngeren Marco zog es in die Skaterszene, so kam er über Punk zu Dub und Reggae. Das elektronische Aha-Erlebnis kam erst, als er seinen Bruder bei einem DJ-Set im Harry Klein besuchte. Nur drei Jahre später hatte Marco seinen ersten Live-Gig im selben Club.
Dass ihre musikalische Interessen zunächst woanders lagen, muss eigentlich verwundern, denn die Brüder waren quasi von House und Techno umgeben. Ihre Tante betrieb den heute legendären Club Ultraschall. Wenn DJs dort zu Besuch waren, übernachteten sie oft in der Wohnung des Vaters. Eines Morgens kam Dario nach Hause und traf dort Anthony „Shake“ Shakir, der sich nach seinem Auftritt Beatles-Platten anhörte. Von Shakir ihm bekam Dario er auch seine erste Technoplatte geschenkt: eine der ersten EPs von Akufen. Von da an war es nicht mehr weit bis zu Darios erstem Gig im Club der Tante. Unterstützung kam auch vom Vater. Zum 18. Geburtstag stellte er die Brüder vor die Wahl: einen Führerschein oder einen leistungsfähigen Computer zum Musik machen? „Ich habe bis heute keine Fahrerlaubnis“, schmunzelt Dario.
Nach der Schließung des Ultraschall gingen daraus die Clubs Rote Sonne und Harry Klein hervor. Bis 2012 waren die Zenker-Brüder Residents im Harry Klein und leiteten das clubeigene Label. Heute konzentrieren sie sich wieder voll auf Ilian Tape: Künstlerkontakte pflegen, Releasetermine abstimmen, nicht mal das Verfassen der Promotexte geben sie aus der Hand. Als Booker gestalten sie nicht nur die Ilian Tape-Nächte in der Roten Sonne, sondern auch die Munich City Dance Jams, kurz MCDJ, im Kong. Der Club liegt in einem ungenutzten Teil eines Karstadt-Gebäudes am Münchner Hauptbahnhof. Das Konzept ihrer jüngsten Partyreihe ist einfach. Sie ist eine willkommene Abwechslung zu den Gigs in Europa oder Übersee, wo sie meistens Techno auflegen. „Bei den MCDJ-Nächten können wir dann House oder deepere Sachen spielen – und andere Künstler buchen“, stellt Marco fest. Während sie in die Rote Sonne DJs wie Surgeon oder Anthony Parasole einladen, hört man im Kong Sets von Ryan Elliott oder Pev & Kowton. Stilistische Offenheit ist das Credo. Durchaus denkbar, dass aus der Reihe eines Tages ein Label entsteht.
Ihre musikalische Neugier füttern die beiden mit Neuerscheinungen aus dem Optimal. Der Plattenladen liegt nicht weit vom Gärtnerplatz, wo in lauen Sommernächten die Partycrowd vorglüht, bevor sie sich auf die Bars und Clubs verteilt. Dario arbeitet seit 2012 im Optimal und macht die Einkäufe im Bereich elektronische Musik. Wer zu ihm in den Laden geht, bekommt nicht nur die neuesten Techno- oder Housetools in die Hand gedrückt, sondern auch die weniger offensichtlichen Sachen, das Sperrige, das Abwegige. Der Plattenverkäufer als Mentor. Dass Marco schon seit Langem Stammkunde im Optimal ist, wirkt sich auch auf die gemeinsamen DJ-Sets aus: „Zusammen zu spielen hat von Anfang an funktioniert. Jeder kennt den Geschmack des anderen. Manchmal lege ich Marco Platten im Laden zurück, von denen ich weiß, dass er sie ganz bestimmt kauft“, sagt Dario.
Brüder eben
Eigentlich klingt die Geschichte viel zu gut: Zwei Brüder entscheiden sich für die Musik und Arbeit gemeinsam an ihrer Vision. Kaum zu glauben, dass es dabei immer harmonisch zugeht. Doch der große Knall, das drohende Zerwürfnis blieben bisher aus. „Natürlich diskutieren wir viel, manchmal schmeißen wir kurz vor dem Mastering noch mal alles um, nehmen einen anderen Track auf die EP, aber letztlich sind wir uns immer einig“, meint Dario, und Marco ergänzt: „Wir sind eben Brüder. Wir wissen, dass wir füreinander nur das Beste wollen. Wenn es eine Diskussion gibt, dann nicht weil jemand seinen Willen durchsetzen will, sondern weil es eine künstlerische Entscheidung zu treffen gibt.“
Bei Gigs in anderen Städten wurden sie oft vorwurfsvoll gefragt, warum sie in München wohnten und nicht in Berlin. In einem Interview für ein Online-Magazin wurde den Brüdern erst kürzlich eine harsche Berlinkritik in den Mund gelegt. Dario schüttelt den Kopf: „Das haben wir natürlich nie gesagt. Da wird immer so eine Rivalitätsdiskussion konstruiert, die wir nie führen wollten. Das sollte endlich mal aufhören.“ Wenn man ihn denn unbedingt ziehen will, den Vergleich zu anderen Partymetropolen, muss sich München nicht scheuen. Neben den etablierten entstehen immer wieder neue Clubs und Zwischennutzungen. Im April eröffnete das Mixed Munich Arts in einem alten Heizkraftwerk. Ein kleiner Teil des Gebäudes ist ein Club, in dem bereits Conforce, Trus´me und Josh Wink hinter den Plattentellern standen. Der neue Plattenladen Public Possession feiert seine Partyreihe im Charlie, einem Club im Keller eines Restaurants. Auch Marco beobachtet diese Entwicklung: „Die Szene wird gerade immer spannender, Produzenten und DJs kommen dazu. Immer mehr Freunde besorgen sich Studio-Equipment und haben einfach Spaß am Rumprobieren. Da wird in Zukunft noch einiges entstehen.“
Download: Zenker Brothers – Groove Podcast 34