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BERGHAIN 10 Sehnsucht, Obsession und Hemmungslosigkeit

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Fotos: Zsu Szabu

Musik, Kunst und Clubkultur bilden für das Berliner Berghain auch im zehnten Jahr des Bestehens faktisch ein Drei-Säulen-Modell, das durch die gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzung eben jener drei Faktoren ein Leitbild der Nachhaltigkeit erzeugt wie in kaum einer anderen Institution des Nachtlebens. Den Beginn der Feierlichkeiten zum zehnten Geburtstag bildet die, in der Halle am Berghain stattfindende Kunstausstellung „10“, für die sich einige der seit Jahren mit dem Club verwobenen Künstler Phänomenen wie Masse, Rausch und Ekstase sowie der Rohheit des Gebäudes auf ganz unterschiedliche Art und Weise nähern. Sie greifen dabei auf die Essenz des Clubs und seiner Besucher zurück, wie Sarah Schönfeld, die in dem Monaten zuvor in den Berghain-Toiletten blaue Tonnen aufstellte und darin Körperflüssigkeiten der Besucher sammelte. In der Ausstellung zeigt sie diese Ausscheidungsprodukte in einer rot und gold beleuchteten Glasvitrine mit etwa 2500 Litern Fassungsvermögen. Auch für ihre zweite Arbeit namens „Hero’s Journey (Towels)“ bat sie die verschwitzen Feierwütigen um Mitwirkung, indem sie riesige Tücher zum Abwischen von Schweiß und Ausdünstungen im Club aufhing. Durch ein chemisches Verfahren wurden die Körpersäfte anschließend in Teilen sichtbar gemacht. Beide Werke stellen auf diese Weise eine Art Konservierung vergangener Rauschzustände dar.

Ähnlich der Arbeiten von Sarah Schönfeld stehen besonders die Werke Norbert Biskys und der Türsteherikone Sven Marquardt sinnbildlich für einige der zentralen Themen der Ausstellung: Sehnsucht, Obsession und Hemmungslosigkeit. In der fast zwanzig Meter hohen Halle wird ihnen etwas Mystisches, fast Sakrales zu Eigen. Das Bild einer verschleierten Braut mit aufgeschürften Knien auf dem nur aus Brettern bestehenden Beifahrersitz eines schrottreifen Oldtimers fällt beim Betreten des Obergeschosses direkt ins Auge. Marquardt bricht hier mit dem für ihn sonst so typischen Schwarzweiß-Stil. Das Zusammenspiel von Licht und Farben lässt die übergroße Fotografie aus seiner „Lost Highway“-Serie wie ein Werbebanner oder altes Filmplakat wirken. Die Porträtaufnahmen seiner Türsteherkollegen sind direkt auf die raue Betonwand geklebt. Die dadurch entstehende Maserung verstärkt die Intensität der grimmig dreinblickenden Gesichter. Auch wenn diese Porträts zur gleichen Serie gehören, ergibt sich doch eine klar erkennbare Trennung zwischen der verschleierten Braut und den Türstehern.

Ähnlich verhält es sich mit Norbert Biskys Tanzteppich. Fand er im vergangenen Jahr noch als Requisite der Ballett-Inszenierung „Masse“ Verwendung, wirbelt er nun, in zwei Teile geschnitten und an einem Rotor an der Decke befestigt, in ekstatischen Drehungen mal links, mal rechts herum. An der Wand schräg dahinter schwebt ein Gemälde mit dem Gesicht eines jungen Mannes, das in einer anderen Perspektive auch auf dem Tanzteppich zu finden ist. Bisky weiß zuzuspitzen: Der helle Pinselstrich des Gemäldes, das durch die Beleuchtung noch viel greller wirkt, die wehenden Stoffbahnen des Tanzteppichs. Das alles wirkt grotesk und doch stimmig, und verbindet zeitgenössische Pop Art mit einer gewissen Ruchlosigkeit. Eigenschaften, die auch in all den anderen Werken zu finden sind.

Im Foyer hängt ein Gemälde des polnischen Künstlers Piotr Nathan, der ferner für eine in der Halle entstandene Video-Installation verantwortlich ist, in der er mit weißer Farbe ein „Bild zum Schweigen bringt“. Punktuell eingesetzte Soundeffekte unterstützen das kinematografische Spektakel. Drei mittig positionierte Bänke laden zum Verweilen und Bestaunen der bewegten Bilder auf der Leinwand ein. Dabei könnte man glatt übersehen, dass diese ebenfalls von Nathan in Szene gesetzte, ehemalige Toilettentüren aus dem Berghain sind, auf denen über die Jahre allerlei sexuelle Sehnsüchte festgehalten wurden.

Aus der intimen Verbundenheit der Künstler mit dem Club schöpfen die Werke ihre Authentizität. Nathan gestaltete im Jahr 2004 bereits die aus 175 Aluminiumplatten bestehende Wandgrafik „Rituale des Verschwindens“, welche im Berghain Erdgeschoss zum Dekor zählt. Viron Erol Vert, der für „10“ die durchstreifbare, monumentale Installation „Metropolis 1“ schuf, arbeitete lange Zeit an der Club-Kasse. Marc Brandenburg gestaltete die breite Fensterfront in der Panorama Bar und mimt während der Ausstellung den rüstigen Kioskbesitzer, der temporäre Tattoos an die umherstreifenden Besucher verkauft. Oder Carsten Nicolai, der unter seinem Produzenten-Alias Alva Noto regelmäßig den Club bespielt und sich für die Ausstellung mit der Visualisierung von unsichtbaren Wärmeströmungen in der Luft auseinandergesetzt hat.

Für die Komposition und Zusammenstellung der Ausstellung zeichnet Christoph Tannert, der Leiter des Künstlerhauses Bethanien in Berlin verantwortlich. Anstatt einzelne Künstler oder Werke in den Vordergrund zu rücken, fokussiert er sich auf die breiten Assoziationsspektren der Arbeiten und gibt ihnen genügend Raum, um auf unaufdringliche Weise miteinander in einen Konsens treten zu können. Genau das ist es, was die Ausstellung so interessant und angenehm zu begehen macht. Nichts wirkt überladen. Alles hat seinen Platz und bekommt genügend Freiheit zur Entfaltung zugeschrieben, um provozieren zu können oder zum Staunen anzuregen.

 

Die Ausstellung „10“ in der Halle am Berghain kann noch bis zum 31. August 2014 (täglich außer montags) zwischen 16:00 und 23:00 Uhr besucht werden.

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