burger
burger
burger

LAWRENCE Ständig auf Achse

- Advertisement -
- Advertisement -

Interview: Michael Leuffen, Foto: Carola Wagenplast
Erstmals erschienen in Groove 144 (September/Oktober 2013)

Wie viele Leben passen in ein Leben? Einer, der darauf Antworten weiß und zugleich nach ihnen sucht, ist der Hamburger Peter M. Kersten alias Lawrence. Er ist DJ, veröffentlicht seit 2000 Musik und leitet mit Freunden das Label Dial. Beim Plattenladen Smallville und dem dazugehörigen Label wirkt er auch mit. Und dann ist da noch die Galerie Mathew in Berlin, die er mit David Lieske betreibt. Im September erschien nun mit Films & Windows endlich wieder ein neues Album von ihm.

 

Wenn man in Hamburg bei Smallville Platten kaufen geht, trifft man neben dir, Julius Steinhoff und Just von Ahlefeld auch gern andere Produzenten der Stadt. Wie wichtig ist dir diese Hamburger Familie?

Sehr. Aber ich würde das nicht als Hamburger Familie bezeichnen. Smallville ist ein Ort, wo die internationale Familie, in der wir uns befinden, zelebriert wird. Heute ist zum Beispiel Jus-Ed mit Familie hier. Wenn er in Hamburg ist, schläft er immer bei mir oder bei Just [von Ahlefeld]. Auch andere Künstler wie Steven Tang tun das. So was passiert bei uns aber auch weil wir Fans sind!

Und wie wichtig ist der Plattenladen Smallville? Wirst du noch von Neuware inspiriert?

Ich finde im Laden nicht viel Neues und alle Trends der letzten Jahre waren für mich eher Wiederholungen. Aber wenn es jemandem gelingt, alles in einer netten Art weiterzuführen, mag ich das. Ich bin eher von einzelnen Stücken oder Ideen getrieben. Und das muss nicht allein Clubmusik sein. Es kann auch etwas sein, von dem man sagt: das ist toll, das mach ich auch mal. Am Ende kommt eh etwas anderes heraus.

Auf Deinem neuen Album „Films & Windows“ scheint sich ein neues Raumverständnis in deiner Musik zu entfalten. Ist das so ein Versuch?

Das stimmt, und ich war selbst überrascht. Ohne jetzt doof zu klingen, aber als ich mein Album über Kopfhörer hörte, dachte ich, kosmische Wesen reden mit mir. Das war nicht gewollt. Erklären kann ich das nicht. Musik machen ist eine intuitive unberechenbare Angelegenheit. Dann kommen plötzlich Freunde wie DJ Koze und sagen: „Was machst du denn für einen Alienfunk – jedes Stück ein Trip!“ Eines ist aber klar: alles basiert auf simplen Clubstrukturen. Da ist ein Groove von dem man denkt, der könnte jetzt so weiter laufen. Und dann kommt etwas dazu, dass nicht zu beschreiben ist.

 

„Nicht das Studio oder der Kopfhörer – der Club ist meine Soundreferenz.“

 

Und das Unbeschreibliche wird dann erst mal im Club ausprobiert oder?

Meine neue Platte ist für den Club. Das war das Ziel. Wenn ich im Robert Johnson, in der Panorama Bar oder bei Smallville-Partys im Golem mit meinen Tracks zufrieden bin, dann ist das meine Soundreferenz. Nicht das Studio oder der Kopfhörer. Der Club. Ich hätte auch sagen können, ich lasse die Clubmusik hinter mir. Aber dann packt mich die 4/4-Bassdrum wieder. Das Gefühl, wenn sich im Club alles für Momente in einen Rausch erhöht, den man nicht fassen kann, ist unglaublich. Immer wenn sich eine solche Situation ergab, dachte ich: das passt auf die Platte. So ist das Album mit dem Club entstanden. Das ist normal. Ich finde das keine spezielle Herangehensweise.

Und wo kommt die dezente Jazzstimmung her?

Ich habe mit Christian Naujoks und Richard von der Schulenburg eine Band. Die heißt Sky Walking. Wir machen im weitesten Sinne Jazz. Wobei das nicht stimmt, denn für mich ist Jazz Musik, in der versierte Musiker miteinander live kommunizieren. Wir machen sehr infantile dilettantische Musik. Wir haben gewisse Hörerfahrungen und am Ende hören sich die Sachen dann trotzdem gut an. Was wir mit Sky Walking machen, bestimmte den Geist im Studio als meine Platte entstand. Ich hab mit den Maschinen live gejammt und das kommt dem Jazzbegriff nahe.

In den vergangenen Jahren hast du zwar kontinuierlich aufgelegt, aber nie in einer ständigen Routine von Donnerstag bis Sonntag. Woran lag das?

Ich bin überbeschäftigt. Ich mache eine Galerie, was ein Vollzeit-Job ist. Dann kommen noch zwei hinzu: auflegen und produzieren. Und – obwohl alles verschmilzt – bin ich auch eine Privatperson. Ich führe drei Leben und dafür lege ich häufig auf! Und wie jeder DJ lege ich gerne im richtigen Rahmen auf. Das ist heute nicht einfach. Es war noch nie einfach. Es gibt so viele Clubs und nur wenige sind besonders. Das ist auch gut so. Trotzdem ist es deprimierend, in welche Bedingungen man gebucht wird. Aber dann spielt man plötzlich in kleinen Rahmen in Osaka, wo sich die Leute viel Mühe geben, die bestmögliche Anlage besorgen, sie auch einstellen und alles macht Spaß. Wenn man dann mit fünfzig Leuten in einem dunklen Raum ist und die DJs vor dir fantastisch auflegen, dann verstehe ich manchen Promoter mit großem Budget nicht, der dir einfach nur zwei kaputte Schallplattenspieler hinstellt. Man hat das Gefühl, die Leute wollen dich gar nicht da haben, sondern nur den Namen auf dem Flyer. Und das macht Auflegen für mich in gewisser Weise rar.

Deine Arbeit mit der Galerie Mathew trägt aber auch viel dazu bei.

Da bin ich voll involviert. Was wir in Berlin machen, ist kein Off-Space, sondern eine ernsthafte Galerie. Ein sehr spannender Ort. Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler wird sehr sorgfältig betrieben. Ein wahnsinnig anstrengendes neues Unterfangen. Aber ich merke bei jeder Eröffnung, dass alles, was wir tun, Relevanz hat. Es ist ein einmaliger Ort. Das liegt an der Lage. Am Publikum. An den Künstlern, die wir repräsentieren. Charlottenburg ist für mich der schönste Stadtteil von Berlin. Das ist kein ungreifbarer Ort. Da gibt es tolle ältere exzentrische Menschen. Das sind meine Lieblingsberliner.

Und welchen Einfluss hat das alles auf die Art, wie du Musik machst?

(lacht) Schwer zu sagen. Musik ist ja nicht nur von Musik inspiriert. In mein Album ist viel eingeflossen. Nicht nur Sounds, auch Situationen, Reisen, Kunst und Literatur. Das Albumcover von der Künstlerin Monika Michalko gibt das gut wieder. Es hat eine Nähe zur Musik. Es ist farbenfroh, hat eine tolle Tiefe und ist trotzdem nicht greifbar. Viele der neuen Stücke habe ich auf Reisen angefangen. Auf dem Album ist auch der Track „Kurama“, der schon auf meiner Pampa-EP ist. Nun erscheint er mit einer Ansage, die ich im Zug aufgenommen habe während ich mit DJ Koze zum Berg Kurama in Kyoto, Japan, fuhr. Ich habe in aller Welt mit Musik experimentiert und das ist die Grundstimmung des Albums. Die Platte heißt Films & Windows – was sich auf das Reisen bezieht, wenn man ständig aus Fenstern schaut und um dich herum reale Filme ablaufen, die einem selbst ganz entfernt vorkommen. Man erlebt im DJ- und Galeristen-Dasein nun mal ständig einen Film!

 

Das Album Films & Windows von Lawrence wurde im September bei Dial veröffentlicht. Die EP „Films & Windows Remixed“ mit Mixen von XDB, Stephen Tang und Carsten Jost & DJ Richard ist gerade ebenfalls bei Dial erschienen.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

[REWIND2024]: So feiert die Post-Corona-Generation

Die Jungen feiern anders, sagen die Alten – aber stimmt das wirklich? Wir haben uns dort umgehört, wo man es lebt: in der Post-Corona-Generation.

[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

Hohe Preise, leere Taschen, mediokre Musik, politische Zerwürfnisse – wo steht die Clubkultur am Ende eines ernüchternden Jahres? Die GROOVE-Redaktion lässt das Jahr 2024 Revue passieren.

[REWIND 2024]: Gibt es keine Solidarität in der Clubkultur?

Aslice ist tot. Clubs sperren zu. Und die Techno-Szene postet Herz-Emojis. Dabei bräuchte Clubkultur mehr als solidarische Selbstdarstellung.