Im vergangenen Jahr gründeten Alexander Abdukarimov, Arshak Ghalumyan and Oleksandr Shpak die Berlin Ballett Company, nachdem sie lange beim renommierten Staatsballett Berlin getanzt hatten. Mit A Techno Ballett Odyssee feiert das Ensemble vom 5. bis zum 8. Dezember seine erste große Inszenierung, die erstklassiges Ballett und die berauschende Tanzerfahrung aus Berliner Clubs zusammenbringt. Die Odyssee führt professionelle Tänzer:innen und Nachtschwärmer:innen führt durch das monumentale Berliner Kraftwerk, in dem ein pittoreskes Spiel der Schatten und Bewegungen entsteht.
GROOVE-Autor Viktor Meier hat das Ensemble vor Ort und bei den Proben im Studio, um zu erfahren, wie die einzigartige Produktion entstanden ist.
„Keine Sorge, meine sind auch kalt”, sagt Oleksandr Shpak und gibt mir vor dem hohen Stahltor des Kraftwerks die Hand. In weniger als zwei Wochen werden hier die Menschen Schlange stehen, und er ist dafür zuständig, dass alles funktioniert. Denn Oleksandr ist seit knapp einem Jahr Geschäftsführer des in den Kinderschläppchen steckenden Ballett-Ensembles Berlin Ballet Company. Neben ihm übernehmen Alexander Abdukarimov und Arshak Ghalumyan die künstlerische Leitung. Zu dritt tanzten sie am Staatsballett Berlin, gründeten 2018 die Produktionsfirma Ballett Entertainment und stellen nun ihr eigenes Ensemble auf die Beine. Und sie beginnen mit einem ersten großen Knall: A Techno Ballett Odyssee. Die Ballettaufführung, die am 5. Dezember Premiere feiert, vereint Technoparty und Balletttanz – im geschichtsträchtigen Berliner Kraftwerk.
Oleksandr geht vor. Man hört Geräusche von Metallstücken, die aufeinandertreffen, von Werkzeugen, die ihre Funktion erfüllen. Bauarbeiter mit blauen Westen kommen uns entgegen und grüßen, als müssten wir auch gleich mit anpacken. „Bei der Premiere ist das Arbeitslicht natürlich aus”, versichert mir Oleksandr und läuft zügig weiter in die riesige Halle des Kraftwerks. Plötzlich bleibt er im hinteren Teil zwischen mehreren Säulen stehen und zeigt in drei verschiedene Richtungen: „Hier, hier und hier stehen die Tanzbühnen”, dann zeigt er nach oben auf die zweite Etage, „und da wird der DJ stehen, Marko Nastic”. Dann, mit gleichem Tempo und einem Funkeln in den Augen, führt er aus und zeichnet mir den Abend vor.
Träume werden wahr
Die Menschen betreten abends das verdunkelte Kraftwerk. Sie kommen von der Arbeit oder auch nicht, jedenfalls haben sie Hunger. Sie werden nicht hungrig bleiben – dafür sorgt beim Betreten der Halle eine lange Essenstafel. Und während sie von Häppchen zu Häppchen gehen und das erste Gläschen zu Munde führen, fällt ihnen etwas auf. Die Musik läuft. Sie blicken ihr hinterher, zwischen Nebel und Lichteffekten hindurch, und erkennen gerade so Menschen, die bereits zum Techno des Pre-Acts Handmade tanzen. Da, ganz hinten. Das ist der Anfang.
Noch wissen die eintretenden Menschen nicht, dass die Show erst später beginnt. Sie haben die drei Tanzbühnen noch nicht gesehen, die von dorischen Säulen gestützt und mit Soundsystemen ausgestattet sind. Noch ist ihnen nicht bewusst, dass sich die Tänzer:innen zwischen den drei Bühnen elegant an ihnen vorbeischlängeln werden und, wenn sie dabei hochschauen, sie sich auf großen Bildschirmen, live gefilmt, wiedererkennen werden. Sie sind davon ausgegangen, eine Ballett-Show zu sehen, und befinden sich plötzlich in einer Art Ballett-Technoclub. Die Treppen, die zu einem griechischen Garten mit Olivenbäumen führen, haben sie noch nicht entdeckt, und bestimmte Räume werden sie vielleicht gar nicht erst finden. Geister werden flüsternd durch die verschiedenen Etagen wabern, der Sound von Marko Nastic während der Vorstellung wird die Besucher:innen vielleicht selbst zum Tanzen anregen, inmitten von 1200 Menschen.
„Ich habe schon immer groß gedacht”, sagt Oleksandr abschließend und holt mich wieder runter ins Arbeitslicht. Er findet, man könnte das Konzept auch auf noch größere Flächen als die des Kraftwerks übertragen.
Micro, Macro, Marko
Alles beginnt allerdings im Kleinen: im Tanzstudio der BBCompany. Dorthin fährt uns anschließend Alexander Abdukarimov, einer der beiden Choreographen. Während er rechts in Richtung Wilmersdorf abbiegt, gesteht er mir, dass er selbst kein Techno-Boy sei, aber dass er doch sehr gerne erforsche, wie seine Tänzer:innen mit der Musik umgehen. „Und natürlich auch, wie die Vorstellung das Publikum körperlich und emotional einbezieht. Selbst wenn sie passiv bleiben, wollen wir sie stärker einbinden”, sagt er.
Das Interessante an dem Abend ist vielleicht weniger die Kombination aus Ballett und Techno, die schon auf anderen Bühnen stattfand, sondern eher die Eingliederung der Show in einen Clubabend, sodass das Publikum inmitten seines eigenen Tanzes die Ballett-Aufführung immersiv wahrnimmt. Diese Immersivität verstärken die unterschiedlichen Lautstärken der Tanzbühnen und die verschiedenen Blickwinkel, aus denen der Abend erlebt werden kann. Zuständig dafür, dass alles eingefangen wird und nicht aus dem Ruder läuft, sind die Live-Kamera und der DJ und Produzent Marko Nastic. Sein vorproduziertes Set modifiziert er von oben mit Sampler und Synthesizer, mit harmonischem Dub Techno und Ambient auf 123 BPM.
„Der einzige Unterschied zwischen dem Berghain und der Techno Ballett Odyssee wird die Technik sein”
Marko erklärt mir, dass er sich mit den Choreographen im Spannungsverhältnis zwischen Narration, Choreographie und seiner Techno-Erfahrung abgestimmt habe, woraus „eine große musikalische Collage geworden” ist. Das musikalische Endprodukt wird er von der zweiten Etage aus steuern. Nach der Show spielt er alleine weiter, ohne die Tänzer:innen.
Let’s Dance
Wir betreten das Studio. Die acht Tänzer:innen, die die Odyssee nach dem antiken Epos von Homer darstellen werden, wärmen sich schon auf. Einer davon ist Lucio Vidal, der eine als Barren umfunktionierte Gerüststange umgreift. Dass die Gerüststangen dem DIY-Studio einen Kraftwerk-Flair geben, ist nicht intendiert. Lucio bräuchte solch eine Eingewöhnung sowieso nicht, erklärt er. Das Tanzen im Kraftwerk sowie das auf Techno bedeutet keine große Umstellung für ihn. „Ich war erst letzte Woche im Kraftwerk, und ich nehme die Freiheit, die ich normalerweise auf den Tanzflächen in Clubs verspüre, mit in dieses Projekt. Der einzige Unterschied zwischen dem Berghain und der Techno Ballett Odyssee wird die Technik sein”, sagt er lachend.
Für die Technik sorgt Arshak Ghalumyan, der zweite Choreograph und künstlerische Leiter. Die Idee der Odyssee kam den Choreographen zunächst in Griechenland, anschließend entschieden sie sich, diese mit Techno zu verbinden.
Arshak erklärt mir in der Pause, dass er sehr viel Neues aus dem Techno-Rhythmus schöpfen kann. Dieser verändere die Dramaturgie, weil mehrstimmige Melodien und modulierende Tonarten aus der Klassik, die sonst die Narration tragen, wegfallen. „Auf die Schroffheit des Techno kann man eingehen, muss man aber nicht. Der Sound von Nastic gibt uns die Plattform, um neue Elemente zu kombinieren”, sagt er und betont, dass Oleksandr, Alexander und er „konstant auf der Suche sind, selbst nach 19 Jahren am Staatsballett Berlin”. Es wird also nicht ausschließlich ein Gewitter aus Staccato-Moves und auch keine klassische Vorstellung für ein sitzendes Publikum. Die Choreographen wollen versuchen, Klischees zu vermeiden.
Restkarten sind hier erhältlich.