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Januar 2024: Die essenziellen Alben

Andrés – Andrés V (Mahogani)

In 21 Jahren fünf Alben herauszubringen, ist auch eine Leistung. Seit 2003 erscheinen vom Detroiter Produzenten Humberto Hernandez alias Andrés in unregelmäßigen Abständen Langspielplatten.

Wobei es mit diesem Wort bei Andrés V so seine Bewandtnis hat, dauert die Geschichte doch gerade mal 25 Minuten bei immerhin acht Tracks. Hernandez wird für sein enzyklopädisches Wissen um Schwarze Musik verehrt, und auch diesmal lässt er seine House-Produktionen sich auf diverse andere Spielarten reimen, von Soul über Electro bis hin zu Jazz bis Hip-Hop. Zum Teil genügen ihm dabei anderthalb Minuten, „Praises”, mit dem die Platte beginnt, ist mit viereinhalb Minuten das längste Stück. Für Clubmusik wirkt das erstaunlich kompakt, manche Kritiker bemängelten schon die unbefriedigende Verknappungsstrategie.

Doch im Alter neigen manche Künstler ja zu Verdichtung, möchten es vermeiden, Unnötiges zu sagen, sich gar zu wiederholen. Oder Andrés hat sich einfach den unverbindlichen Gepflogenheiten beim Plattenerstellen angepasst, die der heutige entkoppelte Musikmarkt mit sich bringt. So gesehen ist er ganz auf der Höhe der Zeit. Und der Swing stimmt. Er ist, wenn man so will, seiner flüchtigen Gestalt wegen umso kostbarer. Tim Caspar Boehme

E-Saggila – Gamma Tag (Northern Electronics) 

Gamma Tag beginnt mit Industrial- und IDM-artigen Sounds, der Rhythmus bleibt die ersten Takte noch undefiniert, aber nach 20 Sekunden fügen sich alle Groove-Elemente zu einem abstrakten, unerwarteten Reggae-Off-Beat zusammen.

Ähnlich wie dieser Einstieg ist einiges an dem neuen Album von Rita Mikhael alias E-Saggila ungewöhnlich und überraschend. Zum Beispiel auch die Tatsache, ein Album von knapp 32 Minuten Laufzeit auf CD zu veröffentlichen und das Artwork im retrofuturistischen Neunziger-CD-Case-Look zu gestalten – ein echter smart move, denn CDs werden definitiv noch mehr zurückkommen, als es sich seit einiger Zeit ohnehin schon abzeichnet.

Schlauheit findet sich auch in den Tracks. Rhythmisch dominieren bis auf „Profiteer”, das auf Field Recordings und einem stur-minimalistischen Four-to-the-Floor-Beat aufbaut, in allen Stücken Breakbeats, die mal härter und IDM-orientierter, mal mehr an die Post-Dubstep-Welt angelehnt sind. Darüber spielt sich eine ähnliche Fusions-Freude auf den Sound- und Arrangement-Ebenen ab, wobei synthetische Klänge überwiegen und keine Nähe zu sogenanntem organischen Sound gesucht wird.

Mikhael erzielt Deepness und Emotion durch Erfindungsreichtum und ausgebuffte Klangbearbeitung. Die Stücke strahlen die Freude aus, die die Kanadierin beim Produzieren empfunden haben muss – und ihre Lust, sich nicht auf allzu viele Wiederholungen und gleichbleibende Loops zu verlassen, sondern eine kleine Variation nach der anderen abzufeuern. Mathias Schaffhäuser

Gigi Masin & Rod Modell – Red Hair Girl at Lighthouse Beach (13.0)

Was haben das Meer, Ambient und Dub-Techno gemein? Sie sind ständig in einem Fluss, der potenziell endlos ins Weite geht. Beim italienischen Ambientmusiker Gigi Masin könnte der Wohnort Venedig mit Lagune auf der einen und, je nach Insel, Meer auf der anderen Seite einen Einfluss auf dessen Gezeiten-geneigte Kompositionsweise gehabt haben. Bei Rod Modell ist das Meer zwar nicht direkt um die Ecke, doch immerhin liegt Detroit, wo er lebt, zwischen den Seen Lake St. Clair und dem Eriesee. Und Letzterer kann einem schon wie ein Meer vorkommen.

Ihre Kombination aus hallenden Schwebeflächen und rudimentären Echo-Grooves macht dem maritimen Titel ihres ersten gemeinsamen Albums denn auch alle Ehre. Manchmal kommen kleine Melodien hinzu, die so langgezogen werden, dass sie sich in der sich öffnenden Wiederholung nicht weiter groß aufdrängen. Die gleichschwebende Bewegung bestimmt ohnehin beide Seiten dieser Platte, je ein ausgedehntes Stück hat darauf Platz. Guter Vibe, klarer Fall. Tim Caspar Boehme

Glen S – Elation Station (Craigie Knowes)

Über den Verlauf von sieben Tracks erschafft Glen S auf seinem zu Deutsch „Erbauungs-Station” betitelten Craigie-Knowes-Debüt eine treibende, facettenreiche Open-Air-Clubbing-Landschaft, die von Ambientösem bis zu Trance-Krachern reicht und die Psychedelik dabei nie aus dem Auge verliert.

Schon der elfminütige Opener „Schponglen” lädt in ein Neo-Hippiehaftes Sounduniversum voll farbenfroher Klangsprenkel ein. Danach greift die Trance-Kralle mit hochgepeitschtem Four-to-the-Floor-Stomp und sich kreisend in den Gehörgang schraubenden Arpeggio-Lines zu und lässt nicht mehr los. Tracktitel wie „Hands In The Air”, „Full Moon Party” oder „Yeah (16x)” weisen dabei den Weg. Letzterer zeigt aber auch, dass der Humor nicht zu kurz kommt. Denn die Tracks versumpfen niemals in monotonem Goa-Stampf und werden immer wieder mit einer reichen Palette von Klangfarben verspielt aufgebrochen. Gegen Ende wird auch der zuvor omnipräsente, gerade nach vorn gehende Kickdrum-Rhythmus aufgegeben – mit zwei Chillout-kompatiblen Afterhour-Acidschrauben. Psychedelisch bunte Tanzmusik für die Hallucination-Generation. Auf legalem LSD-Derivat, wohlgemerkt. So in der Art. Tim Lorenz

LA-4A – Apparitiana (Delft)

Eine Platte wie ein Reptil, das sich so geschmeidig wie unauffällig durchs tiefe Unterholz schlängelt, ganz tief unten, wo kaum Licht durchs darüber geschichtete Blätterwerk fällt. Allein durch behäbigen Drummachine-Groove und Bassline-Swing, angereichert mal mit dumpfen, unverständlich-mysteriösen Stimmfetzen, mal mit noisigen Synth-Texturen oder Tonsequenzen, die freilich nur Fragmente von Melodien erahnen lassen, erschafft Kevin McHugh aka LA-4A eine zutiefst düstere, höchst hypnotische Stimmungsmusik, die wahrlich ihresgleichen sucht.

Die Tracks, allesamt im niedrigen BPM-Bereich, schlurfen dabei durch einen Ozean aus Hall, der die technoiden, für den Dancefloor im Grunde viel zu langsamen Strukturen in die Nähe von Dub-Musik rückt – ohne einen Anflug von Reggae jedoch. Techno-Dub also, oder Acid House auf Valium. Am ehesten erinnert dieser Zeitlupen-Groove (einzig der Closer und Titeltrack „Apparitiana” fällt mit einer etwas höheren Geschwindigkeit aus dem Rahmen) an frühe Plastikman-Produktionen, allerdings nur aus der Ferne. Im Grunde ist der Sound der Platte nämlich äußerst eigen, ein zutiefst urbaner Klang, von obskurer Kühle. Karg in Instrumentierung und Arrangement, groß in der daraus entstehenden Atmosphäre. Tim Lorenz

Maceo Plex – ’93 (Lone Romantic)

Mit ’93 greift Eric Estornel alias Maceo Plex nicht nur seine eigene musikalische Vergangenheit auf, sondern interpretiert die momentane Omnipräsenz elektronischer Musik aus den Neunzigern neu. Die Jahreszahl 1993 steht nicht nur für die in das Album eingeflossene musikalische Inspiration, sondern markiert auch den Beginn seiner Tätigkeit als DJ.

Immer wieder finden sich vereinzelte klangliche Fragmente in den Tracks, die Erinnerungen an die Neunziger wecken, etwa die typischen Rave-Stabs in „Just You And I” oder die Loop-artige Beatstruktur und Sample-Verarbeitung in „Stop That”. Dabei bezieht sich Maceo Plex immer auf die Gegenwart, indem er den Relikten im Sounddesign einen modernen Anstrich verpasst. Klanglich ist das professionell, sauber und eher poppig abgemischt und damit für die großen Bühnen der Festival- und Clublandschaft ausgerichtet, die Maceo Plex seit Jahren bespielt.

Lange, atmosphärische Breaks („Revision”) gehören schon länger zu seinen präferierten Stilmitteln. Mit emotionalen, fast schon theatralischen Vocals und Pads transportiert Maceo Plex durchweg eine gewisse, ausgestellte Dramaturgie. Der Gegensatz zu den flächigen, rumpelnden und fülligen Bässen und den drückenden Kickdrums („Nasty” oder „Shine On & On”) schafft dabei durchaus eine ausgewogene Balance zwischen kolossalen Klanglandschaften und intimer Funktionalität. Leon Schuck

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