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Sachsentrance: „Es geht vorwärts, knallt und ist irgendwie happy”

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Das Kollektiv Sachsentrance gehört zu den Vordenkern des Trance-Revivals der vergangenen Jahre. GROOVE-Autor Jan Goldmann hat die Gruppe auf einem Berliner Showcase getroffen und erlebt, wie bei ihr spaßiger Aktionismus, ein liebevolles Miteinander und ein linkes Selbstverständnis zusammengehen.

Die Geschichte von Sachsentrance ist vieles. Eine vom Wiederausgraben alter Musik, von Erinnerungen an die Jugend, von Spontaneität, davon, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, und allem voran eine von Spaß. Spaß ist das immer wiederkehrende, zentrale Ideal, das ich in der einen Stunde, die wir miteinander verbringen, spüren kann. Ich höre mehr zu, als viele Fragen zu stellen. Es ist ein Interview, das sich weniger wie ein Interview anfühlt, sondern eher, als würde ich mich in einer Kneipe zu einer Gruppe Fremder setzen und fragen, wer sie sind, was sie so machen, woher sie sich kennen. Und dann fängt diese – wohlgemerkt gesprächige – Gruppe Fremder an, zu erzählen.

Gemeinsam schwelgen sie in Erinnerungen an die sechs Jahre, die Sachsentrance nun besteht, lachen oft laut auf, diskutieren Erfahrungen und können manche davon selbst kaum glauben. Lässt sich ein Autoscooter-Betreiber überreden, eine Party auf einem Rummel zu proben? Kann man spontan einen Trance-Rave als Crew-Debüt auf einer Leipziger Brache schmeißen und Leute tauchen auf? Wie fühlt es sich an, samt DJ-Equipment von der Ladefläche eines LKWs gekippt zu werden? (Spoiler: Scheiße, aber dazu später mehr) Aber auch weniger liebsame Erinnerungen treten an die Oberfläche, werden reflektiert. Viele Fragen, viele Geschichten, aber eines steht fest: Ohne Spaß kein Sachsentrance, das ist die Prämisse.

So sieht Sachsen aus (Foto: Felix Adler)

Nach einigen Telefonaten hin und her ist es so weit. Es ist ein verregneter Sommertag in Berlin, ich stehe leicht durchnässt vor dem Eingang der Alten Münze und warte auf Lea alias The Jakob Sister, Mitgründerin und Bookerin von Sachsentrance.

Im Hof des alten Fabrikkomplexes ist schon einiges im Gange. Überall laufen (oder, mit Rücksicht auf das Wetter, rennen) Leute umher, tragen allerlei Dinge mit sich, schwirren herum. Später findet hier eine Party über das ganze Wochenende statt, und Sachsentrance ist mit einem Showcase dabei. Eine dieser rennenden Personen kommt geradewegs auf mich zu, bremst ab, strahlt mich an: „Hey, ich bin Lea, schön, dass du da bist, lass uns reingehen!”

Neonlicht, Strobos und viel Schweiß

Trance erlebt nun seit einiger Zeit ein Revival, das dürfte schon längst keine Neuigkeit mehr sein. Das energiegeladene Genre, groß geworden im wilden Rave-Jahrzehnt der Neunziger, durchtränkt mit Neonlicht, Strobos und viel Schweiß, ist heute clubtauglicher als so manch andere elektronische Musiksparte. Es trifft den Zahn der Zeit. Ästhetisch ergänzt durch schnelle Brillen und Co. avancierten Genres um schnelle, rollende Beats, kitschige Synths und gesampelte Vocals zum ultimativen Soundtrack der Gen Z. Artists wie DJ Heartstring, Ski Aggu oder Brutalismus 3000 landen in den Charts, und zu Trance, Gabber und Hardcore tanzen junge Leute auf vollgestopften Dancefloors. Eine Entwicklung, die extrem schnell ging. Vor einigen Jahren mussten Interessierte noch ein wenig mehr danach suchen – das erzählt auch die Geschichte von Sachsentrance.

Inzwischen haben wir uns durch das Gewimmel gekämpft, einen Gang hoch durch das pompöse Treppenhaus hingelegt und finden uns in einem engen Büro zusammen. Mit mir am Tisch: Die Residents Pico alias Raverpik, Lea, Sabu!, Grafikerin Kim und, digital über ein iPad zugeschaltet, Justin alias Justin Tinderdate. Oder ganz allgemein: Sachsentrance. Nur Alex alias Atreo als letzter Resident kann heute nicht dabei sein. Lea und Pico, die beiden Gründungsmitglieder der Crew, sind neben ihren Jobs als Resident-DJs auch für die Veranstaltungsdurchführung, das Booking, die Labelführung, oder, um es einfacher zu machen: für alles zuständig. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde eröffne ich das Gespräch. Eben genau so wie der fremde Kneipengast, den ich oben beschrieben habe.

Auch bei den Sachsis – The Jakob Sister. (Foto: Felix Adler)

Angefangen hat vor sechs Jahren alles recht ungeplant: „Die erste Party war 2017 in Leipzig. Das war so ‘nen relativ spontanes Event, weil wir immer zuhause saßen und uns die alten Trance-Classics angehört haben”, erinnert sich Lea. Irgendjemand hat mal „The House of House” von Cherrymoon Trax als Youtube-Link verschickt. „Das war der erste Trance-Track, auf den ich damals richtig steil gegangen bin”, erzählt sie weiter. Von da an wurde sich immer weiter durch den Katalog des Kult-Labels Bonzai Records gegraben. Die Frage, die sich dann schnell stellte: „Das ist so geile Mucke, warum kommt das eigentlich nirgendwo?”

„Damals war das ja noch gar nicht wie heute, dass Trance an jeder Ecke läuft”

Als die Idee da war, ging dann alles ganz schnell: Ein Bekannter besaß eine Freifläche in Leipzig, die geeignet schien, die Tarnung der Party war ein Geburtstag, Zettel mit einer Telefonnummer und allen wichtigen sonstigen Infos hingen in der Leipziger Nachbarschaft verteilt, falls es mal zu laut wird, und um die Musik kümmern sich eben Leute aus dem Freundeskreis. Darunter auch der damals noch in der Stadt lebende Job Jobse. Eine Figur, die aus der heutigen Trance-Szene wohl kaum noch wegzudenken ist. Und der Name? „Na ja, das war halt so ‘ne dumme Idee. Es war Tag der Sachsen, und wir dachten, wir machen jetzt hier so ‘ne Gegenparty. Und auch weil es megakonträr ist. Sachsen und Trance, das passt eigentlich gar nicht zusammen.” Ein Kichern geht durch die Runde. Generell wird viel gekichert und viel gelacht oder mit einem breiten Grinsen der Kopf geschüttelt, wenn Erinnerungen durch den Kopf schießen, die sich am besten mit „Was haben wir uns dabei nur gedacht?” beschreiben lassen.

Die Party am Tag der Sachsen war ein voller Erfolg. DJs kamen auf die noch undefinierte Gruppe zu, wollten auch spielen, eine Freundin gestaltete ungefragt ein Logo, eins kam zum anderen, Sachsentrance war geboren.

Sabu! von Sachsentrance. (Foto: Felix Adler)

Nicht viel später gab es auch die ersten Partys außerhalb Leipzigs: „Ich bin dann irgendwann nach Berlin gezogen”, erzählt Lea. Inzwischen wohnt bis auf Pico die gesamte Crew in Berlin. Aber warum soll es Sachsentrance auch nur in Sachsen geben? Durch eine gute Verbindung zum Club Zur Klappe wurde das junge und beliebte Projekt von 2018 oder 2019 an in der Hauptstadt weitergeführt. Von Anfang an war auch hier zu merken: Die Leute haben Bock. „Damals war das ja noch gar nicht wie heute, dass Trance an jeder Ecke läuft”. Alle nicken.

Trance war zwar alt, eben aus den Neunzigern, aber auf einmal auch ganz neu. Aufregend. Kitschig, fast schon trashig. Ein Gegenvorschlag zur oft elitären, düsteren, manchmal vielleicht schon zu coolen Berliner Technoszene. Auch das ist Sachsentrance bewusst, oder vielmehr ist es ein bewusst eingesetztes, gewolltes Mittel. Auf den Partys von Sachsentrance wird auf keine elitäre Türpolitik gesetzt. Natürlich gibt es einen Verhaltenskodex und Regeln, aber im Grunde sind alle herzlich willkommen.

Sachsentrance liebt dich. (Foto: Felix Adler)

„Dieses Miteinander ist in der Szene irgendwie so ein bisschen verloren gegangen über die Jahre”, erzählt Sabu!, die vor zwei Jahren Teil der Crew wurde. „Und das habe ich halt wiedergefunden, als ich das erste Mal auf ‘ne Sachsentrance kam. Das war gleich so familiär, auch wenn ich aus einer anderen Stadt nach Leipzig gefahren bin, niemanden kannte. Das war wie ein großes Freundestreffen.”

Sabu! war eigentlich mal nur ein großer Fan der Partys von Sachsentrance. Irgendwann Stammgast. Irgendwann Resident. Klingt wie ein verrückter Traum. Ist irgendwie auch so. Die Gruppe möchte einen niedrigschwelligen Zugang zu ihren Partys ermöglichen. Und das sowohl auf dem Dancefloor als auch hinter der DJ-Booth. „Über Freunde hab’ ich dann Lea kennengelernt. Und sie hat ganz schnell Wind davon bekommen, dass ich auch ein bisschen auflege und schon ein paar Podcasts hochgeladen habe. Und das hat gleich gevibet. Weil wir realisiert haben, dass der Musikgeschmack derselbe war.”

Vorwärts geht’s bei Sachsentrance immer, manchmal auch hinauf. (Foto: Felix Adler)

Bei einem 360-Grad-Virtual-Reality-Stream, den die Crew während der Pandemie veranstaltet hat, war plötzlich ein Slot frei. Kurzerhand fragte man Sabu!, ob sie übernehmen möchte. „Ich dachte nur, ich kann jetzt auf gar keinen Fall Nein sagen”, erinnert sie sich. Kurz darauf wurde sie gefragt, ob sie nicht generell Teil der Crew werden möchte. „Und natürlich gab’s da gar keine Sekunde zu überlegen oder eine andere Wahl für mich. Ich habe direkt Ja gesagt.”

Auf eine ähnlich unkonventionelle Weise wurde der neuste Resident, Justin Tinderdate, Teil der Crew. „Ja, also ich hab mich letztes Jahr bei Sachsentrance beworben. Mit ‘ner PDF, einer Bewerbungs-PDF.” Der ganze Raum bricht in schallendes Gelächter aus. Dann gab es eine Prüfung: „Die habe ich mit ‘ner 1+ mit Sternchen bestanden.”

Auch musikalisch möchte sich die Gruppe nicht limitieren. Als Tranceparty ist das Projekt zwar irgendwann mal gestartet, aber inzwischen ist Sachsentrance ein Ort für verschiedenste Genres der guten Laune. Gabber, Happy Hardcore, Progressive House: „Wichtig ist nur, dass es vorwärts geht, knallt und irgendwie happy ist”, fasst Pico das stilistische Spektrum von Sachsentrance treffend zusammen.

Abgesehen von der Musik spielt auch ein gewisser, spaßiger Aktionismus immer wieder eine Rolle im Planungsverhalten der Gruppe. Als Vorbereitung für ein Showcase auf der Autoscooter-Stage auf dem MELT probte Sachsentrance das Ganze daher einfach mal auf einem echten Autoscooter-Platz.

„Wir dachten, wir üben das mal. Und da war ja Kleinmesse in Leipzig, und dann bin ich da hingefahren und hab’ diesen Autoscooter-Betreiber gefragt, hab’ mit dem gelabert und gesagt, wir würden hier gern Samstagabend auflegen.” Ein lautes Lachen geht durch die Runde, Pico wartet kurz ab, bis wieder ein wenig Ruhe einkehrt. „Und dann hab ich das mit dem ausverhandelt, und der war da, sag’ ich mal, ja, offen für.” Am Ende waren um die 500 Leute da und stürmten in jeder Pause zwischen den einzelnen Autoscooter-Runden die Fläche. Verletzt wurde niemand, Spaß hatten alle.

Unterstützung für linke Initiativen

Wenn man Sachsentrance so zuhört, fragt man sich, warum nicht alles so einfach gehen kann. Die Grundeinstellung scheint zu sein, allen und allem erst mal eine Chance zu geben. Das Gute zu sehen. Davon ausgehen, dass Dinge was werden, anstatt sich den Kopf darüber zu zermartern, ob etwas wirklich funktioniert oder ob man es nicht lieber gleich bleiben lässt. Und oft funktioniert das. Aber eben nicht immer. Vor einiger Zeit wurden Stimmen im Szene-Buschfunk laut, Sachsentrance halte keine Distanz zu politisch Rechten, kooperiere mit Leuten, die eine Nähe zum rechten Milieu pflegen. So richtig konkret wurden die Stimmen nicht, die Vorwürfe klingen nach Hörensagen. Was ist da nun dran? Natürlich sprechen wir auch darüber. Schnell merke ich, es ist ein Thema, das der Gruppe sehr zusetzt. „Das letzte halbe Jahr war nicht immer einfach”, erklärt Lea. Die Gruppe habe viel Druck gespürt.

Was war passiert? Es klingt ein wenig verschachtelt: Ein ehemaliges Mitglied von Sachsentrance fing eine Beziehung zu einer Person an, die früher, in der Zeit vor Sachsentrance, Teil eines Sportvereins war, in dem auch Personen trainiert haben, die im rechtsradikalen Milieu zu verorten waren oder sich zumindest nicht klar davon distanzierten. Eine Person, mit der aus der aktuellen Sachsentrance-Besetzung niemand etwas zu tun hat.

On the sunny side of Sachsen mit Atreo. (Foto: Presse)

Sachsentrance versteht sich als durch und durch linkes Projekt, unterstützt mit Einnahmen immer wieder linke Initiativen und teilt in keiner Weise rechte Ansichten, erklärt die Gruppe. Das ist auch in ihrem auf den sozialen Medien veröffentlichten Selbstverständnis nachzulesen. Langsam kehrt Entspannung ein. Bei meinen eigenen Recherchen zu den Vorwürfen bin ich auf nichts Stichhaltiges gestoßen, der Call-out scheint eher Missgunst in der Leipziger Szene zu widerspiegeln. Die Crew wirkt aufgeschlossen und reflektiert, steht zu ihren Idealen und distanziert sich klar von allem, was rechts ist. Man möchte weitermachen. Und hat viel vor.

Mit der TRANCE FORCE ONE gab es dieses Jahr zum ersten Mal ein dreitägiges Indoor-Festival der Crew in Leipzig. Das war zwar enorm viel Arbeit, hat sich aber so doll gelohnt, dass es nächstes Jahr wieder stattfinden soll. Und wer so lange nicht warten möchte, kann ein spezielles Winterangebot in Anspruch nehmen. Wie wir ja bereits gelernt haben, hält Sachsentrance seine Fans gerne mit unkonventionellen Späßen bei der Stange. Und so findet unter dem Titel „Abriss-Ski-Tour” der erste Ausflug in die Alpen statt. Inklusive Anreise im Partybus können Fans eine Woche Skiurlaub à la Sachsentrance im Zillertal buchen. „Ihr seid doch Jeck”, lautet der erste Kommentar auf der neulich veröffentlichten Ankündigung auf Instagram. Ich könnte es nicht besser zusammenfassen.

Sachsentrance. (Foto: Felix Adler)

Und was hat es nun mit dem eingangs erwähnten Kipplaster auf sich? Alles ereignete sich auf einem Festival, auf dem ein Sachsentrance-Showcase hätte stattfinden sollen. So ziemlich alles, das hätte schief laufen können, lief schief, erinnern sich alle kopfschüttelnd. Das Equipment war erst gar nicht da und kam danach nur Stück für Stück. Pico hat irgendwann auf einem einzelnen CDJ angefangen zu spielen, die Monitore blieben komplett aus. „Aber niemand von uns hätte zu träumen gewagt, was danach passiert ist. Dann kam das mit dem Kipplaster.”

Die Stage wurde als Pop-up-Floor auf der Ladefläche eines Kipplasters aufgebaut. Alle gingen davon aus, der Laster sei selbstverständlich außer Betrieb. Irgendwer stellte das Ganze auf die Probe, setzte sich ins Führerhaus und drückte anscheinend ein paar Knöpfe. Was genau da alles passierte, weiß bis heute niemand. Plötzlich begann sich die Ladefläche, samt Equipment und DJs, zu heben, Stück für Stück purzelte alles auf den Boden. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Und nun? „Also die meisten von uns waren erst mal total geschockt”, erzählt Lea. „Aber Pico hat einen Schluck Bier genommen und alles wieder ganz entspannt aufgebaut. Und dann ging es weiter.” Klingt am Ende nach Spaß. Der war ja schließlich auch die Prämisse.

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