Jon Hopkins – Music For Psychedelic Therapy (Domino)
Transformative Erlebnisse in unterirdischen Höhlen, meditative Reisen mit psychedelischen Substanzen und die Verarbeitung von Trennungsschmerz kommen auf Jon Hopkins’ aktuellem Album zusammen. Music For Psychedelic Therapy hört sich wie ein hippieesker Versuch, Spiritualität und Klangerfahrung zu einer Art esoterischen Ambient zu verfeinern. Fernab von Beat und Rhythmus mischen sich Aufnahmen, die der Brite während eines viertägigen Aufenthalts in der Cueva de los Tayos in Ecuador machte, mit Klanglandschaften, die er aus Erlebnissen in seiner Therapie mit psychedelischen Substanzen gewann. In der Stille des Lockdowns im letzten Jahr wandte er sich der musikalischen Verarbeitung dieser Erfahrungen zu.
Music For Psychedelic Therapy dehnt die gut eine Stunde Laufzeit mit einem Schleier aus sanften Field Recordings von hallend tröpfelndem Wasser und Vögeln, schüchternen Klavierklängen oder Streichern und flächigen, verwaschenen Synthpads, die in ätherische Sphären aufsteigen, in die Länge. Und auch wenn die LP ruhige Töne anschlägt, ist sie mit Spiritualität aufgeladen. Titel wie „Love Flows Over Us In Prismatic Waves” kommen trotz der so sanft anmutenden Komposition mit viel esoterischem Pathos daher, der nur noch von „Sit Around The Fire”, gespickt mit Zitaten des Psychologieprofessors und spirituellen Gurus Richard Alpert alias Ram Dass, übertroffen wird.
Hopkins arrangiert die reduzierten Elemente zu einem sensiblen Luftschloss zusammen, das so zart und sogar zerbrechlich klingt, dass man Angst hat, jede Erschütterung würde es im Ohr verpuffen lassen. Music For Psychedelic Therapy lässt sich gut mit genügend Kamillentee herunterspülen: Es ist leicht und flüchtig, wenn man sich allerdings auf derselben metaphysischen Ebene wie Hopkins begibt. Louisa Neitz
L.F.T. – Salz (Mannequin)
Liebe, Faust, Tränen. Das Akro- und Pseudonym L.F.T. des Golden-Pudel-Residents Johannes Haas vermittelt mit dem Namen schon gut die Lo-Fi-Punk-Ästhetik, die der in Hamburg wohnende Künstler mit diesem Projekt vorantreibt. Salz ist eine Must-Have für all jene, die gerne mal ihre Mittwochabende in verqualmten Spelunken zweifelhaften Rufs verbringen. Und wenn dann noch L.F.T. spielt, ist die Krankmeldung für den Tag darauf besser schon eingeworfen – denn das wird eine lange Nacht.
Die Sound-Level sind auf den neun Tracks der LP stets auf Anschlag gedrückt. Red-Lining, Brutalo-Synths und Overdrive sind scheinbar valide Lebensphilosophie. Wieder was gelernt. Obwohl die Musik des Albums funktionalen Charakters ist und Kneipenbesucher*Innen dazu definitiv ausrasten werden – spätestens nämlich, wenn die Stakkato-Drums bei „Nur Noch Ein Mal Schreien” einsetzen –, fehlt doch auch nicht der artsy Approach, der der Wildheit der Veröffentlichung eine tiefere Ebene hinzufügt und somit ähnliche Wege geht, wie offensichtliche Inspirationsquellen des Künstlers, beispielsweise Liaisons Dangereuses, Throbbing Gristle oder auch Bourbonese Qualk, es auch taten. Andreas Cevatli
Manuel Tur – Rhythm Trax Vol. 3 (Running Back)
Ohne Frage hat es Gerd Jansons Label Running Back immer schon verstanden, sich genau mit den Themen in der elektronischen Clubmusikwelt zu beschäftigen, deren besondere Qualität erst mit dem zweiten Blick voll zu erfassen ist. Ob es ausgesuchte Wiederveröffentlichungen sind oder übersehene Produzent*innen, die es verdientermaßen wiederzuentdecken gilt. Der Themenbereich der übersehenen Perlen spielt oft eine zentrale Rolle in der Projektauswahl des Labels.
Diesmal hat Running Back den versierten Essener Produzenten Manuel Tur auf Albumlänge engagiert. Dieser hat zwölf Stücke versammelt, der Albumtitel macht schnell klar, worum es sich handelt: Rhythm Trax. Die Titel der Tracks reichen von „100,5 BPM” bis „150.62 BPM”. Das Weglassen von Chords und Basslines ist eine oft Übersehene und als reine DJ-Tools missverstandene Stilart, die man durchaus als einen Grundpfeiler der frühen House-Music-Geschichte verstehen könnte. Aus einer Zeit, in der die Drum Machines und ihre alternativen Fähigkeiten noch auszuloten waren, und alleine der kompromisslose Fokus auf die rohen Drum- und Percussion-Sounds schon ekstatische Momente auf den Floors zauberte und somit diese Vorgehensweise legitimierte.
Manuel Tur versteht es hier ganz vorzüglich, die Drum Machines mal hypnotisch, mal funky, mal tribal grooven zu lassen. Spannend an seiner Interpretation dieses reduzierten Stils ist die Kombination mit dem heute möglichen Arsenal an Effekten. Diese haben sich natürlich ständig weiterentwickelt, und es ist eine wahre Freude, ihrem Einsatz in den Tracks nachzuspüren. Dies macht er nach allen Regeln der Kunst und verpasst damit dem reinen Drumtrack ein frisches Sound-Update ins Jahr 2021. Gleichzeitig erneuert er spielend leicht die Legitimation solcher Tracks. Drumtracks, die so viel mehr sind als bloße DJ Tools. Der Techno im House-Pelz. Herrlich! Richard Zepezauer
Martinou – Rift (Nous’klaer)
Langsam angehen lassen. Der schwedische Produzent Martinou veröffentlichte seine erste Solo-EP 2014 auf dem von ihm mitgegründeten Label sewer sender. Sieben Jahre und eine Handvoll EPs später ist der Moment für sein Debütalbum gekommen. Eine House-Platte, die mit sparsamen Gesten große Landschaften zeichnet. Wolkenverhangen ist einiges davon, das Meiste aber vor allem majestätisch weit.
Martinou versteht sich auf feinst nuancierte Variationen bei auf den ersten Blick geringer rhythmischer und klanglicher Aktivität. Mit diesen Variationen gestaltet er Ekstasen der wohldosierten Zurückhaltung. Man weiß gar nicht so recht, was und wie einem geschieht, doch man kann einfach nicht genug davon bekommen. Tanzen ist ein Anliegen dieser Musik, Erzählen ohne Worte ein weiteres. Sein Ansatz ist dabei von so schlafwandlerischer Sicherheit, dass er die knapp 75 Minuten über locker trägt. Egal, ob gerade ein Club in der Nähe ist oder nicht. Dies wäre dann mal wieder ein Fall für die Kategorie Erhaben. Tim Caspar Boehme
Monobox – Regenerate (M-Plant)
Mit Regenerate haucht Robert Hood seinem Pseudonym Monobox und seinem subtilen Minimal-Techno-Sound neues Leben ein. Schon letzten Monat erschien die Forwardbase Kodai EP, sozusagen als Vorbote des Albums, ebenfalls auf Robert Hoods eigenem Label M-Plant. Die Inspiration für das Projekt reicht zurück zu einer Kindheitserinnerung an ein Buch. Die ominöse schwarze Monobox entstammt einem fremden Universum und schwebt irgendwo über dem Planeten. Dieses UFO erwacht nun nach einigen Jahrzehnten der Ruhe wieder zum Leben und führt Robert Hood zurück zu seinem alten Moniker und dem damit verbundenen rohen, futuristischen und Sci-Fi-gefärbten Sound.
Die Tracks kommen ohne Drops oder sonstige stimmungsheischende Sperenzchen aus und vermitteln dadurch mehr das Gefühl eines Live-Jams als einzelner am Reißbrett durchgeplanter Stücke. Und gerade deshalb funktionieren sie wunderbar als Album. Es geht los mit „Rise”, dessen Name insofern Programm ist, als sich der Track stetig weiter aufbaut, aber dann, am Höhepunkt angekommen, abrupt endet; Coitus Interruptus, sozusagen.
Spätestens bei „Blackwater Canal” fängt die Sci-Fi-Analogie an zu greifen: Das klingt nach einer Expedition auf der Suche nach einem mysteriösen, lange verschollenen Wasservorkommen auf einem fernen Planeten. „Wargames” ist dunkel und erbarmungslos. Der Soundtrack zur Weltraumschlacht im Cockpit des Abfangjägers bei nahezu Lichtgeschwindigkeit. „Angel City” ist wie die aufregende Heimkehr in eine vertraute Stadt, die man lange nicht gesehen hat. „Exoplanet” baut sich langsam auf und entfaltet sich über ganze neun Minuten, wodurch der Track einen ekstatischen Sog entwickelt. Bei „Drydock” ändert sich die Tonart nochmal, plötzlich wird es uplifting, wie um eine utopische Vision zu zeichnen.
Science-Fiction, Futurismus, ferne Galaxien, Raumschiffe, all das sind keine neuen Themen in der Welt der elektronischen Musik. Stilprägende Werke wie Oxygène oder Equinoxe von Jean-Michel Jarre oder Vangelis’ Soundtrack zu Blade Runner lassen die Verwendung dieser Motive geradezu natürlich erscheinen.
Auch im Techno werden diese immer wieder aufgegriffen, obgleich der gängige Industrial-Sound in eine eher terrestrische Richtung weist. Regenerate bringt diese Gedankenwelt auf sehr subtile Weise in seine Musik ein, ohne Roboterstimmen oder dergleichen abgedroschene Dinge zu bemühen. Es ist kein erzählendes Konzeptalbum, wie zum Beispiel das großartige Welcome To Mikrosector-50 von Space Dimension Controller, aber schafft mit seinem durchgehenden Flow ein stimmiges Ganzes. Charaktervoll, aber subtil genug, um sich nicht schnell abzunutzen. Das fast 20 Jahre alte Vorgängeralbum hat noch nichts von seiner Eleganz verloren, und so wird man auch an Regenerate lange Freude haben. Philipp Gschwendtner
Parris – Soaked in Indigo Moonlight (Can You Feel The Sun)
„Die einzig bleibende Wahrheit ist Veränderung. Das ist ein Album, das sich darum dreht, sich selbst zu verstehen.” Parris beschreibt sein Debütalbum als Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Dabei nimmt er eine Perspektive ein, die sich der Widersprüchlichkeiten im Leben bewusst ist, die Wandel positiv sieht. Das ist auch eine sehr treffende Beschreibung der Musik auf Soaked in Indigo Moonlight, die sich immer wieder verändert, Rhythmen wechselt, neue Klänge einbringt, während andere davonschleichen. Jeder Track hätte eine eigene Review verdient, so viele Ideen stecken darin.
Das bedeutet aber nicht, dass das Album auseinanderfällt, im Gegenteil. Die Impulse kommen aus demselben Klangkosmos, den der Produzent aus England für sich geschaffen hat. Seit 2014 hat er eine Reihe starker Singles und EPs herausgebracht, die mit ordentlich Druck auf die Tanzfläche streben und gleichzeitig viel Raum lassen für die Bewegung von Gedanken. Seine Tracks haben immer einen Bass, der richtig anschiebt und eher spür- als hörbar ist. Seine Clubmusik-Entwürfe sitzen an verschiedenen Wegpunkten von Bassmusik mit Verbindungen zu Techno und anderen Spielarten elektronischer Tanzmusik.
Auch auf Albumlänge trägt das genug. Vielleicht auch, weil bei Parris ein dezenter, sehr bereichernder Pop-Einfluss dazukommt, der meistens im Hintergrund mitläuft und die schweren Bass-Beat-Vehikel auflockert. Beim großartigen „Skater‘s World” mit Eden Samara bekommt dieser Einfluss die ganze Bühne überlassen und trifft elegant und euphorisch die goldene Mitte zwischen poliertem Pop und rumpeliger Clubmusik. Soaked In Indigo Moonlight bleibt bei aller Basskraft und treibenden Rhythmuselementen zwischen, Breakbeats und Four-To-The-Floor, zwischen Dubstep, Techno und Jungle ein unbeschwertes, helles Album.
Die Leichtigkeit gewinnen die Tracks vielleicht auch aus dem Dub. Er gibt den Sounds mit langsamen, aber stetigen Wandlungen, den Verlagerungen der Schwerpunkte auf einzelne Elemente von Bass und Drums, viel Raum, in dem Veränderung möglich ist. Es ist eine Freude, dabei zuzuhören. Vielleicht inspiriert es auch dazu, sich selbst Raum zu geben zur Veränderung – einer, die gut ist. Philipp Weichenrieder