Blog-Post, Denunziation, Einknicken. Das ist, vereinfacht dargestellt, die Kausalkette des jüngsten Eklats in der Aushandlung des Nahostkonflikts in der elektronischen Tanzmusik. Führen wir kurz aus – was ist passiert? Roi Perez, seines Zeichens Panorama-Bar-Resident und Mitgründer der Partyreihe LAUNDRETTE, ist Israeli, hat Partys in Tel Aviv geschmissen und steht für ein queeres Verständnis von Rave. Das genügt einem anonymen Kollektiv namens abolish the green room, um ihn in einem Blog-Post namens Making apartheid look like a party anzugreifen. Und einer anonymen Instagram-Seite namens Ravers For Palestine, um die Vorwürfe – oder wie auch immer man die Kritik an Perez nennen will – in einem Post ungefiltert, dafür mit noch mehr Widerhall in den Cyberspace zu rülpsen.
Was wird überhaupt kritisiert? Der Aufhänger ist Perez‘ Booking seitens des Festivals Origins in den Londoner Club FOLD. Perez hätte dort am 10. Oktober die ganze Nacht lang spielen sollen. DJs wie Cormac, Paramida oder seine israelischen Freunde David Elimelech und Partok finden das gut, wie man seinem Ankündigungs-Post vom 20. August entnehmen kann. Schlecht finden das pro-palästinensische Netzaktivist:innen, die den Gig um jeden Preis verhindern wollen. Das haben sie nun geschafft, Ravers for Palestine bejubelt die frohe Botschaft in einem UPDATE in bester Gutsherrenart: „Origins hat das Event abgesagt, mit einem klaren und verantwortungsbewussten Statement. Wir loben diese schnelle und prinzipientreue Reaktion.”
Die prinzipientreue Reaktion liest sich in der Tat überaus prinzipientreu – so man sie denn findet. Vor lauter Prinzipientreue hat Origins sie nämlich kurzerhand gelöscht, und alle Welt muss sich mal wieder mit dem archivierten schlechten Gewissen der Dance Music, reddit, behelfen. Man habe das Statement von Ravers for Palestine gelesen und wolle klarstellen, dass man als Kollektiv die palästinensische Befreiung unmissverständlich unterstütze. Weiter wolle man „Stimmen keine Plattform geben, die zum fortwährenden Genozid und Israels kolonialistischem Siedlungsprojekt beitragen”. Von Anfang an hätte man das Gefühl gehabt, dass die Absage die richtige Maßnahme war. Als Bedenken über Perez‘ Hintergrund aufgekommen seien, sei man sofort mit allen Parteien ins Gespräch gegangen. Man schätze es sehr, dass man zur Rechenschaft gezogen worden sei. Dass man den Allnighter absagt, sei also ohnehin im Raum gestanden, man habe quasi nur den internetaktivistischen Arschtritt gebraucht – danke!
Macht man sich die Mühe, Making apartheid look like a party – ein Pamphlet, dem wackere Haltungsjournalist:innen wie Annabel Ross poetische Qualitäten attestieren – tatsächlich zu lesen, taumelt man von einer Absurdität zur nächsten. Hier nur ein paar der Vorwürfe, die Roi Perez gemacht werden: Im Gegensatz zum „cartoonhaften Bespiel einer zionistischen Siedlerin”, Gal Gardot, trage Perez ein „queeres, großstädtisches, subkulturelles” Bild Israels in die Welt hinaus und distanziere sich unter Druck auch mal von der „aktuellen Regierung der Kolonie”. Trotzdem verschaffe Perez, so die Denke, Israel kulturelle Legitimation, so sehr er sich auch einen progressiven Anstrich gibt. Ein Bild von Perez als Netanjahus Kulturattaché drängt sich beim Lesen dieser Zeilen förmlich auf.
Ein weiterer Kritikpunkt: Roi Perez spendete die gesamten Einnahmen einer LAUNDRETTE in der Panorama Bar an Überlebende des 7. Oktobers, obdachlose Beduinen-Gemeinschaften, aufgrund von Siedlergewalt vertriebene Palästinenser:innen und queere Araber:innen in Israel und Palästina – und zwar bereits im November 2023, also kurz nach dem Massaker. Für die Weltfremden aus dem grünen Raum keine Geste der Verständigung, des Dialogs, sondern ein weiteres Feigenblatt. Schließlich verkörperten die Spenden lediglich „das eliminatorische Projekt des liberalen Zionismus”, weil man den Ureinwohner:innen gönnerhaft ein paar Krümelchen hinwerfe. Besonders krude die These, wieso Perez bevorzugt an queere Araber:innen spende: Diese produzierten nämlich keine Nachkommen, deshalb, so wohl die Logik, sei mehr Platz für das Siedlungsprojekt Israel, das man konsequent in Anführungszeichen schreibt.
Wie Perez wirklich helfen könne, erfährt er gegen Ende, „Israeli” sei nämlich keine unveränderliche Identität, schon andere Siedler:innen, etwa in ehemaligen afrikanischen Kolonien, seien auf die gute Seite gewechselt. Perez hingegen ernte täglich die Früchte seiner Siedler-Selbstverwirklichung. Was er stattdessen tun könne: Seine Siedler-Staatsbürgerschaft öffentlichkeitswirksam aufkündigen, seinen Pass und seine Identität gleich mit. Sich für die „Normalisierung Israels” entschuldigen. Zukünftig jedwede Assoziation mit der „Siedlerkolonie” ablehnen.
Angst speist sich aus dem faschistoidem Klima, das Seiten wie Ravers for Palestine in ihrer blinden Agitationswut erschaffen
Letztendlich heißt das: Roi Perez soll Rechenschaft dafür ablegen, dass er aus Israel stammt, in Israel geboren wurde, Verantwortung für seine bloße Herkunft übernehmen. In dieser obszönen Forderung kommen so viele Ismen zusammen, dass man einen ganzen Blogpost darüber schreiben könnte. Oder man macht es wie Roi Perez und erklärt sich in einem Statement. Er wende sich gegen das israelische Regime und den laufenden Genozid am palästinensischen Volk, unterstütze den kulturellen Boykott des Landes. Am wichtigsten ist aber folgende Passage: „Öffentlich Namen von Künstler:innen und Clubs in Umlauf zu bringen, mit der Absicht, sie zu isolieren, hilft der Bewegung für die palästinensische Befreiung nicht. Das schafft Angst, zerbricht Communitys und bringt Leute zum Schweigen, die sich der Sache verschrieben haben.”
Dem gibt es wenig hinzuzufügen. Vielleicht eines: Origins haben ihren Post sicherlich nicht aus Spaß oder bloßer Feigheit gelöscht, sondern auch aus Angst. Diese speist sich aus dem faschistoidem Klima, das Seiten wie Ravers for Palestine in ihrer blinden Agitationswut erschaffen – ironischerweise nicht unähnlich jenem, das sie Israel als sogenannter Entität unterstellen.