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Rave The Planet: Dauerregen und Dosenbier

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Bei hundertprozentiger Regenwahrscheinlichkeit in der Wetter-App kann schon mal Panik aufkommen. Aber Raver:innen sind ja schließlich nicht aus Zucker. Allen Wetterbedingungen zum Trotz feierten am Samstag laut der Polizei 100.000 Menschen, nach Angaben des Veranstalters sogar 200.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni die vierte Ausgabe von Rave The Planet unter dem Motto „Our Future Is Now”.

Während einige sich dafür entschieden, dem Regen zu trotzen und ohne jeglichen Regenschutz und in T-Shirt und kurzer Hose zu feiern, verschwanden bei anderen die seit Wochen geplanten Outfits unter Regenponchos und Regenschirmen. Die waren definitiv das It-Piece der diesjährigen Parade, neben den bunt verspiegelten Sonnenbrillen natürlich, die bei der dichten Wolkendecke mehr oder weniger überflüssig waren. Ebenfalls stark vertreten war die Fraktion „Warum sollte ich mir ein T-Shirt anziehen?”, aber aufgrund der Wetterbedingungen sei es ihr verziehen, man will ja niemandem zumuten, den ganzen Tag in einem nassen T-Shirt rumrennen. Der Stimmung konnte das Wetter jedoch nichts anhaben, schließlich ist im Regen zu tanzen ja irgendwie auch ein Vibe. Zugegeben: Eine enge Low-Waist-Schlagjeans und ein knappes Lederkorsett waren bei Regen vielleicht nicht die cleverste Wahl, irgendwann klebte mir das Outfit regelrecht am Körper. Doch als echte Festival-Survival-Expertin hatte ich natürlich ein trockenes Ersatzoutfit in einer Mülltüte dabei. Meine Sieben-Zentimeter-Plateau-Absätze hingegen beschützten mich vor jeder Pfütze und hielten meine Füße rundum trocken, meine Lederjacke musste kurzerhand als Regenjacke einspringen. Abgerundet wurde das Ganze mit einem schwarzen Regenschirm.

Rave The Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Obwohl es dieses Jahr eine Weile dauerte, bis alles richtig in Schwung kam, war ab dem Nachmittag, etwa gegen 16 Uhr, die Party in vollem Gange. Die Straße des 17. Juni füllte sich zunehmend, und die Stimmung baute sich immer weiter auf. Von der anfänglichen Sorge um das Wetter war fast nichts mehr zu spüren. Neben den Wagen tanzten sogar die Ordner, die zum Großteil ohne Schirm unterwegs und inzwischen komplett durchnässt waren.

Rave The Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Gegen 17 Uhr beschloss ich, das Getümmel zu verlassen und mich auf den Verknipt-Float zu begeben, besser gesagt: die Verfolgungsjagd aufzunehmen, denn trotz der langsamen Fortbewegungsgeschwindigkeit von geschätzten zwei Kilometern pro Stunde gestaltete sich das schwieriger als gedacht. Nicht nur, dass man erstmal herausfinden musste, welchen der 35 Wagen es zu verfolgen gilt, nein: man muss sich auch durch die Massen an nassen tanzenden Raver:innen schlagen. An den Ordner:innen vorbei, unter dem Seil hindurch, die nasse Treppe hoch und rauf auf das Float. Von oben zu sehen: Regenschirme in allen Farben, so weit das Auge reicht. Die Stimmung auf dem Float ist ausgelassen, wenn auch noch recht leer. Man das Gefühl, alle versuchen besonders schön zu tanzen, falls sie später in einem TikTok auftauchen sollten. Wenn auf der anderen Straßenseite ein anderes Float vorbeifährt, winken alle, das scheint ein Ritual zu sein.

Rave The Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Ab 20 Uhr brach dann das Unwetter herein. Während es tagsüber nur vereinzelt leichte Schauer gegeben hatte, schüttete es nun in Strömen. Nun zeigte sich, wer wirklich Durchhaltevermögen besitzt. Einige ergriffen die Flucht, während andere klitschnass weitertanzten. Die Pavillons, die die DJ-Pults auf den Floats schützen sollten, gaben nach und nach den Geist auf, doch die Stachelfrisur eines Punks mit vermutlich zehn Flaschen Haarspray hielt immer noch bombenfest.

Rave The Planet (Foto: Leonie Roussakis)

Dem Tiergarten kam der anhaltende Regen jedoch zugute. Während er im letzten Jahr ein Chill-Out-Spot war, um kurz dem Trubel zu entkommen, eine kurze Pause einzulegen, die Blase zu entleeren, oder mit seinen Freunden ein überteuertes Dosenbier zu zischen, war das dieses Jahr aufgrund der durchnässten Wiesen eher weniger der Fall. Was die Müllproduktion in diesem Jahr augenscheinlich verringerte.

Zurück auf der Straße des 17. Juni, wo Einhorn, Obelix und Puppies in einmaliger Weise aufeinander treffen. Einige sehen verkleidet aus, als hätten sie das ganze Jahr auf genau diesen Augenblick gewartet. Eine Mischung aus Karneval, Demonstration, Club, Festival und das alles auf einmal und an einem Tag: Was will man mehr? Aber genau das ist ja das Tolle daran: Jeder wie er möchte und wie er sich wohlfühlt. Was weniger schön ist: Sich extra für Rave The Planet oder andere Großveranstaltungen komplett neu einzukleiden. Wie es oft auf TikTok und anderen Plattformen beworben wird. Das ist nicht nachhaltig, und deshalb nicht besonders cool. Auch wenn es für viele das Event des Jahres ist, lässt sich ein tolles Outfit oft schon mit Teilen zusammenstellen, die längst im eigenen Kleiderschrank hängen. Denn der wahre Spirit solcher Tage liegt nicht darin, Fast-Fashion für einen Tag zu shoppen, die danach ungetragen in der Ecke landet, sondern darin, sich kreativ, bewusst und mit Persönlichkeit zu zeigen, und genau das haben viele auch geschafft. Jedenfalls prägte der  klischeehafte schwarze Berliner Techno-Look in diesem Jahr nicht die Straßen. Stattdessen zu sehen: Witzige Kostüme irgendwo zwischen Burning Man, brandenburgischem Schneckno-Festival aus den Zweitausendern und Fußball-WM, viel Glitzer und, nicht zu vergessen, die Regenponchos. Wer diese etwas aufpeppen wollte, setzte sich eine Cap auf, trug Schmuck oder einen Harness drüber.

Rave The Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Die Gruppen verloren sich zum Teil auf der 1,7 Kilometer langen Strecke zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Neben dem Sanitätsdienst war das Awareness-Team eine ständige Präsenz auf dem Umzug, gut zu erkennen an den pinken Westen. Eine Neuerung waren die sogenannten roten Karten, die man sich entweder bei einem der beiden Awareness-Zelte oder beim patrouillierenden Awareness-Team abholen und im Falle einer Belästigung vorzeigen konnte. Wusste zwar keiner was von, weil es zu wenig kommuniziert wurde, aber die Idee ist super: Meine rote Karte kam glücklicherweise nicht zum Einsatz. Bis auf ein paar unangenehme Blicke blieb ich verschont. Aufgrund der geringeren Teilnehmer:innenanzahl im Vergleich zum Vorjahr, die wohl dem Regen geschuldet ist, waren die Sanitäter dieses Jahr nicht rund 600-, sondern nur 392-mal im Einsatz. Zudem gab es kostenlose Trinkwasserspender, die zwar auf der digitalen Karte eingezeichnet, aber trotzdem nicht so leicht zu finden waren.

Rote Awareness Karte bei Rave The Planet 2025 (Foto: Privat)
Die rote Awareness-Karte bei Rave The Planet 2025 (Foto: Privat)

Das Erstaunliche: Im Vergleich zu den Berliner Clubs wurde auf der Parade überraschend wenig konsumiert. Die Toiletten wurden tatsächlich für das genutzt, wofür sie gedacht sind, und man musste nicht minutenlang Schlange stehen, nur um mit anzusehen, wie eine sechsköpfige Truppe schräger Gestalten die Kabine oder in diesem Fall: das Dixi-Klo verlässt. Vielleicht haben viele sich ihre Kräfte für die Afterpartys von Verknipt im Club OST bis hin zur HEISSS im RSO aufgehoben, oder die starke Polizeipräsenz hat den exzessiven Rauschmittelkonsum in Grenzen gehalten. Auf der Parade selbst war davon jedenfalls kaum etwas zu spüren, hier ist Dosenbier die präferierte Droge.

So bunt wie die Floats war auch das Publikum. Viele Clubs und Partyreihen haben ihre eigenen Stammgäste und Szenen, die sonst selten aufeinandertreffen. Doch bei Rave The Planet kommen viele von ihnen zusammen, und das nicht nur aus Berlin, sondern aus ganz Deutschland und auch den benachbarten Ländern. Raver:innen aller Generationen feierten und demonstrierten hier Seite an Seite. Negativ ins Auge sprang eine junge Frau mit Kinderwagen, die diesen tanzend durch die Menge schiebt – mit Kleinkind, ohne Gehörschutz. Oder ein Hund, der an seiner Leine durch die Feierwütigen gezerrt wird. 

Rave The Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Je später es wird, desto wüster ist die Party. Der Veranstalter dagegen lässt keine Gelegenheit aus, zu unterstreichen, dass es sich um eine Demonstration handelt. Die Forderungen der Parade sind unter anderem „Schutz von Clubs und Veranstaltungsorten”, „Die Abschaffung aller gesetzlichen Tanzverbote” und sogar „Die Einführung eines jährlichen gesetzlichen Feiertages”. Ob alle Teilnehmer:innen wussten, dass es sich tatsächlich um eine Demonstration handelt, ist unklar, aber über einen weiteren Feiertag würden sich bestimmt alle freuen.

Rave the Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Allein schon die Größe der Parade ist beachtlich. 35 Floats zirkulieren von 14 bis 22 Uhr zwischen dem Brandenburger Tor und der Siegessäule. Mit dabei: Berliner Clubs wie Der Weiße Hase, Club OST und Lokschuppen, international aktive Partyreihen wie Verknipt, Festivals wie die Nature One und zum allerersten Mal ein Kids-Rave-Float, auf dem ausschließlich minderjährige DJs auflegen. Große Namen wie – wie könnte es anders sein – Dr. Motte auf dem Rave-The-Planet-Float, OGUZ, Nicole Moudaber und Klaudia Gawlas sorgten den ganzen Tag über für ausgelassene Stimmung und bedienten dabei die gesamte Bandbreite elektronischer Tanzmusik. Musiktechnisch war ich auf dem Verknipt-Float jedoch richtig aufgehoben. Die Floats ziehen mit ihren riesigen Boxen ganze Menschenströme hinter sich her. Manche weil sie Fans des auflegenden DJs, des Clubs oder der jeweiligen Partyreihe sind, andere weil sie sich zufällig dorthin verirrt haben oder einfach hängengeblieben sind und sich von der Musik treiben lassen. Das größte Gefolge hatten dabei die Berliner Partys und Clubs wie etwa der Club OST.

Rave The Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Zum Entsetzen vieler Parade-Besucher:innen waren vom Ellen-Noir-Float, einem Club aus Magdeburg, vermehrt „Ostdeutschland”-Rufe zu hören, einige berichten sogar von AfD-Parolen. In den sozialen Netzwerken kursieren verschiedene Videos von dem Float und den Rufen, die dort lebhaft diskutiert werden. Während einige die Rufe als harmlose Äußerungen einschätzen, sehen andere darin eine problematische Nähe zur rechten Szene.

Rave the Planet 2025 (Foto: Alexis Waltz)
Rave the Planet 2025 (Foto: Leonie Roussakis)

Am Clean-up Day nahmen dieses Jahr 60 freiwillige Helfer:innen teil, was, wenn man von einer Besucher:innenzahl von 100.000 Menschen ausgeht, eine Gesamtbeteiligung von 0,06 Prozent ergibt. Trotz einiger Zwischenfälle bewertet die Polizei die diesjährige Parade als „störungsarme und friedliche” Veranstaltung. Insgesamt war es ein Tag voller Regen, Dosenbier und guter Laune. Trotz nasser Kleidung und verschmiertem Make-up. Durch den Regen scheißt man irgendwie eh auf alles, und wahrscheinlich hat genau das den Spirit von des diesjährigen Rave The Planet ausgemacht. Danach fällt man total übermüdet ins Bett und kann es kaum erwarten, bis wieder einer dieser Tage mit diesem leichten und fröhlichen Gefühl kommt, das einen auch noch durch die folgende Woche trägt.

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