Es gibt so einen Neardeather – das ist auch eine geile Szene: Neardeather.
Das ist eine ganze Szene?
Ja! (lacht) Es gibt Berichte von Leuten, die mal kurz tot waren. Da gibt es einen, der heißt Mellen [-Thomas Benedict, d.Red.]. Den hat meine Freundin mir mal gezeigt, die hört Neardeather-Geschichten zum Einschlafen. Auch ein bisschen verrückt. Aber wunderschön und poetisch.
Hast du das Sample aus einem Hörspiel geschnitten?
Nicht ganz, eine Audio-Aufnahme. Der erzählt darauf, was ihm in Erinnerung geblieben ist, bevor er zurückgeholt wurde. Es geht um Religion, verschiedene Gottheiten, alle konnten nebeneinander existieren, und das Licht, die Strahlen – viele Erzählungen von Nahtoderfahrenden ähneln sich, sind fast identisch. Das ist ein Rätsel für die Wissenschaft. Und der beginnt seine Erzählung mit diesem Rumi-Zitat. Das fand ich schön, und es passt super zu unserem Thema – beyond wrongdoing and rightdoing. Dass ich das Gefühl habe, dass es etwas gibt, was uns Menschen verbindet. Ohne Urteile. Ohne dass man definiert. Das ist mein Ziel. Und auf der Platte ist es ein Ziel von mir gewesen, bei der Produktion manchmal den Verstand auszuschalten. Zu dissoziieren und dann Musik zu machen. Wenn man diesen nervigen kleinen Affen, der die ganze Zeit reinredet, diesen Kommentator, diesen Waldorf & Statler-Wahnsinn da oben abcuttet, dann macht man viel schneller und geradliniger Musik. Manchmal braucht man dafür auch Hilfsmittel.

Womit dissoziierst du denn? Trinkst du beim Produzieren noch viel Wein wie früher?
Nee, Alkohol nicht mehr viel. Aber es gibt ja bekannte Mama’s little helper. Und die bringen total Spaß. Bis zu dem Punkt, dass ich manchmal die Maschinen und das Programm gar nicht mehr richtig verstehe. Ich checke nicht, was passiert. Und trotzdem machen meine Hände was. Sie faden, spielen was ein, extrahieren etwas. Aber ich schnalle nicht genau, was ich mache. Man kann aber immer zwischenspeichern.
Auf Ableton?
Genau. Du musst aber den Punkt erkennen, ab dem alles nur noch Quatsch ist.
Ich habe noch nie Musik produziert, aber ich stelle es mir schwer vor, das auf Drogen zu tun.
Bis zu einem gewissen Maß ist es eine Anflutung, eine Hilfe. Weil du deinen Verstand einwattierst und ausschaltest. Den braucht man natürlich zum Bedienen, aber er nervt. Beim Urknall, wo sich die Teilchen umspielen, braucht man ihn nicht. Du kannst einen Synthesizer nicht verstehen, und dein Gefühl sagt dir trotzdem: Das gefällt mir. Morgens, wenn du diszipliniert und nüchtern bist, kannst du dich nochmal hinsetzen und das nüchtern aufarbeiten. Dann hast du schon mal drei, vier Zutaten, die du interessant findest.
Und das funktioniert am besten mit Gras?
Das Dissoziieren macht man eher mit anderen Sachen. Oft hört man einen Loop, den man auf Gras gemacht hat, am nächsten Tag und denkt sich: Was ist das für ein langweiliger Loop? Tendenziell verschönert Gras, wie richtig gute Boxen. Dann hörst du die Musik woanders, in einem anderen Kontext, und verstehst sie gar nicht mehr. Ich bin immer an etwas interessiert, das sich nicht anhört, als ob es von mir ist. Danach versuche ich, es so einzunorden und homogen zu machen, dass man hört, dass es von mir ist.
Dem neuen Album hört man zweifelsfrei an, dass es von dir ist.
Schon. Trotzdem verstehe ich zum Beispiel selbst nicht, was „Die Gondel” für Musik sein soll. Dieser irre deutsche Text, diese arabische Musik, die underneath Haftbefehl-mäßig rumnervt, diese Kanonenschläge. Trotzdem macht für mich in meiner Welt Sinn, dass es so abläuft. Die Kombination von Sophias [Kennedy, d.Red.] und meiner Wahrheit, die da drinsteckt. Ohne Absprache. Das lief nach dem Motto: „Ich ruf‘ dich jetzt an, was hast du bei dir auf dem Schreibtisch liegen, was hab‘ ich bei mir auf dem Schreibtisch liegen? Kleben wir es zusammen.” Das ist, was ich aufregend finde. Das würde niemals passieren, wenn wir zu zweit in einem Raum wären und uns was vornehmen würden. Weil wir dann mit zwei Gehirnen auf ein Ziel zuarbeiten.
Sind alle Features auf dem Album remote entstanden?
Mehr oder weniger, aber ganz schön intensiv. Mit Ada habe ich täglichen Kontakt, wir schicken uns ständig was hin und her. Bei den Gesangsaufnahmen bin ich großer Fan davon, dass die Leute das in einer totalen Safezone aufnehmen. Die sollen selbst mit ihren Aufnahmen zufrieden sein und sich wohlfühlen. Niemand soll daneben stehen wie ein Spiritus Rector und Anweisungen geben oder kritisieren. Letztens habe ich gesehen, wie Dr. Dre und Snoop Dogg ihr neues Album gemacht haben.
Wie lief’s bei denen?
Snoop meinte, mit Pharell [Williams, d.Red.] zu arbeiten, wäre voll easy. Er würde jeden Take gleich nehmen. Dr. Dre will die Kontrolle über jeden Satz, jedes Wort. Dann stand da Snoop (steht auf, imitiert Snoop Dogg), und Dr. Dre an seinem riesigen SSL-Board sagt nur: „I don’t believe you.” Immer wieder muss Snoop einen Satz oder eine Phrase sagen, weil Dre weiß, wie das klingen muss.
Obwohl man bei Snoop Dogg erwarten würde, dass sich das nicht viel nimmt.
Na ja. Wahrscheinlich intoniert er das Wort „Shizzle” schon auf verschiedene Weisen. (intoniert „Shizzle” in Snoops potenzieller stimmlicher Varianz) Jedenfalls sind das zwei verschiedene Ansätze. Ich bin immer froh, wenn die Leute selbst zufrieden sind. Das sind sie ja ganz selten.
Du hast die Zusammenarbeit mit Ada schon angesprochen. Sie ist auch auf „Unbelievable”. Dann wären da noch die Tracks mit Damon Albarn und Markus Acher. Wenn man die mit den anderen beiden Alben vergleicht, ist das auf einer rein emotionalen Ebene eine neue Qualität an Romantik und Verletzlichkeit.
Erst mal freut mich das. Das ist wahrscheinlich so. Das ist ein Spiegel meiner eigenen Entwicklung und der ganzen Zeit, in der wir leben. Es gibt fast keine andere Klangfarbe als Melancholie.
Das lyrische Ich in diesen Tracks scheint sich am Gegenüber festhalten und aufrichten zu müssen.
Schön gesagt. Ich bin kein Fan von Larmoyanz. Ich mag den weißen Mann, der leidet, jault und weint und wimmert, überhaupt nicht. Das kann ich gar nicht hören. (imitiert poppiges Gesäusel) Es gibt diese Musikrichtung, in der der weiße Mann ganz empfindlich Weltschmerz verspürt. Ich denke mir: „Wir haben dazu scheiße nochmal keinen Grund. Du musst hier nicht wimmern.” Vielleicht bin ich auch zu streng.
Man darf sich Traurigkeit erlauben. Aber es gibt Unterschiede.
Ich ertrage nur diese eine Richtung nicht. Melancholie, Traurigkeit, das Mollige und der Schwermut, immer mit Hoffnung drin, Schönheit und Unbehagen gegeneinander – das sind die Sachen, die mir passieren, wenn ich Musik mache. Ist das Album für euch bei der GROOVE nicht viel zu songmäßig?
Wir besprechen schon immer Alben von Leuten, die ein Leben als DJ führen und die ein Leben als Producer führen. Du bist ein Extrembeispiel, weil deine Platten – außer EPs – nicht wirklich im Clubkontext funktionieren. Zumindest ein Großteil der Tracks darauf. Ich finde, dass elektronische Clubmusik im Albumformat kaum funktioniert. Technoalben, die ich richtig gut finde, kann ich wahrscheinlich an zwei Händen abzählen.
Man muss sich im Albumformat auch messen. (Steht auf und geht zum Plattenregal und kramt zwischen Slowdives Debüt-EP und einem Nina-Simone-Album herum) Wenn die anderen Platten in dem Segment solche Platten sind, denkst du: „Nina Simone oder die 132BPM durchhämmern?” Habe ich was falsch gemacht?
Das finde ich auch seltsam. Ambient-Intro, Ambient-Outro und dazwischen Ballern. Mir kann niemand erzählen, dass er sich typische Techno-Alben eine Stunde lang anhört und sich bei Minute sieben im sechsten Track denkt: „Das gibt mir gerade richtig viel.”
Vielleicht geht’s den Leuten auch um eine Werkschau. Die sagen sich: „Bevor ich sieben Maxis mache, habe ich ein Album”. Das Albumformat ist für mich immer etwas Heiliges gewesen. Ein Wunsch nach Verewigung. Man will etwas hinterlassen, das über Zeitgeist und Trends hinaus Bestand hat. Clubmusik ist für den Moment.
Es gibt schon Clubtracks, die ich mir auch zuhause anhöre.
Absolut. Aber das sind Evergreens und Klassiker. Das kannst du nicht auf Albumlänge planen. Ich habe ein Ding, mit dem ich für dieses Jahr happy bin. „Buschtaxi”. Das reicht dann auch. Wenn ich mir aber die Hits von vor vier Jahren und meine Playlisten von damals anhöre, da steht dann „2021 München” oder „2021 Paris”, möchte ich kein Lied nochmal spielen. Das Ding brennt nicht mehr. Sieben oder acht Jahre später denke ich mir wiederum: „Das ist jetzt wieder geil.”

Wie oft spielst du eigentlich noch im Jahr?
Letztes Jahr waren es 25-mal. Dieses Jahr vielleicht sogar weniger.
Vor sieben Jahren waren es noch 50-mal. Hast du für dich entschieden, weniger Gigs zu spielen?
Ja. Es ist auch echt anstrengend. Aber auch geil. Wenn ich dann spiele, liebe ich’s auch. Wenn es gut rollt.
Diggst du noch viel?
Megaviel! Wie irre, mehr als früher.
Du hast also mehr Musik zur Verfügung, spielst aber weniger.
Ich muss richtig Hausaufgaben machen. Extremst. Für die Suche nach den Perlen gehen Tage drauf. Und noch mehr dafür, sie zusammenzuweben.