In vielen Ausgaben unseres Formats Meine Stadt tummeln sich die heißesten kulinarischen Tipps oder die florierendsten Clubs der jeweiligen DJ-Wohnorte. Nicht so bei Vladimir Ivkovic.
Er zeichnet ein vergängliches, melancholisches Bild von Düsseldorf voller subkultureller Lost Places, die seine Karriere in der elektronischen Musik formten – vom glücklicherweise noch geöffneten Salon des Amateurs, wo er sich seinen scheuklappenlosen Stil als DJ aneignete, über ein ehemaliges DIY-Studio und geschlossene Plattenläden bis hin zu Falafel, deren Geschmack sich in den Schleifen der Nostalgie verliert.
Mata-Hari-Passage (1972 – 2002)

Die Mata-Hari-Passage war ein Kleinod in der Altstadt. Eine geheimnisvoll, extravagant und verrucht wirkende Einkaufspassage mit kleinen individuellen Geschäften, Schachbrettboden, Strassklamotten, High Heels, Café Bistro, Neon, Spiegel, Glitzer überall, und alles wirkte wie aus einer Schimanski-Episode, die im Wunderland von Alice gedreht ist. Im Einheitsbrei der Städte werden solche Orte mehr denn je gebraucht.
Nun musste man durch das halbseidene Glamour, um zum Plattenladen Sounds Good zu gelangen. Die Legende besagt, dass die beiden Betreiber von Sounds Good, Dieter und Wilfried, die ersten Platten direkt aus New York gebracht haben. Studio 54. Oder war es doch Paradise Garage? Aus dem damaligen Sortiment des Ladens sind die heutigen feuchten musikalischen Träume der unzähligen euphorischen Internetstreams gemacht. Für mich war der Laden toll, weil es dort immer wieder spannende Platten zum besten Preis gab. Platten, die die leichtherzige Stammkundschaft möglicherweise furchtbar fand.
Laut meinem besten Freund Marcus Wetzler, ohne den dieser Artikel aufgrund meiner Erinnerungslücken nicht möglich wäre, gab es dort tolle Rap- und Hip-Hop-Platten. Ob dafür auch jene New-York-Verbindung verantwortlich war oder nicht, ist unbekannt.
Der Haupteingang an der Hunsrückenstraße ist heute eine (alt)stadtbekannte Pommesbude. Durch schrille Orte wie die Mata-Hari-Passage strahlen Straßen wie die Ratinger Straße und der Ratinger Hof noch heller. Punk und New Wave, Verschwende deine Jugend, in den Siebzigern und Achtzigern, Technodisco in den Neunzigern, heute… im Wachkoma.
Das Flipside-Sofa (1998 – 2012)

Wenn ich nicht bei Important Records in Essen war, war ich bei Flipside in der Wallpassage. Dort habe ich Loco Dice kennengelernt, von dort führte der Weg zu Desolat, aber das ist ein anderes Teilstück der Geschichte.
Flipside bestand aus den zwei gegenüber gelegenen Ladenlokalen: dem Hip-Hop-Laden von Carsten Dämbkes und dem House-Techno-Electronica-Laden von Herbert Boese. Bei Carsten gingen die Größen wie DJ Rafik oder Mole – auch bekannt as Paracetamole, Molezilla Recordfox oder einfach seit Jahren mein Lieblinsplattendealer und der Betreiber von Throwback Vinyl – ein und aus, bei Herbert Oliver Bondzio, Loco Dice und einige andere Trendsetter des frühen 21. Jahrhunderts.
In der Passage zwischen den beiden Läden stand das braune Ledersofa, auf dem oft die weniger musikinteressierten Freunde oder Freundinnen der Kunden Platz gefunden haben. Die meiste Zeit aber war das Sofa die Achse der Welt, das Zentrum des Geschehens, aus dem man alles mitbekommen hat – gleichzeitig. Tolle Musik aus beiden Läden, Killer-Turntablism aus dem einen, irre Geschichten aus dem anderen. Man hat sich um das Sofa versammelt wie um ein Orakel. Nach der Schließung von Flipside verliert sich die Spur des Sofas. Neulich könnte es in Berlin aufgetaucht sein, wo es vor dem Bundestag verhaftet wurde.
In der Wallpassage gibt es nichts mehr. Keine Musik, keinen Frisör, keinen Second-Hand-Klamottenladen, aber in der Wallstraße befindet sich immer noch ein herrlicher Plattenladen mit dem freundlichsten Besitzer. Hitsville. Wallstr. 21.
Die Theke des Salon des Amateurs (2004 – 2018)

Der Salon verdient eine Monografie. Hier nur so viel: Die Power-Lounge, in der ich relativ früh mit Detlef Weinrich alias Tolouse Low Trax spielen durfte. Dort habe ich Lena Willikens, Gordon Pohl und Ralf Beck kennengelernt. Jan Schulte, Arne Bunjes und Themes For Great Cities, Lucas Croon, Stabilelite und viele andere sind untrennbar mit dem Salon verbunden. Aus dem Salon sind viele Geschichten und viel Musik hervorgegangen.
Die für mich prägende Zeit ging am 4. November 2018 zu Ende – die ersten 14 Jahre, bespielt von Detlef, Gordon, Lena und mir. Das war die letzte Nacht vor den langen Renovierungsarbeiten, nach denen die COVID-19-Dunkelheit kam.
Nun gab es in diesem Salon auch eine großartige Theke, deren Verlängerung die Musikabspielgeräte waren. Die Manifestationen der Theke haben haben ihren Höhepunkt erreicht, als alles passte: Hingabe, Improvisation, Humor, Warmherzigkeit, Zusammengehörigkeit. Ein paar Jahre stand ich in einer Reihe mit den Feinsten. Viel gelacht, viel gelernt. Danke Kakha, Beso, Luka, Elika, Nathan. Der Geist der Theke bei Kakhaber weiter, dem kleinen Laden für georgische Weine und Spezialitäten, der aus dem georgischen Kern des Salons entstanden ist.
Flügelstraße 43 (2006 – 2008)

Die Ursuppe des Salon des Amateurs ist ohne die Flügelstraße 43 in Oberbilk nicht denkbar. In einem Keller im Hinterhof befand sich das winzige Studio von Gordon Pohl, dem guten Geist der Düsseldorfer Musik. Dort traf man sich, um das Neue zu hören. In einem noch winzigeren Vorraum gab es im weitesten Sinne so etwas wie Partys. Die Bewohner des Hauses haben das nicht lange toleriert: Anfang 2008 war Schluss. Ein besonderer Ort mit besonderen Geschichten.
EGO (3. Oktober 1998 – 26. August 2000)

Außerdem gab es das EGO unter der Brücke an der Kölner Straße. Das war wichtig, vielleicht eine Art Proto-Salon mit Gästen wie Sutekh, Kotai, Chris Korda, Kit Clayton, Markus Nikolai, Monolake und DJ Sport.
EGO wurde nicht als Club konzipiert, sondern als nicht-kommerzieller Raum, der von einer Handvoll begeisterter Künstler betrieben wurde. Es war ein besonderer Ort für die Aufführung und Wahrnehmung elektronischer Musik. Auch für Ausstellungen. Einige Ateliers befanden sich auch unter der Brücke. Es gab die „Eingangstechnik” für jeden Abend, keine Werbung und es gibt kaum Spuren. Nur eine CD von 2001, Live Sets At Ego 1998-2000, und Erinnerungen.
Falafel ala Kefak (2016 – 2018)

Auf dem gottverlassenen Stresemannplatz zwischen Mintrop- und Scheurenstraße, auf dem halben Weg zum letzten Desolat-Büro, eröffnete am 19. Dezember 2016 „Falafel ala Kefak”, ein Imbisswagen unter dem Dach einer ehemaligen Tankstelle. Ihn betrieben drei syrische Brüder, die zudem Pläne für einen stationären Imbiss in den Räumen der Tankstelle entwickelt hatten. Sie servierten großartige frische Falafel für 2,50 Euro, Pommes, kalte Getränke und Tee.
Für eine kurze Zeit war der Stresemannplatz ein gastronomischer Hotspot. Nach dem mysteriösen Verschwinden des Imbisswagens kehrte der Platz zurück in seinen ursprünglichen gottverlassenen Zustand.