Endlich: Alle Wertschöpfungsprobleme von darbenden Musiker:innen wurden gelöst. Und zwar von James Blake. Oder einer millionenschweren Firma, vielleicht sogar dem größten Musikkonzern der Welt. Kristoffer Cornils hält die neue Plattform Vault für nicht mehr als Quacksalberei.
Am 3. März setzte der eigentlich als Leisetreter bekannte James Blake ein paar donnernde Tweets ab. „The brainwashing worked and now people think music is free”, wütete er. Am selben Tag nahm ein gewisser Andre Willis einen Eintrag ins britische Handelsregister vor, die zwischenzeitlich mehrfach unter verschiedenen Betreibern geführte Firma Out The Mud ist dort seitdem wieder offiziell im Geschäft.
Wie beides miteinander zusammenhängt, zeigte sich rund zwei Wochen nach dem Sturm im Wasserglas, den Blake angefacht hatte. Nachdem er moniert hatte, für einen viralen TikTok-Hit „Godspeed” mit Frank Ocean keinen Cent gesehen zu haben, ging es reihum weiter: Streaming? Doof. Labels? Auch. Touring? Ein Risikogeschäft. Aber, das ließ uns der Post-Dubstep-Beau, Beyoncé-Songwriter und Kanye-West-Kollaborateur (!?) am 11. März wissen: Die Lösung sei bald da!
Das ist sie nun seit vorgestern und sie heißt Vault. Das Prinzip ist ebenso schlicht wie einleuchtend, weil es altbekannt ist: Für ein monatliches Abo – in Blakes Fall über fünf US-Dollar – erhalten Fans Zugriff auf bisher unveröffentlichte Musik des Maestros und können noch ein bisschen miteinander oder mit ihren Stars chatten. In einem langwierigen Video versuchte Blake, das seit Jahren von unter anderem Patreon oder Bandcamp bekannte Modell als Innovation zu verkaufen. Überzeugen konnte das kaum wen.
Was ist da los? Blake kommt doch aus Indie-Kreisen, eigentlich sollte ihm bewusst sein, dass derlei Lösungen für die sogenannte Creator Economy dem musikalischen Mittelstand nur kaum die wegbrechenden Einnahmen aus Streaming, Touring und so weiter kompensieren können. Sonst hätten Patreon und Co. doch schon längst alle Probleme gelöst! Ist er wirklich so naiv? Oder hat er sich vielmehr als knuddeliges Maskottchen für eine absolute Farce einspannen lassen?
Superfans sind die nächste Goldmine einer Musikindustrie, der es besser geht denn je und der es nach eigenem Ermessen noch viel besser gehen könnte.
Zweiteres ist der Fall. Selbst mit einem kurzen Blick auf Vault sollte sofort klar werden, dass diese Website nicht kurzerhand innerhalb von zwei Wochen zusammengeschustert wurde, es sich also nicht um eine graswurzelige Spontanaktion von ein paar Menschen handelt, die Blakes Ruf gefolgt waren und mal schnell die Mutter aller Lösungen aller Probleme in Code übersetzt haben. Rechtliche Dimensionen, Fragen zu Zahlungsmodalitäten: Auch wer eine oberflächlich betrachtet simple Website baut, braucht dafür viel Zeit und Ressourcen.
Wer überdies in die Geschäftsbedingungen von Vault schaut – wie das Journalist:innen eigentlich tun sollten, anstatt messianische Narrative von der Rettung der Musikindustrie durch einen blondierten Mittdreißiger wiederzukäuen –, wird bemerken, dass Vault das Produkt einer bereits existenten Firma ist, die auf den Namen Out The Mud Ventures, Inc. hört. Ebenjener Name, der seit Blakes Tweet-Sturm nach einigem Hin und Her auch wieder in Großbritannien gelistet ist.
Out The Mud Ventures existiert in den USA seit dem Jahr 2021 und wurde von David Greenstein, Matt Masurka und Vignesh Hirudayakanth gegründet. Das bekannteste Produkt des Unternehmens ist die Plattform Sound.xyz, ein NFT-Marktplatz. Innerhalb mehrerer Investitionsrunden kam das Risikokapital für den auf einem Kurzzeit-Hype aufbauenden Service zusammen – unter anderem von Snoop fucking Dogg und der Andreessen Horowitz LLC, die Investment-Firma des Typen, der das „The Techno-Optimist Manifesto” geschrieben hat.
James Blake bewirbt also keineswegs ein gut gemeintes Projekt, das endlich für mehr Fairness sorgen will, sondern nur das neueste Produkt eines millionenschweren Unternehmens. Da der NFT-Hype schon längst vorüber ist und sich mit der Sache keine Kohle mehr machen lässt, ist Out The Mud nun offensichtlich auf das nächste Trend-Thema umgeschwenkt: Superfans. Das sind kurz gesagt Menschen mit viel Leidenschaft für bestimmte Stars und den entsprechend tiefen Taschen.
Superfans sind die nächste Goldmine einer Musikindustrie, der es besser geht denn je und der es nach eigenem Ermessen noch viel besser gehen könnte. Lucian Grainge, der Chef der Universal Music Group (UMG) und damit des größten Musikkonzerns der Welt, schrieb in seinem traditionellen Neujahrsrundschreiben an die Belegschaft, dass auf ihnen in der kommenden Zeit der Fokus liegen werde. Das ist einleuchtend: Nachdem Konzerne wie UMG sich in der Breite so ziemlich jede Verwertungsmöglichkeit im digitalen Raum erschlossen haben, geht es nun in die Tiefe, das heißt an die Bankkonten einiger weniger.
Blake machte in seinen Tweets und Video klar, dass die Labels von Konzernen wie UMG nicht unbedingt auf der Seite der Künstler:innen stehen – oder zumindest nur, um ihnen von der Seite her Einnahmen aus der Westentasche rauszuziehen. Er kann im Trademark-Falsetto wohl ein Lied davon singen: Seit seinem zweiten Album Overgrown veröffentlicht er seine Musik über Polydor und/oder Republic, zwei der zahlreichen Labels im Portfolio von, richtig, UMG. Will er also mit Risikokapital im Rücken den Majors den Kampf ansagen – die Hand beißen, die ihn füttert?
Das wäre trotz des Wermutstropfens der Risikokapitalbeteiligung sicherlich eine schöne Geschichte. Aber wie es mit schönen Geschichten leider so ist, sieht die Realität wohl anders aus. Denn wenn Blake weiterhin bei UMG-Labels unter Vertrag steht – Gegenteiliges ist nicht bekannt, sein letztes Release dort erschien vor gerade einmal vier Monaten –, wieso kann er dann überhaupt ein paar Songs an ihnen vorbei ins Netz laden? Solcherlei Veröffentlichungen müssen in der Regel zumindest abgesprochen werden oder aber sind vertraglich unter Strafe verboten.
Dazu kommt, dass Blake einen großen Fokus auf TikTok als Übeltäter und Musikentwertungsmaschine legt. Ebenjene App also, mit der UMG aktuell im Clinch liegt, weil sie – so der nicht ganz unrichtige Vorwurf – nicht adäquat für die Verwendung von Musik bezahlt. UMG hat deshalb den gesamten Katalog seiner Labels und seines Verlagszweigs von der Plattform entfernt. Das sind sieben Millionen Titel, unter anderem von Taylor Swift und eben James Blake und Frank Ocean. Auch hier lautet das Narrativ: UMG setzt sich nur für die Künstler:innen, ihre Rechte und Wertschöpfungsansprüche ein! Blake trägt auch diese Geschichte mit.
James Blake war doch eigentlich immer ein Guter, der trotz seines Erfolgs auf dem Boden geblieben war. Jetzt aber tritt er als Quacksalber auf, dessen Tinkturen das reine Gift sind.
Die etwas prosaischere Wahrheit dahinter wird wohl lauten, dass UMG – wie Blake ja durchaus richtig betont – fett am Geschäft mit Streaming auf einerseits herkömmlichen Streaming-Services wie Spotify und Co. und andererseits Plattformen wie TikTok mitverdient. Das Unternehmen sieht aber offenkundig noch Luft nach oben: Die Drohgebärde könnte die hinter der Video-App stehende Firma, ByteDance, zu erneuten Verhandlungen über die Ausschüttungen auf dem kürzlich gelaunchten Streaming-Service TikTok Music an den Tisch zwingen.
Es ist, kurzum, nicht unwahrscheinlich, dass Blakes Labels beziehungsweise UMG von dem so überhaupt nicht spontanen, aber sehr öffentlichkeitswirksamen Launch von Vault mindestens Kenntnis hatten oder aber gar aktiv daran mitwirkten – wenn sie nicht sogar daran mitverdienen. Schließlich richtet sich die Plattform dezidiert an die nächste vermeintliche Goldgrube, die Superfans, denen Grainge und der Rest der Musikindustrie in der kommenden Zeit noch mehr Kohle aus den Rippen leiern möchten.
Was Blake angesichts all dessen von sich gibt, ist maximal unehrlich – oder besser gesagt ein Beschiss mit Ansage. Er mag zwar betonen, die Mittelsmänner aus der Gleichung streichen zu wollen. Doch was ist Vault beziehungsweise was ist Out The Mud, wenn nicht eine weitere Instanz, die schätzungsweise – wie genau die Einnahmen über Vault verteilt werden und wie viel ein Künstler wie Blake von den monatlichen fünf US-Dollar pro Fan verdient, das wird nirgendwo gesagt – gut am Geschäft mit ein paar MP3s verdienen will?
Es ist im Kontext von alledem bemerkenswert, dass sich Out The Mud ursprünglich auf den Web3-Hype geschmissen hatte. Das Geschäft mit sogenannten Superfans könnte uns, das zeigt uns die Causa Vault, bald einen ähnlichen Clusterfuck aus pathetischer Rhetorik, allerhand halbgaren Lösungsansätzen und nachgerade verbrannten Investitionsgeldern bescheren wie der große NFT-Hype der vergangenen Jahre. UMG und die Konkurrentin Warner Music Group (WMG) schmeißen bereits Millionen auf Plattformen und Services, die ähnlich wie Vault einigen wenigen Menschen sehr viele Moneten abknöpfen sollen.
Das Scheitern solcher Versuche scheint vorprogrammiert, zurück bleibt zuerst ein tiefes Gefühl der Enttäuschung: James Blake war doch eigentlich immer ein Guter, der trotz seines Erfolgs auf dem Boden geblieben war. Jetzt aber tritt er als Quacksalber auf, dessen Tinkturen das reine Gift sind – weil sie von viel spannenderen, tatsächlich aus der Musiklandschaft heraus entwickelten Alternativen wie Jam, Mirlo und anderen ablenken. Wie war das noch gleich? „Friends that break your heart”, genau.