burger
burger
burger

Mixe des Monats: Dezember 2023

Clairo – 11th December 2023 (NTS)

Bedroom-Pop-Sängerin Clairo wurde 2017 mit ihrer Lo-Fi-Single „Pretty Girl” bekannt. Damals war die US-amerikanische Songwriterin nicht einmal 18 Jahre alt. Von da an ging es für die junge Producerin nur noch bergauf, mit einem Plattenvertrag bei Fader und dem Einstieg in die Billboard Hot 100. Wie viele Künstler:innen zieht sie ihre Inspiration aus diversen Musikgenres, diese Vielfalt demonstriert sie auch in ihrer regelmäßigen Radioshow Baby Benz auf dem Londoner NTS Radio.

Die aktuelle Folge ist eine einstündige Reise durch alte, wohlige Soulstücke, französischen und türkischen Jazz und Leftfield Pop. Dazwischen spielt sie Sprachaufnahmen von Hörer:innen ein, die sie zuvor gebeten hatte, Mitschnitte zu schicken. Dadurch ergeben sich spontan Themen und neuer Input, über den Clairo philosophieren kann: Liebe, Wind, Alltag und sogar ein selbstgeschriebenes Gedicht sind dabei. Eine Folge, die sich perfekt zum Entspannen und Runterkommen eignet, die den kalten Berliner Winter ein Stück weit erträglicher macht. Du brauchst keine Jazzbar in Paris, sondern schließt einfach die Augen und lauschst den ruhigen Melodien des Klaviers in diesem entrückten Mix von Clairo. Ameera Lumb

Prosumer – 19th December 2023 (NTS)

Der ehemalige Panorama-Bar-Resident und Saarbrücker Hard-Wax-Angestellte Achim Brandenburg, auch bekannt als Prosumer, macht seine monatliche Radio-Show auf NTS seit 2015.

Auch in der aktuellen Ausgabe ist die Selektion ziemlich eklektisch: Der Mix fängt recht ruhig und verträumt mit „You Are My Love” von Liverpool Express an. „Boyfriends (Dead or Alive)” von der Kölner Band Von Spar ergänzt mit balearischem Beigeschmack. Halbwegs durch den Mix gibt es einen Bruch mit Breakbeat-Tracks wie „Ghia (Rockers Hi-Fi Rmx pt.2)” von Karma, das eine hüftige Wende nimmt. Dann geht es wieder etwas runter mit dem Tempo. Die letzte halbe Stunde widmet Prosumer dem, was er so gut beherrscht: House. „Let Me Love You” von DJ Rasoul sticht hervor in all seiner Pracht, und der Basic-Channel-Klassiker „I’m your Brother” lässt nach mehr sehnen. Der Begriff „Storytelling”, der gerne und häufig von DJs gebraucht wird, ist hier adäquat und wohlverdient. Durch die Geschichte, die Prosumer hier erzählt, vergehen die zwei Stunden wie im Flug. Derin Senbaklavaci

diskevich – Truancy Volume 320 (Truants)

Gulf Crisis” von 1991 basiert auf einem derben Chicago-House-Loop, den Producer Bad Ass wie Knetgummi verformt hat. So macht der ukrainische Digger-DJ und Youtube-Kanal-Betreiber diskevich schon mit dem ersten Track in seinem Truants-Mix deutlich, dass er sich auf dem Minimal-Planeten von Perlon oder Slow Life bewegt. Dabei ist diskevich alles andere als rigide. „Abott, Pender And Me” von Nukes von 2005 erinnert an die turbulenten, überdrehten House-Grooves von Derrick Carter und garniert diese mit akustischen Drumsounds und schrägen Chor- und Shout-Schnipseln. Ernsthafter geht es bei „The Darkness Behind The Tree 2” von Mystic Base von 1992 zu, das prototrancigen Pads ein interessantes, eigenartig sakrales Pathos verleiht. Ein ebenso außergewöhnlicher Genre-Twist ist „Mesmerize” von Novatek vom klassischen Dub-Techno-Label Treibstoff, das die genretypischen entrückten Sounds mit einem polternden Funk ins Hier und Jetzt holt. Mit „Dancing Pockets” von Sweely kommt diskevich für einen einzigen Moment in seinem Mix in der Gegenwart an. Wenig später wird die quietschige Energie lustiger Tastentelefon-Sounds vom schwelgerischen Tech-House von Crystal Fake aufgelöst. DJ Quiz erzeugt mit seinem reduzierten Ansatz Fokus, Backpacker nimmt die trippige Stimmung vom Beginn des Mixes auf. Zeit für diskevich, sich von diesem rasant gemischten Set mit einem eigenen Beitrag zu verabschieden: Einem nackten, spröden Bleep, der immer manischer und kurzatmiger wird – bis er plötzlich in der Stille verklungen ist. Alexis Waltz

Frisyro Bolani – Trushmix 216 (Trushmix)

An Weihnachten hört man keinen Techno. Das mögen viele anders sehen, doch der Verfasser dieser Zeilen schwelgt im Advent für gewöhnlich in Nostalgie, und der Soundtrack, der sie unterlegt, besteht bei ihm eben zwangsläufig aus House, (Italo) Disco und wesensverwandten Spielarten melodieschwangerer elektronischer Tanzmusik. Alte Freund:innen in heimatlichen Clubs in besinnlichem Rahmen zu aggressivem Four-to-the-Floor-Gepeitsche wiederzutreffen, das passt einfach nicht.

Vielleicht sieht das auch Frisyro Bolani so, der aus dem norwegischen Moss in die Hauptstadt Oslo gezogen ist und sich dort um den tanzmusikalischen Underground verdient macht. In seinem Trushmix fädelt er über eineinhalb Stunden alles zusammen, was auf die offenherzigste Art Spaß macht. Schon Alex Neris Opener „The Wizard (Club Mix)” setzt mit seiner naiven Bassline ein Statement gegen Feier-Snobismus. Oder Edds „Mama Africa”, das einen funkigen Groove in der Manier des späteren Robert Hood mit organischer Percussion und einem ansteckenden Vocal kombiniert und nach einem genialen Breakdown in Ekstase mündet. Oder das daran anschließende, schön ruppig gemixte „Fuck Yourself” von Reale und Vincent XXI, das dem Mix deepen Chicago House mit saftigen Hi-Hats induziert. Zu erwähnen wäre noch vieles, etwa der beinahe panoptische stilistische Rundumschlag, den Bolani hier vollführt. Oder wie so gut wie jeder Track im Mix wirklich was zu sagen hat. Wie in der zweiten Hälfte EBM-Einschläge und Acid Einzug halten. Als Fazit bleibt aber erst mal nur: So freut man sich aufs Heimkommen. Maximilian Fritz

Organ Music for Advent Evening | VU St. John’s Church | 2023-12-14

Scheißt euch nicht an, das ist ein Orgel-Konzert. Also der Soundtrack für eure quasi-religiösen Trip-Beschreibungen, die ihr der letzten Klubnacht in regelmäßigen Abständen attestiert. Ist ja auch nicht so weit voneinander entfernt – die Kirche und der Club. Da wie dort versammeln sich Menschen zur HEILIGEN MESSE vor dem ALTAR und spülen das geheiligte Zeug mit Spritzwein runter. Was die Predigt für frömmelnde Glaubenskrieger ist, wird das sonntägliche Set für die Heidenkinder. Da ist es fast schon egal, ob Jünglinge den Weihrauch schwenken oder der Saaltechniker an der Nebelmaschine rumfummelt. Hauptsache, es dampft! Bevor wir also zur nächsten Sünde eilen, nehmen wir noch kurz im Beichtstuhl Platz. Und lauschen Ausra und Vidas, die in der litauischen Hauptstadt Vilnius die Pfeifen für die Pfaffen bedienen – und zwar mit den Greatest-Hits-Bängern aus dem Kirchenschiff, Amen Break! Christoph Benkeser

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

Motherboard: November 2024

In der aktuellen Nischen-Rundschau hören wir schwermetallgewichtigen Rock, reife Popsongs und Werner Herzogs Vermächtnis.

Lunchmeat 2024: Der Mehrwert liegt im Imperfekten

Auch in diesem Jahr zelebrierte das Lunchmeat die Symbiose aus Musik und Visuals bis zum Exzess. Wir waren in Prag mit dabei.

Motherboard: Oktober 2024

Unser Autor würde sich gern in Kammerpop legen – in der aktuellen Avantgarde-Rundschau hat er das sogar getan.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.