„Vision Of Ecstasy”, „1, 2 Step” von Ciara im Edit oder Hymnen ohne Vocals wie „Met Her At Bäreneck” – im Zuge der Pandemie und besonders ihrer Folgemonate konnte sich kaum ein Act so stark profilieren wie DJ Heartstring. Dass es sich dabei um zwei Jungs aus Berlin handelt, sickerte erst nach und nach durch.
Anfangs noch versteckten sie ihre Gesichter, das wäre inzwischen beinahe ein Ding der Unmöglichkeit: Jedes Wochenende spielen Jonas und Leo Gigs in ganz Europa, auch eine Australien- und Neuseeland-Tour haben sie bereits hinter sich. Ihr Sound ist gefragt, nicht nur in Deutschland, auch und insbesondere in Großbritannien und Irland. Kein Wunder: Ihre fixen, Trance-beeinflussten Tracks, die Melancholie und Euphorie gleichermaßen auf sich vereinen, nähren und erfüllen die Sehnsüchte oftmals jüngerer Raver:innen mit Hang zum Exzess kulturübergreifend.
Ein Bild davon machen konnte sich GROOVE-Redakteur Maximilian Fritz, der DJ Heartstring ein Wochenende lang begleitete und in London und Dublin herauszufinden versuchte, wo die Faszination für das deutsche Duo herrührt.
„I came here by myself!”, gibt ein junger, schwitzender Brite mit großen Augen, vielleicht 23 Jahre, inbrünstig zu verstehen. Die Leidenschaft, mit der er spricht, speist sich keineswegs nur aus seinem Rauschzustand. Sie ist echt. Er mache gerade eine harte Zeit durch. Und die Musik der beiden Jungs, die er eben noch zu einer kleinen Fotosession breitschlagen konnte, helfe ihm dabei.
Jonas und Leonard, die das Duo DJ Heartstring bilden, erleben solche Szenen jedes Wochenende mehrfach. Eben haben sie ihren ersten Gig in der Londoner Institution fabric gespielt, und der Weg aus dem Club gestaltet sich schwierig. Freunde, die mit den beiden die Treppen zum Backstage-Ausgang hoch hasten, betätigen sich mehr als einmal als Fotografen. Immer wieder halten die beiden an und posieren geduldig, bei missratenen Aufnahmen auch für mehrere Schnappschüsse. „Was bist du denn für ein Fotograf?”, scherzt Jonas mit seinem Kumpel, nachdem der Raver mit der schweren Zeit sich wiederholt unzufrieden mit den Aufnahmen zeigt.
Irgendwann ist aber auch gut. Der Magen knurrt, und nach der gelungenen Flucht aus dem verwinkelten Club, schon kurz nach Ende des eigenen Sets, geht es schnurstracks in Richtung Subway nebenan. Nicht in die U-Bahn, sondern in eine besonders kleine und mit ihrem fahlen Neonlicht besonders trostlose Filiale der Fast-Food-Kette. Gegessen wird davor, im Stehen, ehe das Shuttle die Heartstrings, wie sie vor allem im deutschen Raum jovial genannt werden, wieder in ihr Airbnb in Hackney bringt.
Dieses liegt im zwölften Stock eines zwielichtigen Gebäudes, das Jonas scherzhaft als „Trap House” bezeichnet. Der Fahrstuhl riecht merkwürdig, das Wasser im Apartment fließt nur zaghaft aus der Dusche – obwohl im vermeintlichen In-Bezirk gelegen, befinden wir uns definitiv nicht in einer hippen Nachbarschaft.
Doch Ausstattung und Lage der Wohnung sind nicht wirklich wichtig. DJ Heartstring sind nicht in London, um in ihrem Airbnb abzuhängen. Später, am Nachmittag, geht es weiter zum nächsten Gig nach Dublin, und schon vor ein paar Tagen sind Jonas und Leo in die englische Hauptstadt gereist. Es gilt, Termine zu absolvieren: Studiozeit, Gespräche mit dem neuen Management, Sondieren von Angeboten.
Aus Versehen die Goldader treffen
Denn auch wenn man es beim Betreten ihrer Bleibe nicht vermuten würde, gehören DJ Heartstring zu den gefragtesten Künstler:innen in der Szene. Dabei geht es nicht nur um Techno, House und puristische Clubkultur. Auch und nicht zuletzt Pop-, Chart- und Deutschrap-Acts mit Überschneidungen zu elektronischer Musik und DJing wollen ihre Scheibe abhaben. Kürzlich erschien etwa ein Remix für Romy, die Sängerin von The XX, die, ähnlich wie ihr Kollege Jamie, mittlerweile zweigleisig fährt und die Decks für sich entdeckt hat. Auch ein Feature mit Domiziana, neben Ski Aggu wohl der deutsche TikTok-Deutschrap-Star schlechthin, wurde bereits im Februar in den sozialen Medien angeteasert. Ebenfalls unveröffentlicht: „Don’t Stop”, eine Kollaboration mit dem Berliner Producer Southstar, der mit „Miss You” im letzten Jahr entscheidend dazu beitrug, die Brücke zwischen Pop und Techno zu schlagen.
Dass gerade Jonas und Leo in diesem Segment so gut ankommen, kann nicht nur mit Zufall oder Glück zu tun haben, auch wenn die beiden ihren Erfolg mitunter darauf zurückführen. Alles begann 2020, kurz nach dem Beginn der Corona-Pandemie. Mit genug Zeit für Müßiggang ausgestattet, produzierten die beiden erste fixe Pop-Trance-Nummern, von denen besonders „Vision Of Ecstasy”, das Rihanna sampelt, durch die Decke ging. „Wir haben uns den cheesigsten aller möglichen Namen ausgesucht”, teilte mir Jonas 2020 schmunzelnd mit, als er noch als Chefredakteur des inzwischen eingestellten Magazins rap.de arbeitete und von seinem neuen Musikprojekt berichtete. Dass das Potenzial haben könnte, hatten DJ Heartstring vielleicht schon geahnt. Dass sie damit binnen kurzer Zeit internationalen Ruhm erlangen würden, konnten sie nicht vorhersehen.
„Unser Sound hat damals diese Club-Nostalgie bedient. Man wusste ja gar nicht, ob es überhaupt nochmal Clubs gibt”
Jonas
Auf ihren Erfolg angesprochen, versichern Jonas und Leo glaubhaft, dass sie selbst nicht so recht wüssten, wie es dazu kam. 2017 lernten sie sich kennen, im Rahmen der Berliner Partyreihe Stützpunkt, die Jonas mitveranstaltete und auf der Leo damals spielte. Leo kam 2016 für einen Musikproduktionskurs nach Berlin, tatsächlich mit dem Ziel, mit Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Auch er veranstaltete zeitweise eine Partyreihe: PACE, Schwerpunkt: Techno. Jonas hingegen wurde zwar in Hamburg geboren, lebt aber seit der Kindheit in der deutschen Hauptstadt. Er studierte nach dem Abi Aufnahmetechnik und zeichnete etwa Hörbücher auf. Außerdem trieb er sich in der Szene als DJ und Veranstalter herum: Neben Stützpunkt beteiligte er sich an der Partyreihe Idiothek und spielte als Bongsy Italo Disco, House und melodischere Genres als sein heutiger Partner.
Man verstand sich dennoch auf Anhieb. Als man aber zusammen ins Studio ging, stand noch keine Schlagrichtung fest: „Wir haben Hip-Hop gemacht, wir haben schlechte House-Beats gemacht und irgendwelche Experimente, bevor wir uns dachten, mal was Richtiges machen zu wollen. Und dann ist dieser Quatsch herausgekommen”, erklärt Jonas und lacht. Die beiden finden nach und nach zu ihrer musikalischen Formel und merken, dass sie ankommt: „Man hatte aus Versehen was Cooles getroffen. Wie eine Goldader”, meint Leo.
Mit den Sensual Hits Volume 1, darauf auch das bereits erwähnte „Vision Of Ecstasy”, auf SoundCloud inzwischen fast 400.000-mal gestreamt, treffen sie nicht nur etwas Cooles, sondern auch einen Nerv. Clubs müssen seit Monaten geschlossen bleiben, eine ganze Raver:innengeneration sehnt sich danach, wieder ausgehen zu können – die Musik von DJ Heartstring drückt das aus: „Unser Sound hat damals diese Club-Nostalgie bedient. Man wusste ja gar nicht, ob es überhaupt nochmal Clubs gibt”, sagt Jonas dazu.
Als beiden auffällt, dass sich auch der Freundeskreis mehr als üblich für ihre Sachen interessiert, lecken sie Blut. „Manche Leute haben die Tracks auf SoundCloud 80-mal angehört. Da merkte man: Die hören das nicht mir zuliebe, um Feedback zu geben, sondern die feiern das mehr”, sagt Leo dazu. Ab diesem Zeitpunkt werden DJ Heartstring produktiv. In jeder Session stellen die beiden mindestens einen Track fertig, zu Hochzeiten produzieren sie drei pro Tag aus.
Was dabei entsteht, klingt wie ein Kompromiss zwischen dem, was beide davor für sich gespielt und produziert haben: In Jonas’ Fall waren das vorrangig Italo Disco und House, während sich Leo in der Loopy-Techno-Ecke einnistete, „wo Leute mit vier CDJs auflegen und alles layern” – DVS1 war das große Vorbild.
Heraus kommt schließlich: Trance. Oder doch nicht? „Wir betonen immer wieder, dass wir keinen Trance machen. Am Anfang haben wir uns schon gesagt, dass wir das mal versuchen sollten. Obwohl wir keinen Trance hören und nicht wissen, wie er geht. Wir sind in unserem jugendlichen Leichtsinn auf den Sound gestoßen. Weil wir ein Genre bedienen wollten, das wir gar nicht kannten”, sagt Jonas dazu. Fernab einer Genrezuschreibung sollten die Tracks für sich stehen, das exakte Gegenteil eines DJ-Tools darstellen. Hörspaß im Park oder Zuhause hatte Priorität. „Es war ja Corona”, gibt Leo zu bedenken.
Als die Clubs wieder öffnen, haben DJ Heartstring sich über den virtuellen Raum eine außerordentlich hingebungsvolle Fanschar herangezüchtet. Das merkt man in deutschsprachigen Landen, aber auch in England. Im Shuttle auf dem Weg zur fabric, von Hackney ins Stadtzentrum, geht es noch beschaulich zu. Nach der ein oder anderen Partie FIFA im Airbnb unterhalten Jonas und Leo sich mit Freunden und witzeln herum. Die Gespräche drehen sich nicht um musikbezogene Themen, sondern könnten so auch zwischen Jungs stattfinden, die sich auf eine ganz normale Partynacht freuen. Jonas zieht am Vape und spielt Sudoku. Allenfalls eine kleine Marotte, die keine Routine vor Gigs ist, wie er beteuert.
Knüppel in der Sardinenbüchse
Schon beim Aussteigen und Überqueren der Straße zum Hintereingang des Clubs gibt es zuhauf Liebesbekundungen britischer Art: DJ Heartstring werden von atzigen Typen mit Sonnenbrillen angeschrien. Der Nightmanager empfängt die Gruppe, lotst sie nach dem Bodycheck die Treppe ins Kellergewölbe des Clubs hinunter, nicht ohne Pausen für erste Fotos einlegen zu müssen. In der Geborgenheit des spartanischen Backstage begrüßen DJ Heartstring Solid Blake, ihr Set im Room 1, wo heute Electro und Breaks den Ton angeben, lief gut, sagt sie.
Wenige Minuten vor dem Start ihres Sets fokussieren sich Jonas und Leo, ehe sie durch die Menge in den Room 2 bugsiert werden. Dort klettern sie in die käfigartige Booth, rundherum, über ihnen und auf gleicher Höhe wimmelt es von Raver:innen. Der Raum gleicht bereits einer Sardinenbüchse, als DJ Heartstring von Armând übernehmen. In den nächsten zwei Stunden ändert sich daran nichts.
Los geht’s bei 146 BPM, ein angemessenes Tempo für den Zustand der Menge, die für ihr Geld will, was sie bestellt hat: Abfahrt. Im Room 2 ist das Durchschnittsalter definitiv niedriger als im Room 1, wo sich im Laufe des Abends beispielsweise noch dBridge durch verschiedenste Dance-Music-Genres pflügt und kunstvoll Breaks miteinander verschraubt. Hier, bei den jungen Leuten, knüppelt der Beat zwar weitestgehend nach gleichem Muster durch, dafür reagiert das Publikum ausgelassener auf Drops oder Vocals.
Vor Jonas und Leo wogt ein Raver mit neonfarbenen Earplugs hin und her, später geht ein Mädchen mit Lichterkette um den Hals auf Tuchfühlung mit ihren Idolen. Die Crowd verhält sich affirmativ, buhlt förmlich um die Aufmerksamkeit der zwei deutschen Exportschlager. Doch DJ Heartstring vermeiden Blickkontakt beim Auflegen zumeist, was ihnen eine Bekannte nach dem Gig im Backstage anlastet: „You don’t interact with the crowd!”
Tatsächlich: Jonas und Leo verstecken sich zwar nicht vor dem Publikum, animieren aber in der Regel ohne zu adressieren. Sie sind nicht die Typen DJs, die sich spezifische Personen als Gradmesser für die Stimmung während ihres Sets herauspicken. Als Rückversicherung haben sie sich selbst. Immer wieder beglückwünschen sie sich zu Übergängen, die zwar nicht eines gegenseitigen Einverständnisses bedürfen, aber doch abgesprochen werden. Die Dynamik des Duos beim Auflegen ist eine spezielle, nicht die eines x-beliebigen b2b-Bookings. „Es passiert oft, dass wir exakt den Track, den der andere gerade reinmixt, im Kopf schon ausgewählt haben. Oder dass ich einen auswähle, und Leo tippt mich an und zeigt mir, dass er den…” „… auf dem dritten CDJ auch schon vorbereitet hat.” „Das passiert in jedem Set mindestens zwei-, dreimal”.
Jenes in der fabric nimmt zusehends an Fahrt auf, und ein Kameramann des Clubs, wie der Rest der Belegschaft auch an einem T-Shirt mit der Aufschrift „DON’T BE A CREEP” zu erkennen, hat Mühe, in die Booth zu klettern, um das immer entrücktere Geschehen zu filmen. Von Anfang an erfüllen sich die Erwartungen der Crowd, DJ Heartstring lösen das Versprechen, für das sie stehen, vom ersten Track weg ein.
Bewusst anders klingen
Das gelingt ihnen mit weitaus weniger Vocal-Tracks und Edits, als man annehmen würde, wenn man die beiden seit ihrer Frühphase verfolgt hat. Mit einer starken Nummer von Isaiah greifen sie den aktuellen Hardgroove-Trend auf, basslastiger Techno hat einen signifikanten Anteil am Set. Melodien, an denen sich das Publikum festhalten kann, finden sich trotzdem. DJ Heartstring verschränken Techno und Euphorie, Seriosität und Lockerheit miteinander und erinnern damit phasenweise an die frühen Bicep, bevor diese zum stadionfüllenden Liveact verkamen.
Während ich das Durcheinander ringsum beobachte, spüre ich ein Fingertippen auf meiner Schulter. Von einer Treppe neben der Booth aus versucht ein junger Typ, Kontakt aufzunehmen. Nach anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten drückt er mir einen USB-Stick in die Hand, ist überglücklich, als ich ihn Jonas überreiche, und verfällt daraufhin wieder in den Tanzmodus. DJ Heartstring stehen für Nahbarkeit, ihr Sound lädt zur Imitation ein.
Nach 90 Minuten bauen Jonas und Leo eine Zäsur ein, die sich vor allem erschließt, wenn man auf die Displays der CDJs blicken kann: „Here Comes The Trance Police”, ein bislang unveröffentlichter Track des australischen Wahlberliners Upper90, wirkt mit seinen aggressiven, etwas zu ernsten Synths und dem gehetzten Beat wie ein selbstironischer Metakommentar auf den Sound, mit dem die beiden den Durchbruch schafften.
Die „Trance Police” – das könnten Kritiker:innen sein, die DJ Heartstring seit Tag eins vorwerfen, elektronische Musik zu verwässern und zur Kirmesveranstaltung umzumodeln. In der Tat agieren Jonas und Leo mitunter in Settings, die etwas Spielerisches, beinahe Gimmickhaftes haben. Im letzten Jahr halfen sie federführend mit, die Autoscooter-Bühne des MELT zum populärsten Floor des Festivals zu machen. So populär, dass er dieses Jahr gleich am Eingang des Geländes platziert wurde und ein eigenes T-Shirt im Hotwheels-Look spendiert bekam. Oder ihr Gig auf dem Lighthouse Festival in Kroatien Ende Mai: Auf der „Pizzaparty” des Österreichers Wolfram, dem König des Gimmicks, hielten sie die Meute auf einem Pop-up-Rave in einem Restaurant am Meer bei Laune. Im Gespräch bekommt man mehr als einmal das Gefühl, dass diese Art von Auftritten nicht so recht ihrem Selbstbild entspricht.
„Edits sind Cheatcodes geworden, um Tracks rauszubringen, die viele Klicks bekommen”
Leo
Beide geben unumwunden zu, dass sie inzwischen bewusst anders klingen als noch in ihren Anfangstagen. „Diese Edit-Geschichte war am Anfang voll unser Ding, mittlerweile haben wir da aber nicht mehr so Bock drauf. Inzwischen spielen wir mehr Techno, Tribal und Hardgroove-Kram. Das war aber eine ganz natürliche Entwicklung”, meint Jonas. Einen triftigen Grund, wieso Edits peu à peu weniger in DJ-Heartstring-Sets auftauchen, gibt es aber durchaus: „Edits sind Cheatcodes geworden, um Tracks rauszubringen, die viele Klicks bekommen”, sagt Leo. „Oft hatten wir uns Edits gedownloadet, kamen zur Party und hörten den Voract den Track schon spielen. Weil es einfach jeder macht. Dann wird’s anspruchslos”, ergänzt er – die Revolution fraß ihre Kinder – und setzt noch einen drauf: „Uns war es wichtig, Leuten Musik zu zeigen, trotz unseres poppigen Sounds Musik zu spielen, die unbekannt ist. Wir haben beide die Grundvorstellung: Wenn ich vier oder fünf Tracks in Folge kenne, gehe ich vom Floor.”
„Wir haben auf jeden Fall den Anspruch, poppige Musik zu machen, aber in unserem Stil.”
Jonas
Anspruch also und womöglich auch ein wenig Eitelkeit haben dazu beigetragen, dass sich der Sound des Duos verändert hat. Den Durchbruch haben die beiden auch mit Tracks wie dem Edit von Ciaras „1, 2 Step” – inzwischen bei über 800.000 Plays auf Soundcloud und vor Kurzem offiziell veröffentlicht – geschafft, den kurzfristigen Erfolg wollen sie nun vorrangig ohne die Hilfe von Pop-Granden bestätigen. Nicht umsonst veröffentlichten Jonas und Leo zuletzt Tracks wie „Bae”, die zwar einen poppigen, aber nicht chartigen Ton anschlagen und weniger mit bekannten Samples arbeiten.
Dass sie trotzdem noch anders können, wenn es die Situation verlangt, bewiesen DJ Heartstring zuletzt auf dem AVA Festival im nordirischen Belfast. Dort spielten sie ihren ersten Boiler Room und packten ihr einstündiges Set ausschließlich mit Eigenproduktionen voll. Die Publikumsreaktionen im Video fallen zwar extrem aus, sind aber keine Seltenheit. In England und – dazu später – auch in Dublin reagieren Raver:innen selbst für ein Clubumfeld ungewöhnlich heftig auf Jonas und Leo, beinahe wie auf, der Begriff fällt in unserem Gespräch hin und wieder, Popstars.
„Wir haben auf jeden Fall den Anspruch, poppige Musik zu machen, aber in unserem Stil. Sie soll die Emotionen auslösen, die Popmusik auslöst, aber auch im Clubkontext funktionieren”, meint Jonas darauf angesprochen. Beide hätten durch ihre Sozialisation in Berlin genau gewusst, was Popmusik für ein Schlagwort ist. Das fände man hier nicht cool, weil es nicht ins Bild passt.
Coolness, Pop – zwei gegensätzliche Pole? DJ Heartstring trugen zusammen mit Künstler:innen wie Narciss, Marlon Hoffstadt alias DJ Daddy Trance oder Malugi dazu bei, sie auszusöhnen und den gelegentlichen Mut zur Peinlichkeit auf Tanzflächen zu reetablieren, den dunkelschwarzer Techno so lange im Zaum hielt. Wenn Leute das nicht gut finden – oder gar nicht cool –, störe das Duo das nicht: „Der Problematik kann man sich ganz leicht entziehen, indem man einfach sagt, dass man Pop macht, und das den Leuten nicht als coolen Techno unterjubelt”, erklärt Leo.
Farbenfrohe Musik und eine offensiv vor sich hergetragene Uncoolness, zumindest in Berliner Techno-Kreisen: Ist es das, was DJ Heartstring ausmacht? Zu einem gewissen Grad sicherlich, dennoch funktionieren Jonas und Leo besser als die meisten ihrer Sparten-Kolleg:innen. Ein entscheidender Faktor dafür dürfte die öffentliche Wahrnehmung als unzertrennbares Duo sein, das in runterkondensierter Boygroup-Manier an die Neunziger und Zweitausender anknüpft. „Wir sind normale Jungs aus Berlin, keine Popstars”, tut Jonas die Selbstwahrnehmung der beiden kund. Und doch: Alleine die äußere Erscheinung der beiden suggeriert etwas BRAVO-Starschnitthaftes. Auf der einen Seite Jonas mit unverkennbarem blonden Pony und zweckmäßigem Kleidungsstil, auf der anderen Leo mit dunklem Teint und Outfits, die ein Berliner Modeblogger nicht sorgsamer zusammenstellen könnte. Eine Mischung, die auch auf optischer Ebene verfängt. Dazu kommt ein performativer Akt, der zum Nachahmen auffordert: Gegen Ende ihrer Sets formen Jonas und Leo gemeinsam ein Herz mit ihren Händen, das Publikum erwidert das. So cheesy, so süß, so eindrücklich.
Der Kuschelhase aus der Schweißwolke
Darüber, wieso DJ Heartstring so gut funktionieren, macht sich der Fahrer, der uns am Flughafen in Dublin abholt, keine Gedanken. Seine kreisen um die greifbaren Dinge im Leben: 20.000 Euro habe er für seinen Mercedes, den er noch beim letzten DJ-Heartstring-Gastspiel in Irland fuhr und an den sich Jonas und Leo nicht mehr erinnern, bekommen und sich damit sein neues Auto finanziert. „That’s not bad, right?”, frohlockt er in breitem irischen Akzent. Auch ein Seitenhieb auf die ungeliebten Inselnachbarn muss noch sein: Irisches Frühstück sei laut eigener Aussage zwar exakt dasselbe wie englisches, schmecke aber deutlich besser, bantert der breitgebaute, vielleicht 50-jährige Shuttleveteran vergnügt.
Im strömenden Regen chauffiert er uns an der lächerlich großen Guinness-Brauerei vorbei. Dort wird das Bier gebraut, das durch irische Venen fließt, wie er uns wissen lässt. Vor einem Hilton-Hotel kommen wir zum Stehen. Das erste und einzige Mal, dass an diesem Wochenende so etwas wie ein Statussymbol den Erfolg von DJ Heartstring spiegelt – wir erinnern uns an das Airbnb in Hackney.
Clubkultur wird in Dublin mit Leib und Seele gelebt, vielleicht eine Spur alkoholschwangerer und dadurch gar wahrhaftiger als in Berlin. Wohl genau ohne diese Art von Coolness, die Jonas und Leo widerstrebt.
Nach dem Einchecken ist Pause angesagt, in getrennten Zimmern. Jonas und Leo verstehen und ergänzen sich gut: Leo erde Jonas, Jonas kitzle aus Leo noch ein paar extra Prozentpunkte heraus. Beim gemeinsamen Touren die ganze Zeit aufeinander zu sitzen, muss aber auch nicht sein. Und wenn noch dazu der benötigte Schlaf fehlt, zieht man sich auch mal zurück, swipet durch Reels oder hört Musik, normale Jungs aus Berlin eben. Noch mittags, im Shuttle zum Flughafen London Stansted, besprachen die beiden ihr Set in der fabric. Welcher Track funktioniert habe und welcher nicht, was an Remixen für befreundete Künstler:innen noch zu tun sei. Wenn Jonas und Leo über ihre Musik diskutieren, wirkt das gleichberechtigt. Laufend träfen sie Entscheidungen, wirkliche Kompromisse müssten sie dabei kaum eingehen, bekunden sie. Der Gesprächseifer verfliegt nun, vor dem Artistdinner wollen sich die beiden regenerieren. Keine schlechte Idee, wie sich kurz darauf herausstellen soll.
In einem Burgerrestaurant warten die Mitglieder des hiesigen Kollektivs Lost, die heute Abend ihre Party Here & Now im Club Index veranstalten. Headliner: DJ Heartstring. Die Nacht ist restlos ausverkauft, die Stimmung am Tisch jetzt schon gut. Pagan, das wohl prominenteste Lost-Mitglied, präsentiert ein Video von sich, wie er beim Auflegen auf einer der letzten Partys auf die CDJs fällt. Das wird mit Johlen quittiert. Die – ohne Ausnahme – Jungs am Tisch dürften Anfang, Mitte 20 sein, und die Feierwut trieft ihnen schon jetzt aus jeder Pore. Besser ist es: Um Punkt 3 muss das Index schließen.
Nach dem Essen legt sich Leo nochmal hin, die Müdigkeit scheint noch nicht aus den Knochen geschüttelt. Der Rest der Gruppe tankt noch ein paar Pints Guinness in einem altehrwürdigen Pub, in dem sich die Gespräche stellenweise überschlagen. Das MELT sei eines der genialsten Festivals überhaupt, erzählt mir ein Ire, der mit der Lost-Crew verbandelt scheint. „The whole scenery is just mental”, mit über 40 Leuten würden sie zur diesjährigen Ausgabe anreisen. Schon im nächsten Satz geht es um ein legendäres Set Denis Sultas in Ferropolis. „Were you there?” Leider nicht. Macht aber nichts, die nächste Anekdote folgt sofort. Feststeht: Clubkultur wird in Dublin mit Leib und Seele gelebt, vielleicht eine Spur alkoholschwangerer und dadurch gar wahrhaftiger als in Berlin. Wohl genau ohne diese Art von Coolness, die Jonas und Leo widerstrebt.
Exakt dieser Eindruck verfestigt sich im Index. Auf der Uber-Fahrt dorthin erklärt ein Mitglied der Lost-Crew die Umstände, mit denen Clubkultur im hyperkapitalistischen Dublin zu kämpfen hat – und ihre Folgen: Er selbst wohne mit diversen Kumpels in Valencia und mache dort ebenfalls Partys. Es sei billiger für ihn, für Gigs nach Dublin zu fliegen, als hier zu wohnen. Der Club, den wir kurz darauf im irischen Regen an der Schlange vorbei durch den Vordereingang betreten, entpuppt sich als Gegenentwurf zur fabric. Als Backstage dient ein kleiner, schummrig belichteter Raum mit Holzbänken im Obergeschoss, direkt neben den Herrentoiletten.
Die Situation auf dem Lokus ist dauerhaft angespannt, am laufenden Band gibt es Kabbeleien. Schwitzige junge Lads verlangen dem Klomann, unangenehmerweise eine der wenigen schwarzen Personen im Club, alles ab. Er aber manövriert sich mit Witz und Stressresistenz durch alle Episoden, die ihm um die Ohren fliegen könnten: Streitigkeiten wegen eines verschütteten Drinks – „I paid nine Euros for this” – und die Benutzung der Deos auf seinem Tisch, die nur gegen einen Obolus gestattet ist. Nicht Wenige nutzen diese Gelegenheit, um sich nach frischem AXE duftend wieder ins schweißgetränkte Getümmel zu werfen.
Im Backstage planen Jonas und Leo derweil lose ihr Set. Wenn der Floor in der fabric bereits kochte, hat das Erdgeschoss des Index, auch weil Pagan seine Sache gut macht, den Siedepunkt bereits überschritten. DJ Heartstring wissen das und haben sich längst für die akustische Brechstange entschieden. „Wenn sie das wollen, sollen sie es auch kriegen”, sagt Jonas diabolisch. „Mit was gehen wir raus?” bleibt daher die einzige Frage, die zwischen einer Dose Biermischgetränk und dem neuerlichen Lösen von Sudokus auf dem Smartphone zu klären ist.
„Es wäre total lächerlich, wenn man solche Musik macht und Leuten dann sagt, dass sie keine Bilder mit uns machen dürfen”
Leo
Nachdem die beiden am erwartbar leeren zweiten Floor im ersten Stock vorbei und eine Stahltreppe hinunter gebracht werden und in der Booth aus Plexiglas ankommen, beantworten sie diese: „Since The 1990s” von Justin Tinderdate is setting the tone, wie man sich in der Menge beim Erklingen des beschwörenden Vocals und der atzigen Synths wohl zugrölt. Greller Pop, verschränkt mit einem polternden Beat, der zeitweise den Hirnwindungen eines Parallelwelt-DJ-Bones entsprungen sein könnte: Das kommt an, die in noch größerer Zahl als in der fabric getragenen Sonnenbrillen spiegeln bei 148 BPM um die Wette. Auch mehr in die Höhe gerissene Arme durchschneiden die Luft, Heerscharen von Handys lichten Jonas und Leo ab – einen gut gemeinten Hinweis zum Leben im Moment wie in der fabric vor Betreten des Clubs gibt es hier nicht: Die tollwütige Szenerie zwischen Pop-Konzert und Rave bewegt sich an der Grenze zur sensorischen Überforderung, und jede:r im Raum ist gewillt, diese einzureißen.
Spätestens jetzt wird auch klar, wieso Deos hier erstaunlich gut laufen. Der Club gleicht einer einzigen Schweißwolke, doch noch ein weiteres Duftelement treibt die ohnehin schon süßliche Kopfnote des Raumes auf die Spitze: Vapes. Ein signifikanter Teil des im Durchschnitt wohl maximal 23-jährigen Publikums dampft. Wo in Berlin ein Zigarettenautomat hängt, befindet sich im Index an prominenter Stelle gleich neben dem Dancefloor ein Vape-Dispenser. Auch Jonas, heute mal nicht im Fred-Perry-Polo, sondern im Sachsentrance-Shirt, pafft maschinell, während er mit Leo, auf dessen weißem T-Shirt ein Tribal-Motiv prangt, die Crowd weiter anstachelt.
Auf dem USB-Stick der beiden befinden sich Künstler:innen von Vladimir Dubyshkin bis Rosalía, stilistische Varianz ist aber nicht gefragt: Die großen Emotionen wecken schwere Groover mit sanften Trance-Referenzen wie „Out Da Hood” von Dylan Fogarty. Ein junger Kerl hat sich bis zum Plexiglas gekämpft und fängt die Hausparty-Atmosphäre auf dem Bigroom-Dancefloor perfekt ein: Eine Sonnenbrille liegt auf seiner schwarzen Beanie, eine trägt er über den Augen, während er den DJs Tracks auf Spotify zeigt, die er gerade liebend gerne hören würde.
„Wir bedienen nicht die elitäre Techno-Vorstellung, dass DJs die Allerkrassesten sind und man nicht mit denen reden darf und auch sonst alles total ernst ist. Das ist Schnee von gestern.”
Leo
Doch Jonas und Leo lassen sich nicht beirren. Etwa zur Set-Hälfte spielen sie mit „In Your Arms” eine bislang unveröffentlichte Eigenproduktion. Der Testlauf funktioniert, eine junge Dame drückt vor Ekstase einen bemitleidenswerten Kuschelhasen an der Plexiglasscheibe platt. Auch heute läuft „Here Comes The Trance Police”, und in Dublin hat diese noch weniger zu melden als in London: Die Crowd hier hat ein großes Herz und noch größere Augen, elitäres Realkeepertum ist nicht gefragt. Man schreit sich an, um sich weiter aufzuheizen, Jungs tanzen brüderlich mit den Armen um die Schultern.
Kurzer Ausflug, die Stahltreppe hoch: Oben ist alles leer, praktisch der gesamte Club vergnügt sich im Erdgeschoss. Die Securitys, die sich an neuralgischen Punkten wie besagter Treppe postieren, haben nichts Bedrohliches an sich, sondern muten an wie besorgte Väter, denen der Geburtstag ihres Teenager-Sohnes zu entgleiten droht. Schuld daran sind: DJ Heartstring, die zu allem Überfluss ihren Edit von „1, 2 Step” auf die Meute loslassen. Besser wird’s nicht, oder doch? Mit der nächsten Eigenproduktion, „It Ain’t Over”, beschwindeln sie zum Abschluss ein Publikum, das diese Lüge wider besseres Wissen glauben will. Um 3 Uhr ist nämlich pünktlich Sense. Das Putzlicht bestätigt nochmal, was ohnehin klar war: Die Droge der Wahl ist MDMA.
Bevor der Club geräumt werden kann, belagern Jungraver:innen die Booth. Berührungen, ein Kopfnicken, Blickkontakt: Jede Geste der Zuneigung ist gern gesehen. Ein besonders dreister Clubgänger mit lockigem Undercut und Brille fordert Jonas zum Fistbump auf – um dessen Hand dann ins Leere gleiten zu lassen. Das zieht ein kurzzeitiges Liebes-Embargo nach sich, für die obligatorischen Fotos stehen DJ Heartstring danach aber zur Verfügung. So ermüdend das sein kann, so wichtig ist es den beiden: „Es wäre total lächerlich, wenn man solche Musik macht und Leuten dann sagt, dass sie keine Bilder mit uns machen dürfen”, meint Leo dazu.
Der Fistbump ins Leere
Nahbarkeit und abgebrühte Professionalität
Auch darin begründet sich der Erfolg von DJ Heartstring: Fannähe. Jonas beteuert zwar, dass vieles von dem, was DJ Heartstring tun, nicht durchdacht sei, trotzdem stellt ihre Künstlerpersona eine bewusste wie radikale Abkehr von dem dar, was Techno noch vor wenigen Jahren vermeintlich glaubwürdig machte. Leo drückt das einfacher aus: „Unsere Musik steht für einen anderen Ansatz. Wir bedienen nicht die elitäre Techno-Vorstellung, dass DJs die Allerkrassesten sind und man nicht mit denen reden darf und auch sonst alles total ernst ist. Das ist Schnee von gestern.”
DJ Heartstring spielen, so viel ist nach diesem Wochenende klar, wie kaum ein anderer Dance-Music-Act auf der emotionalen Klaviatur ihrer Fans. Nahbarkeit, Pop-Gesten, Gefühle, Abriss und ein klarer Kopf, zumindest auf Künstlerseite, konstituieren den Erfolg des Duos. Jonas und Leo machen keinen Hehl daraus, dass sie erfolgsorientiert arbeiten: „Es hat relativ schnell eine abgebrühte Professionalität gehabt, weil wir so sehr Bock darauf hatten, das beruflich zu machen. Deshalb haben wir uns nicht großartig ablenken lassen oder waren die ersten zwei Jahre auf jedem Gig besoffen und konnten nicht mehr ins Studio.”
Bei allem Spaß, den sie von der DJ-Booth aus ermöglichen, DJ Heartstring ist es ernst – auch in Zukunft, wie die Vergangenheit beweist: Nachdem „Vision of Ecstasy” Fahrt aufnahm, rief Leo Jonas an und fragte: „Wenn das hier wirklich Gold ist, worauf wir gestoßen sind, kündigen wir unsere Jobs. Wenn das klappt, ziehen wir’s durch, oder?” Jonas überlegte nicht lange: „Auf jeden Fall”, antwortete er.
Noch kurz zuvor war so etwas wie Erfolg überhaupt nicht absehbar. Jonas und Leo saßen mit ein paar fertigen, „nur für sich selbst produzierten” Tracks im Studio und hatten sich ganz bescheidene Ziele gesteckt: Die dänische Trance-DJ Courtesy sollte eine ihrer Nummern bei HÖR spielen. Nach Feedback hatten sie niemanden gefragt, niemandem sonst schickten DJ Heartstring den Soundcloud-Link zu ihren ersten Stücken. Deshalb ließ sich ablesen: „Sie hat sich die ersten beiden zweimal und den Dritten einmal angehört”, wie Leo noch weiß. „Sie hat nie geantwortet!”, sagt Jonas lachend. Dass DJ Heartstring auf Gold gestoßen waren, hatte damals auch Courtesy noch nicht geahnt.
Disclaimer: Jonas von DJ Heartstring arbeitete 2020 für sechs Monate als Praktikant in der Redaktion der GROOVE und war im Anschluss als Chefredakteur von rap.de tätig, das wie unser Magazin von der piranha media GmbH produziert wurde.