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Vril: Der Blick nach innen

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Elektronische Musik unterliegt auf lokaler wie globaler Ebene diversen Hypes und Trends, deren Einflüsse über die Jahre ähnlich den Gezeiten kommen und gehen. In dieser Dynamik wesentliche Innovationen auszumachen, ist schwierig. Besonders dann, wenn die Köpfe dahinter selbst eine konsequente Anonymität wahren. Das erklärte Motiv ist oft so einfach wie einleuchtend: Musik und Produktion sollen für sich sprechen, ohne dass irgendeine Personalie im Vordergrund steht. Vril verfolgt wie kaum ein anderer deutscher Produzent der Gegenwart diese Linie und kann sich das selbst nach über einem Jahrzehnt immer noch leisten.

Das Sounddesign des geheimnisvollen Hannoveraners schwebt losgelöst vom Zeitgeist in einer eigenen Sphäre, verschmilzt Elemente aus Ambient-, Dub-, Minimal-, und Industrial-Techno zu einem Kontinuum fortgesetzter Metamorphosen. Diesen zugrunde liegen kryptische Konzepte, in denen die menschliche Geistesgeschichte ebenso eine Rolle spielt wie unser Aufbruch in den Weltenraum oder jene ambivalente Werkzeuge, die wir für dieses Unterfangen benötigen – von künstlichen Intelligenzen über entheogene Substanzen bis zu einer völlig anderen Art des Denkens.

Nils Schlechtriemen verabredete sich mit dem Künstler zu einem Gespräch über Musik und deren Herstellung, über das neue Album Animist und erste Anfänge vor 30 Jahren, über Fiktion und Wirklichkeit, über das Gestern und das Morgen.

GROOVE: Als ich das erste Mal deinen Künstlernamen las, kam mir der Klang gleich bekannt vor. Irgendwann machte es dann klick. 1871 veröffentlichte nämlich der britische Autor und Politiker Edward Bulwer-Lytton mit Vril – Eine Menschheit der Zukunft einen der ersten wirklich einflussreichen Science-Fiction-Romane überhaupt, der rückblickend bizarr visionär erscheint. 

Vril: Genau, das Buch von 1871 ist der Ursprung des Begriffs, den ich als Namen meines Projekts gewählt habe. Bulwer-Lytton entnahm das Wort dem Sumerischen. Dort beschreibt es die Kraft, die das Universum zusammenhält, vielleicht ähnlich der Dunklen Materie, die man heute [in der Astrophysik, d.Red.] kennt.

Lyttons Science-Fiction-Werk entstand in einer Zeit, in der man wie heute besessen von technischem Fortschritt war. Je mehr man über Natur und Technik herausfände, desto eher könne man sie ohne Limitierung kontrollieren und endlos nutzbar machen. Wie problematisch dieser Zeitgeist ist, wird heute unter anderem durch die Umweltverschmutzung sichtbar. Das Buch und die Person Lyttons sind aber interessant. Von ihm stammt auch das Zitat: „Die Feder [der Stift] ist stärker als das Schwert.” Ähnliche Sci-Fi-Inspirationen fanden viele Künstler auch in Alvin Tofflers dystopischem Buch Future Shock, dem sogar das Wort „Techno” entnommen wurde. Dort kommt es zum ersten Mal vor.

Die Cover-Artworks von Anima Mundi (2018) und Animist (2023) nehmen darauf auch Bezug. Vor allem bei Anima Mundi sind dort energetische Felder und Wellen neben kryptischen Formeln zu sehen. Das passt zur Atmosphäre der Platte.

Ich hatte das Album 2017 zuerst auf Tour in 15 Städten auf der ganzen Welt als Kassette verkauft – circa sechs Exemplare je Stadt. Zum Glück war die Qualität so verrauscht, dass es niemandem gelungen ist, sie in guter Qualität zu digitalisieren. Ich wollte die Songs unbedingt noch als Vinyl herausbringen. Zeitgleich stieß ich auf die Arbeiten von Daniel Martin Diaz. Ich hatte schnell das Gefühl, dass ich das Album ohne seinen Look gar nicht auf Vinyl veröffentlichen könnte oder wollte.

Wie hast du Daniel Martin Diaz kennengelernt?

Zwei Wochen nachdem ich ihn anschrieb, antwortete er mir und sagte, dass er meine Musik kenne und wir zusammenarbeiten können. Die Elemente, die er dann zum Einsatz brachte, hatte er ohnehin schon vorher skizziert und für das Cover neu arrangiert. Auch bei Alte Seele war er am Werk – genau wie jetzt bei Animist

Das Cover von Vrils „Animist” von Daniel Martin Diaz.
Das Cover von Vrils Animist von Daniel Martin Diaz.

Wie habt ihr zusammengearbeitet? 

Es war ein ziemliches Glück, ihn kennengelernt zu haben, weil er einen besonderen Zugang zur Musik hat. Wenn ich ihm Material schicke, passiert etwas Besonderes und er trifft genau den richtigen visuellen Ton. Das war auch bei Animist so. Ich meinte im Vorfeld nur, dass ich irgendetwas sehr Rotes sehen würde, und eines Nachts schrieb er mir: „Hey man, I think I have something, should i do it?” – ohne eine Skizze oder so! (lacht) Ich habe ihm vertraut. Für das neue Cover hatte Diaz etwa sechs Monate Zeit. Ihm ist wieder etwas sehr Schönes gelungen.

Auf Animist wirkt es so, als wären dort Aspekte der ersten EPs genauso wie von Portal und Anima Mundi eingeflossen, zusammen mit neuen Produktionsideen. Auch aus deinem Bleep Mix aus dem Frühling 2021 sind Tracks dabei, etwa der Closer „Sohn”.

Dem ist so, aber die Sachen wurden für das Album alle neu arrangiert und erweitert, klingen nun runder und teilweise gar etwas cinematisch. Ich hatte insgesamt 70 Tracks aus den letzten sechs bis acht Jahren in einem Ordner und nahm mir Zeit, herauszufinden, wie genau ich sie anordnen könnte. Es gab viele Variationen, bis ich schließlich zusammen mit Thijs van de Wijngaert von Delsin einen Vorentwurf zur finalen Animist-Tracklist hatte. Zuvor hielt ich sogar an der Idee fest, eine eher experimentelle Platte zu machen, ein richtiger Wälzer namens Codex Gigas, der bis zu 30 Titel beinhaltete. Alle Leute, denen ich das vorgespielt hatte, waren allerdings nach ein paar Tracks schon ziemlich fertig.

Erscheint die Platte noch?

Vril: (lacht) Das habe ich hier alles noch liegen. Da waren auch Teile und Tracks von Animist dabei, aber letztlich ist ein tolles Experimental-Album übrig geblieben, das ich entweder noch als Vril oder unter neuem Namen herausbringen werde. Bei Animist stand die Idee im Zentrum, dass ich bei meinen Attributen bleibe. Wie du schon erwähnt hast, findet man Elemente aus allen Phasen meines bisherigen Materials. Wenn mir also jemand sagen würde: „Schick’ mir mal ein Album, das zusammenfasst, was du so machst!”, dann wäre das wohl Animist.

Ich würde mich als Mensch bezeichnen, der bodenständig bleibt und froh ist, in seinen Alltag zurückzukehren. Die Ausflüge ins Abseitige gefallen mir aber.

Schon vor Jahren hast du deinen Stil gefunden und ihn seither konsequent weiterverfolgt. Ob in den Bereichen Techno, Ambient oder experimentelle elektronische Musik – du scheinst immer wieder völlig unabhängig von Trends agieren zu können.

Es ist schön, dass das funktioniert und Leuten das auffällt. Ein paar der neueren, unveröffentlichten Sachen haben schnellere Tempi, passen aber trotzdem zu den alten Chords und lassen sich mit den alten Songs mischen. In Zukunft kommen ein paar Annäherungsversuche an den neuen, schnelleren Stoff, ohne dass ich den eigenen Sound aus dem Auge verliere. Es kann also durchaus sein, dass es ein Release mit heftigerem Drive geben wird. Ich höre immer zu und verschließe mich nicht vor aktuellen Entwicklungen. Natürlich muss dabei klar sein, dass alles in der elektronischen Musik nach wiederkehrenden Trends und Phasen funktioniert.

Dein Sternzeichen ist der Wassermann. Das passt auf mehreren Ebenen: zu deiner unkonventionellen Herangehensweise ebenso wie zum idiosynkratischen Sound und dem Sinn für das Neue, Unerwartete.

Wassermann, das ist richtig. Ich bin kein Kenner der Astrologie, aber vielleicht ist es aus einer bestimmten Raum-Zeit-Perspektive nicht unwichtig, wo und wann man in diesem System erscheint, also geboren wird. Wer sich zum Beispiel mit [dem antiken Philosophen, d.Red.] Platon und dem platonischen Jahr beschäftigt, findet vielleicht nochmal einen anderen Zugang. Die Sicht Platons auf diese Vorgänge war eher theoretischer Natur und nicht als eine Methode zur Vorhersage der Zukunft gedacht, was ich persönlich passender finde. Dann gibt es wieder Menschen, die das alles sehr esoterisch sehen, wobei der Begriff „Esoterik” ja vom griechischen Wort εσωτερικός (esōterikos), der „innerlich” oder „von innen gesehen” bedeutet, kommt. Und im Blick nach innen läge ja grundsätzlich erst mal nichts Verkehrtes. Auf jeden Fall ist es interessant, dass manche das Gefühl haben, mit gewissen Sternzeichen besser klarzukommen als mit anderen.

Manche Leute beschäftigen sich aus Spaß mit Astrologie und klopfen andere auf astrologische Parameter ab, die dann überraschend oft zutreffen. Andere ziehen aus dem, was man vielleicht unter dem schwammigen Begriff „Spiritualität” subsumieren könnte, durchaus Positives für ihr Leben, ohne mit esoterischen Welterklärungen zu liebäugeln.

Da gibt es zwei sich diametral gegenüberstehende Teams. Das eine ist auf der positivistischen Seite, also: unsere Intelligenz, unser Wesen, unsere Seele sind allesamt Produkte von Hirnchemie – und das war’s. Die andere ist der Ansicht, dass etwas von außen hinzukommt, eine Seele, die fortbesteht und reinkarniert wird. Man muss sich fragen, welche der beiden Ideen mehr mit einem resoniert. Ohne mich da irgendwie festzulegen, lasse ich mich gerne auf solche Gedankenspiele ein und Ideen daraus in meine Musik einfließen. Trotzdem würde ich mich als Mensch bezeichnen, der bodenständig bleibt und froh ist, in seinen Alltag zurückzukehren. Diese Ausflüge ins Abseitige gefallen mir aber.

Diese Ausflüge sind auf deinen Veröffentlichungen durchaus hörbar. Wahrscheinlich hast du schon oft gehört, dass deine Musik eine dichte Atmosphäre erzeugt, die von einer seltsamen Melancholie ebenso geprägt ist wie von Kontemplation, dieser bereits erwähnten Innenschau und Auseinandersetzung mit sich selbst. Das ist oft genug kein Party-Techno, sondern eher etwas, um sich mit Kopfhörern in den Sessel zu setzen, die Augen zu schließen und auf Reise zu gehen.

Das erinnert mich an den Entstehungsprozess der Anima Mundi. Das Tape kam ja 2017 und die Vinyl-LP 2018. Gerade 2018 war ein intensives Jahr, in dem ich sehr viel unterwegs war und live gespielt habe. Alles wurde immer härter und ich fragte mich, wo denn die Wärme in der Musik geblieben ist. Das war einer der Anstöße, Anima Mundi zu machen. Da gebe ich dir Recht: Für diese Platte wollte ich weg vom Party-Sound, deshalb ist sie auch alles andere als das geworden. Es ging vermutlich eher um eine Art Reflexion des Unbewussten. Durch die Arbeit am Album konnte ich Gedanken, die ich lange zuvor schon hatte, besser verstehen. Wenn dann noch jemand wie Daniel Martin Diaz dazukommt, der im Visuellen präziser arbeiten muss als ich als Musiker und dessen Details größtenteils auf konkreten Referenzen beruhen, ist das auch im Falle von Anima Mundi eine Erweiterung für das Konzept des Albums als Ganzes. Auch wenn es teilweise kryptisch wirkt – meine Intention ist, es frei und interpretierbar zu halten.

Gute Musik erzeugt genau wie gute Literatur Interpretationsräume für die rezipierende Person, die in sie ihre eigene Innenwelt hineindenken kann. Einige deiner Tracks haben das mit mir gemacht. Phasenweise liefen sie Stunden bis Tage auf Repeat – und tun das bis heute. „Psionik” von der Bad Manners 4 ist so ein Beispiel.

Der Track hat für mich auch eine besondere Atmosphäre, in der ich gerne schwimme.

Und dann ist da diese sehnsüchtige Melodie im Hintergrund.

Das ist der Juno [Roland Juno-6, Anm.d.R.], der das hypnotisierende Element hineinbringt. Den habe ich seit 20 Jahren, doch in diesem Track hat er auf einmal wieder eine neue Qualität bekommen. Der Titel „Psionik” spiegelt das ganz gut wider – das Prinzip, dass der Geist über der Materie steht.

Gerade was das gewollt Holzige angeht, das meinen Sound umgibt, habe ich eine Art Reise hinter mir. 

Das „Ancient Relief Rework” des Tracks aus deinem Bleep-Mix fand ich damals auch gelungen.

Da ist dann fast nur noch der Juno drin. Deshalb klingt der Remix nochmal tiefer und hypnotischer.

Gibt es Pläne, diesen Remix an anderer Stelle nochmal in einer ausformulierten Version zu veröffentlichen?

Das haben mich tatsächlich schon ein paar Leute gefragt. Dieses Juno-Thema will ich auf jeden Fall noch mal freistellen, das wird bestimmt irgendwann kommen – unter Umständen auf der anstehenden experimentellen Platte. Den ganzen Bleep-Podcast habe ich aus fertigen Tracks digital am Computer zusammengebaut, wie eine Collage. Ich saß über zwei Wochen daran, habe die Tracks einzeln geladen, per Hand gesetzt und daran gearbeitet, dass man nirgendwo mehr Übergänge hört. Ich bin nämlich weniger DJ, sondern sehe alles eher aus Produzenten-Perspektive. Ich will die volle Kontrolle haben. Mittlerweile mache ich für Podcasts aber doch eher eine Art DJ-Mix vorweg, nehme zwei Spuren separat auf und fange dann an, digital zu schneiden und mehr Effekte einzubauen. An vielen meiner Podcasts habe ich echt lange gesessen, deswegen bringe ich auch nicht so viele raus.

Bei dem Bleep-Mix kommt zu Beginn ein ziemlich profundes, mehrminütiges Zitat von Terence McKenna zum Einsatz. Der Erforscher drogeninduzierter Zustände und schamanistischer Praktiken spricht dort vom schizophrenen Zustand des Menschen in seiner Geschichte am Übergang zwischen Tier und Gott.

Das passte einfach gut in die Tonalität. Ich hatte einen seiner Vorträge auf YouTube gespeichert. Als ich an dem Bleep-Mix saß, kam auf einmal die Idee, dass ich nun McKenna mit reinbringen muss, weil diese ganzen tiefergehenden Themen abgehandelt wurden. Aber ich bin bis heute nicht so ganz glücklich mit dem Sound des Mixes, weil das Mastering und die Klangqualität etwas verzogen wirken. Fällt aber unter Umständen im experimentellen Kontext nicht so auf.

VRIL live at Paris (Foto: unbekannt)
VRIL spielt live in Paris (Foto: Unbekannt)

Mir ist das nicht aufgefallen.

Soundtechnisch bin ich in den letzten Jahren weitergekommen. Gerade was das gewollt Holzige angeht, das meinen Sound umgibt, habe ich eine Art Reise hinter mir und mittlerweile auf jeden Fall mehr Kontrolle beim Abmischen.

In den Credits zu Animist steht, dass du dieses Mal auch das Mastering übernommen hast.

Das stimmt. Unter anderem, weil die Tracks aus den letzten acht Jahren stammen und ich mittlerweile viel für andere mastere. Zum Beispiel bei allem, was auf Marcel Dettmanns Bad Manners erscheint. Aber auch, weil ich mit dem Mastering früherer Veröffentlichungen von mir durch andere oft nicht zufrieden war. Ich hatte die letzten zwei Jahre so endlos viel Zeit mit dem Material verbracht, dass ich wusste: Da darf jetzt kein anderer mehr ran. Im Gegensatz etwa zur Bad Manners 4, deren finale Version ich noch zur Mastering-Schmiede Schnittstelle geschickt habe. Es klang gut, wie die relativ schmerzfrei mit ihren analogen Bomben drübergegangen sind. Doch so entstehen verschiedene Dynamikprozesse, die sich überlagern. Bei Animist ist das alles ein bisschen transparenter und puristischer.

Hast du dir das Mastering über die Jahre selbst beigebracht?

Ja. Dafür habe ich analoges Equipment hinzugeholt und immer versucht, die Vision der Künstler:innen, die ich meine herauszuhören, im Mastering weiterzuspinnen. Das ist ein fortgesetzter Teil der Komposition für mich, und kein technischer Vorgang.

Die Kapelle meiner Vorfahren vor 1900 hat bereits Tanzmusik gespielt und auf Hochzeiten und Festen aller Art für Stimmung gesorgt.

Vor zwei Jahren erschien das Spandau20-Mixtape mit älterem Material. Wie ist es dazu gekommen?

Spandau20 ist das Label der FJAAK-Jungs, die kenne ich schon seit einigen Jahren. Irgendwann kamen sie auf mich zu und meinten: „Hey, wir haben hier so eine Mixtape-Reihe. Viele geben ältere Sachen ab, hast du vielleicht auch etwas rumliegen?” Mir fiel sofort ein, dass ich vor ein paar Jahren meine alten Kassetten digitalisiert hatte, auf denen um die 100 bis 120 Tracks zu finden sind, die ich in den Neunzigern auf meinem Commodore Amiga und später dann mit dem Atari ST, Samplern und Synths gemacht hatte.

Ich scheute mich da immer reinzuhören, weil ich dachte, dass mir das gar nicht mehr gefällt. Weil ich damals nur ganz schlechte Technik zur Verfügung hatte, aber immer wie Warp-Musik klingen wollte. Ich saß halt irgendwo auf dem Land oder in der Vorstadt, da gab es am Anfang noch kein Internet. Zumindest nicht so richtig. Weil es auch keine DATs oder CDs gab, hab’ ich das alles auf Kassette aufgenommen und Jahre später digitalisiert. Ein Freund – His Master’s Voice – ist ein sehr guter DJ, wenn es um eklektische Sachen geht. Deshalb hat er das Ganze für mich als DJ-Mix zusammengefügt.

Wie hat dir das Material gefallen, das du mit 14 oder 15 produziert hast? 

Wesentlich besser als erwartet. Ich habe vor Vril verschiedene Musik gemacht. Eigentlich nehme ich erst jetzt so richtig Form an. Dafür habe ich einen relativ langen Weg hinter mir – das hört man auf dem Spandau-Mixtape. 

Andy Warhol und Debby Harry mit dem Commodore Amiga (Foto: unbekannt)
Andy Warhol und Debby Harry mit dem Commodore Amiga (Foto: Unbekannt)

Von diesen 100 bis 120 Tracks ist doch bestimmt noch ein großer Fundus übrig, oder?

Vril: Klar, wobei es auch einige gibt, die nicht so cool sind. Da mache ich dann nach einer Minute irgendetwas, das gar nicht passt, zum Beispiel ein stranges Vocal-Sample rein. Aber das Material ist immer noch da, und vielleicht veröffentliche ich irgendwann mal mehr davon. Ich war damals eher so ein Rave- und Breakbeat-Kid, als der Amiga 500 zum richtigen Zeitpunkt in den Neunzigern in mein Kinderzimmer fiel. Eigentlich der erste Multimedia-Computer, er konnte Bildbearbeitung und samplen.

1985 wurde er von [Pop-Art-Künstler] Andy Warhol gemeinsam mit dem Hersteller Commodore vorgestellt. Eine lustige Präsentation, für die man ihm mitteilte, dass er die aufwendigen grafischen Features wie das Ausfüllen von Flächen meiden sollte, weil der Computer sonst auf jeden Fall abstürzen würde. Nachdem er ein digitales Foto der ebenfalls anwesenden Debbie Harry [Sängerin der Band Blondie] schoss, wendete er dieses Feature an, und das fast über die gesamte Zeit der Präsentation. Doch der Amiga blieb stabil. Für uns war das Ding erst nur eine Spielerei, wurde aber dann zu einer richtigen Leidenschaft, die weiterführte.

„Ich habe ChatGPT gefragt, wer der Techno-Künstler Vril ist. Die Antwort: Maximilian Lenz aka Westbam.”

Vril

Gleichzeitig bist du mit Freunden auf Raves und Partys gegangen.

Ja, zudem komme ich auch aus einer Musikerfamilie, die seit Anfang des letzten Jahrhunderts Musik gemacht hat. Ich denke, da hat sich auch ein bisschen Faszination vererbt.

Deine Eltern und andere Verwandte waren auch schon Musiker?

Meine Eltern selbst komischerweise nicht. Aber schon vor 1900 gab es Mitglieder meiner Familie, die in einer Art großen Familienkapelle musizierten. Einem der Musiker gelang es zum Beispiel schon in den Zwanzigern, als Pianist die Kleinstadt zu verlassen, weil er fortan auf einem Kreuzfahrtschiff Klavier spielen und so wie ich heute die Welt bereisen konnte. Wenn man das aus meiner heutigen Perspektive betrachtet, ist das schon abgefahren. Die Kapelle damals hatte bereits Tanzmusik gespielt und auf Hochzeiten und Festen aller Art für Stimmung gesorgt. Ich habe das alles aber erst später erfahren, nachdem ich mich schon für den Weg des Musikers entschieden hatte. Ursprünglich wusste ich nur, dass mein Opa Dirigent war.

Das klingt tatsächlich wie eine frühe Version von dem, was du heute machst.

Ein bisschen schon. Wie kommt man sonst in den Genuss, die Welt zu sehen? Ich bin dankbar dafür, wie sich dadurch mein Horizont erweitert, dass ich all die unterschiedlichen Leute kennenlernen kann. Nach meinem Eindruck sind da draußen größtenteils positive Menschen vorzufinden. Klar, alles aus Sicht meiner Bubble, aber auch fernab der Clubkultur konnte ich weltweit einiges an positiven Erfahrungen sammeln. Das ist eine Erkenntnis, die ich, so gut es geht, auch mit anderen teile, die vielleicht nicht das Privileg haben, so viel unterwegs zu sein. Das Reisen und Musikspielen ist zwar manchmal sehr anstrengend, aber man kriegt eben auch viel zurück – eine gewisse Wärme und viele Eindrücke, die man nicht mehr vergisst. Freundschaften entstehen quer durch die Welt und halten auch.

„Mir kommt es oft so vor, als würden wir Menschen unseren Geist wie ein Instrument benutzen, zu dem wir keine Betriebsanleitung gelesen haben.”

Vril

Du wirst dieses Jahr auch deine erste Residency beginnen – im Zenner in Berlin. Dort spielst du einerseits selbst live, kuratierst andererseits aber auch eine eigene Eventreihe – Vril curates.

Ich wollte eigentlich nie eine eigene Party machen, aber in dem Kontext passt es nun doch. Wie gesagt habe ich über die letzten Jahre viele verschiedene Menschen weltweit kennengelernt und dadurch die Möglichkeit, diverse Künstlerinnen und Künstler einzuladen, mit denen ich persönlich gut vibe. Das wird eine richtig gute, ravige Atmosphäre. Für die Ankündigung der ersten Party habe ich zu jedem Gast einen kurzen Kommentar veröffentlicht. Das soll den persönlichen Charakter der Veranstaltung unterstreichen. Bis heute kann die Szene nämlich eine Sache sehr gut: Menschen verbinden. Dass Nacht für Nacht auf der Erde Millionen von Menschen in Clubs zusammenkommen, finde ich nach wie vor beachtlich. Hier können gesellschaftliche Normen aufgebrochen werden, die obsolet sind.

Vril (Foto: Niels Freidel)
Vril (Foto: Niels Freidel)

Normen aufbrechen wie disruptive Technologien. Meine letzte Frage: Hast du eine Meinung zu ChatGPT?

Ich habe ChatGPT gefragt, wer der Technokünstler Vril ist. Die Antwort: Maximilian Lenz aka Westbam. (lacht) Zwei Wochen später stellte ich die gleiche Frage erneut und es kam eine wesentlich genauere Antwort – aber auch, dass meine Identität nicht geklärt wäre. Animist ist an so etwas wie künstliche Intelligenz angelehnt, die ab einem gewissen Komplexitätsgrad unter Umständen so etwas entwickeln könnte wie eine Seele oder einen Geist. Gerade mit dem Aufkommen von KI werden Konzepte wie der Animismus revitalisiert, zum Beispiel in Japan. Für mich war das Thema immer interessant und die aktuelle Aufmerksamkeit, die es bekommt, passt gut zum Konzept des neuen Albums. Wenn neue Technologien auftauchen, wird vom Verschwinden des Menschen gesprochen. Die Transhumanisten und Posthumanisten tun dies aktuell auch.

Darüber hat auch McKenna viel gesprochen. Er hat gesagt, dass wir dem Fortschritt nur begegnen können, wenn wir den Blick nach innen wagen und uns als Menschen selbst erkennen.

Mir kommt es oft so vor, als würden wir Menschen unseren Geist wie ein Instrument benutzen, zu dem wir keine Betriebsanleitung gelesen haben. Wie wenn ich mir einen Synthesizer oder ein Modularsystem anschaffe, mit dem ich dann herumspiele. Aber wenn ich nicht in die Tiefe gehe und nicht verstehe, wie das alles wirklich funktioniert, bin ich dazu verdammt, meinen Verstand rudimentär und oberflächlich zu nutzen. Dann erscheint es so, als hätte der Mensch sein eigenes Potenzial noch nicht wirklich begriffen. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich meine Geräte oft genau so benutze. (lacht) Brian Eno hat damals in den Siebzigern und Achtzigern als erstes die Gebrauchsanweisung eines neuen Synthesizers in den Mülleimer geschmissen. Ob das richtig ist oder falsch, können wir hier wohl nicht endgültig klären.

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