In der Mitte der Zehnerjahre entwickelte sich die STAUB zu einer der einflussreichsten Technopartys Berlins. Indem die Macher:innen kein Line-up ankündigten, schoben sie dem Starkult des in dieser Zeit entstehenden Business Techno einen Riegel vor. Darüber hinaus war es eine der ersten Partys in Berlin, die tagsüber stattfand und, für die Stadt untypisch, meist auf eine Dauer von zwölf Stunden beschränkt war.
Die erste STAUB fand 2013 in der Ziegrastraße in Neukölln in einem temporären Club namens Raum statt, der von Jan-Frederik Henschen mitbetrieben wurde. Dieser hatte dort Irakli Kiziria über ein DJ-Booking kennengelernt. Der war von der Atmosphäre des Ortes, der zugleich undergroundig und stylisch war, so begeistert, dass er mit Henschen das neue Format erfand.
Das ://about blank war damals auch schon Teil des Koordinatensystems der STAUB: Kiziria war Teil der Partyreihe Contour, die dort abgehalten wurde. Als Dritte im Bunde stieß Ines Manseder dazu, die schon im Blank tätig war und der STAUB den Umzug in den Club am Ostkreuz ermöglichte. Die Idee, kein Line-up anzukündigen, ergab sich aus wirtschaftlichen Zwängen.
Auch wenn man nur einen Teil der marktüblichen Gagen gezahlt hätte, wäre man immer noch mit Verlusten aus den Veranstaltungen gegangen. Durch den Verzicht auf Ankündigungen konnten aber namhafte DJs für geringeres Salär verpflichtet werden. Dass auch die Künstler:innen hinter der zum Geburtstag erscheinenden Fünf-Track-EP nicht verraten werden, ist bei der Glaubwürdigkeit der STAUB kein Problem. Wie sich die Macher:innen diesen guten Ruf erarbeitet haben, erfahrt ihr in den fünf Geschichten, die das Trio zusammen mit Freund:innen der STAUB gesammelt hat.
Regentanz
Ein sommerlicher Nachmittag im Garten. Die Stimmung war schon hochgekocht, als Cio D’Or ankam und erklärte, dass sie sich auf etwas ganz anderes vorbereitet habe. Sie wollte eher ein hypnotisches, langsames Set spielen, mit traditionellen asiatischen Einflüssen. Sie entschied dann, kurzerhand alles zu ändern und auch ein schnelleres Set zu bringen. Wir rieten ihr, genau das zu spielen, was sie vorbereitet hatte, und ihrem Gefühl zu folgen.
Bei ihrer ersten Platte leerte sich die Tanzfläche komplett, keine einzige Person war mehr zu sehen. Alle drängten in den Club, auf den MDF-Floor. Cios Set fing ganz langsam an, dann kamen nach und nach einzelne neugierige Leute in den Garten. Wenig später war die Tanzfläche schon wieder voll, und es wurde immer intensiver. Langsam zog ein Gewitter auf, der Himmel verdunkelte sich, alle waren in Ekstase und bewegten sich zu den Klängen, die Cio D’Or in den Äther schickte.
Genau am Ende ihres Sets, als Dimi Angelis schon bereit war, zu übernehmen, schlug in der Nähe der Blitz ein. Die Luft war im wahrsten Sinne des Wortes elektrisiert. Die Gäste tanzten im Regen, als gäbe es kein Morgen mehr. Es schien, als habe alles an diesem Tag zu diesem einzigartigen Moment geführt. Der Tanz wurde zum Ritual, Techno war keine Kategorie mehr für das, was hier passierte – eher war es eine unbeschreibliche Weltendämmerung.
Die STAUB-Familie
Natürlich ist STAUB in erster Linie eine Party, ein Raum für Kommunikation. Leute lernen sich kennen, es entstehen kleine Familien in den Stunden, die man gemeinsam im ://about blank verbringt. Vom Backstagebereich hin zum MDF über das Foyer in den Garten zum Zelt. Eine Strecke, die wir in den Jahren hunderte Male zurückgelegt haben – und immer wieder ist es erstaunlich, welch wunderbaren neuen Menschen mensch hier trifft.
Manchmal passiert es, dass diese temporären Feier-Familien auch ins „richtige” Leben hineinwachsen. Am meisten freut uns, wenn Gäste nach Jahren nach bestimmten alten Flyern fragen, weil sie zum Beispiel auf dieser oder jener Party ihre:n Lebenspartner:in kennengelernt oder andere wichtige Verbindungen geknüpft haben, die ihr Leben nachhaltig bereicherten.
Auch in unseren Reihen sind Familien entstanden, die über das bloße Feiern hinausgehen. Im Jahr 2016 durften wir das erste STAUB-Baby auf der Welt begrüßen – damit hätten wir dann auch etwas zum Techno-Nachwuchs beigetragen.
Berlin Club Memes meets STAUB
Mit Staub legen wir auch in anderen Städten auf, wir sind schon ganz schön herumgekommen. Von New York über Detroit bis nach Tiflis. Und als uns die Macher des Tempio del Futuro Perduto in Mailand gefragt haben, ob wir zusammen mit Berlin Club Memes einen Abend gestalten wollten, freuten wir uns. Meme Culture ist eine willkommene Kritik an einer Szene, die sich oft viel zu ernst nimmt.
Durch die Memes können wir uns von außen betrachten und unsere Konzepte hinterfragen, reflektieren und weiterentwickeln. In Mailand wusste allerdings niemand, was uns erwartet, Berlin Club Memes ist berüchtigt für ein hohes Maß an Geheimhaltung und steht im Ruf, sich gegen alle Erwartungen zu stemmen. Es gab dann eine Ausstellung mit Memes im Keller, die am Ende alle von den Gästen mitgenommen wurden. Außerdem gab es im Garten den ersten und bis dato einzigen DJ-Auftritt von Berlin Club Memes. Ein unangekündigtes Set mit Remixen von Crazy Frog. Das war dann Stadtgespräch.
Samo Rane
Samo Rame kam 2016 mit seiner Tochter als Flüchtling aus dem Iran über Syrien nach Deutschland. Im Flüchtlingsheim war seine Freizeit begrenzt und er verfügte über keine finanziellen Mittel, um feiern zu gehen. Ein paar Jahre später lernten wir ihn als DJ kennen und er erzählte uns seine Geschichte, die wir hier direkt wiedergeben.
Damals lebte ich im Flüchtlingsheim, das Sozialamt zahlte mir nur 86 Euro im Monat. Davon zu leben und auch noch feiern zu gehen, war eher schwierig. Ein anderes Problem waren die Türsteher in den Clubs in Berlin. In der Schlange konnte ich schon in ihren Augen sehen, dass sie mich ablehnen würden, bevor ich an der Reihe war. Das „Du kommst hier nicht rein” war vorprogrammiert. Ich wollte aber den Berliner Techno erleben und meine Probleme mit der deutschen Sprache sollten mich daran nicht hindern.
Einer der Sicherheitsleute im Flüchtlingsheim riet mir, es am Ostkreuz zu probieren. Im ://about blank gebe es immer wieder auch tagsüber gute Partys, vielleicht ließe man mich da ja rein.
An einem Wochenende fuhr ich hin und sah die Schlange, die bis an die S-Bahn Station reichte. „Scheiße! So lange warten, nur um dann nicht reinzukommen?” Ich fragte den Typen vor mir in der Schlange, was für ein Event hier stattfindet und was ich tun kann, um reinzukommen. Das ist die STAUB, erwiderte er. Ob ich reinkommen würde, konnte er mir allerdings nicht sagen. Da hörte ich wieder diese nagende Stimme: „Du bist Flüchtling, du bist nichts wert. Was willst du überhaupt hier?”
Außerdem war es ziemlich kalt, und ich dachte mir: Egal, ich frage jetzt mal, ob ich überhaupt eine Chance habe. Ich habe zu den Leuten vor und hinter mir gesagt: „Bin gleich wieder da, haltet mir bitte meinen Platz frei”. Dann bin ich kurzerhand nach vorne zu den schwarzgekleideten Türstehern. In meinem brüchigen Deutsch fragte ich: „Hi, kommen hier Flüchtlinge auch rein?”
Die Türsteherin sagte nur: „Klar, warte kurz.” Dann hat sie mich direkt reingelassen. An der Kasse dann das zweite Problem: Acht Euro Eintritt und zwei Bier, das wären ungefähr 16 Euro, das konnte ich mir auf keinen Fall leisten. Der Mann an der Kasse fragte: „Bei wem stehst du auf der Liste?”
Ich antwortete: „Sorry, ich verstehe kaum Deutsch und mein Englisch ist auch schlecht.” Dann kam der Schock: Er hat mir einen Stempel gegeben, fünf Getränkemarken geschenkt und mir auch noch viel Spaß gewünscht!
Das war meine erste STAUB-Erfahrung, im Gegensatz zu den anderen Clubs, wo ich schlechte Erfahrungen gemacht hatte, ein Traum. Ich ging an der Tür in Richtung Bar, sah einen riesigen schwarzen Raum in totaler Stille, aber trotzdem waren alle in Bewegung. Ich dachte mir: Das ist der Ort, den ich immer gesucht habe.
Was ich aus dieser Erfahrung gelernt habe? Nicht auf die innere Stimme zu hören, sondern einfach zu machen. Mich nicht wertlos zu fühlen, egal, wie manche Medien über uns Geflüchtete berichten. Dass es die richtigen Orte mit Menschen gibt, die dich verstehen, auch wenn du nicht ihre Sprache sprichst. Und dass nicht jeder, der schwarz angezogen ist, auch ein schwarzes Herz hat. Und was das Schönste für mich war: Dass ich genau auf diesem Floor auch selbst zweimal auflegen durfte.
Spandau Calling
Im zweiten Pandemie-Sommer 2021, als wieder einige wenige Partys möglich waren, veranstalteten wir mit Unterstützung der Initiative Musik ein kleines Festival in Spandau. Draußen, auf freier Fläche und unter Einhaltung sämtlicher pandemiebedingter Sicherheitsbestimmungen. Das Geld war knapp, alle arbeiteten am Limit, als plötzlich schwere Gewitter und heftiger Regen angekündigt wurden. Jetzt noch Zelte zu bestellen, war nicht drin, unser Budget hatten wir schon über alle Grenzen hinweg ausgereizt.
Wir überlegten, alles kurzfristig abzusagen, dachten dann aber: Ok, wir machen zumindest die erste Nacht und sehen, was passiert. Dann regnete es ein bisschen, das Gelände füllte sich sehr langsam, die Nacht verlief ruhig. Irgendwann ging dann die Sonne auf.
Dasha Rush übernimmt den Floor, die ersten Sonnenstrahlen spielen behutsam mit den Beats. Alle Gäste versammeln sich auf dem Dancefloor, auch unsere Helfer:innen und Mitarbeiter:innen. Wir tanzen in der Sonne, lächelnd, verschwitzt, abgearbeitet – und glücklich. Alle Gedanken an Geld, den Regen oder sonstige Widrigkeiten waren wegblasen. Da wurde wieder einmal deutlich: Genau für Momente wie diesen machen wir das alles.