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Porter Ricks: Der eigenen Zukunft voraus

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Porter Ricks (Foto: Philipp Virus)

Während Flipper, der Freund aller Kinder, in den Sechzigern über die heimischen Mattscheiben tollte und gemeinsam mit dem verwitweten Ranger Porter Ricks diverse Abenteuer erlebte, wurde zumindest der Name des mutigen Rangers in den Neunzigern neu konnotiert. Für Liebhaber:innen der elektronischen Musik steht Porter Ricks heute für eine nach wie vor unerreichte Blaupause von Dub-Techno, deren Sound so tief und voll ist, als ob sie direkt dem pechschwarzen Grund der Tiefsee entspränge.

Umso beeindruckender ist es, dass Andy Mellwig und Thomas Köner ihr ikonisches Debütalbum Biokinetics (1996) und den Nachfolger Porter Ricks (1997) mit den damaligen analogen Mitteln produzierten und so einen Sound schufen, der auch heute nichts an Fülle und Aktualität eingebüßt hat.

Unser Autor Till Kanis hat sich mit dem Duo zum Interview verabredet, um über die Wiederveröffentlichung ihres Debütalbums, ihre knapp 30-jährige Karriere und Veränderungen in der Clubkultur zu sprechen.

Interviews, die nicht von Angesicht zu Angesicht stattfinden, sind fast immer mit technischen Schwierigkeiten verbunden. So dauert es auch diesmal seine Zeit, bis alle Teilnehmer ihren Weg in den Zoom-Call gefunden haben und die Aufnahmeprogramme startbereit sind. Nach einigem hin und her erscheint schließlich das breit lächelnde Gesicht von Thomas Köner auf dem Bildschirm, während Andy Mellwig zwar zu hören ist, jedoch unsichtbar bleibt.

Die beiden wirken gut gelaunt, aufmerksam, und vor allem Köner lässt sich immer wieder zu kleinen Witzeleien hinreißen, über die er sich selbst mindestens genauso doll freut wie der Rest der Anwesenden. Das Duo wählt seine Worte mit Bedacht, reagiert scharfsinnig auf das Gesagte und setzt seine Antworten mitunter in einen größeren Zusammenhang, ohne dabei elaboriert daherzuschwafeln. Während Mellwig sich in detaillierten wie interessanten Ausführungen ergeht, lässt Köner seinen Gedanken freien Lauf, und am Ende erhält man eine Antwort, die wesentlich mehr über ihre Urheber preisgibt, als die Frage vermuten ließe.

So sahen Porter Ricks im Jahr 2001 aus (Foto: Presse)

Nachdem geklärt ist, dass das letzte GROOVE-Interview in den Neunzigern stattfand, ist klar, dass es eine Menge Redebedarf gibt, und wir nutzen die Wiederveröffentlichung der beiden ersten Alben Biokinetics und Porter Ricks 2021 als Gesprächsaufhänger. Beide erschienen in der zweiten Hälfte der Neunziger auf Chain Reaction bzw. Mille Plateaux und gelten nach wie vor als wegweisende und trendsetzende Tonträger des Dub-Technos. Genau dieser Kultstatus der Alben war letztendlich auch der Auslöser für die Wiederveröffentlichung: „Da ist stellenweise so gutes Material drauf enthalten, dass es eine Sünde gewesen wäre, das nicht wieder verfügbar zu machen. Zumal es in unserem Genre eine Kontinuität bzw. Entwicklung der Stile und Eleganzen gibt.”

Nun könnte man argumentieren, dass beide Alben bereits bei ihrer Erstveröffentlichung einen entscheidenden Beitrag zu jener Kontinuität geleistet haben. Doch der Sound von Porter Ricks scheint so einzigartig, dass er es schafft, innerhalb seines Genres nach wie vor relevant zu sein. „Die Techniken, die wir damals verwendet haben, waren zum Teil so futuristisch, dass wir noch heute Schwierigkeiten haben, sie einzuholen. Insofern ist das scheinbar alte Material eigentlich das aktuellste.”

Bereits 1998 grinsten Mellwig und Köner vom Cover des Wire Magazine.

Pathetisch formuliert waren Porter Ricks also bereits in den Neunzigern ihrer eigenen Zukunft voraus. „Ich würde das nicht auf alle Tracks beziehen, aber eine Wiederveröffentlichung ist immer auch dokumentarisch. Außerdem hat jeder Hörer und jeder Freund des Genres seine eigenen Schwerpunkte und eigenen Magnetismen.”

„Wir sind brennende Verehrer vieler schwarzer Musiker.”

Andy Mellwig

Im Gespräch kristallisiert sich heraus, dass das Duo von der Mehrzahl der Hörer:innen nach wie vor mit Biokinetics assoziiert wird. Dieser Umstand erklärt auch das unweigerlich prägnante Nachleben des Albums, in dessen Fahrwasser seinerzeit eine ganze Welle an Porter-Ricks-inspirierter Musik produziert wurde. Die Reaktion der beiden auf diesen Umstand fällt bescheiden aus, und die Musiker geben zu bedenken, dass auch sie von anderen, vor allem schwarzen Künstler:innen, zu ihrem eigenen Schaffen inspiriert wurden.

So betont Mellwig: „Wir sind brennende Verehrer vieler schwarzer Musiker. Die haben uns enorm viel Inspiration verschafft – wir sind regelrecht erfüllt davon.” Köner fügt hinzu: „Wir haben auch nicht bei null angefangen, sondern Resultate einfach weiter ausformuliert und vielleicht radikalisiert.” Außerdem stellt er fest, dass der Pionierstatus nicht nur positive Seiten hat und er sich teilweise als Initiator eines Wettbewerbs innerhalb der von ihm so genannten „Techno-Familie” begreift. Dennoch „ist es am Ende schön, einen Beitrag geleistet zu haben, der als Proviant oder Wegzehrung für andere Künstler:innen dient.”

Der Stil von Porter Ricks blieb gleich, mit den Jahren veränderten sich nur die Pressefotos (Foto: Presse)

Die von Köner angesprochene Radikalisierung von Bestehendem gewährt dabei einen Einblick in die Denkprozesse hinter dem Sound von Porter Ricks und vor allem dem von Biokinetics. So veranschaulicht er diese Radikalisierung am Beispiel des Miles-Davis-Live-Albums Agartha von 1975: „Wenn man sich vorstellt, dass diese Band in einer Zeitmaschine 25 Jahre vorwärts geschleudert wird – wie würde sich ihre Rhythmusgruppe dann verhalten? Diese Frage haben wir uns gestellt und die Antwort lediglich ausformuliert.”

Für alle, die sich nicht genügend mit Jazz auskennen, um diesen Gedanken nachvollziehen zu können, führt Mellwig noch ein zugänglicheres Beispiel an: „Unser ursprüngliches Konzept hinter Biokinetics war die Tatsache, dass in menschlichen Vorzeiten Tierbewegungen und Tierlaute als Inspirationsquellen für Tanz und Musik dienten. Wir hatten die Vision, das gewissermaßen aufzuarbeiten – die Geschmeidigkeit eines Geparden in Zeitlupe, der Blick des Menschen auf tierische Bewegung. Diese Gedanken haben wir genommen und weiterentwickelt bzw. radikalisiert.”

Backstage räumen Porter Ricks schon länger nicht mehr auf. (Foto: Presse)

Die Antworten zeigen es bereits: Porter Ricks sind nicht nur musikalische Virtuosen, sondern auch musikgeschichtlich extrem bewandert. Tatsächlich kam die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden sogar erst über jenes gemeinsame Interesse zustande. 1994 jobbten Köner und Mellwig, um sich über Wasser zu halten, in den Ruhrsound Studios in Dortmund, einem Betrieb, der sich vor allem auf Fernseh-Postproduktion konzentrierte. Als man sich dort in der Teeküche über den Weg lief, kam es relativ schnell zum Austausch über gemeinsame musikalische Interessen. „Andy hatte zum Teil nicht nur sehr extreme Ansichten, sondern auch enormes Wissen und historischen Überblick über die Musikgeschichte. Außerdem hatte er eine extrem große Plattensammlung, das war hochspannend.”

„Aus den Archäologen sind Futuristen geworden.”

Thomas Köner

Dementsprechend bestanden die ersten zwei bis drei gemeinsamen Jahre des Duos weniger aus der Musikproduktion als aus dem verbindenden Musikgenuss. „Am Anfang war unsere Zusammenarbeit eher theoretische Reflexion über das, was da ist. Ein akkumuliertes, historisches Geröllfeld, aus dessen Bruchstücken sich der Drang ergab, etwas aufzubauen. Wir hatten nicht vor, berühmt zu werden oder uns darzustellen. Es war eher so, dass aus den Archäologen Futuristen geworden sind.”

Ob Thomas Köner mit diesen Ausführungen nun das gemeinsame Erforschen und Hören von Musik unter dem Einfluss verschiedener bewusstseinserweiternder Hilfsmittel oder die höchst intellektuelle Diskussion und Reflexion über konsumierte Inhalte beschreiben möchte, lässt sich nicht genau sagen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

Doch wie schon öfter im Laufe des Gesprächs springt Andy Mellwig seinem Partner mit einer greifbareren Präzisierung zur Seite: „Wir waren uns von Anfang an sehr sympathisch und haben kleine Musik-Partys veranstaltet, bei denen wir uns gegenseitig unsere Best-ofs präsentiert haben. Die große Entdeckung war dann, dass wir beide glühende Händel-Verehrer waren und auch noch sind. Ich denke, das waren die wesentlichen Impulse, die zu unserer schöpferischen Zusammenarbeit geführt haben.”

Die Resultate dieser Zusammenarbeit sind heute essenziell für Dub-Techno und damit auch für die elektronische Clublandschaft. Wobei Porter Ricks um die Jahrtausendwende herum selbst eine Veränderung in den Clubs wahrnahmen: „Da hat sich etwas verlagert. Die Erwartung oder der Gewinn hat sich vom Abenteuer zu einem kalkulierbaren Wohlbefinden gewandelt. Das Publikum hat angefangen, sich eine genau definierte Wirkung zu versprechen, und das steht im Widerspruch zum Abenteuer. So was ist beklagenswert, wenn man den Club als Experimentier- und nicht als Profitfeld sieht. Aber natürlich ist das Klagen auf hohem Niveau.”

Porter Ricks 2001 (Foto: Presse)

Trotzdem hängt die vorübergehende Zerstreuung des Duos sicherlich auch mit der beschriebenen Entwicklung zusammen. Denn nach dem selbstbetitelten Album von 1997 erschien die nächste und bis dato letzte LP erst 2017, also 20 Jahre später. In der Zwischenzeit konnte Köner durch diverse Ambient-Veröffentlichungen auf sich aufmerksam machen, während Mellwig sich seiner Leidenschaft für klassische Komposition widmete und in Mexiko die „spanisch-niederländische Kultur der Polyphonie wieder aufleben ließ.”

„Das Publikum hat angefangen, sich eine genau definierte Wirkung zu versprechen, und das steht im Widerspruch zum Abenteuer.”

Es mag schicksalhaft anmuten, doch genauso wie am Anfang der Zwanziger fand das Duo auch in den Zehnerjahren über Biokinetics zurück zum gemeinsamen Arbeiten. Mellwig erklärt: „Das letzte Album kam im Grunde durch die Nachfrage nach der Wiederveröffentlichung der Biokinetics zustande. Diese Aufforderung unseres Publikums hat uns wirklich in Fahrt gebracht.” Auch Köner pflichtet dem mit spielerischer Ironie bei: „Das kam von außen. Dieses ständige ‚Kommt zurück, wir brauchen euch, lasst uns nicht hängen hier in der Wüste’, das war ein starker Faktor.”

(Foto: Presse)

So mag es zwar stimmen, dass Porter Ricks niemals mit ihrer Musik berühmt werden wollten, jedoch zeigen sowohl die Zeit als auch dieses Interview, dass die Realität mittlerweile anders aussieht. Mit Sicherheit sind Andy Mellwig und Thomas Köner keine Stars, allerdings sind sie für einen nicht unbeträchtlichen Kreis an Fans nach wie vor wahre Lichtgestalten eines spezifischen Sounds und einer damit einhergehenden Art zu feiern.Im Umkehrschluss scheint der Austausch mit den Fans dem Duo Energie und Kraft zu geben, um sich neu zu verwirklichen und zu erfinden. Von diesem Aspekt aus betrachtet scheint es gar nicht so hypothetisch, dass Porter Ricks vielleicht noch einmal eine LP veröffentlichen – sofern die Nachfrage des stets geschätzten Publikums denn laut genug ist.

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