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Mein Plattenschrank: Levon Vincent

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Obwohl er seit den späten Achtzigern als DJ aktiv ist, hat Levon Vincent die stilprägende Zeit des New York House in den frühen Neunzigern mehr oder weniger verpasst. Aber Vincent leidet nicht darunter, Nachgeborener zu sein. Eher zehrt seine Musik von der nachdenklichen, reminiszenten und bisweilen etwas melancholischen Stimmung, die sich daraus ergibt.

Mit den NY-House-Gassenhauern von Masters At Work, Todd Terry oder Kerri Chandler hat er wenig am Hut. Sein großes Vorbild ist Ron Trent mit seinem sphärischen, entrückten, spirituellen Sound, dem Vincent eine elektronische Färbung gibt, indem er ihn mit europäischen Einflüssen verschmilzt. Trents Musik handelt vom afroamerikanische Musikerbe allgemein – Vincents Plattenschrank kreist darum, wie diese Musik die Stadt New York in den Achtzigern geprägt hat und wie ab deren Ende Einflüsse von jenseits des Atlantiks zum Tragen kamen.


Rockers Revenge feat. Donnie Calvin – Walking on Sunshine ‘82 (Streetwise, 1982)

Ich bin während der Achtziger in New York aufgewachsen. Das Label Streetwise war eines meiner größten Einflüsse. Ich weiß allerdings nicht mehr, wo ich Rockers Revenge zum ersten Mal gehört habe. Wahrscheinlich im Radio, aber man hörte diese Art von Musik auch an den Straßenecken. So bin ich übrigens mit elektronischer Musik in Berührung gekommen – ich hörte  „Hip Hop, Be Bop (Don’t Stop)” von Man Parrish in der Nähe des Times Square. Meine Freunde und ich haben später vor der Schule zu diesem Lied getanzt. „Walking on Sunshine ’82” war aber noch wichtiger. Man hörte den Track überall, konnte ihm nicht entkommen. Eine große Platte!

Levon Vincent in seiner Berliner Wohnung (Foto: Alexis Waltz)

Sie wurde von Arthur Baker produziert, der mit Afrika Bambaataa, aber auch mit New Order zusammengearbeitet hat.

Er gründete Streetwise und leistete einen großen Beitrag zur Musikkultur New York Citys – so groß wie der Beitrag von Def Jam. Außerhalb New Yorks mag das nicht so angekommen sein, aber die Stadt wurde von Streetwise dominiert. Es gab eine Platte, die zwar nicht auf Streetwise erschien, aber einen ebenso nachhaltigen Einfluss auf die Musik der Stadt hatte: „Let The Music Play” von Shannon. Den Track könnte man heute noch in der Panorama Bar auflegen und die Leute würden durchdrehen.

Weather Report – Heavy Weather (Columbia, 1977)

Das ist eine meiner drei Lieblingsplatten. Ich weiß nicht, was ich noch dazu sagen soll.

Wann hast du das Album zum ersten Mal gehört?

Ich kannte diese Zwillinge, Rudy und Jose Rodriguez. Ihr Bruder spielte Tracks wie „Go Bang” oder Sachen von Steely Dan und Weather Report. Ich war ungefähr zehn. Er war sechs oder sieben Jahre älter und hatte großen Einfluss auf mich. Bei ihm sah ich schließlich das erste Mal, wie jemand zwei Platten gleichzeitig abspielte. Er hat mir später auch gezeigt, wie man mit Beats jongliert. Das war zu einer Zeit, als die Hip-Hop-Kultur dasselbe war wie die House-Kultur. Es gab sogar Rapper auf House-Platten.

Und das Stück „Palladium”?

Es ist mein Lieblingssong auf der Platte. Man hat sogar einen New Yorker Club nach dem Lied benannt. Und ich habe ihn gecovert. Bis heute habe ich das Stück nicht veröffentlicht, aber oft live gespielt.

Wie hast du das Stück gecovert?

Ich hab den Track wärmer gemacht, sodass ich ihn während Gigs spielen kann, bei denen die Settime mit dem Sonnenaufgang zusammenfällt.

Dein Track ist euphorischer als das Original.

Etwas wie „Jazz 303” von Joey Beltram würde gut ankommen, dachte ich mir. Die meisten Acid-Platten haben eine zweideutige Tonalität, also wollte ich westliche Musik mit Jazz mischen.

Grace Jones – Nightclubbing (Island, 1981)

Ich habe früher in einem Laden in Manhattan gearbeitet: The House of Field von Patricia Field. Mitte der Neunziger, als Sex and the City on air ging, wurde Patricia sogar Kostümdesignerin für die Serie. Das brachte ihr kulturelle Anerkennung, die über die Voguing-Szene hinausging. Mittlerweile sieht man Patricia auch in Boulevard-Nachrichten, wo sie über Kleider auf der Oscar-Verleihung spricht. So wurde sie selbst Teil der Popkultur. In den Achtzigern hatte sie aber einen Laden aus den Fünfzigern. Sie war schon damals oldschool, hat viele verschiedene Epochen und Modetrends miterlebt. Und mit der Voguing-Kultur einen großen Beitrag zur House-Musik geleistet.

Was hast du damals für sie getan?

Ich habe im Keller Infokärtchen für die Kleidung geschrieben. Nach zwei Jahren kam ich ins Lager – ein verrückter Ort! Alle, die dort arbeiteten, waren in irgendetwas talentiert. Es spielte keine Rolle, ob man Musiker, DJ oder Designerin war. Patricia kam und ließ dich Dinge machen. So kam ich zum ersten Mal zum Auflegen. Am Wochenende, in ihrem Laden.

Was ist mit „Nightclubbing”?

Eigentlich ist das Stück von Iggy Pop, aber Grace Jones hat es gecovert. Sie ist unglaublich, ich vergöttere sie. (Spielt den Song)

Hast du sie jemals getroffen?

Nein, ich habe sie zwar in Clubs gesehen, mich aber nie getraut, zu ihr hinzugehen und Hallo zu sagen. Selbst heute, wenn ich DJs treffe, deren Musik mir gefällt, kann ich oft nicht mit ihnen reden. Manchmal denken die Leute deswegen, ich sei unhöflich, aber das bin ich nicht. Ich werde nur schüchtern. Wie auch immer. Die Produktion und die Technik auf Nightclubbing sind hervorragend, wenn man sich den Hall und dieses Echo anhört.

Wo hast du die Platte zum ersten Mal gehört?

Im Laden von Patricia Field. Dort arbeiteten fast nur Dragqueens. Sie legten mindestens einmal am Tag diese Platte auf und tanzten dazu. Als 18-Jähriger fand ich das aufregend – auch weil die Leute über zehn Jahre älter waren als ich. Trotzdem glaubten sie an mich und sahen, dass etwas in mir steckte, das gefördert gehört. Deshalb brachten sie mir alles über Clubbing, die Kultur und Musik bei. Übrigens: Das Mädchen, das mir damals den Song vorgespielt hat, hieß Dana. Sie hat immer Szenen aus dem Horrorfilm Carrie zitiert. Stell dir vor, wie diese Dragqueen herumhängt und all diese Carrie-Zitate aufsagt.

2 Body’s – 4 Dancetrax (House Records, 1989)

1989 arbeitete ich in einem Club, dem Sugar Reef. Dort machte ich meine erste richtige DJ-Erfahrung – auf einer Party namens Sugar Babies. Die Veranstalter wussten, dass ich manchmal auflegte, also bekam ich die Chance, am Ende einer Nacht bei ihnen zu spielen. Ich war ein Teenager. Heutzutage wäre das unmöglich. Schließlich kann man als Teenager nicht mehr in einer Bar arbeiten.

Jedenfalls führte mich „French Kiss” von Lil’ Louis in die europäische elektronische Musik ein. Später produzierten 2 Body’s eine „Gay Version” des Tracks. Die Platte wurde in Belgien von New-Beat-Leuten gemacht, aber sie hat ein House-Tempo. Außerdem war das Cover cool, weil sie darin aus Mann und Frau „Two Men Having Sex” machten. Das mag kitschig klingen, aber damals war das für manche ein Skandal. Die Songs, die ich am meisten gespielt habe, waren allerdings „Astoria” und „Body Drill”. Ich würde sie heute noch immer spielen, aber es ist schwierig. Ich habe „Astoria” vor ein paar Jahren im Berghain aufgelegt, aber es klang

zu flach?

Ja, damals hat man die Bässe rausgeschnitten, um die Platte lauter zu machen und die Nadel auf einer Rille zu halten. Wenn man das heute mit einer Produktion von Shed vergleicht: Da wackeln keine Wände. Trotzdem ist es eine großartige Platte, die einen großen Einfluss auf mich hatte, weil ich durch sie gelernt habe, wie man einen schicken Tonartwechsel hinbekommt.

Polygon Window – Quoth (Warp, 1993)

Mit der Platte wurde ich – neben der Musik von LFO und Sweet Exorcist – auf Warp Records aufmerksam. Das war eine Riesensache, schließlich waren New York und Chicago ihr eigener Organismus. Natürlich konnte man Platten aus diesen Städten spielen, aber erst die Musik aus Großbritannien war wirklich aufregend, gerade die frühen Sachen auf Warp! Das war eine Musikkultur, die wir nach New York brachten und von der die Leute begeistert waren.

Warp hatte im Vergleich zu Labels aus New York eine andere Sicht auf elektronische Musik. Wie erinnerst du dich an den Moment, als du das erste Mal eine Platte aus Großbritannien aufgelegt hast?

Ich habe den Sound mit New Age assoziiert. Aphex Twin brachte davor Selected Ambient Works raus – das hätte ich nie mit Clubmusik aus New York in Verbindung gebracht. Erst Jahre später, als das ganze Rave-Zeug nach New York kam, wurde mir klar, dass man in Großbritannien die Musik aus New York oder Chicago gehört hatte. Dieser Sound war ihre Interpretation davon. Davor wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass die dort drüben wüssten, wer Todd Terry ist.

Warp begann eigentlich als Plattenladen für Importe aus den USA.

Ziemlich cool! Ich weiß noch, wie ich Selected Ambient Works für die Dragqueens im Laden von Patricia Field gespielt habe. Sie meinten: „Mach’ den Scheiß aus und leg wieder Grace Jones auf!” Aber ich mochte die Musik – genauso wie den Output, den er unter dem Namen Polygon Window veröffentlichte. Ich werde nie vergessen, wie ich „Quoth” auf einem Warehouse-Rave hörte. Es war so laut und kraftvoll!

Nick Holder – Erotic Illusions (DNH Recordings, 1994)

Erotic Illusions war in den USA wirklich groß. Ich wette, die Platte erschien auf K7, mal sehen – nein. Vielleicht habe ich den Namen falsch in Erinnerung, aber mal ehrlich: Sobald du dich um ein Baby kümmern musst und höchstens zwei Stunden pro Nacht schläfst, wird dein Gehirn zu Brei. Also schauen wir mal, von wem der Track ist. Ich glaube, das ist, (spielt Lied) ja, das ist es. Ich liebe es, diese Platte zu spielen. Ich weiß nicht, ob es eine einflussreiche Platte war oder nicht, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals Musik in diesem Stil produziert zu haben. Nick Holder schafft immer eine ganz besondere Atmosphäre im Club. Ich will nicht sagen, dass es sinnliche Musik ist, aber sie erzeugt eine zarte Atmosphäre.

Stimmen schaffen etwas, zu dem Instrumente nicht in der Lage sind.

Vor allem, wenn wir über Drumcomputer sprechen! Plötzlich hört man eine schöne Stimme, das macht ein Stück menschlich. Vielleicht ist es das, was ich zu sagen versuche – die Musik ist menschlich!

Levon Vincent in seiner Berliner Wohnung (Foto: Alexis Waltz)

Es ist ähnlich wie bei einer Platte von Larry Heard.

Ja, wie „Closer” fühlt es sich wie eine Umarmung an! Eine, die für viele Leute auf der Tanzfläche eine Menge verschiedener Dinge bedeuten kann. Aber gerade das liebe ich am Auflegen: Alle paar Monate sieht man, wie sich zwei Leute auf dem Dancefloor treffen, und drei Stunden später küssen sie sich. Diese Platte ist großartig, wenn man das mitbekommt und irgendwie einleiten will, dass – ich will nicht zu schmierig werden. Es ist nicht so, dass ich versuche, jemanden zum Sex zu verleiten. Aber in dem Moment hilfst du damit, eine Liebesbeziehung einzuleiten.

Das ist eine romantische Vorstellung.

Wer weiß, für wie viele Babys ich verantwortlich bin? Das ist eines der vielen kleinen Dinge, die ich als DJ genieße. Jedenfalls ist diese Platte perfekt, wenn du zwei Leute umschlungen auf dem Dancefloor siehst. Gleichzeitig kann sie für viele Leute eine ganz andere Bedeutung haben – es ist ein großartiger Song, den ich schon seit Langem spiele.

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