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Traumburg: Alte Mauern, entrückte Tage und lange Nächte

Im beschaulichen Dornburg, einem Ortsteil der 20.000-Seelen-Stadt Gommern in Sachsen-Anhalt, wurde das gleichnamige Schloss aus dem Spätbarock vom 11. bis zum 14. August zu einem Rastplatz für eine kleine Community von knapp 500 Besucher:innen und Supporter:innen, gemacht von Freund:innen für Freund:innen.

Die verlassenen Schlossmauern verwandelten sich zum bereits dritten Mal in einen Schauplatz für allerlei Formen von Musik, visueller Kunst, Performances und Workshops. Vorgetragen von Künstler:innen und Acts hauptsächlich aus Berlin, Leipzig und den Niederlanden konnten sich die Besucher:innen unterschiedlichsten Genres hingeben, sowohl körperlich als auch mental.

„Angefangen hatte das ganze vor drei Jahren als ein kleines Get-Together für circa 70 Freund:innen, natürlich unter Einhaltung der damals geltenden Corona-Maßnahmen”, erzählt Jan Goldmann, Mitinitiator und Mitgestalter des Traumburg. Auf einer Seite für Hochzeits-Locations wurde die Gruppe auf das verwitterte Schloss aufmerksam, das wie geschaffen für eine mehrtägige Beschallung schien. Doch zunächst musste der komplett verwilderte Hofgarten von Dornbüschen und anderem Unkraut befreit werden, bevor irgendjemand überhaupt einen Fuß in den späteren Bereich der Garten-Bühne setzen konnte.

Das Schloss (Foto: Leon Schuck)

Mit viel Unterstützung, monatelanger Planung sowie den dazugewonnenen Erfahrungen stellen die Veranstalter:innen 2022 das bisher größte Traumburg auf die Beine. Mit einem Awarenesskonzept und -team, 80 Supporter:innen, 80 Künstler:innen, zwei Foodtrucks mit regionalen Produkten, sanitären Einrichtungen (mit Spülung) und Duschkabinen, einer eigenen Währung für die Bezahlung der Getränke an den zwei gut bestückten Bars und Traumburg-Bechern zur Müllreduzierung lässt das durchdachte Konzept keine Wünsche für die feierhungrigen Besucher:innen offen.

Nicht nur die Sonne strahlt (Foto: Leon Schuck)

Selbst für die Zugreisenden wird ein kostenloser Shuttlebus angeboten, der auch uns am Donnerstagnachmittag von der Bahnstation bis zur von mächtigen Bäumen gesäumten Auffahrt des Schlosses fährt. Das Wetter ist gut, und der schon warme Wegsekt in der Hand macht diesen beeindruckenden Empfang nicht weniger fürstlich.

Endlich wieder campen (Foto: Leon Schuck)

Am Eingang bekommt jede Gruppe eigene Mülltüten, ein Bändchen und die erwähnten Traumburg-Becher überreicht. Durch das kunstvoll dekorierte Haupttor des Schlosses gelangen wir in den Schlossgarten, vorbei an der Garten-Bühne schlagen wir unser Zelt im hinteren Teil des Außenbereiches auf dem Campingplatz auf. Er bietet genügend Schatten, auch wir bekommen einen kühlen Fleck unter einer kleinen Eiche. Für eine Abkühlung bietet sich der am Schloss gelegene See an. Nach der kurzen Erfrischung begeben wir uns auf die erste Entdeckungstour übers Gelände. Beim ersten Blick auf den hinteren Teil des Schlosses sticht sofort eine feine LED-Schnur ins Auge, die durch die Türe des Balkons im ersten Stock ins Innere fließt.

Eine Form von Kunst (Foto: Leon Schuck)

Diese Installation von huecore erzeugt spielerisch einen Kontrast zwischen der verschnörkelten Fassade des barocken Schlosses und der Geradlinigkeit und simpel gehaltenen Schönheit des tanzenden Lichtschweifs unseres Zeitalters.

Der Donnerstag stand ganz im Zeichen des Ankommens, musikalisch wurden entspannte Breakbeats und House im Garten geboten, eine erste experimentelle Klang-Performance von Adomas & Greta mit visueller Untermalung erwähnter LED-Installation gab den Besucher:innen im ersten Stock der Traumburg einen kleinen Vorgeschmack. Mit dem Act Traum Trax legten zwei Mitveranstalter des Festivals in der noch jungen ersten Nacht im Garten los und brachten mit ihrem variablen Sound und einer schön gewählten Mischung an Genres die Meute zum Tanzen. Was bereits am ersten Abend auffällt, ist die familiäre Atmosphäre. 

Von der Schlossmusik… (Foto: Leon Schuck)

Der Freitag bietet dann ein paar echte musikalische Leckerbissen. Mit Claus Schöning und Anna Z b2b J.Manuel sind dieses Jahr auch Künstler:innen vom Berliner Label Spandau20 vertreten, die mit ihrer Finesse und Erfahrung im Zusammentragen von Tracks zu begeistern wissen und am Nachmittag zwei mitreißende Sets zum Besten geben. Am Abend folgt eine ekstatische Live-Performance von Live Rave Theatre, die mit hypnotisierenden Beats die Menge im Schloss mitreißt. Zeitgleich eröffnet eines der Highlights der Traumburg: der Keller.

…in den Keller (Foto: Leon Schuck)

Ein handgefertigtes Soundsystem von Kantarion Sound beschallt das Gewölbe an diesem Wochenende im Untergrund der Traumburg mit ordentlich Druck. Die ansonsten kühle Stätte verwandelt sich schnell in einen verschwitzten Bunker, den bunte Blitze an der Decke durchzucken. Die Antwort auf die Frage, was musikalisch in dieses Setting passt, ist wohl klar: Hier läuft Techno in all seinen Ausformungen und Auswüchsen. Egal, ob live, Vinyl only oder mit USB-Stick, die DJs lassen die mit Polstern gedämpften Mauern beben. Immer wieder höre ich in Gesprächen der Besucher:innen, dass besonders das Set von HyperLili aus Rotterdam begeisterte, was ich nur bestätigen kann.

Wo Blitze zucken, ist Spandau20 nicht weit (Foto: Leon Schuck)

Zur technoiden Gradlinigkeit liefert Traumburg gleich eine Reihe von Kontrastprogrammen. Groovende Funk-Sounds spielt zum Beispiel DJ Fidi am Samstagnachmittag, young oldmann weiß mit Acid- und Italo-Disco-Platten umzugehen und Sandburg überrascht mit einer bezaubernden einstündigen Performance mit märchenhaftem Folk und einem Hauch Flamenco. 

Folk, Flamenco oder doch nur Farben in der Nacht? (Foto: Leon Schuck)

Den extra angereisten Bewohner:innen des Umlands scheint der mehrtägig andauernde Trubel ebenfalls zu gefallen. „Selbst unsere Oma mag es hier. Endlich passiert mal was mit dem eingestaubten Ding”, erfahre ich von einem Gast, der seine über 90-jährige Großmutter mitgebracht hat. Weiter erzählt er, dass sie das Schloss schon kannte, als dort noch eine Adelsfamilie wohnte. Wo heute junge Menschen in einer Community zusammenkommen und sich von Musik und Kunst begeistern lassen, riefen früher die Hofdamen zum Ausritt.

Weil Träume irgendwann zu Ende gehen – bis nächstes Jahr (Foto: Leon Schuck)

Die Verbindung von Intimität, Community und DIY-Flair machen den Abschied am Sonntag schwer. Die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen, der freundschaftliche Umgang untereinander, die Vielfältigkeit der dargebotenen Künste in jeglicher Form, egal ob Musik oder Kunst, und eine dennoch spürbare Professionalität und Sicherheit in Kombination mit der einzigartigen Location machen das Traumburg zu dem, was viele große Festivals vergeblich versuchen, künstlich zu erschaffen.


Transparenzhinweis: Autor Leon Schuck und der Mitveranstalter des Traumburg, Jan Goldmann, haben beide Praktika beim Groove Magazin absolviert.

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