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Meine Stadt: DJ Marcelle über Amsterdam

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DJ Marcelle im Plattenladen Red Light Radio (Alle Fotos: Privat)

Anfang Juli veröffentlichte DJ Marcelle das Album DJ Marcelle: The Musical und mit ihm einen weiteren unorthodoxen Tonträger. Weitere Langspielplatten heißen Saturate the Market, Now! oder Explain the Food, Bitte. Titel und Musik liegen fernab der Norm, auf dem Cover ihrer aktuellen LP offenbart die Holländerin mit kompromissloser Punk-Attitüde obendrein noch, was sie von Musicals hält, und wie leicht es ihr fällt, ein solches zu droppen.

Ihre musikalischen Einflüsse sind zu mannigfaltig, um sie hier allesamt aufzuzählen. In ihren Sets mixt sie Tracks, die sie fordern und etwas Besonderes an sich haben. Etwas Atonales, etwas, das ins Ohr springt oder etwas, das so obskur klingt, dass es die Crowd unter Garantie vor den Kopf stößt. Für den Club übliche Sounds stehen neben Tiergeräuschen oder unbarmherzigen Drumkapriolen. Berliner*innen konnten sich von Marcelle van Hoofs Sets schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts am Nasenring durch die Manege führen lassen, als die Amsterdamerin noch Resident im kleinen Neuköllner Bar-Club Bei Ruth war.

Wenn nicht gerade Lockdown ist, spielt Marcelle praktisch jedes Wochenende wo anders, was angesichts ihres unangepassten Sounds einer mittleren Sensation gleichkommt, andererseits als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die Szene doch nicht so engstirnig ist wie oft behauptet. Was sie in und um Amsterdam so macht, wenn sie zwischen den Gigs mal etwas Zeit zum Entspannen findet, hat sie für die neue Ausgabe von Meine Stadt notiert. Spoiler: Ihre Freizeitinteressen sind so breit gestreut wie ihr Musikgeschmack.


Flohmarkt am Ouderkerplas, Ouderkerk aan de Amstel

DJ Marcelle Meine Stadt Markt by Privat

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist das Besuchen von Flohmärkten in und um Amsterdam. Der hier ist im tiefen Süden und ziemlich weit weg von zuhause. Deshalb kann ich den Besuch mit einem weiteren meiner Hobbys kombinieren: Vespa fahren.

Es gibt viele Gründe, wieso ich Flohmärkte liebe: Einer ist das Überraschungsmoment. Du weißt nie, was du kriegst – wie bei meinen DJ-Sets, die in allen Richtungen gehen können. Ich mag es, überrascht zu werden, ich mag die Atmosphäre und natürlich die Idee, Sachen wiederzuverwenden. Etwas Bestimmtes suche ich nie, Vinyl auf holländischen Flohmärkten ist größtenteils Schrott. Es macht mich glücklich, Zeug zu finden, von dem ich nicht mal wusste, dass es existiert. Zum Beispiel einen knallorangen Klopapierhalter, der gleichzeitig ein Radio ist!

Gerbrandypark

DJ Marcelle Meine Stadt Fußball by Privat

Ich bin nicht die große Sportlerin, aber Fußball hat mir immer Spaß gemacht. Viele Jahre habe ich in Ligen gespielt, aber ich musste aufhören, weil ich eine Weile fast jedes Wochenende Gigs habe. Am meisten interessiert mich mit Abstand der Geschicklichkeits-Aspekt. Beim Fußball geht es für mich darum, ein gutes Auge, eine gute Übersicht und eine gute Technik zu haben. Ich laufe nicht um des Laufens willen, wofür der deutsche Fußball immer bekannt war. Ich bin eine Stürmerin und mag das Verteidigen nicht. Die anderen Frauen in meinem Team gaben mir den Spitznamen „Diva”. Hin und wieder spiele ich noch in einem Park in der Nähe, und obwohl ich fetter und langsamer geworden bin, kann ich’s noch. Meine Lieblingsmannschaften: Ajax und Barcelona.

Museum van de Geest

DJ Marcelle Meine Stadt Museum by Privat

Andere DJs und Producer inspirieren mich nicht so sehr, weil die meisten von ihnen fast schon schauspielern. Das sieht man daran, wie sie alle auf die gleiche Weise auflegen und dabei posieren: Geneigter Kopf mit Kopfhörern, ernster Gesichtsausdruck, Berühren des Mixers auf klischeeartige Weise, oftmals tun sie fast gar nichts. Das finde ich meist langweilig. Meine Inspiration hole ich mir oftmals aus anderen Kunstgattungen, besonders von Art-Brut-Künstler*innen.

Sie sind nicht nur sehr originell und kreativ, ich mag auch, dass sie ihre Kunst einfach für sich selbst machen. Sie streben nicht danach, „Künstler*innen” zu sein, sie machen das nicht für Ruhm und Reichtum. Viel Art-Brut-Kunst hat eine Dringlichkeit, mit der ich mich identifizieren kann. Einfach sein eigenes Ding machen, ohne viel auf die Meinung anderer Leute zu geben. Ich denke auf ähnliche Weise: Es ist essenziell, dem Publikum immer einen Schritt voraus zu sein – live und auf meinen Veröffentlichungen. Man kann mich nicht in eine Schublade stecken. Musik und Kunst sollten sich um Freiheit drehen! Ich habe unter anderem in Paris, Lausanne und New York Art-Brut-Museen besucht und bin froh, dass Amsterdam auch eines hat.

Red Light Records

DJ Marcelle Meine Stadt Plattenladen by Privat

Offensichtlich mag ich es, Plattenläden auf der ganzen Welt zu besuchen. Jede Woche höre ich mir Stapel neuer Platten an, Sachen, die mich herausfordern könnten. Ich suche nie nach bestimmten Platten, sondern finde sie immer. Deswegen grabe ich so viel Komisches und Killer aus verschiedenen Genres aus. Was ich nicht mag: Hohe Synths, harten Rock und Synth-Pop. Auf einer Platte muss irgendwas Spezielles sein, ich suche nicht das Offensichtliche. Platten auf drei Turntables live zu mixen gibt mir viele Möglichkeiten, verschiedene Arten von Musik in verschiedene Kontexte zu packen, was für mich ebenfalls unerlässlich ist. Ein einzelner Technotrack klingt immer lebendiger, wenn er beispielsweise direkt nach einer Platte aus Uganda kommt. Oder, noch besser: Spiel’ beide gleichzeitig! Hol’ die Leute aus ihrer Komfortzone! Kreiere Euphorie!

James, der Besitzer von Red Light Records, weiß, dass ich sonderbare Platten mag, und hat immer gute Tipps auf Lager. Außerdem verkauft er meine eigenen Platten!

„Amsterdam Beach” (Zandvoort)

DJ Marcelle Meine Stadt Strand by Privat

Ich liebe es, an den Strand zu gehen – im Winter und natürlich im Sommer. Das Amsterdamer Tourismusbüro hat den Strand in Zandvoort vor ein paar Jahren „Amsterdam Beach” genannt, was natürlich Nonsens ist, aber immerhin kann ich den Namen jetzt in diesem Artikel verwenden. Der Strand eignet sich auch gut für eine schöne Vespa-Fahrt. Er liegt nur 40 Minuten von unserem Haus im Westen Amsterdams entfernt.

Ich bin keine gute Schwimmerin, suche aber immer nach einer Gelegenheit, wenn ich auf Tour bin. Meistens habe ich mich gefilmt, wenn ich ins Wasser gegangen bin. Man kann das Ergebnis auf YouTube finden. Such’ nach „DJ Marcelle’s Lockdown, Episode 9: How To Swim From A To Z”.

Buchhandlung Linnaeus

DJ Marcelle Meine Stadt Bücherei by Privat

Eine der schönen Seiten am Touren ist, dass ich viel Zeit habe, um Bücher zu lesen. Romane mag ich gern, vor allem absurde, psychologisch fordernde, dystopische. Bücher, die mich zum Nachdenken bringen. Thriller oder non-fiktionale Bücher interessieren mich nicht. Ich benutze gerne meine Vorstellungskraft und meinen Intellekt. Auch Kurzgeschichten liebe ich, zum Beispiel die Arbeit von Lydia Davis. Außerdem Kees ‘t Hart und viele weibliche Autorinnen wie Maartje Wortel, Annelies Verbeke und besonders Esther Gerritsen. Ich bin großer Fan und habe zu einer Autogrammstunde alle ihre Bücher mitgebracht und sie sie unterschreiben lassen. Sie hat auf Anfrage sogar ein Buch einer anderen Autorin signiert, was ihren Sinn für Humor zeigt.

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