Arnold Dreyblatt mit seinem Modular Organ System im silent green (Foto: Eunice Maurice)
Das CTM im Frühling – ein ungewohntes, pandemiebefördertes Schauspiel. Tief im Club ist’s aber auch im Mai dunkel, was den hier besprochenen Acts zupass kam. Wie immer hatte das Berliner Avantgarde-Festival ein Line-up gebucht, das allzu konventionelle Spielarten elektronischer Musik weitestgehend ausspart.
Trotzdem haben es in unsere Review zwei Techno-Acts geschafft, die den Berghain-Floor in gewohnte Ekstase versetzten. Außerdem mit dabei: Breaks und Glitches an selber Stelle, ein Oben-Ohne-Set ohne Genregrenzen in der Panorama Bar und matte, gefilterte Klänge für eine entrückte Stimmung im RSO.
Loraine James
Seit ihrem Debüt You And I auf Hyperdub 2019 ist Loraine James ein Name in der Dance-No-Dance-Musik. Ihre Produktionen tauchen regelmäßig in Radio-Mixen und experimentellen DJ-Sets auf. Man möchte meinen, dass die Britin zum Stammgast risikofreudiger (Klub)Performances geworden ist. Im Rahmen des diesjährigen CTM-Festivals schmiegte sich James‘ Auftritt ungezwungen an das Publikum, das unter Tanzmusik nicht nur laute Bässe und Hi-Hats versteht – selbst im Berghain nicht.
Die fordernden und Euphorie fördernden Beats, die zwischen UK-Garage, Perkussionen, Bass, 8-Bit-Piepen, und Kickdrums eine intime Zerbrechlichkeit transportieren, wirkten wie magnetische Verbindungselemente, die tanzende, mitfühlende Körper auf dem großen, weiten Berghain-Floor zusammenbrachten. Als Performerin steht Loraine James in ständiger Kommunikationssituation mit dem Publikum: „I know you might not like this one. So press the skip button” bietet sie auf Reflection von 2021 an. Aber Skippen ist was für jene, die Glitches nicht zu schätzen wissen. Bedeutet: das Publikum reagierte mit der Erkenntnis, dass James erst auf den Glitch aufmerksam machen musste, damit wir in ihm seine funktionsästhetische Bandbreite erkennen, im Klub und außerhalb. Franziska Finkenstein
Turkana
Turkana lacht. Ein monotoner Bass rollt über den Dancefloor, das Drumming schmiegt sich an dieses hypnotische Brummen an, das Raum und Körper der Tänzer*innen durchdringt und diese auf so kraftvolle wie subtile Weise in Bewegung versetzt.
Es ist kurz nach sechs im Robus, dem großen Floor des Revier Südost, an einem grauen, kalten Junimorgen. Entsprechend leer ist es auf dem Opan, dem Open-Air-Floor, der ukrainischen Künstler*innen gewidmet ist. Die Summe, den dritten Floor des RSO, bedient Kaymin von Gabber Modus Operandi souverän mit ironisch gebrochenen Kirmestechno, dessen Albernheit die Crowd nur zu gerne feiert.
Turkana scheint es dagegen nicht darum zu gehen, bei ihrer Crowd anzukommen. Eher wirkt sie zurückhaltend und neugierig, bereit, sich selbst überraschen zu lassen. Diese Nonchalance sollte man nicht als fehlende Ambition missverstehen. Ihr Sound folgt einem so entschiedenen ästhetischen Empfinden wie ihr Style. Das Weiß ihrer Felljacke spiegelt sich im blond gefärbten Haar, einen einzigen Akzent setzen große goldene Ohrringe. Ebenso eindeutig ist die klangliche Line, die das Set strukturiert: Turkana steht auf matte, gefilterte Klänge, die die eingangs erwähnte hypnotische, entrückte Stimmung erzeugen. Da wirft auch der Tempo- und Stilwechsel von Techno zu Ragga die Tänzer*innen nicht raus – sondern zaubert ihnen das versonnene Lächeln eines tiefen Genießens ins Gesicht. Alexis Waltz
Nene H
Es ist Samstagmorgen, die Uhr zeigt 5:45 Uhr. Der Raum verdunkelt sich vollständig. Sobald der erste Ton des Sets aus den Lautsprechern dröhnt, stürmt die Menge auf die Tanzfläche. Kein Wunder, denn ein Großteil des Publikums ist an diesem Freitag vor allem im Berghain, um das DJ-Set von Nene H zu erleben. Seit einigen Jahren ist sie fester Bestandteil des Festivals und jedes Jahr mit unterschiedlichen Performances präsent.
Zunächst fällt es schwer, die DJ und Produzentin zu entdecken, da sie ein tiefer gelegenes Pult bespielt als der vorige Live-Act. Schnell durch die Masse nach vorne gedrängt, um auch ja alles erspähen zu können, tropft bereits nach den ersten paar Minuten der Schweiß von der Stirn. Es ist eng und heiß, die Menge bewegt sich rhythmisch und dicht gedrängt, die Scheinwerfer formen trübe Lichtkegel und tauchen den Raum abgestimmt auf den Einsatz des dunklen Beats in einen surrealen Schimmer, der die homogene Menschenmenge in einen flimmernden Schleier hüllt.
Nene H präsentiert, was das Publikum erwartet – eine kompetente Synthese von Industrial-Techno und Einflüssen aus anderen musikalischen Genres. So integriert sie Songs wie „Dizzee’s Drift to Tokyo” von J.B. oder „Get Down” von Franck in ihr CTM-Set und begrüßt die Berghain-Crowd mit einem satten „Welcome-To-The-Party”-Lyrics-Sample von Pop Smoke, bleibt ihrem Stil dabei aber stets treu: Hart und dynamisierend. Celeste Lea Dittberner
I Hate Models
Zwar ist es schwer vorstellbar, aber bereits während des Auftakts von I Hate Models’ Set steigt die Anzahl der Raver*innen auf der Tanzfläche stetig. Schon bei Nene H dachte man, dass es nicht noch voller werden könnte, aber wieder einmal zeigt sich: Nichts ist unmöglich.
Mittlerweile lässt sich ein ungewollter Körperkontakt zu anderen Tanzwütigen nicht mehr vermeiden. Alles klebt und tropft, was für ein Berghain-Closing nicht gerade ungewöhnlich ist. Die Menge hält das nicht davon ab, sich ausgelassen zu bewegen – sie schwelgt im Beat und verzehrt den rigoros-sphärischen Sound.
Um sich ein gänzlich legeres Tanzvergnügen zu verschaffen, beginnen die Leute, ihre Glasflaschen auf den Lautsprechern abzustellen. Auch sie tänzeln gleichmäßig im Rhythmus. Einige davon hat der Bass bereits gefährlich nah an den Rand befördert. Ab 10 Uhr morgens leert sich der Dancefloor allmählich, und ein Großteil des Publikums trägt sich auf ausgelaugten Beinen Richtung Ausgang. I Hate Models spielt übrigens nach wie vor seinen BBC-Radio-1-Mix vom 14. Mai 2022 mit vereinzelten Variationen. Celeste Lea Dittberner
Bloomfeld
Oben ohne und die Augen fest fixiert auf die Decks steht Bloomfeld kurz vor Mitternacht in der Panorama Bar. Nachdem der DJ und Produzent gefühlte zehn Minuten funktionale Techno-Buildups ineinander mixt, ertönt auf einmal ein Track von Jlin. Der rhythmische Wechsel bringt die Crowd zum Ausrasten, ein Tänzer springt auf die Plattform vor den Decks und bewegt seine Gliedmaßen in alle Richtungen.
Anstatt einen Banger an den anderen zu reihen, spielt der in Berlin und London residierende Lobster-Theremin-Act gekonnt mit der Erwartungshaltung des um ihn versammelten Publikums. Ganz in der Manier seines Labels Overthinker Mob geht es in seinem Set um die Erforschung und Ausreizung von Grenzen innerhalb des oftmals rigiden Rahmens von Clubmusik.
Mit langgezogenen Buildups, einer Unzahl an Musikrichtungen und fluiden Übergängen hält Bloomfeld das Publikum auf den Zehenspitzen. Egal ob UK-Bass, Dubstep, Techno, Drill, IDM oder ethno-futuristische Beats: Bloomfeld findet Gelegenheiten, unterschiedliche Tracks zu einem authentischen Ganzen zu fusionieren, und lieferte eine elektrisierende Performance. Felix Gigler