Kerstin Meißner, Oliver Baurhenn, Carmen Herold (Foto: Presse, Camille Blake, Rachel Israela)

„There is no alternative”. So lautete der Slogan, mit dem die britische Premierministerin Margaret Thatcher ihre wirtschaftsliberale, konservative Politik inklusive Abbau des Sozialstaates legitimierte. Es ist der Slogan der Denk- und Innovationsfaulen, der Kalenderspruch für all jene, die den Kopf in den Sand stecken oder in den Rückspiegel schauen. Und es ist, so erklärt Patrick Raddatz vom Offenbacher Institut für Klangforschung in seiner Keynote zum Symposium EOS-05: PERSPEKTIVEN zur Wende der Clubkultur, das schnöde Argument einer durchkapitalisierten Clubkultur, die sich an einem in vielerlei Hinsicht schwierigen Status Quo festklammert.


Zukunft ist keine Fortschreibung von Vergangenheit, sondern ein Experiment”, bringt es Raddatz auf den Punkt und formuliert damit auch den Anspruch des vom EOS Radio Frankfurt und des Instituts für Klangforschung organisierten Symposiums in der Frankfurter Brotfabrik. Auf die Keynote, in der der Musikforscher die Kapitalisierung der Clubkultur umreißt und jene ungesunde Dialektik zwischen der in den Anfängen progressiv-widerständigen House- und Technokultur und einer durch und durch neoliberalen Industrie, der sie sich unterwirft – unterwerfen muss? Stichwort: Cultural Private Partnerships –, folgen zwei Podiumsdiskussionen mit Branchenprofis. Welche Alternativen gibt es?

Carmen Herold (Foto: Rachel Israela)

Im ersten Panel diskutieren Carmen Herold vom Club Zhao Dai in Beijing, Kerstin Meißner und DJ Sarah Farina von der Plattform Transmission, Kordula Kunert vom Livekommbinat, einem Verein, in dem sich elf Leipziger Clubs versammeln, und Nicky Böhm, Senior Manager des Berlin Atonal. Unter dem Titel „Clubcultural Engineering für solidarische und sozioökonomisch nachhaltige Strukturen” werden Aspekte und Bedingungen clubkultureller Arbeit und vor allem Maßnahmen zur Verbesserung thematisiert. Es geht um Solidarität, problematische Identitätspolitik, um prekäre Kulturarbeit und mangelnde Transparenz.

Techno wurde in Deutschland in den 1990ern auf Lokalpatriotismus gebaut, sagt Carmen Herold. Mit falschen Narrativen lässt sich viel Geld verdienen.

Kunert betont die Notwendigkeit von Allianzen in der Clubkultur, um größere Themen wie die Folgen der Gentrifizierung oder die prekäre Arbeitssituation der Kulturarbeitenden gemeinsam anzugehen. „So viel Liebe” sei auch von den „Partypeople” ausgegangen, deren Spenden in der ersten Pandemiephase so immens wichtig gewesen seien. Doch: „Man kann die Rettung der Clubkultur nicht auf den Rücken der Gäste austragen. Die Politik musste erkennen, dass sie unter die Arme greifen muss”, lautet der Appell an eine deutsche Politik, die ihr Verhältnis zur Kultur überdenken muss, wie Corona wieder gezeigt hat. Auch müsse, so Kunert, die Kultur- und Förderpolitik generationsgerechter gestaltet werden: die freien Szenen seien die Kulturmotoren, erhielten aber im Gegensatz zu einer nur 20 Prozent ausgelasteten Oper kaum Förderungen aus den Kulturetats.

Kerstin Meißner (Foto: Presse)

In der folgenden Diskussion ist das kürzlich in Frankfurt eröffnete MOMEM als Manifestation falscher Narrationen und eines problematischen Selbstverständnisses präsent. „Wir sollten in die Vergangenheit schauen und kritisch bleiben, um eine inklusivere Zukunft gestalten”, so Farina. Es sei wichtig, die Geschichte des Techno als schwarze Geschichte zu begreifen, ergänzte Meißner. Herold betont, dass der Techno in Deutschland in den 1990ern auf Lokalpatriotismus gebaut wurde. Mit falschen Narrativen lässt sich viel Geld verdienen.

Die Katze beißt sich in den Schwanz. Denn die Stars sind auch notwendig, um das Prekariat zumindest zu erhalten. 

Wie lassen sich gesunde ökonomische Interessen mit dem Solidaritätsprinzip verbinden? Das ist eine zentrale Frage der Diskussion. Es sei, so Herold, wichtig, nicht alles „super neoliberal” zu behandeln und Abhängigkeitsverhältnisse zu überdenken. Etwa beim grassierenden Personenkult: Die explodierenden Gagen der Stars, auf denen die kapitalisierte Clubkultur fußt, kommen nicht bei den Mitarbeitenden der Clubs an. Die Katze beißt sich in den Schwanz, denn die Stars sind auch notwendig, um das Prekariat zumindest zu erhalten. 

Sarah Farina (Foto: Guarionex Rodriguez)

Was also tun? Transparenz unter anderem bei den Gagen ist in der Diskussionsrunde ebenso Konsens wie das Nachdenken über neuartige Verwertungs- und Vergütungsmechanismen. Als Beispiel wird die Software Aslice erwähnt, die es DJs ermöglicht, auf freiwilliger Basis Teile ihrer Gagen an die Produzent*innen der gespielten Tracks auszuschütten.

Krypto-Kunst, digitale Kunstformate und einen neuen Klassismus an den Clubtüren

Das zweite Panel steht ganz im (Corona-)Zeichen der Digitalität. Unter dem Titel „Digitaler Clubkulturwandel und selbstbestimmte künstlerische Möglichkeitsräume” diskutieren 3hd-Gründungsmitglied Daniela Seitz, Martin Thomas, Gründer der Lo-Fi-Social-Media Plattform Restrealitaet, CTM-Festivaldirektor Oliver Baurhenn, Pascal Mungioli vom EOS Radio und die Kulturschaffende Zuri Maria Daiß.

Pascal Mungioli (Foto: Jaewon Chung)

Das Panel spannt einen Bogen von der Restrealitaet, die aus der Idee eines digitalen Gästebuchs entstand und heute nur dank der ehrenamtlichen Helfer*innen weiterexistieren kann, wie Thomas erzählt, hin zu digitalen Kunst- und Clubkulturformaten wie United We Stream und der Frage, ob die Digitalisierung eine Demokratisierung zur Folge hat.

 Heute ist alles politisch, erst recht, wenn eine Öffentlichkeit adressiert wird.

„Die Technologie nutzen, um mutige Dinge zu tun”, sei in der Pandemie wichtig gewesen, erklärt Baurhenn und erzählt von der kostenlosen Onlineausgabe des CTM, bei dem Zuschauer*innen den Künstler*innen Geld „droppen” konnten. Zwischen 70 und 120 Euro seien zusätzlich zum Honorar herausgekommen, so Daiß. Eine Onlineversion des Multimediafestivals 3hd, das aus der Frage entstand, was das Internet eigentlich ist, sei mangels Infrastruktur nicht in Frage gekommen. Man habe sich, so Seitz, auf Mikroformate im Freien mit rund 60 Leuten konzentriert, als Corona dies wieder zuließ.

Oliver Baurhenn (Foto: Camille Blake)

Über Themen wie Krypto-Kunst, digitale Kunstformate und einen neuen Klassismus an den Clubtüren aufgrund steigender Eintrittspreise landet die Diskussion schließlich bei der politischer Verantwortung und Kommunikation. Baurhenn irritiert mit der Aussage, dass ein Festival sich nicht positionieren müsse und es in den sozialen Medien nicht unbedingt nötig sei, aus dem Ruder laufende Diskussionen zu moderieren. Auch wenn das eine ungemütliche und arbeitsaufwändigere Erkenntnis ist: Heute ist alles politisch, erst recht, wenn eine Öffentlichkeit adressiert wird. Nicht handeln ist da keine Alternative.

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