Fixate – Fixate (Exit)
Seit acht Jahren macht der Londoner Produzent Declan Curran alias Fixate von sich hören. In überschaubarem Umfang, vor fünf Jahren erschien seine Mini-LP What Goes Around, darum herum ein paar EPs, das meiste bei Exit Records. Sein erstes „richtiges“ Album ist selbstbewusst selbstbetitelt, kann er aber auch ruhig machen. Sein geballtes Können im Zeichen des Drum ‘n’ Bass und den mit ihm in kontinuierlicher Verbindung stehenden Weiterentwicklungen entfaltet er ohne große Angeberei. Er setzt einfach Bass, Beat, Hall und weitere notwendige Zugaben mit so sicherer Hand zusammen, dass man unvermittelt rhythmisch mit dem Kopf nicken oder andere Zeichen der zustimmenden körperlichen Antwort geben möchte. Gäste holt er in Maßen hinzu, drei Viertel der Tracks bestreitet er allein. Fixate demonstriert einen No-nonsense-Ansatz im besten Sinn. Ob bei gedrosseltem Tempo („Backpedal“), mit metallisch synthetischen Effekten („Programmed to Fail“) oder eben doch den bewährten beschleunigten Amen Breaks – bevorzugt in der zweiten Hälfte des Albums –, Fixate ist in einer Weise monoton, die begeistert, und zugleich detailversessen, ohne es einem um die Ohren zu hauen. Großes Debüt. Tim Caspar Boehme
Galaxian – We Are Power (Foul-Up x Shipwrec)
Wenn Aphex Twin schon seit Jahren deine Tracks in seiner rekordbox platziert, liegst du entweder vollkommen dehydriert auf einer der Schaukeln im Berghain oder bist Mark Kastner. Dessen Reaktion auf den größtmöglichen Adelsschlag nur kurz mal eben angerissen: Kaffee aufsetzen, ab unter die Dusche und really fucking fast wieder ab hinters Mischpult. Weiter die Maschinen melken. Musik als Lebenselixier. Die galaktische Lebensphilosophie. Ilian Tape, Tresor, Return To Disorder – alles schon gehabt. Auf gefährlichen Selbstbeweihräucherungs-Wolken gen Himmel zu entschweben, ist nachweislich also nicht das Ding des Glasgowers. Ebensowenig wie die tausendfache monothematische Aufbereitung ein und desselben klanglichen Status Quo. Man hört hierzu innerlich Homer Simpson „laaaaangweilig“ rufen.
Galaxian sieht es ganz genau so. Stagnieren sollen andere. Galaxian macht nämlich neu – und das macht er ziemlich gut. We Are Power (auf Foul-Up x Shiprec) ist defragmentierte, dann refragmentierte Clubmusik. Die wurde von Kastner nach sorgsamer Begutachtung mit meisterlicher Präzision wieder zusammengesetzt. Was noch im Intro-Track nach einer schlechten Kopie von Anthony Rothers Maschinenwelt-Fantasien des Jahres Zweitausend klingen mag, entpuppt sich im Laufe der Album-Hörerfahrung als generöse Synapsenmassage eines Vorwärtsdenkers. Wir treffen hier auf Electro, der weit über das hinausgeht, was das Genre klassischerweise hergibt. Auf sphärischen Ambient, der so gar nicht zum salonfähigen Dahinsiechen der ironischen Y2K-Anhänger*innen tauglich ist. Auf zukunftsfähige Beats und Bleeps für dunkelste Nachtwanderungen. Auf supplementierende Drones, die nur eines sind. Nämlich NICHT „laaaaaangweilig“. Andreas Cevatli
Kelly Lee Owens – LP.8 (Smalltown Supersound)
Was, schon das achte Album? Stimmt gar nicht, ist erst das dritte, aber auch ansonsten ist bei Kelly Lee Owens‘ LP.8 einiges anders, als man es mit den beiden Platten davor im Ohr erwarten würde. Geht gleich im stimmig „Release“ genannten Auftakt brutal zur Sache. Da wiederholt eine leicht verfremdete Stimme rhythmisch stark akzentuiert den Namen des Tracks, ein monotoner Bass-Beat pocht darunter stoische Achtel, im Hintergrund wird irgendwas geflüstert. Das unablässig beschworene Loslassen will sich so eigentlich nicht einstellen, ist aber gerade dadurch ein klares Statement. Fünf Minuten, dann ist man befreit. Geht anschließend ruhiger weiter, doch die Dreampop-House-Freundlichkeiten von einst hat Kelly Lee Owens diesmal eher nicht im Angebot.
Was auch an ihrem Mitstreiter, dem Krachfachmann Lasse Marhaug, liegen könnte. Gemeinsam erkunden sie die hypnotische Kraft von mal spröderen, mal sanfteren Loops. Kelly Lee Owens spricht in Nummern wie „Anadlu“ den Titel als eine Art Mantra, hier mit deutlich mehr Luft zum Atmen dazwischen, die Musik dazu sorgt mit einer schizophrenen Mischung aus Ambient-Flächen und harsch rumpelndem Bass für angenehme Verwirrung. Später singt Owens dann auch wieder in der gewohnten zarten Weise, eingefasst in harmonische Umgebungen. Definitiv ein Bruch, und ein interessanter. Man muss es bloß am Zerberus am Eingang vorbeischaffen. Tim Caspar Boehme
Lewyn Stan – Eywode (Helical Scan)
Nicht täuschen lassen. Das erste Album von Lewyn Stan, der die letzten Jahre zwischen Manchester und Berlin herumtingelte, verzaubert im ersten Stück gleich mal jede*n Ambient-Philantrop*In. Wie viel Melancholie geht denn hier ab, denkt man sich. Hat man etwa gerade versehentlich den insgeheimen Nachfolger von PANs mono no aware – Compilation gefunden? Denkste! Es knallt laut. Baaaang! Clap! Und plötzlich ist alles anders. „Aphelion“, wie auch die daraufhin folgenden Stücke, räumen das sehr willkommene Begrüßungs-Missverständnis schnell aus. Gemorphte Hi-Hats, im richtigen Moment den Decay angezogen, es zischt und scheppert gehörig. „Eywode“ ist Live-Jamming per excellence. One Shot, one opportunity. Gleich darauf dann „Honour“, das süßraspelnden Neo-Trance eines jungen Ian Pooley mit ruff ‘n roll Subbässen kombiniert. „It has become“, das mit seinen analogen Cymbals, die genau im richtigen Moment die nötige Dynamik kreieren, ist dann wohl der unerreichbare Floor-Mover dieses Albums. Hätten weder ein Omar S, noch ein Kassem Mosse oder auch Huerco S der frühen 2010’er nicht besser zusammenbasteln können. Bratzlige Bass-Frequenzen, melodisch wertvolle Anspielungen, eine geloopte Vocal-Line und immer wieder die tragende überhart komprimierte Kickdrum. Klasse statt Masse. Ein temporärer Paradigmenwechsel ist hier unnötig, kommt aber dann doch noch. Na, gut. Also nur kurz mit dem T-Shirt den Schweiß von der Stirn wischen – insofern man das überhaupt noch trägt – dann geht es weiter.
„Unboxing“, „Doldrums“ und „Clock“ fungieren als stimulierende Transformationsstücke zum letzten Höhepunkt hin. Das heißt dann „Release“. Bezieht sich wohl auf die Öffnung eines zerstörerischen LFO-Sturms im Break, der sich aber dann doch noch auflöst und in sich zusammenbricht, bevor der Katastrophenschutz einschreiten muss. Andreas Cevatli
Lowtec – Old Economy (Workshop)
Veröffentlichungen von Jens Kuhn haben selbst dann Seltenheitswert, wenn die Schlagdichte hoch ist. Old Economy ist das vierte Full-Length von Lowtec in genauso vielen Jahren und trotzdem eine Besonderheit. Denn wie das Gros der Produktionen anderer Artists, die Kuhn über sein Label Workshop veröffentlicht, kommen diese Tracks nicht von vorne links vor der DJ-Booth, sondern treiben durchs Leftfield – an allen Trends vorbei, dem Gefühl von Transzendenz entgegen. Old Economy ist eher ein Skizzen-Mix in 15 diskreten Bewegungen, die sich auf zwei 12”s aufteilen. Angefangen mit sphärischen Ambient-Chorälen, brummelnden Bässen und verhallten Vocal-Samples beginnt Kuhn einen musikalischen Streifzug, der ihn an den Randbereichen und Schnittstellen diverser Genres entlangführt.
Launischer IDMbient, schwerelose Industrial-Echos und beatlose Bleeps dominieren das erste Drittel, bis sich dann die ersten perkussiven Elemente einschleichen. Plötzlich steht ein Beat im Raum, ein reduzierter und doch forscher Groove, eine Art Warm-up für den Warm-up-Teil eines spätsommerlichen Open-Air-Sets. Auch diese dubbige Deep-House-Nummer aber weicht bald schon wieder Synthie-Exkursionen. Die zweite LP gibt sich rhythmischer. Neben an die frühen Oval erinnernden Klangskulpturen und gleißenden Ambient-Stücken sind auch eine Fourth-World-inspiriertes Industrial-Stück und ein bouncender Dub-House-Track zu hören, bevor dann aber wieder Ruhe einkehrt. Die Logik dieser fast 70-minütigen Collage ist die eines Traums und Old Economy experimenteller und unkonventioneller noch als vorige Lowtec-Alben. Eine Platte mit Seltenheitswert – mal wieder. Kristoffer Cornils
Mathilde Nobel – May + Be (Nous’klaer)
Nous’klaer wiederveröffentlichen hier Mathilde Nobels bereits 2019 im Eigenvertrieb veröffentlichtes Debüt-Album, ein düster schimmerndes Kleinod moderner Electronica. Nobels gelassene, mäandernd sich entwickelnde Kompositionen erinnern einerseits an klassische britische IDM-Produktionen, etwa von Autechre oder Black Dog Productions/Plaid – ohne jedoch wie bloße Kopien zu erscheinen. Dazu gesellen sich klimpernde Melodien, im Hintergrund des Hörens perlend verrauschend wie eine modernisierte Version der Gymnopédien Erik Saties. Andererseits hat die Atmosphäre auch etwas von mittelalterlicher Folklore in modern elektrisiertem Gewand. Spätestens aber dann, wenn Nobel in der zweiten Hälfte des Albums, ab dem Titeltrack May + Be nämlich, ihre Stimme einsetzt, wird klar, durch welche gotische Kathedrale hier der Wind weht. Denn die verhallte Melancholie von Nobels Gesang, mal flüsternd, mal traurig schwelend, erinnert sicher nicht von ungefähr an Darkwave-Klassiker wie This Mortal Coil oder Dead Can Dance. Oder auch Coil, in ihren traurigsten Momenten. Und komplettiert die zuvor schon erhabene Schönheit durch eine human-organische Komponente. Wie gesagt, ein düsteres Kleinod. Tim Lorenz