Das Amp in Münster (Sämtliche Fotos: Presse)
Den Traum von eigenen Club – drei Raver aus Münster haben ihn sich erfüllt. Dass der Wunschtraum Realität wurde, merke man spätestens, wenn global aktive DJs keine Abstriche machen müssen und das AMP als Laden feiern, erzählen Tim Höltje, Lars Rüther und Sven Krützmann. Unsere Autorin Pia Senkel hat die kurze, aber bewegte Geschichte des Clubs recherchiert und zu fassen versucht, was seine Identität ausmacht, die eine gewisse Zurückhaltung prägt, aber dennoch zu keinen Abstrichen bereit ist.
Stell’ dir vor, du erfüllst dir kurz vor der Pandemie zusammen mit deinen beiden besten Freunden aus der Schulzeit einen Kindheitstraum und kaufst dir einen eigenen Club. Die Location steht, der Umbau läuft und einen Tag vor der ersten Clubnacht, am Freitag, dem 13. März 2020, erklärt die Bundesregierung, dass deutschlandweit Clubs und Diskotheken aufgrund der Verbreitung eines gefährlichen Virus auf unbestimmte Zeit schließen müssen. So erging es Tim Höltje, Lars Rüther und Sven Krützmann mit dem AMP in Münster.
In der Nähe des Hawerkamp im Münsteraner Hansaviertel, dem Gelände eines ehemaligen Betonwerks, liegt das kleine Amp, das auf eine bewegte Geschichte zurückblickt. Während das Hawerkampgelände mit Graffitis übersät ist, die betonen, dass dort Industrie und Kunst aufeinandertreffen, wirkt das Gebäude des AMP mit seiner denkmalgeschützten Fassade gut gepflegt. Zu Beginn der 2000er, damals noch an einem anderen Standort, startete das AMP als Mainstream-Club, entwickelte sich zu einem angesagten Indie-Club und kehrte irgendwann wieder zurück zum Diskothekenbetrieb. Nach einigen Jahren im Hawerkamp und einem zuletzt schwer definierbaren Konzept ergriffen die Techno-Liebhaber Krützmann, Höltje und Rüther ihre Chance und übernahmen die Location – im Januar 2020.
Die drei jungen Clubbesitzer sitzen in ihrem frisch renovierten Club, während wir kurz vor der ersten Partynacht dieses Jahres unser Zoom-Interview führen. Trotz Renovierung entschieden sich Krützmann, Höltje und Rüther dazu, unseren Videoanruf in der damals – zum Zeitpunkt des Gesprächs – von ihnen selbst deklarierten „hässlichsten Ecke des Ladens” zu führen: Hinter ihnen ist eine Wand voller Schallplatten zu sehen, es ist ein kleiner Rückszugsort im Retro-Flair – bis vor einigen Wochen war dort noch die Garderobe. Sie wirken locker, alle drei mit einem Lächeln auf dem Gesicht und gespannt, ob sie alle Fragen beantworten werden können.
„Wir haben die letzten zehn Jahre jeden einzelnen Urlaubstag dafür genutzt, um selber europaweit auf Festivals zu gehen und Clubs zu besuchen.”
Krützmann hatte zuvor beim alten Mainstream-AMP seine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht, weshalb er die ehemaligen Besitzer und die Location bestens kannte. Als diese mit der Zeit die Lust an dem Club verloren und sich auf andere Projekte fokussierten, bot sich Krützmann und seinen beiden Schulfreunden Höltje und Rüther eine einmalige Chance. Sie alle waren selbst schon jahrelang aktiv in der Musikszene, auch in der elektronischen, als Hobbymusiker in Bands, als DJs und selbstverständlich auch als leidenschaftliche Raver. Mit der Übernahme des Clubs haben sie sich einen Traum erfüllt: „Jeder hat doch mal diese besoffene Idee, die man aus den alten Sitcoms kennt: Wir machen jetzt ‘ne Bar auf. Wir hatten einfach das große Glück, die Möglichkeit zu bekommen. Dann sind wir das angegangen und haben es umgesetzt. Da steckt natürlich ganz viel Eigenantrieb und Motivation dahinter, aber am Ende des Tages sind es auch die Umstände.”
Die drei frisch gebackenen Clubbesitzer begannen sofort mit dem Umbau und reduzierten die zwei Tanzflächen auf eine. Der Grund: Im AMP soll es pro Nacht eine unvergessliche Veranstaltung an einem Ort geben, an dem alle Partygäste zusammen feiern. „Wir haben die letzten zehn Jahre jeden einzelnen Urlaubstag dafür genutzt, um selber europaweit auf Festivals zu gehen und Clubs zu besuchen – so konnten wir verschiedene Einflüsse und Inspirationen mitnehmen. Dadurch hat man auch ein viel besseres Verständnis dafür, worauf es für die Gäste ankommt – seien es die menschliche Politik im Clubs, die Lichtinstallation, der Sound oder auch die verschiedenen Räume.” Bevor das neue Konzept getestet werden konnte, folgte jedoch die erste coronabedingte Schließung.
„Man könnte – gerade mit der Dekoration im Außenbereich – einen Zusammenhang Mit dem Kater Blau oder dem Club der Visionäre herstellen.”
Während der Zeitpunkt für das erste Reopening nicht schlechter hätte sein können, ist die Location nahezu perfekt: Der Hawerkamp ist ein riesiger, denkmalgeschützter Industriekomplex, nicht weit von der Münsteraner Innenstadt entfernt, und stellt einen bedeutenden Ort für die Kultur- und Clubszene der Stadt dar. Das AMP befindet sich in einem alten Autohaus, das es sich mit der großen Jovel Music Hall teilt. Beim Betreten des Clubs ist die langweilige Fassade schnell vergessen: Im Eingangsbereich hängen Plakate von vergangenen Veranstaltungen, die von einer roten Neonröhre beleuchtet werden. Weiter geht es durch einen düsteren Gang vorbei am Zigarettenautomat Richtung Dancefloor, von der Decke hängen zahlreiche Diskokugeln, die in der schwachen, rotfarbenen Beleuchtung glitzern. Rechts vor dem Raum mit der Tanzfläche befindet sich der Ort, wo das Interview stattfindet, auf der linken Seite liegt die Bar. Dann schließlich gelangt man zum Herzstück des Clubs: der Tanzfläche. Auch wenn diese während des Interviews leer ist, kann man die schwitzigen Partynächte auf dem überschaubaren Floor bereits fühlen.
Für entspannte Pausen und frische Luft sorgt ein großer Außenbereich, den hölzerne Elemente und dekorative Details schmücken – ähnlich wie in vielen anderen Clubs:. „Man könnte – gerade mit der Dekoration im Außenbereich – einen Zusammenhang zwischen dem Kater Blau oder dem Club der Visionäre herstellen, aber wir haben uns keine andere Location als Vorbild für das AMP genommen.” Wenige hundert Meter vom Club entfernt liegt das oben erwähnte Hawerkamp-Gelände, das seit über 30 Jahren Institutionen für Kunst und Kultur, Vereinen und Clubs ein geschütztes Zuhause bietet.
Interessante Leute, die man nicht schon zehnmal gesehen hat
Wie in den meisten deutschen Städten macht sich aber auch in der westfälischen Universitätsstadt in den letzten Jahren ein Clubsterben bemerkbar, und Investoren bedrohen die Kulturszene. In der Innenstadt schließen bereits nach und nach die Lokalitäten. Der Hawerkamp 31 e.V., der das Hawerkamp-Gelände seit 2013 selbst verwaltet, ist ein Mieterverein, zwischen dem und der Stadt Münster ein Miet- und Überlassungsvertrag besteht, der aber zunächst bis 2025 befristet ist. „Es gibt immer mal wieder Pläne von Investoren, die großes Potenzial in dem Gelände sehen. Der Hawerkamp liegt direkt in Innenstadtnähe, ist aber trotzdem ein Raum für sich. Der Verein muss schon hart dafür kämpfen, dass dieses kulturelle Zentrum erhalten bleibt”, erklärt Krützmann. Das AMP liegt allerdings nicht auf dem Gelände und hat dementsprechend einen anderen Vermieter, zu dem die 26-Jährigen aber ein sehr gutes Verhältnis haben.
In dem alten Betonwerk sind unter anderem Clubs für elektronische Tanzmusik wie der Fusion Club, der wohl größte und bekannteste Technoclub in Münster, beheimatet. Einen großen Konkurrenzkampf mit den Locations am Hawerkamp gibt es Krützmann, Höltje und Rüther zufolge aber nicht: „Alle Clubs in der elektronischen Szene hier haben sich so ein bisschen auf die verschiedenen Subgenres konzentriert und spezialisiert. Außerdem sind wir in den letzten Jahren durch die Herausforderungen der Pandemie ein Stück weit zusammengewachsen. Es gab diverse Initiativen sowie ein gemeinsames Clubkomitee, das auf lokaler Ebene versucht hat, aktiv und vernetzt zu sein, sich auszutauschen und unsere Interessen in Bezug auf Corona zu vertreten.”
„Wir achten darauf, auch bei den großen Headlinern und internationalen Künstler*innen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen DJs zu haben.”
Auf welches Subgenre sich das AMP fokussiert, ist noch nicht so genau zu sagen – auch weil die drei Münsteraner bisher nicht die Chance hatten, ihre Pforten für mehr als drei Monate ohne Unterbrechung zu öffnen. Die DJs, mit denen die Jungs in den letzten Monaten zusammengearbeitet haben, sind divers und gehen stilistisch teils in sehr unterschiedliche Richtungen. Ihr musikalisches Steckenpferd und Aushängeschild ist die Panorama, eine eigene Veranstaltungsreihe mit sorgfältiger Kuration.
Bisher waren junge und HÖR-affine Künstler*innen wie Narciss, MRD, Julian Muller oder Hadone mit von der Partie. „Wir achten sehr darauf, auch bei den großen Headlinern und internationalen Künstler*innen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen DJs zu haben. In den letzten Wochen haben beispielsweise DJs wie Maruwa, Marie Montexier, Lea Occhi, Clara Cuvé, DJ Gigola oder Amoral bei uns aufgelegt. Unser Problem ist aktuell, dass das auf der Panorama noch nicht der Fall ist, weil der Sound, der da gespielt wird, auf einen kleinen Künstlerpool limitiert ist, mit dem wir zusammenarbeiten. Aber wir sind schon dran und im Gespräch mit diversen Agenturen über Künstlerinnen, die auch in diese Veranstaltung reinpassen.”
„Wie man an unserem Booking erkennt, geht es bei uns einfach darum, Spaß zu haben.”
Zur AMP-Residenz gehören vor allem aber lokale Musiker*innen, wobei Krützmann, Höltje und Rüther stets den Anspruch pflegen, mehr Varianz in ihr Line-up zu bringen, und gerne auch DJs aus anderen Städten eine Bühne geben möchten. „Wie man an unserem Booking erkennt, geht es bei uns einfach darum, Spaß zu haben. Uns ist es egal, ob hier 110, 150 oder 200 BPM gespielt werden.”
„Hauptsache, alle haben eine gute Zeit und die Künstler*innen können sich austoben”, erklärt Krützmann, „Wir sind eigentlich offen für alles, auch wenn wir zu dritt von Anfang an eine ziemlich präzise Vorstellung von Kuration und Ausrichtung des Ladens hatten, haben wir mit unserem doch sehr begrenzten Budget immer versucht, unsere Idealvorstellung eines Clubs hier in Münster umzusetzen. Das Ganze ist bis heute ein dynamischer Prozess, der sich mittlerweile durch die Symbiose mit unserem unfassbar unterstützenden und treuen Publikum auszeichnet und stetig weiterentwickelt.”
„Es geht nicht um den Sound, es geht um die Leute.”
Neben den Panorama-Partys haben die Veranstalter im letzten Monat ein weiteres Projekt erfolgreich umsetzen können: Die Spiral ist eine House- und Italo-Disco-Veranstaltung, die am 18. März mit Pablo Bozzi debütierte. Darüber hinaus werden die Räumlichkeiten des AMP auch externen Veranstalter*innen zur Verfügung gestellt – so haben beispielsweise im Rahmen der No-Mercy-Reihe DJs wie KlangKuenstler und Regal ihren Weg in die Location am Hawerkamp gefunden.
„Wir haben bislang von den Künstler*innen immer gutes Feedback bekommen, und das ist genau das, worüber man sich wirklich freut: Wenn irgendwelche Leute, die auf Top-Festivals spielen oder aus renommierten Clubs kommen, trotzdem sagen, dass sie es hier richtig geil finden und keine Abstriche machen müssen”, erklären die Jungs, die sichtlich zufrieden und glücklich sind mit dem, was sie aus dem AMP über die letzten zwei Jahre gemacht haben.
Die rund 350 Partygäste, die seit dem 4. März wieder jeden Freitag und Samstag um 23:59 Uhr ins AMP gelassen werden, dürfen sich nach diversen Umbaumaßnahmen nicht nur auf ein abwechslungsreiches Musikprogramm, sondern auch auf feinste Beschallung durch eine VOID-Anlage freuen. Die größte Hürde für die Sound- und Lichttechniker waren vermutlich die drei anspruchsvollen Besitzer selbst, die erst nach mehrfachem Probehören mit verschiedenen Systemen und Anlagen zufriedengestellt werden konnten. Zu Beginn des Jahres – vor dem dritten Reopening – wurde im Club nochmal einiges vermessen, ausgebessert, ausgetauscht, repariert und renoviert, um ihn für die hoffentlich letzte Wiedereröffnung bestens zu rüsten.
Im Gespräch mit Krützmann, Höltje und Rüther stellen sie trotzdem wiederholt klar: „Es geht nicht um den Sound, es geht um die Leute.” Die Drei haben sich über die letzten zwei Jahre ihren persönlichen Lieblingsclub erschaffen, für den sie bereits in der kurzen Zeit eine treue Community in der Studentenstadt begeistern konnten. Wer regelmäßig im AMP feiern geht, wird nicht nur den drei Besitzern früher oder später über den Weg laufen, sondern auch feststellen, dass die familiäre Location oft dieselben Gäste in ihren Bann zieht.
Das AMP ist wie eine Stammkneipe in der Münsteraner Clubszene: „Natürlich sind immer wieder neue, interessante Leute da, die man kennenlernen kann und nicht schon zehnmal gesehen hat. Aber gleichzeitig weiß man: Wenn man wiederkommt, hat man vielleicht das Glück, diese eine Person wiederzutreffen, mit der man sich beim letzten Mal schon gut unterhalten und zusammen Spaß hatte.”