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Moderat: Die Frage ist: Ab wann ist dark dark?

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Moderat (Sämtliche Fotos: Birgit Kaulfuss)

Es hat sechs Jahre, eine Pandemie und mehrere politische Krisen gebraucht, bevor Moderat ihr nunmehr viertes Studioalbum in die Welt entlassen. Das Trio, bestehend aus Modeselektor alias Gernot Bronsert und Sebastian Szary und Apparat alias Sascha Ring, hat sich in Zeiten der Isolation ins Studio begeben. Was als Flucht vor der angespannten Stimmung in der Gesellschaft begann, wurde zu einer Reflexion des immer digitaler werdenden Lebens in der Pandemie. 

More D4ta ist so zwar nicht direkt zu einem Corona-Statement geworden, doch hat sich der Zeitgeist unüberhörbar in die Platte eingewebt. Nach mehreren Jahren Pause und jeweils eigenen Alben mussten die beiden Acts erst wieder zueinanderfinden, um sich trotz einer schon über 20 Jahre erstreckenden Beziehung noch einmal neu kennenzulernen. Im Interview mit GROOVE-Autorin Louisa Neitz sprechen Bronsert, Szary und Ring außerdem darüber, inwiefern der kreative Austausch auch nach 20 Jahren noch bereichernd ist, warum More D4ta melancholisch, aber nicht düster ist und warum Techno-Berlin für sie Geschichte ist.


Wie seid ihr wieder zusammengekommen? Gab es einen bestimmten Anstoß für More D4ta

Sascha Ring: Wir wussten von vornherein, dass wir wieder zusammenfinden. Wir haben ganz bewusst nicht gesagt, wir hören auf, weil das irgendwie pathetisch ist, sich zu trennen, um dann in ein paar Jahren zu merken, dass es doch nicht ohne einander geht. Wir wussten aber auch selbst nicht, wann wir wieder zusammenfinden. Das hat sich nach und nach herauskristallisiert. Wir wussten, wir brauchen auf jeden Fall ein separates Album pro Band, und sowas dauert immer zwei oder drei Jahre. Dann mussten wir zusammenfinden, ein bisschen labern und gucken, wo wir so stehen. Aber dann gab es den Plan, Ende 2019 mit dem Album anzufangen. Das war wirklich synchronisiert mit dem Virus, der dachte sich dasselbe.

Zur Zeit der Produktion hielt das Virus die ganze Welt in Atem. Die Lyrics von Songs wie beispielsweise „Easy Prey” hinterlassen einen beklemmenden Eindruck. Ist es, auch bedingt durch die damalige Zeit, für euch ein besonders düsteres Album?

Ring: Ich find es nicht düsterer als die vorherigen Alben. Auch im Produktionsprozess haben wir versucht, das alles draußen zu lassen, wenn wir im Studio waren. Es hat sich relativ ähnlich angefühlt wie die anderen Produktionszyklen, die wir davor hatten. Das ist auch Sinn der Sache, wenn man so eine Platte macht, dass man sich isoliert. Und das haben wir eigentlich ziemlich erfolgreich geschafft.

Bronsert: Aber jetzt, wenn du’s so sagst, ich find’ die Sachen schon dark, zum Beispiel „Neon Rats”.

Szary: Die Frage ist: Ab wann ist dark dark? Ich meine, das ist ja auch ein ästhetisches Empfinden. Und Zeitgeist schwingt auch immer mit.

Bronsert: Der Zeitgeist zu Beginn der Albumproduktion war diese kollektive Angst Anfang 2020. Alle dachten, die Welt geht unter, wir müssen alle eingesperrt bleiben und bald kommt die Zombie-Apokalypse. Und dann kam auch schon der Abgang Trumps, gefolgt vom nächsten schwerwiegenden Ding. Das alles zusammen ist schon übel. Aber zu deiner Frage: ich finde es gut, darke Musik zu machen. Ich stehe da drauf. Ich finde das besser, als happy Musik zu machen. Und wenn dark, dann muss das schon echt sein, sonst ist das Wannabe-mäßig. Dann bist du gleich Alice Cooper mit Kunstblut. (lacht)

Ring: Aber das ist doch jetzt nicht wie bei den Sisters of Mercy. Für mich ist das melancholisch, das ist nicht gleichbedeutend mit dark. Der Melancholie wohnt auch immer eine gewisse Hoffnung inne. Man fühlt sich sogar wohl in der leichten Traurigkeit, weil man den Ausweg sieht. Das ist niemals eine verzweifelte Traurigkeit. Aber das ist schön am Subjektiven, dass jeder das ein bisschen anders hört. Und wie Szary auch meinte, das ist tatsächlich Zeitgeist. Ab wann ist irgendetwas deprimierend oder nur ein bisschen traurig?

Bronsert: Einigen wir uns auf Kellerdark. 

Ring: Ne. In unserer ganzen Interviewkarriere habe ich schon einige Interpretationen gehört, irgendwann gabs auch mal „Glücksseligkeit mit einer Träne im Knopfloch”. (lacht) 

Bronsert: Oder „verzweifelt auf dem Dancefloor”. (lacht) Wir haben auf jeden Fall Spaß gehabt beim Machen. Es ist nicht so, dass wir uns mit schwarz lackierten Fingernägeln den Kajal nachgezogen haben.


„Wir sind sowieso wie in einem persönlichen Lockdown, wenn wir ein Album machen.”

Gernot Bronsert

Wenn Sascha die Texte schreibt, besprecht ihr auch den Inhalt? Inwieweit fließt Saschas Intention oder die Bedeutung der Texte in die Produktion der Musik mit ein?

Ring: Wenn ich schreibe, gebe ich etwas von mir preis, aber ich kodiere das bewusst, damit nicht der ganze Background in die Welt hinausgetragen wird. Das Kodierte beispielsweise für die Hörer*innen vollständig zu dekodieren, ist nicht Sinn der Sache.

Bronsert: In einem Interview habe ich gelernt, dass Geoff Barrow von Portishead bei der Musikproduktion die Texte von Beth Gibbons ignoriert hat. Mich würde es total aus dem Konzept bringen, wenn ich die Texte nicht ignorieren würde. Das ist sehr intim, als würde man die Hose runterlassen.

Szary: Es ist eine gegenseitige Beziehung. Wir vertrauen einander. 

Ring: Das ist, als würden wir zusammen in die Sauna gehen. Da würdet ihr auch nicht auf meine Genitalien gucken wollen.

Szary: Deswegen ist die große FAZ immer dabei.

Ist das Album als euer Statement zur Pandemie zu verstehen? Zu dieser kollektiven Angst, die Gernot vorhin angesprochen hat?

Bronsert: Wir sind sowieso wie in einem persönlichen Lockdown, wenn wir ein Album machen. Wir ziehen uns dann zurück und versuchen, so wenig wie möglich Kontakt zur Außenwelt zu haben. Die Platte hätten wir auch ohne Pandemie gemacht. Aber es gibt ja eine Krise der nächsten die Hand. Unter diesem Zeichen steht das Album auch ein wenig.

Ring: Man guckt nicht raus. Es ist irritierend, wenn man anfängt, drüber nachzudenken, wie das bei einzelnen Leuten ankommt. Das ist wie beim Live-Konzert: Wenn man anfängt, einzelnen Personen ins Gesicht zu gucken und eine Connection herstellt, haut einen das hart raus. Du fängst dann auf einmal an, dich zu fragen, was die Person möglicherweise denkt. In Analogie dazu gibt das Studio die Möglichkeit für ein wenig Selbstschutz. Man versucht, sich nicht von den Wahrnehmungen anderer manipulieren zu lassen, denn dann macht man nicht das, was man eigentlich will. Auf der anderen Seite nimmt man natürlich dieses Grundgefühl der Zeit mit rein. In unserem Fall habe ich aber eher das Gefühl, dass es eine Flucht war, ein eskapistischer Gedanke, dass man von der Krise wegkommen will. Es ging gar nicht unbedingt darum, die Krise mit ins Studio zu nehmen und sie zu prozessieren. Sondern dass man hier reingeht und so tut, als hätte man andere Probleme.

Szary: Das Studio war unser Safe Space. 


„Es ist einfacher, mit zwei Menschen mit jeweils eigener Meinung ins Studio zu gehen, als mit zwei Typen, die eine Band mit einem Stil sind.”

Sascha Ring

Wie hat es dennoch der Zeitgeist, den Szary angesprochen hatte, aufs Album geschafft?

Ring: Die Krise war allgegenwärtig. Es ist abgefahren, wie schnell sie wieder weg ist. Jetzt ist es kaum noch vorstellbar, wie stark die Pandemie unser Leben dominiert hat. Sie wurde schon von der nächsten Krise abgelöst. Aber wenn man zurückdenkt, gab es immer und immer wieder dieselbe Headline in verschiedenen Variationen. Das war für uns More D4ta, dieser Overkill an Informationen, und die Digitalisierung, die im Zuge der Krise unsere Leben noch mehr in Richtung Netz verschoben hat.

Bronsert: Ganze Zweige der – ich sag’s jetzt mal so – Underground-Techno-Welt waren auf einmal digital. Ein paar Wochen vorher haben sie dir die Hände abgehackt, wenn du mit einem Telefon über den Dancefloor gerannt bist, und jetzt ging es gar nicht mehr ohne. Eine ganze Generation wurde davon geprägt. Viele Kids haben Boiler-Room-Streams im Internet gesehen und denken jetzt vielleicht, dass eine Party so abläuft, dass man hinter dem DJ und nicht vor ihm steht.

Szary: Oder sie denken, dass das DJ Booth immer weiß gefliest ist.

Ist das auch die Verbindung zum Titel More D4ta anstelle von IV? Eure ersten drei Alben hießen ja I, II und III.

Ring: Der Titel ist zu uns gekommen. Oder besser gesagt zu einem völlig manischen Szary, der jeden Tag dreißig Anagramme von Moderat in eine Gruppe gepostet hat. Und dann irgendwann ist uns aufgefallen: More D4ta, warte mal, das ist echt passend!

Szary: Das passt auch zum Grundexperiment und zu der Frage, wie viel man aus einer Sache noch herauskitzeln kann. Bei Musik steht ja auch immer die Frage im Raum, wie weit man eine Sache überreizen kann oder was noch unentdeckt ist. Genau das kann man auch mit  Moderat machen. Es war klar, dass wir das Album nicht einfach IV nennen wollten. Dann ist uns die Anagramm-Geschichte gekommen. Das ist eine relativ einfache Chiffrierung, und es gibt tatsächlich Wörter, aus denen kannst du kein Anagramm bauen. (lacht) Wir haben aber jetzt eine richtig gute Liste, die wir irgendwann mal nutzen werden. Ein paar haben es auch als Songtitel aufs Album geschafft.

Bronsert: Szary hat einen Sport daraus gemacht, Anagramme zu erstellen.

Ring: Das wollten wir eigentlich konsequent durchziehen, haben es dann aber doch nicht geschafft. Das ist auch so ein Beispiel dafür, dass wir oft großspurige Konzepte entwickeln, es uns dann aber gelingt, denen treu zu bleiben. Das ist gut, sonst müsste man sich irgendwann beschränken. Die Titel sollten eigentlich alle Anagramme sein, deswegen haben die auch alle dieses Format, aber es hat bei manchen einfach nicht funktioniert. Manche Songs brauchten einen Titel, der sich mehr auf den Song selbst bezieht, „Easy Prey” zum Beispiel.

Das Vinyl-Cover von „More D4TA” von Moderat (Foto: Presse)

Wie kann man sich ein Zusammentreffen zwischen euch vorstellen? Als Modeselektor kollaboriert ihr viel, und du, Sascha, arbeitest als Apparat eher im Alleingang.

Bronsert: Wir kennen uns zu dritt jetzt auch schon seit über 20 Jahren. Es ist nicht so, dass wir uns jedes Mal neu kennen lernen müssen, aber irgendwie dann doch.

Ring: Moment, du sagst an dieser Stelle doch eigentlich immer, dass wir gar nicht Apparat und Modeselektor sind, sondern die Band als drei Typen machen. Das ist gut so, denn die beiden wollen ja auch mal außerhalb von Modeselektor agieren und ich außerhalb von Apparat. Diesen Punkt haben wir bei der zweiten Platte realisiert, das war sehr wichtig in unserer Laufbahn. So konnte ich mich auch leichter integrieren. Es ist einfacher, mit zwei Menschen mit jeweils eigener Meinung ins Studio zu gehen, als mit zwei Typen, die eine Band mit einem Stil sind. Sie sind nämlich sehr unterschiedlich, gerade wenn man sie privat kennt. Mit der Zeit haben wir auch angefangen, zu gucken, wo unsere Kompetenzen liegen. Irgendwann hat sich etabliert, dass Szary eher der Typ für den soundkünstlerischen Part ist, Gernot oft der Drummer und Arrangeur und ich singe. Es hilft, nicht zu lange an einer Platte zu basteln oder zu denken, dass man etwas besser machen könnte als der andere.

Szary: Im Grunde genommen haben wir auf kompositorischer Ebene alle die gleichen Skills, aber doch hat jeder sein Spezialgebiet. Und bei Sascha kommt noch der Gesangspart dazu. Die Kombi ist einfach top. 


Ich habe mal gehört, dass ein Song nie fertig ist, man gibt nur irgendwann auf.

Sascha Ring

Was habt ihr über die Zeit voneinander gelernt?

Bronsert: Wenn wir jetzt zusammenarbeiten, ist das mehr oder weniger eine egofreie Zone. Mit der Zeit haben wir gelernt, auf eine gewisse Art und Weise gewaltfrei miteinander zu kommunizieren. In so einem Prozess rasseln einfach irgendwann die Ketten und Säbel. Ich kann mich an Situationen in der Vergangenheit erinnern, wo wir echt emotional wegen irgendwelchen Sounds wurden. Ich war dann immer wieder überrascht von den anderen. Dass sie loslassen können und sagen: Dann ist das jetzt so.

Ring: Man lernt verschiedene Dinge. Zum Beispiel hat es eine Weile gedauert, bis wir verstanden haben, dass es besser ist, eine Songskizze nicht sofort zu beurteilen. Wenn man sie sofort in die Gemeinschaft bringt, ist man noch viel zu nah dran. Dann schlägt jemand eine Änderung vor und man will das auf gar keinen Fall. Lass’ dasselbe Ding eine Woche liegen, und dann ist es okay. Man muss sich kurz davon lösen, damit es als Input für die Band funktioniert. Diese einfachen Dinge muss man lernen. Und wenn man nach solchen Regeln spielt, ist das sofort viel einfacher, und es gibt weniger Konflikte. 

Wann ist ein Track oder ein Album für euch fertig?

Szary: Wir finden jetzt immer noch Stellen, an denen wir denken, dass wir sie am liebsten nochmal ändern würden.

Ring: Genau, zum Beispiel bei Live-Versionen. Wir arbeiten gerade an den Live-Versionen von More D4ta und denken manchmal: Ja Mist, eigentlich sollte das die Plattenversion sein. Tatsächlich geht es in „Copy Copy” genau um dieses Phänomen, dass man eine Sache 50-mal macht.

Bronsert: Meinst du mit „man” eigentlich dich selbst? 

Ring: Für mich persönlich trifft das zu, aber bei euch ist das auch so. Man weiß nicht immer genau, wann man fertig ist, und manchmal werden Sachen dadurch nicht besser.

Bronsert: Du musst dir vorstellen: Man hat eine Songidee, und dann erreicht man ein Stadium, wo alle an diesem Song arbeiten. Alle sind in derselben Frequenz, alle gucken den gleichen Sender, gucken ein Fußballspiel und folgen der Kamerafahrt. Es ist ein Prozess, der zu dritt kollektiv passiert und in dem gemeinsam ein Entschluss gefällt wird. Es ist nicht so, dass ein Song mehr oder weniger einem gehört, sondern es ist eine gemeinsame Situation, wo manchmal aus Erschöpfung gemeinsam gesagt wird: Jetzt ist Feierabend. Manchmal drückt auch einfach die Deadline, und dann wird am Tag vom Mastering der Bass neu aufgenommen.

Ring: Ich habe mal gehört, dass ein Song nie fertig ist, man gibt nur irgendwann auf. Es gibt aber auch manche, bei denen weiß man, dass es das ist.

Szary: Als wir beim zweiten Album waren, kann ich mich noch an eine Situation erinnern, in der du meintest: Wenn das ein Apparat-Song wäre, dann wäre der jetzt fertig. Fand ich total faszinierend, deine Aussage.

Bronsert: Ich bin auch oft überrascht. Du sagst relativ schnell, dass Sachen fertig sind. Du bist ein schneller Loslasser. Ich kann schwer loslassen. Beim Vorbereiten des Live-Sets haben wir bei einem der Songs gemerkt, dass ein Sample schief sitzt. Ich habe mir das gestern auf einer der einschlägigen Streaming-Plattformen ganz oft angehört. Man hört’s nicht doll, aber mich stört’s. Kann man natürlich nicht mehr ändern. 


„Wir müssen da schon ein paar Kniebeugen vorher machen.”

Gernot Bronsert

Ihr seid alle auf eigene Weise in der Stadt Berlin verwurzelt. Spielt die Stadt durch die obligatorische Tour-Pause eine größere Rolle auf dem Album? 

Bronsert: Von meiner Warte aus muss dich da leider enttäuschen. Mit dem Berlin-Thema rennt man bei mir gegen geschlossene Scheunentore. Ich habe mit der Stadt abgeschlossen. Ich kann’s dir nicht genau sagen, aber ich fühle das nicht mehr. Ich freue mich, wenn wir mal wieder im OHM eine Party machen oder in der Wuhlheide spielen. Aber dieses Nightlife und diese Welt, in die wir geboren worden sind, die gibt’s nicht mehr. Das ist vorbei. Man bemerkt aber, wie Neues entsteht, dass es wieder Underground-Raves gibt. Mit den FJAAKis, unseren Ziehkindern sozusagen, war ich letztens im Wald auf einem Rave. Das holt mich nicht mehr ab, aber es war schön, das zu sehen. Und im Chemiewerk Rüdersdorf, wo wir vor fast 30 Jahren unsere ersten Techno-Partys gemacht haben und 2001 das erste Modeselektor-Video gedreht wurde, werden jetzt wieder Raves veranstaltet. Und sogar die aktuelle Adam-X-Platte heißt Rüdersdorf Acid Tracks. Das ist der Ort, an dem ein 18-jähriger Szary Raves veranstaltet hat und ich als 14-Jähriger auf dem Dancefloor Rephlex-Platten gefeiert habe. Das ist total fett.

Szary: Es ist total cool, sowas weiterzugeben. Wir vertreten hier keine bestimmte Meinung oder Wahrnehmung, wir lassen die anderen einfach machen. Es ist total geil und wichtig, wenn da draußen noch was passiert.

Ring: Gernot hat Recht damit, dass die Szene, der wir entstammen, nicht mehr existent ist. Ich habe damit auch abgeschlossen. Aber es gibt ein anderes Berlin. Jetzt genieße ich es, dass man innerhalb von 20 Minuten mit dem Rad im Wald sein kann. Da die Inspiration vom Touren ausblieb, bin ich viel in die Gemäldegalerie gegangen. Ich habe mir angeguckt, wie verschiedene Künstler*innen in den letzten 400 oder 500 Jahren mit Krisen umgegangen sind. Ich war schon vorher von der Gemäldegalerie begeistert, aber ich wäre nicht so oft zurückgekommen, wenn es keine Pandemie gegeben hätte. Man hat sich viel mehr mit der unmittelbaren Umgebung auseinandergesetzt.

Wie geht ihr die kommende Tour an? Wird sie anders ablaufen als die Touren davor?

Ring: Ich war letzten September sogar noch auf Tour und müsste eigentlich wissen, wie sich das anfühlt. Aber damals war das noch wahnsinnig abstrakt. Wir waren total geflasht davon, wieder auf Tour gehen zu können. Jetzt gerade fühle ich mich wieder so, als hätte ich das zehn Jahre nicht gemacht, als wüsste ich gar nicht, wie das überhaupt geht. Ich muss erst mal wieder das Selbstbewusstsein aufbauen, mich auf die Bühne zu stellen vor so vielen Leuten. Das ist anders als früher, als man im Flow und so was kein Thema war. 

Bronsert: Ich mach’ mir eher konditionelle Sorgen, freu’ mich aber schon richtig doll. Ich will laut Musik hören. Ich habe richtig Bock darauf, dass alles laut und grell ist. Ob da Leute sind oder nicht, das ist für mich sowieso immer ein abstrakter Moment. Das krieg ich sowieso nicht richtig mit. Ich habe kein Problem damit, auf eine ganz große Bühne zu gehen mit ganz vielen Leuten. Ich habe eher Angst vor einem kleinen Club, wo dir alle auf die Finger gucken können. Und Shows werden auch immer länger. Bei einem Festival kannst du nicht mehr als Headliner mit einem einstündigen Set anrücken. Bei einem mehrstündigen DJ-Set ist das was anderes. Da kann man auch quatschen, aufs Klo gehen und so weiter. Wir müssen da schon ein paar Kniebeugen vorher machen.

Szary: Ich glaube, das ist aber alles ganz menschlich und normal.

Bronsert: Man merkt auch, wie die Crew sich freut. Die Produktion nimmt Fahrt auf, und wir hatten gestern ein Meeting mit der Pfadfinderei, die unsere Videos für die Shows machen. Die sind auch schon aufgeregt. 

Szary: Alle freuen sich, alle sind aufgeregt – und alle schwitzen.

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