burger
burger
burger

Mathami/ DJ T.: Was macht das Tanzen mit einer Person?

- Advertisement -
- Advertisement -

Aus DJ T wurde Mathami (Foto: Anna Wasilewski)

DJ T. ist nicht nur einer der dienstältesten deutschen House-DJs und einer der Gründer des Berliner House-Labels Get Physical Music – auch die GROOVE hat er aus der Taufe gehoben. Mit seinem Alias Mathami und dem Label Pura Danza richtet er sich neu aus: Weg von Nachtleben und den Genussmitteln, die auf die eine oder andere Weise immer dazugehören, hin zu einer drogenfreien, spirituell aufgeladenen Feierpraxis. GROOVE-Autor Moritz Weber wollte wissen, wie es zu dieser Neuorientierung kam.

An einem ausnahmsweise sonnigen Tag in Berlin mache ich mich auf den Weg in Richtung Mitte. Angekommen in einer belebten Nebenstraße, die sicherlich auch angenehm ruhige Züge hat, werde ich von einem gut gelaunten Thomas Koch begrüßt. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Küche stehe ich auch schon vor einem riesigen Plattenschrank. „Das ist nicht mal ein Bruchteil von denen, die ich mal hatte”, verrät DJ T. mir, nachdem ich mir die Platten und Plattenspieler anschaue. Es wird noch schnell der Rest Joghurt vom Frühstück gegessen, schon sitzen wir im Wohnzimmer, umringt von vielen Pflanzen und Palo-Santo-Räucherstäben.


Am Anfang deiner Karriere hast du zur Frankfurter Szene gehört, Events organisiert und Clubs mitbetrieben. Später wurdest du Labelmacher und global aktiver House-DJ. Wie kam es dazu, dass du dich nun in die Richtung von Ecstatic Dance bewegt hast?

Vor acht Jahren habe ich begonnen, ins Sacred Valley nach Peru zu reisen. Da war ich an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich schon viel therapeutische Arbeit gemacht hatte, aber noch mehr an alten Mustern arbeiten wollte. Zum Beispiel hatte ich schon immer eine Tendenz, mich in meiner Arbeit zu verlieren, mich in Burnout-artige Zustände hineinzuarbeiten. Eigentlich hatte ich mich in den zehn Jahren davor nur noch von einem Quasi-Burnout zum nächsten gehangelt. Das sind bei mir immer so Phasen. Das hat viel damit zu tun, wie gut man für sich selbst sorgt, auf sich aufpasst und auf die Stimme des Körpers hört. Man durchläuft verschiedene Eskalationsstufen, bis es anfängt, richtig wehzutun. Bis dahin bekommst du aber eigentlich schon genügend Warnsignale. Auf die kannst du entweder hören – oder du gehst halt einfach drüber weg.

Deswegen bist du dann nach Peru gereist?

Das war nur einer von vielen Gründen. Ich hatte mit dieser Heilarbeit schon Ende der 90er angefangen als ich mir eingestehen musste, dass meine Work-Life-Balance miserabel war. Damals ging das los mit dem Rumexperimentieren. Erste Ayurveda-Kuren, Meditationserfahrungen machen und so weiter. Rückblickend war ich seitdem immer auf einem Zickzackkurs. Ich habe immer wieder neue Sachen ausprobiert und geschaut, wie sie wirken und was mir gut tut. Manches konnte ich behalten und integrieren, oft habe ich die die Sachen dann aber auch wieder verloren.


Tanzen als Ritual zwecks Verbindung zum Göttlichen, zur Natur war seit Jahrtausenden in fast allen Kulturen angelegt.


Wie bist du da rausgekommen? 

Bei einer meiner Ayurvedakuren habe ich einem sehr langen Gespräch zweier Frauen zugehört, die ich dort kennengelernt hatte. Sie erzählten sich gegenseitig von ihren Erfahrungen mit Ayahuasca. Das war das erste Mal, dass ich davon hörte, und ich wusste in diesem Moment sofort, dass ich das irgendwann mal machen würde. Das hat mich regelrecht gerufen. Ich wusste aber auch, dass es erst dann stattfinden würde, wenn die Zeit reif ist. Diese Gewissheit habe ich dann über 15 Jahre mit mir herumgetragen bis ich es 2013 dann endlich gemacht habe. Da hat etwas ganz laut in mir gerufen: Jetzt ist es soweit! Und dann konnte es mir gar nicht schnell genug gehen. 

Wie ist das abgelaufen? 

Mittlerweile kannst du die heiligen Pflanzen und ähnliche Substanzen wie Ayahuasca, Kambô oder San Pedro, wenn du willst mitsamt Schamanen, übers Internet in deine Wohnung bestellen. Mir war das immer ganz klar, dass ich dafür in eines der Ursprungsländer dieser Kultur wollte. Ich habe dann damals eine Freundin gebeten, mir ihre Kontakte aus Peru zu schicken. Da gibt’s zum einen die Bergregionen nahe Cusco und Machu Picchu und die Amazonas-Regionen im Regenwald mit der Stadt Iquitos, einem der Zentren des weltweiten Ayahuasca-Tourismus.

Wie lange warst du dann in Peru? 

Beim ersten Mal bin ich einen Monat im Sacred Valley geblieben. Meine Wahl ist auf einen Holländer gefallen, der sich dort niedergelassen hat. Er hatte mir sehr nett und ausführlich zurückgeschrieben. Er hatte dort so ein Programm, das nannte er 360-Grad-Detox. Das war ein ganzheitliches Konzept mit vielen verschiedenen Bestandteilen, wie zum Beispiel Saftkuren, speziellen Massagen und eben auch zwei Ayahuasca-Zeremonien. Letztere wurden dann in mehrerer Hinsicht eine Life Changing Experience für mich. Allein diesen Ort kennenlernen zu dürfen, der mittlerweile so eine Art spirituelle Heimat für mich geworden ist, war eines der größten Geschenke, die ich je bekomme habe. Was dieser Ort mit mir macht, ist schwer in Worte zu fassen.

Wie oft warst du jetzt schon da und wie lange bist du dann immer geblieben?

Sechs Jahre in Folge, immer so für vier bis sechs Wochen. Immer in den ersten drei Monaten des Jahres. Als DJ habe ich ja zum das Glück das Privileg, solche Reisen mit Gigs verbinden zu können. Ich habe mir dann immer Touren in Nord- und Südamerika buchen lassen. Meine Gigs in Lima waren dann immer der Auftakt zu meinen langen Auszeiten in dem Land.

DJ T. / Mathami (Foto: Anna Wasilewski)

Was für eine Bedeutung hatte bei deinen Retreats das Tanzen?

Bei dem erwähnten ersten Retreat waren 5-Rhythms-Dance-Zeremonien ein fester Bestandteil, das ist eines der ältesten Conscious-Dance-Formate. Und Ecstatic Dance ist momentan eben die populärste Form im Conscious-Dance-Universum. Viele Conscious-Dance-Formate kommen ursprünglich aus den USA. Die Tänzerin Gabrielle Roth hat 5 Rhythms Ende der Siebziger begründet, das war die Essenz von zehn Jahren Arbeit am Esalen-Institut in Kalifornien. Sie hat in der Arbeit mit hunderten ihrer Studenten beobachtet, was das Tanzen zu bestimmten Rhythmen mit ihnen gemacht hat. Was macht es mit dem Körper, was mit der Psyche?

Was für eine therapeutische Wirkung hat das Tanzen? 

Roth hat beobachtet, wie sich ihre Studenten von negative Emotionen trennen, wo sich Blockaden im Körper lösen. 

Gibt es sowas wie eine Dramaturgie? 

Man tanzt durch fünf unterschiedliche Energiezustände in einer bestimmten Reihenfolge, das nannte Roth die wave. Auf die Grundstruktur der wave berufen sich die Ecstatic Dancer auch heute noch weltweit, haben sich dabei aber von Roths starrer 5-Energien-Abfolge gelöst.

Woher kommt diese kulturelle Praxis im Ursprung? Kommen die Einflüsse hauptsächlich aus den USA und Lateinamerika?

Tanzen als Ritual zwecks Verbindung zum Göttlichen, zur Natur, war seit Jahrtausenden in fast allen Kulturen angelegt. Viele Einflüsse aus archaischen Kulturen oder auch aus der neueren Osho-Kultur sind in die Conscious-Dance-Kultur gesickert. Diese bewegungsorientierten Meditationsarten wurden zunächst in den USA und später in Lateinamerika, aber auch zum Beispiel in Goa oder auf Bali wieder zu großen Strömungen.

Was für Musik lief da? 

Bis zur Jahrtausendwende lag der Fokus ganz klar auf Live- und Tribalmusik der alten Schule. Damals gab es noch sehr große Berührungsängste mit anderen Szenen und anderer Musik in der Conscious-Dance-Community. Danach hat sich die Szene langsam elektronischer Musik geöffnet. Ein DJ aus Austin holte sich auf dem Burning Man Inspiration, hielt sich danach für eine Weile in Hawaii auf und veranstaltete dort Events, die als Geburtsstunde von Ecstatic Dance gelten.


Bei einem der Events in Berlin hatte ich dann die Eingebung, dass ich nicht nur Gast sein möchte, sondern selbst zum master of ceremony werden will.


Wo hast du deinen ersten Ecstatic Dance erlebt? 

In meinem dritten Jahr in Peru hat mich eine Freundin zu einem Ecstatic Dance eingeladen. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Aber als der immer bereite Tänzer, der ich bin, habe ich das Angebot dankend angenommen. Dort standen wir dann auf 3000 Meter Höhe mit nur 15 Leuten in einem Häuschen, mit 360-Grad-Blick auf die Berge um uns herum. Das habe ich dann jede Woche mehrmals gemacht. Erst nach einiger Zeit habe ich realisiert, was das mit mir gemacht hat, in so einer Community auf diese bewusstere Art zu tanzen.

Wie sieht das Setting aus? Wie läuft so ein Ecstatic Dance ab?

Wenn Ecstatic Dance in geschlossenen Räumen stattfindet, dann lassen sich dort die Energien gut aufbauen, wir sprechen da gerne vom container. Aber es findet auch genauso draußen statt, vor allem auch die großen Dances mit mehreren hundert Teilnehmern. Zu den elementarsten Aspekten des Settings gehört, dass man die Tanzfläche in einem Opening Circle öffnet, in einem geschlossenen Kreis mit allen Teilnehmer*innen. Am Ende schließt man sie auch im besten Fall wieder mit denselben Menschen im Kreis. Eine besondere Bedeutung kommt dem Facilitator zu, also demjenigen, der die Gruppe durch die Experience führt. Diese Person steht mit im Kreis und erklärt den Teilnehmer*innen, worum es bei Ecstatic Dance geht, was die Regeln sind, dass man beispielsweise eine Intention oder ein Thema in den Tanz mitnehmen kann. Wenn alle von ihrer Reise zurückgekommen sind, gibt es noch ein Schlusswort.

Wie lange dauert so eine Tanzzeremonie?

Meistens zwischen 90 und 120 Minuten. Oft ist so ein Event auch ein Paket, wo noch mehr geboten wird. Häufig findet dann vor dem Tanz zum Beispiel schon eine Zeremonie mit Kakao statt, der nach bestimmten traditionellen Rezepten zubereitet wird, um zum Anfang schon in eine Herzöffnung zu gehen. Man kann im Tanz ganz bei sich selber bleiben oder in die Interaktion mit anderen gehen. Da no talking on the dancefloor eine der wichtigsten Regeln ist, kommuniziert man über Körpersprache und Augenkontakt, ob andere an einem gemeinsamen Tanz interessiert sind. Ansonsten kann den Emotionen freien Lauf gelassen werden. In den Peak-Momenten des Dances kommt es häufig vor, dass alle nur noch wild rumspringen und alles rausschreien. Gefühlsausbrüche, lachen, weinen, alles darf sein in dem Raum.

Was wird dort für Musik gespielt?

Die Auswahl ist viel eklektischer und heterogener als bei jeder anderen DJ-Spielart, im Grunde gibt es nichts, was tabu ist. Es ist auch eine ganze andere Form des DJing. Im Clubkontext gibt es ja traditionell Phasen, in denen ganz bestimmte Stile dominieren. Beim Ecstatic Dance ist es selten, dass man als DJ länger als zwei bis drei Tracks in Folge bei einer Energie, einem Tempo oder einem Rhythmus bleibt. Jeder Dance durchläuft verschiedene Phasen. Wenn es losgeht, liegen oder sitzen die meisten noch. Da werden erst mal keine Beats gespielt, sondern eher ruhigere Klangmusik oder reine Vokal-Stücke. Dann steigt man mit ganz langsamen Beats ein und steigert das Tempo. Die erste wave erreicht dann ihren Peak vielleicht nach spätestens einer Stunde, danach geht es wieder runter. Bei dem peak werden dann oft sehr schnelle Stücke gespielt, gerne Jungle, Breakbeats und auch moderner Trap. Die Geschwindigkeit der Stücke kann zwischen 60 und 140 BPM liegen.

DJ T. / Mathami (Foto: Anna Wasilewski)

Kann man das denn unter dem Oberbegriff elektronische Musik zusammenfassen?

Nein, du kannst es unmöglich in eine Kategorie packen. Dafür ist es zu vielschichtig. Auf was man sich universell geeinigt hat, ist nur die Abfolge. Also, dass du meditativ und ohne Beats beginnst und am Ende auch wieder da landest. Und es gibt auch viele DJs, die nicht nur eine wave spielen, sondern mehrere. Ich spiele meistens zwei.

Und wie kam es zu deinem Einstieg in die Berliner Szene?

Als ich nach einem meiner Aufenthalte in Peru wieder zurück nach Berlin kam, hatte ich mir fest vorgenommen, auszuchecken, ob es hier auch eine Szene für Ecstatic Dance gibt, und bin dann als Gast zu einigen Events gegangen, die es hier in der Stadt gab. Zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, dass es in Berlin schon eine große Szene gab, die in den Jahren vor der Pandemie geradezu explodiert ist. Da gab es Wochen, in denen du fast jeden Tag zu einem anderen Tanz gehen konntest. Zum Beispiel gibt es Ecstatic Dance Berlin bereits seit zehn Jahren. Wenn nicht gerade Pandemie ist, machen die alleine schon zwei Events, manchmal auch zwei pro Woche. DJ Vesica, eine der Gründerinnen, hat die Kultur damals aus den USA mitgebracht. Zusammen mit ihrem Partner Pascal de Lacaze hat sie dann einen der ersten Ableger in Europa gegründet.

Wie wurdest du dann selbst zum Ecstatic-Dance-DJ?

Bei einem ihrer Events in Berlin hatte ich dann die Eingebung, dass ich nicht nur Gast sein möchte, sondern selbst zum master of ceremony werden will. Dem ging voraus, dass ich in Peru in den Jahren zuvor mit vielen Schamanen und auch westlichen Heilern gearbeitet hatte. Und einige von ihnen hatten mir damals unabhängig voneinander gesagt, dass sie sehen könnten, dass ich meine Leidenschaft für Musik und Tanz mit meinem Interesse an Gesundheit, Heilung und Transzendenz verbinden werde. Damals bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, dass das was mit Ecstatic Dance zu tun haben könnte, obwohl ich da ja schon zu den Dances gegangen bin. Aber in diesem Moment bei dem Berliner Dance war dann plötzlich klar, dass es das war, was alle gemeint hatten.

Wie waren deine ersten Shows als Master of Ceremony?

Bevor ich mich überhaupt bereit gefühlt habe, das live für eine Crowd zu spielen, habe ich lange gediggt und mir eine riesige Library aufgebaut. Ich hatte großen Respekt vor dieser Aufgabe, viel größeren, als ich ihn jemals vor dem traditionellen DJing hatte. Meine erste Gelegenheit als Ecstatic-Dance-DJ habe ich 2017 in Mexiko City bekommen. Das erste Mal hat sich gleich angefühlt wie Heimkommen. Als hätte mich alles was ich davor jemals gemacht hatte genau an diesen Punkt geführt. Von da an hat sich mein Fokus verschoben. Seitdem habe ich dreimal mehr Zeit mit dem Suchen nach neuer Ecstatic-Dance-Musik verbracht als nach Clubmusik. Das erfüllt mich einfach mehr. Es ist erfrischender, offener und undogmatischer.


Ich sehe bei Ecstatic Dance ein paar Parallelen zu den Anfängen der Technoszene. Damals glaubten wir, dass das alles eine große gesellschaftsverändernde Kraft in sich trägt.


Was für ein Spektrum von Musik deckst du ab? 

In der Szene wird allgemein viel lateinamerikanische Musik gespielt. Das ist das, worauf sich in der Szene fast alle einigen können, ich spiele auch viel davon. Aber ich spiele auch genauso afrikanische, fernöstliche und asiatische Klänge. Ich höre mich permanent quer durch alle Kulturkreise der Welt und ziehe mir meine Musik aus den unterschiedlichsten Richtungen. Das ist mal sehr traditionell, mal edgy elektronisch. Ich bekomme gutes Feedback dafür, so divers zu spielen. Ich glaube, ich habe da sowohl als DJ als auch als Produzent eine ganz eigene Handschrift entwickelt.

Wann hast du dann angefangen, diese Musik selbst zu produzieren? 

Ich produziere die Musik jetzt ziemlich genau seit Pandemiebeginn. Ich mag zum Beispiel diesen langsameren Trap mit Weltmusik-Elementen sehr gerne, das spiele ich auch viel in meinen Sets. Die Inspiration war so groß, dass sich auch die Musik, die ich als DJ T. in den Clubs gespielt und produziert habe, automatisch verändert hat. Das ist passiert, ohne dass ich mir dessen bewusst war. Das hat mein Spiel nochmal weit geöffnet und mir das Gefühl von totaler Freiheit gegeben. Wenn mich jemand in den Jahren zuvor gefragt hätte, ob ich nochmal ein Album produzieren möchte, hätte ich gesagt: Never ever. Und dann war plötzlich klar, dass das mit der neuen Inspiration nochmal ansteht.

Wie bist Du auf den neuen Namen gekommen?

Unter meinem alten Namen in beiden Welten zu spielen, hat sich von Anfang an nicht richtig angefühlt. Ich hatte gehofft, dass ein neuer Name von alleine zu mir kommt, das hat aber lange geklemmt. So ein Prozess braucht Zeit. Ich habe immer wieder Namen gefunden, die ich sehr gefühlt habe, meist Namen mit einer für mich positiven Bedeutung, die dann leider immer schon vergeben waren. Irgendwann kam ich an den Punkt, wo ich einfach einen Fantasienamen erfunden habe. Ich traf mich dann mit meinem Produktionspartner Neil Barber in unserem Studio in Marzahn. Der hatte das natürlich auch noch nie gemacht, diese neuen Stile. Wir sind dann gleich mit Broken-Beat-Zeug eingestiegen, haben uns da einfach reingeworfen. Und es hat sich sofort so angefühlt, als hätten wir nie was anderes gemacht.

Ein neues Label hast du auch noch gegründet. 

Ja, der nächste Schritt war die Gründung eines Labels, das exklusiv Musik veröffentlichen soll, die bei Ecstatic Dances gespielt wird: Pura Danza. Ich kenne ansonsten nur noch ein einziges Label in den USA, das nennt sich Ecstatic Dance Records, das ausschließlich Musik für diese Szene veröffentlicht. Aber die haben sich aus irgendwelchen Gründen dazu entschlossen, nur auf Soundcloud oder der eigenen Homepage zu veröffentlichen. Pura Danza ist im Grunde das erste Label, das sich zum Ziel gesetzt hat, diesen unendlichen Kosmos von Musik, der in der Szene gespielt wird, auf einer einzigen Plattform abzubilden. Und das erste Label, das über alle bekannten und Download- und Streaming-Plattformen veröffentlicht. Das ist ein Novum in der Ecstatic-Dance–Szene, und ich kann mir vorstellen, dass es auch einige Leute geben wird, die das kritisch sehen. Die denken sich vielleicht: Da geht jemand über den bisherigen Rahmen hinaus. Ich habe auch keine Berührungsängste mit der corporate world, wenn es inhaltlich beziehungsweise von der Intention her passt. Ecstatic Dance ist für alle da. Und gerade in Welten, die solche Formate bisher noch gar nicht erreicht haben, brauchen die Menschen besonders viel Heilung und Balance.


Männer haben meistens eine höhere Schamgrenze. Viele kennen sich ein Leben lang nur in einer bestimmten Rolle, die sie spielen, wenn sie auf Partys sind, uns die ist eng verbunden mit Konsum und einer bestimmten Interaktion mit dem anderen Geschlecht.


Werden auch andere Künstler*innen auf Pura Danza releasen?

An der Stelle war ich zuletzt ein bisschen frustriert. Ich hätte gerne schon längst neue Künstler*innen auf dem Label präsentiert. Irgendwie kommt allen ständig was dazwischen. Die Pandemiesituation macht das Ganze auch nicht einfacher. Aber jetzt ist es wohl demnächst endlich so weit, und ich kann meinen ersten Künstler auf Pura Danza begrüßen, einen Portugiesen. Ich habe lange genetworkt und Leute gesucht, die ich auf dem Label einbinden kann. Ich möchte ein internationales Netzwerk aus Produzenten, DJs, Instrumentalisten und Vokalisten aufbauen und Leute miteinander connecten, damit sie kollaborieren können. Und ich selbst werde auch vermehrt mit anderen Künstler*innen zusammenarbeiten oder in bestimmten Fällen auch mal nur die Rolle des Produzenten einzunehmen.

Gibt es Pläne für eigene Events in Berlin?

Vor dem Schritt, mich wieder als Veranstalter zu betätigen, habe ich großen Respekt. In früheren Zeiten meiner Karriere habe ich, wenn ich alle Nächte meiner Langzeit-Events und Clubs zusammenrechne, bestimmt schon über 1000 Events organisiert. Ich möchte jetzt als DJ aber erst mal an einen Punkt kommen, wo ich ein größeres Following habe. Und auf die richtige Venue und die richtigen Leute zum co-kreieren warten.

Sollte jede*r das mal ausprobiert haben?

Es ist manchmal nicht so einfach, neue Leute reinzuholen, für viele Menschen ist das aus unterschiedlichen Gründen einfach nicht das Richtige. Oder sie sind noch nicht an dem Punkt. Für mich war das von Anfang an etwas sehr Natürliches, mich da auf dem Dancefloor auf eine andere Art zu zeigen und zu öffnen. Ich hatte beim Tanzen noch nie Schamgefühle. Bei solchen Formaten sind oft die Frauen Vorreiterinnen, und die Männer werden mitgezogen. Frauen sind da offener. Männer haben meistens eine höhere Schamgrenze. Viele kennen sich ein Leben lang nur in einer bestimmten Rolle, die sie spielen, wenn sie auf Partys sind, uns die ist eng verbunden mit Konsum und einer bestimmten Interaktion mit dem anderen Geschlecht. Der Club, die Musik und das Tanzen sind da nur der Rahmen. Beim Ecstatic Dance geht es aber um was anderes. Und manchmal steigen sie dann aus, wenn sie merken, dass sie diese Rolle dort nicht mehr spielen können.

Es herrscht ja auch eine Drug Free Policy, richtig?

Beim Ecstatic Dance gibt es ein paar Eckpfeiler, die die Grundvoraussetzungen darstellen. Und einer davon ist eben die Drug Free Policy, das gilt auch für Alkohol. Traditionell gehört bei diesen Formaten Nüchternheit zum guten Ton. Oder, was wir auch schon aus der Clubszene kennen: Keine Handys, keine Fotos und Videos.

Siehst du einen Zusammenhang mit der Clubszene?

In den letzten Jahren erleben wir weltweit ein Momentun, dass diese Welten der Hippie-Kultur und bestimmter spiritueller Szenen mit denen der klassischen elektronischen Club- und Festival-Kultur zusammen kommen. Es gibt immer mehr Events, die diese Welten zusammenbringen, viele neue Festivals oder Experiences, die über komplette Wochenenden gehen. Da finden tagsüber jede Menge Workshops statt, Yoga, Meditation und so weiter, und abends wird klassisch aufgelegt. Und oft ist dann vor Mitternacht schon wieder Schluss. Es gibt Festivalreihen, wie beispielsweise The Gardens Of Babylon, die bereits fest etabliert sind. Deren Crew macht auch noch andere Festivals wie etwa das Monastery. Ich selbst habe 2019 die beiden ersten richtigen Ecstatic Dances auf dem Garbicz-Festival gespielt. Auf diesen Festivals kommen Leute aus unterschiedlichen Szenen zusammen und vermischen sich. Bei vielen Ecstatic-Dance-Events erhält man als DJ noch wenig bis kaum Gage, nicht zuletzt, weil die Veranstaltungen mit viel weniger Teilnehmern stattfinden. Aber das ändert sich zunehmend. Auf dem Moonbow Festival der Woomoon-Crew aus Ibiza habe ich vor drei Jahren erstmalig eine normalen DJ-Gage erhalten, und jetzt geht es auch langsam für mich los, dass ich in Mindfulness-Programme von Hotels aufgenommen werde.

Wie, glaubst du, entwickelt sich die Ecstatic-Dance-Szene weiter?

Ich sehe bei Ecstatic Dance ein paar Parallelen zu den Anfängen der Technoszene. Damals glaubten wir, dass das alles eine große gesellschaftsverändernde Kraft in sich trägt. Das glaube ich heute bei Ecstatic Dance umso mehr. Viele finden dadurch ihre innere Mitte und werden Teil einer Community, die sie trägt. Auch bei Techno wurde die Szene damals für viele zum Familienersatz. Aber in der Ecstatic-Dance-Szene gehen viele positive Effekte – zumindest für mich – noch weit über das Potenzial hinaus, das die Technoszene damals zu bieten hatte. Die Art und Weise, wie dort bewusst und mittels Verzicht auf Konsum andere Bewusstseinszustände erreicht werden, die Achtsamkeit und der Respekt im Umgang miteinander, das Gemeinschaftsgefühl, das habe ich so vorher noch nie erlebt. Viele Leute würden gerne immer noch regelmäßig tanzen gehen, aber viele, die jetzt Familien mit Kindern und die damit verbundene Verantwortung haben, wollen und können einfach nachts nicht mehr in Clubs gehen. Für die ist Ecstatic Dance eine tolle Alternative. Ich glaube das wird noch weiter aus der Nische rauskommen, in der es vorher so lange war. 

Kargyraa von Mathami ist auf Pura Danza erschienen.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Renate: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir finanziell nicht mehr können”

Die Wilde Renate muss Ende 2025 schließen. Warum der Mietvertrag nicht verlängert wird, erklärt Pressesprecherin Jessica Schmidt.

Awareness bei Rave The Planet: „Eins ist klar: Die große Hilfsbereitschaft innerhalb der Szene war und ist real”

Awareness auf einer Parade ohne Einlass und Tickets? Wir haben das zuständige Team bei Rave The Planet zu dieser Herausforderung interviewt.

Tanith: „Früher war man froh, dass alle Generationen auf einem Floor funktionieren”

Ageismus in der Technoszene? Durchaus ein Problem, meint Tanith. Im Interview erklärt er, was sich ändern muss.
180826