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Paramida: Der behutsame Umgang mit der eigenen Energie

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Paramida (Foto: Lucas Christiansen)

Anfang der zehner Jahre hat Berlin mit Paramida eine DJ dazugewonnen, die die lokale Clubszene seitdem auf unkonventionelle Weise prägt. Sei es durch ihre Arbeit beim Plattenladen OYE oder mit ihren eigenen Partyreihen im Salon zur Wilden Renate.

Ihre unberechenbaren Sets machten sie schließlich zum festen Resident-Bestandteil des Robert Johnson, der Panorama Bar und von Rinse FM. Ihr abwechslungsreicher Sound speist sich aus zahlreichen Genre-Schubladen der Dance-Historie – von Proto-House, Trance oder perkussivem High-NRG bis hin zu italienischem Dream-House und diversen discoiden Sounds.

Auch auf ihrem Label Love On The Rocks veröffentlicht Paramida facettenreiche Tanz-Hymnen, die an den unterschiedlichsten Orten auf der ganzen Welt entstanden sind. Hier bedient sie sich regelmäßig einer bunten Farbpalette aus pastelligem Ambient, leuchtendem Trance, erdenden Breaks und deckendem Progressive House.

Nach zwei gefühlten Jahren Pandemie sind virtuelle Gespräche zur traurigen Normalität geworden, und so erklärt Paramida unserer Autorin Giovanna Latzke im Zoom-Interview, warum DJs nicht auf eine Bühne gehören, was richtiges Diggen ausmacht – und wie Mondphasen ihre Energie beeinflussen.


Wie viele der immer reisenden Künstler*innen hat während der Pandemie auch Paramida die Gigs in aller Welt vermisst. Um die triste Lockdown-Stimmung gegen Sonne zu tauschen, zog sie kurzerhand für ein halbes Jahr nach Portugal. Aber auch zurück im gelockerten Berlin hat Paramida plötzlich enorm viel Zeit, so viel wie noch nie in ihrem Leben. Als eine Frau, die immer Hummeln im Hintern hat, kann sie jedoch nicht stillsitzen. „Ich sach ma, wer rastet, der rostet.” Und die Inspiration, die sie sonst an neuen fremden Orten aufsaugte und in ihren Sets verarbeitet hat, holt sie jetzt aus sich selbst und den Platten, die schon in ihrem Regal stehen, heraus.

Paramida (Foto: Lucas Christiansen)

Dabei hat sie keine Melodie oder vorgefertigte Idee im Kopf. Die größte Inspiration schöpfe sie aus dem Prozess des Probierens. „Ich habe mehr Ideen, wenn ich emotional aufgeladen bin, was komisch ist, weil ich eigentlich relativ fröhliche Musik spiele.” Auf Partys bringe sie immer gute Laune rüber. Aber in ihren Tracks sei das sehr verschieden. Ihr komplettes Repertoire an Sounds wirft Paramida mit ihren Emotionen auf ihren Arbeitstisch und zaubert daraus ihre gerade erschienene EP Dream Ritual.

Manchmal sitze sie lange an Tracks, bei denen die Arbeit kein Ende finden will. Die zwei Titel auf Dream Ritual waren allerdings ruckzuck fertig. Sobald ihr die Stücke einmal in den Sinn gekommen waren, musste es schnell gehen. „Freunde wie Youandewan oder Octo Octa fanden die Tracks glücklicherweise auch toll” und ließen sich nicht lang bitten, diese zu remixen.

Wer einen genauen Blick auf ihre neue EP wirft, kann in den Tracks die wechselnden Mondphasen erkennen. Der Mond beeinflusst nicht nur die Gravitation der Erde oder die Gezeiten. Paramida spürt, wenn die Energie umschwingt und eine neue Phase beginnt. Früher habe sie ihre Partys nach dem Mondkalender gelegt. Im Vollmond könne die Feier richtig geil sein, aber sie habe auch schon Partys gehabt, wo die Menschen komisch drauf waren, erinnert sie.

Wenn sie in das Produzieren eingetaucht ist, fällt es Paramida schwer die musikalische Führung wieder anderen zu überlassen und mit der Musik anderer Künstler*innen zu arbeiten. Sie steckt dann tief in der Materie und will neue Klänge entdecken. Von den klassischen Gigs im Sommer wurde sie dann ein wenig überrumpelt. Um den Traum zu leben, nur die eigene Musik zu spielen, will sie mit den wöchentlichen Mixe auf Rinse FM pausieren.


„Ich glaube daran, dass man selbst die Antwort weiß, wenn man ganz bewusst fragt und sich konzentriert.”

Paramida

Das Auflegen, Produzieren und auch ihre Labelarbeit entsprangen immer der gleichen Wurzel. Bereits existierende Musik langweilte sie, auch die Sets von Kolleg*innen und etliche der Platten, die bei OYE über den Ladentisch gingen. Gleichzeitig hat sie einen starken Willen, zu verändern und zu gestalten. Mit gesundem Selbstvertrauen und einer motivierenden Vorstellungskraft wird sie schließlich selbst zur Produzentin.

Ihr eigenes Label hingegen hat Paramida nie als Business im klassischen Sinne gesehen. „Love On The Rocks hat immer so ein bisschen meine Reise durch das Leben widergespiegelt. Was für Leute gerade in meinem Umfeld sind, welche Dinge mich beeinflussen.”

Wie immer, wenn ihr nicht gefällt, was andere machen, nimmt sie die Zügel selbst in die Hand. Sie besucht Kurse, besorgt sich MIDI-Instrumente, Ableton und experimentelle Plug-Ins. Nachhaltig inspiriert, zitiert sie einen New Yorker Produzenten, der predigte: „Wenn du gut bist, kannst du mit wenigen Mitteln gute Tracks machen.” Sie samplet auf der EP altbekannte Lieblings-Sounds und legt eine energetische Bassline darunter.

Paramida (Foto: Karlo Hecimovic)

Paramida grinst unentwegt und erinnert in ihrem bunten Streifenpullover an die wissende Katze aus Alice im Wunderland. Sie wirkt tiefenentspannt vor ihrem prall gefüllten Plattenregal, während sie betont, dass auch ihr Weg weder geradlinig noch einfach war. Und schwelgt in Erinnerungen an Gigs, bei denen sie vorher nicht wusste, was das Publikum von ihr erwartet. Endlose Möglichkeiten und der selbst auferlegte Anspruch, nie das Gleiche zu spielen, enden bei der Vorbereitung manchmal in einem Gefühl von Verlorenheit. Man könne zwar die Musik etwa auf Slot und Venue zuschneiden, aber die unsicheren Momente kämen so oder so vor.

Sie verlasse sich ungern auf den Geschmack oder die Meinung von anderen. „Das Schöne am eigenen Label oder Produzieren ist, dass man alles selbst entscheiden kann.” Auch Feedback holt sie sich selten ein: „Ich glaube daran, dass man selbst die Antwort weiß, wenn man ganz bewusst fragt und sich konzentriert.” Andere Perspektiven und Standpunkte seien mal ganz interessant, aber letztendlich plädiert Paramida dafür, den eigenen Weg ohne Rezepte und Urteile zu beschreiten. Selbstbestimmt betont sie, dass man eigentlich schon die Antwort kenne, wenn man einfach in der Mitte ist.

Balearisch, aber mit heftigem Pump

Aber wie genau ist man in seiner Mitte? Als hochsensible und audiophile DJ fällt es Paramida leichter, dort zu sein, wenn sie keine Leute sieht, gibt sie ehrlich zu. „Einfach aus dem Grund, weil jegliche soziale Interaktion ein Energieaustausch ist.”

Umso mehr Leuten man begegne, umso standfester müsse man sein. Sie nehme auf vielen Ebenen sehr viel wahr als empfindsame Person. Und diese Wahrnehmungen müssen dann erstmal verarbeitet werden. Auch vor Corona waren Menschenmengen nicht das Nonplusultra für sie. Die Gigs und das Netzwerken am Wochenende hätten vollkommen gereicht. Auch das Spielen vor Leuten sei ein Energieaustausch. Wenn man als DJ nicht behutsam mit der eigenen Energie umgeht, könne man eben auch nicht viel geben, und dann würden die Sets unpersönlich.


„Ich wäre lieber in der Zeit DJ, als man die Bookings noch per Fax machen musste.”

Paramida

Doch ihre verstärkte Wahrnehmung und Empfindung sind nicht der einzige Grund, warum sie findet, dass DJs auf gar keinen Fall auf eine Bühne gehören. Paramida kommt auf den Personenkult zu sprechen, der seit Instagram enorm zugenommen hat.

Sie spricht von erwartungsvollen Blicken des Publikums, die sich nach emotionaler und energetischer Führung sehnen, von Anfeuern und Bejubeln, Klatschen nach jedem Schichtwechsel. Das hat für sie nichts mit Clubkultur zu tun. Paramida sieht ihr leidenschaftliches Handwerk dennoch als eine Art von Dienstleistung und findet es deswegen befremdlich, zu performen. „Ich bin keine Performerin. Und das werde ich auch nie sein.”

Das Cover von Snake Language, der Love-On-The-Rocks-Veröffentlichung von Zombies In Miami.

In einer idealen Welt würde sie nicht die ganze Zeit angesehen, sie könnte sich auf die Musik konzentrieren. Die Menschen auf der Tanzfläche beschäftigten sich mit sich selbst, anstatt nach vorne zu schauen oder auf ihr Smartphone zu blicken. „Ich wäre lieber in einer anderen Zeit DJ, als man die Bookings noch per Fax machen musste.”

Auch als erfolgreiche und emanzipierte Produzentin und DJ mit beliebtem Sound ist man nicht immer vor übergriffigem Verhalten sicher. Immer noch komme es vor, dass Leute ihr während einem Auftritt vorschlagen, sie solle härter spielen oder mal lachen. Und merkt an, dass man das einem männlichen DJ in den seltensten Fällen raten würde.


In den günstigen Ramschecken der Plattenläden stehen oft die wirklich wertvollen Gems, das ist für Paramida der wahre Weg.


Mit ihrer Espressotasse in der Hand und strahlenden Augen wirkt Paramida an diesem herbstlichen Abend unermüdlich. Aber sie mutet sich andauernd zu viel zu, sagt zu allem ja, bis zum Anschlag der kreativen Leistung. Um im Jet-Set-Leben als viel gebuchte DJ in ihrer Mitte zu bleiben, wendet sie die uralten Atemtechniken der Meditation an, etwa, wenn sie, von einer Party zurückgekehrt, im Hotel auf Knopfdruck schlafen soll.

Dass ihr Weg kein geradliniger war, wird nochmal deutlicher, wenn sie über die häufigen Wechsel von Studienfächern erzählt. Als ihre Eltern dann zumindest einen Abschluss sehen wollten, entgegnete Paramida intuitiv: „Nein”. Risikobereit schwor sie darauf, alles auf eine Karte zu setzen. Im Nachhinein, das heißt nach der Arbeit im Plattenladen, Residencys, Tätigkeiten als Veranstaltungsleiterin, Booking-Jobs und mehreren Welttourneen, würde sie nichts anders machen. Ihren Mut belohnten ihre Eltern schließlich auch mit stolzen Besuchen in der Panorama Bar oder im ://about blank.

Plattencover von State Of Mind (Slack Mix) von Peyote Dreams auf Love On The Rocks 

Reflektiert erzählt sie davon, ihre größte Kritikerin zu sein, aber sich dennoch immer wieder klar zu machen, ihre Erfolge allein erreicht zu haben. Kein Promoter, Label oder Management habe sie gepusht, noch habe sie sich in eine bestimmte Rolle drängen lassen.

Doch wie ist sie konkret dahin gekommen, wo sie jetzt steht? Paramida ist keine Freundin des langen Grübelns. 2010 zieht sie nach Berlin und soll für ein Stadtmagazin schreiben. Statt selbst eine Rezension zu verfassen, lädt sie Leute ein und spielt ihnen die Promos vor. Mit dabei war auch der Inhaber von OYE. „Ich habe ihn direkt nach der Session festgenagelt: Ich will bei euch arbeiten. Ich habe nie viel nachgedacht, ich habe es einfach getan.”


A Life Lived In Fear Is Like A Life Half Lived von Elles x Violet auf Love On The Rocks.

Im Endeffekt ist sie stolz auf sich und erinnert sich an ihre Zeit bei OYE gern. Der Laden sei ein Ort gewesen, an dem verschiedene Leben zusammengekommen sind. Eines davon war das von Paramida.

Ein sozialer Ort, um neue Menschen kennenzulernen und Musik zu entdecken. Dank ihres Feingespürs seien Kund*innen nur erschienen, wenn sie vor Ort war oder ihnen vorher Stapel zusammengestellt hat. Und sie schwört auch heute noch auf das Diggen im Plattenladen, wenn man wirklich die Muße hat. Früher habe sie auch Discogs geliebt, aber mittlerweile spürt sie dort einen starken Algorithmus. Das Durchforsten von Listen und das Entdecken neuer alter Inhalte sei zwar toll, aber nicht, wenn dann das Reissue sechs Monate später für ein Sechstel des Preises erscheint. In den günstigen Ramschecken der Plattenläden stehen oft die wirklich wertvollen Gems, das sei für sie der wahre Weg.

Paramida (Foto: Lucas Christiansen)

Dann träumt sie laut davon, eines Tages nach Italien zu reisen, nur um dort die Läden abzuklappern, denn ihr Sound sei sehr von Musik aus dem mediterranen Land beeinflusst. Sie schwärmt von House, Disco und progressiven Trance-Produzent*innen aus Bella Italia. Die größte Inspiration überhaupt war für sie Flavio Vecchi. Paramida entdeckte seine Mixe aus den frühen Neunzigern und war sofort Feuer und Flamme, spielte seine Sets in privaten Runden vor. Eines Tages kauft sie eine Platte von ihm, entdeckt seine Mailadresse und fragt ihn nach einem speziellen Track. Er wäre cool gewesen und bereit zu helfen, aber der Mix mit dem betreffenden Track war plötzlich unauffindbar. „Eine balearische Nummer, aber mit einem heftigen Pump.” Eine Schicksalsfügung sei es gewesen, als der Discogs-Algorithmus ihr dann die Scheibe präsentiert. Da wandert sie vom Warenkorb direkt in den nächsten Resident-Advisor-Mix.

Paramida gesteht offen ihre Liebe zu Disco und betont: Wer Disco nicht mag, verstehe ganz einfach Tanzmusik nicht. Von einer anderen Meinung sei sie nicht zu überzeugen. Techno sei auch toll, aber Disco „einfach geil”. Und dabei redet sie nicht von cheesigem Orgel-Disco, sondern von Disco im Chicago-Detroit-Kontext. Sowas sei spannender als zwei Stunden Love Classics. Aber das komme natürlich auf den DJ an.

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