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Christoph Faust/ Inhalt der Nacht: „Ich kann verstehen, dass niemand abschaltet”

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Aus Inhalt der Nacht wird Christoph Faust (Sämtliche Fotos: Presse)

Bis vor Kurzen kannte man Techno-Producer und -DJ Christoph Faust als Inhalt der Nacht. Mit den Produktionen unter diesem Alias gelang Faust 2019 ein geradezu exponentieller Aufstieg in einer Szene, die auf einen harten, schnellen, so düsteren wie emotionalen Techno-Sound steht.

Zu mehreren Koffeingetränken erzählte der gebürtige Berliner unserem Autoren Ben-Robin König von seiner (politischen) Heimat, von verantwortungsbewussten Gigs in der Corona-Zeit, was er am Techno-Zusammenhang schätzt und was ihm auf die Nerven geht – und was ihn dazu bewogen hat, sich mit dem Namen Christoph Faust einem neuen, reduzierten Sound zuzuwenden.


Christoph Faust sitzt unterm gerade primär Wasser abweisenden Sonnenschirm der Brandi Espressobar, tiefstes Kreuzkölln. Der Super-Sommer 2021, in dem möglichst viel verpasste Lebenszeit endlich nachgeholt werden sollte, er ist auch wettertechnisch durchwachsen.

Wie er da so sitzt – das schwarze, weit geschnittene Kurzarmhemd weit geöffnet, die Jeans verwaschen, die Haare verwuschelt. Man könnte in der Tat denken, er wäre gerade vom Rave hier auf der außengastronomischen Bierbank gestrandet. Nur: Sein Grinsen wirkt ausgeschlafen, sein stark berlinerisch gefärbtes Werben für den hiesigen Kaffee, „gut hier, echt italienisch”, klingt ebenso aufgeweckt.

So ahnt er auch direkt das erste Gesprächsthema. „Worüber wollen wir sprechen? Wie’s mir geht mit Corona?”, fragt er lachend. War vielleicht auch allzu naheliegend. Aber: Es geht ihm gut, trotz Gig-technischer Flaute. Streams? Hat er natürlich auch gespielt, United We Stream und HÖR, doch: „Irgendwann hatte ich die Schnauze voll, vor der Kamera zu spielen ist nicht mein Ding.” Lachend fügt Faust noch hinzu, dass sich die Technologie eigentlich endgültig überflüssig gemacht hat, „eigentlich hat ja keiner mehr Lust, sich einen Stream anzuschauen, auch wenn da dann vielleicht noch ein paar Menschen vor der Kamera ihren Rausch ausleben.”


„Du merkst schon, dass selbst die kleinsten sozialen Interaktionen für viele zur Überforderung werden. Das ist gruselig.”


Mit dem Rausch ausleben beziehungsweise unbeschwertem Feiern ist es nach wie vor durchwachsen. Überall machen Clubs wieder auf, es gibt Modellprojekte, Festivals, Open Airs. Und mittendrin tritt auch Faust wieder auf, in dieser Zeit noch als Inhalt der Nacht. Acht bis neun Auftritte sind für August angedacht, gespielt wird dort, wo Clubs geöffnet haben und die Einreisebedingungen es erlauben.

Auch der September ist recht ausgebucht, den betrachtet er allerdings mit Skepsis, „es ist die Frage, wie es sich verhält. Ich schätze, alles vorher noch wird noch klappen, aber danach wird weniger bis gar nichts passieren – wenn ich mir das [EM-Finale] in England mit fast 60.000 Menschen im Stadion ansehe.”

Während Faust von der zwiespältigen Situation in der Clubszene erzählt, erscheint ein Bettler am Tisch. Der Musiker kramt nach Kleingeld und driftet in ein Gespräch über die Situation auf der Straße ab. Das Thema Psyche verfängt, auch nachdem der Mann seines Weges geht. Er berichtet von seinem Umfeld, in dem einige extrem unter der Isolation gelitten haben. „Du merkst schon, dass selbst die kleinsten sozialen Interaktionen für viele zur Überforderung werden, das ist gruselig.” 

Und auch bei sich hat er Ansätze davon bemerkt, „dass man auf einmal Angst hat, jemanden zu umarmen, Angst vor Kontakt hat. Früher war es beim Feiern das Normalste der Welt, auch mal wen wildfremden zu umarmen.” Er hat Verständnis für jene, die daraus ausbrechen wollen, und befürwortet Modellversuche, die eine Perspektive schaffen – für die Club- und Kulturszene, für die Gastronomie, für alle, die daran teilnehmen.

Zwei „Raves”, die er in diesem Jahr gespielt hat, waren ebenfalls solche Modellprojekte. Das „Rave” kann getrost in Anführungszeichen stehen, von Clubfeeling und nächtlichem Rausch blieb nicht viel übrig dabei. „Diese Studie im Revier Südost, da haben alle Gäste einen Tracker bekommen, und das Bewegungsprofil wurde erfasst”, erzählt er. „Das war eine ziemlich weirde Stimmung. Überall waren Beobachter*innen an der Seite, die das Verhalten notiert haben. Wenn du die ganze Zeit gemustert wirst, kann ich auch verstehen, dass da niemand abschaltet.”

Auch am Bodensee wurde experimentiert: Inhalt der Nacht spielte zweimal tagsüber, das Publikum musste Tickets für einen Zeitslot buchen, „nach vier Stunden wurden die Gäste komplett gewechselt”. All das selbstredend für Getestete, Geimpfte und Genesene.

Mit einem Engelchen und Teufelchen auf der Schulter

Durchwachsen sei das. „Dass wieder Leute vor einem stehen, Kontakt da ist, dahingehend war das richtig schön.” Andererseits stören Faust das Licht, die Locations, vor allem die Spielzeiten: „Für mich gehört Techno einfach in dunkle Clubs, wo eine Nacht durchgetanzt wird. Tagsüber, bis 22 Uhr, das erinnert an die frühe Jugendzeit, wo die Eltern einen um zehn wieder zuhause haben wollten. Aber versteh’ mich nicht falsch, das ist beschweren auf hohem Niveau”, fügt er lächelnd an. Und trotzdem fragt er sich: „Was willst du darin verpacken? In einer Stunde spielst du fünf Hits, da ist nicht viel mit Auf- und Abbau einer Stimmung.”


„Ich war hin- und hergerissen, weil Auflegen einfach ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens ist, ich so lange nicht gespielt hatte, das war schon schmerzhaft.”


Das Gegenteil, eine Nacht voller Exzess, so richtig schmeckt es ihm gerade aber auch noch nicht. Im April war er nach Moskau eingeladen, das war eine Reizüberflutung. „Ich kam in dem Club an, und dann sind da auf einmal 2000 Leute vor dir und du weißt gar nicht so recht, wie du dich dabei positionieren sollst.” Noch dazu: Eigentlich galt Maskenpflicht, an die sich aber niemand gehalten habe, weder im Club noch sonst irgendwo. Danach pausierte Faust wieder seine Auftritte, bis zur Zweitimpfung. Andere Anfragen lehnte er ab. 

Vor Moskau durchaus immer wieder mit etwas Wehmut, „mit einem Engelchen und Teufelchen auf der Schulter. Ich war hin- und hergerissen, weil Auflegen einfach ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens ist, ich so lange nicht gespielt hatte, das war schon schmerzhaft.” Nach Moskau sind seine Absagen entschiedener.

Manche Fragen nimmt Faust vorweg, weil er sie sich selbst stellt: „Ist es das wirklich wert, jetzt im Sommer ein paar Gigs spielen zu können, oder ist’s besser, wenn man jetzt einfach nochmal die Zähne zusammenbeißt, alles zulässt?” Denn, so befindet er, „freut sich doch jeder DJ letztlich, mal wieder auf einer Party spielen zu können, bei der die Spielzeiten nicht gedeckelt sind. Mit Open End, in einem Club. Das braucht nicht einmal ausgelastete Kapazitäten.”


„Ich glaube, ich wäre zu impulsiv für die Politik, zu radikal. Ich würde Investoren aus der Stadt schmeißen, von mir aus können Häuser gern besetzt werden.”


Gewissermaßen beginnt er hier, sich selbst zu widersprechen, wenn er sich wie jeder performing artist wünscht wieder aufzutreten, aber alle Veranstaltungen das Ende der Pandemie weiter hinauszögern. Vielleicht trifft er damit aber auch genau den Zwiespalt, in dem sich allzu viele befinden, auch abseits der Technoszene: Sich nach einer Art altbekannter Normalität zu sehnen und gleichzeitig zu fürchten, sie allzu schnell wieder zu verlieren.

Es ist nicht unbedingt üblich, dass Repräsentanten einer primär für zügellosen Hedonismus bekannten Szene sich allzu nachdenklich äußern. Dass diese Überlegungen den eigenen Kosmos, die Blase verlassen, noch weniger. Der Satz „Wir machen gerade die gleichen Fehler wie letztes Jahr” passt eher in das Twitterprofil von Politikjournalist*innen als in die Aussagen eines tourenden Djs. Christophs Maßstab ist aber nicht bloß der eigene Kosmos, nicht bloß der Inhalt der Nacht. Ihn ängstigt die kommende Bundestagswahl, er kann sich in politischen Diskussionen verlieren.

Ihn frustriert die Macht von Wirtschaftsinteressen in Deutschland, sicherlich auch, weil er als Kulturschaffender Leidtragender ist. Aber er versucht sich in Optimismus und hofft, dass sich die Jugend politisch mobilisiert und eine „versoffene Altherrenrunde” verhindert. „Ich möchte einfach keinen Mann an der Spitze von Deutschland.” Das Beste an tomatenpflanzenden Altkanzlern sei allenfalls ihr Meme-Potential, befindet er lachend.

Politisches Engagement überlässt er aber doch lieber anderen, zu links, zu utopisch sind seine Wünsche und Ansichten, bekundet er: „Ich glaube, ich wäre zu impulsiv für die Politik, zu radikal. Ich würde Investoren aus der Stadt schmeißen, von mir aus können Häuser gern besetzt werden”, preist er sein Wahlprogramm an und stellt sogleich richtig: „Das würde natürlich nicht funktionieren.” 


„Wir haben uns im Studio stundenlang Sets und Tracks von anderen angehört, immer und immer wieder, sie seziert.”


Dennoch stört er sich an der Entwicklung seiner Stadt. „Berlin ist wie ein guter Kumpel von mir, ich seh’, wie der immer mehr leidet und die Probleme immer größer werden.” Was die Probleme sind? Es sei nicht die Modernisierung, sagt er, es sei die Kommerzialisierung, der Ausverkauf. Mehr Shoppingcenter, mehr Büros, „vor allem Büros! So viele Büros braucht man doch gar nicht, wenn jetzt so viele im Home Office arbeiten!”

Christoph Faust, der (noch relativ junge) Urberliner, spricht aus ihm, wenn er einen Fokus auf Berlins kulturelle Stärken und Schutzräume fordert, denn „eigentlich ist Berlin keine Stadt, die sich nur gut betuchte Menschen leisten können. Eine Stadt ist ja auch was, das für alle möglich sein sollte und nicht nur für die Upper Class.” Den Zug für das Berlin seiner Träume sieht er dabei abgefahren, was bleibt, sei Schadensbegrenzung. Dennoch bleibt es sein Zuhause, seine Schicksalsstadt, „die Gentrifizierung kriegt mich hier nicht weg”, fügt er lachend an, „wenn ich deshalb wegziehen würde, hätte die Gentrifizerung ja gewonnen!”

Die Inspiration sich weiterzuentwickeln

Diese reflektierte, nachdenkliche, bisweilen verantwortungsbewusste Seite, passt die noch zu Tracks wie „Gier frisst Seele” oder „Fleischleben”, passt das zu Inhalt der Nacht? Tatsächlich kam über den Verlauf der Pandemie die Entwicklung hin zu einem neuen Sound, der ihn auch zu der Namensänderung bewog. „Ich wollte weg von diesem harten, düsteren Sound”, der 2019 zwar Spaß gemacht habe – aber inzwischen kann er sich nur noch schwerlich mit diesem Stil und den Entwicklungen in der Szene identifizieren. Referenzen auf Satanismus und die morbide Schwarzweiß-Ästhetik seien ohnehin bei den meisten so wenig ernst gemeint wie bei ihm selbst. Bei ihm persönlich seien diese Bezüge auch durch sein Interesse an Metal entstanden.

Diese Entwicklung passt nicht mehr zu Inhalt der Nacht. Deshalb hat Christoph entschieden, in Zukunft als Christoph Faust Musik zu machen. Zeitlos, frei von Schubladen, nicht dem Dilemma ausgesetzt, bei jeder graduellen Veränderung des Outputs überlegen zu müssen, ob es überhaupt noch zum Alias passt (Bevor er als Inhalt der Nacht auftrat, produzierte er unter dem Namen Escape to Mars).

Er ist „weg von dem harten Stuff” und möchte zeigen, „was auch noch in mir steckt.” Aber was ist dieses „das” eigentlich? Grooviger, reduzierter, repetitiver soll es werden. Wieder ruhiger. Regis und Surgeon nennt er als große Inspiration. Und dass er die stetige Weiterentwicklung von Techno mag, an der er gerne teilhabe. Sein Labelkollege Vergil<a, der gerade am Tisch erscheint und kein Bargeld für Kaffee und Zigaretten dabei hat, attestiert Faust kurz seine musikalische Vielseitigkeit, ehe er mit Zahlungsmitteln und Getränkewünschen in der Bar verschwindet.


„Es gibt viele, die nicht auflegen können und trotzdem überall gebucht werden, weil sie so viele Follower haben.”


Während die beiden über die korrekte Höhe des Trinkgelds debattieren, kündigt Faust auch Veränderungen auf dem Lebendig-Label an, das er mit Vergil betreibt. Es solle „erwachsener” werden. Releasedaten hat er aber keine, weder für seine Artists noch für ein eigenes Album. Dafür will er lieber noch etwas an neuer Hardware spielen und sich eingewöhnen. Es könnte wohl noch dauern, auch wenn er bei der Bedienung von Produktionsequipment Gefühl über theoretische Auseinandersetzung mit Frequenzen setzt.

Für die Qualitätskontrolle ist meist Vergil zuständig, wenn er Faust im Studio aufliest. Die meiste Zeit in diesem Jahr verbrachte er allerdings mit Feldanalyse: „Wir haben uns im Studio stundenlang Sets und Tracks von anderen angehört, immer und immer wieder, sie seziert. Ich finde es faszinierend, wie andere arbeiten – daher kam auch die Inspiration, mich weiterzuentwickeln.”

Die übrige Szene ist aber nicht nur Inspirationsquell, sie bindet auch Frust. „Instagram hat extrem viel zerstört”, findet Faust, „das wirklich Relevante wird komplett zurückgestellt.” Inzwischen sei die Szene geflutet mit DJs, die eigentlich hauptberuflich als Influencer arbeiten. „Es gibt viele, die nicht auflegen können und trotzdem überall gebucht werden, weil sie so viele Follower haben.”

Für Faust habe da die Pandemie durchaus einen heilenden Effekt gehabt, sie hat ihm einen neuen Fokus gegeben. Er hat im Café gejobbt, ehrenamtlich bei der Berliner Stadtmission gearbeitet und dabei unterschiedliche Charaktere kennengelernt, die ihm ein neues Gefühl für das Wesentliche im Leben gegeben. 

Als Konsequenz hat er das Label Solidarität aus Berlin gegründet, die Erlöse der ersten Platte gehen an die Stadtmission. Dieser Ansatz stellt für ihn auch eine Verbindung zum Idealismus der neunziger Jahre her. Techno als Musik, die für jede*n offen ist, bei der es nicht allein um Looks und Social Media geht. Das entspricht ihm mehr als eine Techno-Welt, die sich mit Drops und Schaumkanonen immer mehr den Ritualen des EDM annähert.

Christoph Faust, der mit Tattoos übersät ist, der viel über seine politischen Ideale und seine Liebe zu Techno und zur Ekstase erzählt, wirkt plötzlich überraschend bodenständig. „Wenn ich mir meine Wohnung leisten, meine Freundin hin und wieder einladen und ein normales, schönes Leben führen kann, ist das schon mehr als genug.” Nur in Berlin sollte es eben sein.

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