Aleksi Perälä (Foto: Presse)
Archaisches Wissen, esoterische Philosophie oder spiritueller Kult: Am Kompositionsprinzip Colundi scheiden sich buchstäblich die Geister. Für den finnischen Produzenten Aleksi Perälä, der mit Colundi durch seinen guten Freund und Rephlex-Gründer Grant Wilson-Claridge in Kontakt kam, war es nicht weniger als eine inspirierende Offenbarung, die sich nicht nur in seinem sehr produktiven musikalischen Output widerspiegelt. Laura Aha hat sich mit Perälä über Sound Healing, klingende Landschaften und die mysteriöse Welt des Colundi unterhalten.
Seit unserem Interview hat Aleksi Perälä sage und schreibe 16 neue Alben herausgebracht. Dabei ist das Gespräch gerade mal knapp eineinhalb Jahre her. Ein paar Wochen zuvor hatte der finnische Produzent noch im OHM ein Live-Set gespielt. Es ist kurz vor dem ersten Lockdown und eines der letzten Interviews, in denen noch über pausenloses Fliegen und ausgedehnte touring schedules gesprochen wird. Aleksi Perälä, der seit den späten Neunzigern im Dunstkreis von Aphex Twins Rephlex-Label unterwegs ist und in Kenner*innen-Kreisen zu den großen IDM- und Ambient-Innovatoren zählt, ist allerdings mitnichten der typische Jetset-Act, der gerne im Rampenlicht steht.
Stattdessen lebt er relativ abgeschieden in einem Randbezirk von Lahti, einer mittelgroßen Stadt 100 Kilometer nördlich von der finnischen Hauptstadt Helsinki. Etwas verschlafen erzählt er davon, wie er jeden Tag in den Wald geht und die meiste Zeit in seinem Studio verbringt. „Ich arbeite gerade an sieben Alben gleichzeitig”, sagt er lachend. „Ich kann nicht anders, es macht einfach so viel Spaß!”
Für Perälä teilt sich sein Leben als Musiker in zwei Teile: Eine Zeit vor Colundi und eine Zeit danach. Abgeschieden von den Rave-Hotspots erlebt er als Teenager den Second Summer of Love in seiner finnischen Heimat nur über das Radio mit. Selected Ambient Works II von Aphex Twin wird zu einem wegweisenden Einfluss, der schließlich dazu führt, dass er 1999 selbst sein erstes Release auf Rephlex herausbringt. Unter den Aliassen Ovuca und Astrobotnia produziert er IDM auf den Spuren Aphex Twins. Später beginnt er unter seinem Klarnamen mit alternativen tonalen Stimmungen zu experimentieren und das gängige Zwölftonsystem, auf dem die westliche Musikkultur aufgebaut ist, zu hinterfragen. Und dann kam Colundi in sein Leben – eine Erfahrung, die für ihn alles veränderte.
„Es ist brandneu auf eine Art, aber gleichzeitig auch etwas Uraltes, Vertrautes. Das fühle ich bei Colundi die ganze Zeit, es fühlt sich an, wie zurück nach Hause zu kommen.”
„Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht”, sagt er rückblickend über die Art, wie er vorher Musik gemacht habe, im Gegensatz zu heute. „Bevor ich mit Colundi anfing, hatte ich bereits seit 25 Jahren Musik gemacht. Ich betrachte das heute als eine Art Freestyling, komplett frei, wohingegen Colundi dir vorgibt, welche Frequenzen du benutzen sollst.” Das Schwierigste daran sei, dass man alles verlernen müsse, was man bisher über Musik gelernt habe. Aber wenn man Perälä fragt, was genau Colundi ist, fällt häufig der Satz: „Es ist sehr schwer zu beschreiben.”
Eine Aleksi-Perälä-Produktion aus dem Jahr 2000, die unter dem Alias Ovuca erschienen ist.
Rein musikalisch lässt sich das System hinter Colundi aber durchaus relativ einfach beschreiben: Es ist eine frequenzbasierte Art der Komposition, durch die die westliche Einteilung der Musik in Oktaven abgelöst wird – ein Grund auch, warum man diese Art der Musik kaum auf herkömmlichen Synthesizern produzieren kann. „Dieser Ansatz ist eine Herausforderung und auf eine Art auch einschränkend. Man kann nicht einfach eine Melodie auf dem Keyboard spielen, weil die Frequenzen ein bisschen all over the place sind. Sie basieren auf anderen Dingen, nicht darauf, eine Melodie zu spielen.”
Peräläs Musik klingt jedoch weniger sperrig, als dieser konzeptuelle Überbau vermuten lässt, und ließe sich für das in Colundi ungeschulte Ohr wohl einfach als eine Mischung aus Ambient, IDM, Breakbeat und Electro klassifizieren. Doch Colundi ist mehr ist als ein experimentelles, physikalisch berechenbares Kompositionsprinzip. Die 128 Colundi-Frequenzen strukturieren sich in 21 Level, denen Perälä auch unterschiedliche physische Musikformate zuordnet. Die Veröffentlichungen aus der Reihe The Colundi Sequence sind daher auch auf den verschiedensten Formaten erschienen, von USB-Stick über Kassette bis hin zur historischen Drahttonaufnahme.
„Das ist ein sehr altes Format, es gab seit 50 Jahren kein solches Release. Wir haben diesen Typen in Kalifornien gefunden, der das immer noch macht und das für uns aufgenommen hat. Ich habe einen Haufen alter Aufnahmen über Ebay gekauft, und die haben wir dann überspielt, weil man das Rohmaterial gar nicht mehr kaufen kann. Es war einfach eine lustige kleine Sache”, erzählt Perälä mit fast kindlicher Begeisterung. Das Potenzial für Experimente mit Colundi scheint für ihn endlos: Jede Colundi-Frequenz ist eine Distanz, eine Dimension und auch eine bestimmte Farbe. Deshalb ergibt sich hier auch das Potenzial für andere Kunstformen.
Die Art, wie Colundi in Peräläs Leben trat, beschreibt er als eine Art Erweckungserlebnis, eine Epiphanie fast schon spirituellen Charakters: Unbewusst habe er schon länger mit Colundi-Frequenzen in verschiedenen Stimm-Systemen experimentiert. Doch es war Rephlex-Labelchef Grant Wilson-Claridge, ein guter Freund Peräläs, der ihn in die geheimnisvolle Welt von Colundi eingeführt habe.
Man kann nicht über Colundi sprechen, ohne irgendwann auf eine metaphysische, fast spirituelle Ebene zu geraten.
„Grant hat mir die Sequenz geschickt. Und ab dem ersten Jam mit der Colundi-Sequenz war ich so: ,Bye bye, das ist etwas ganz Neues – here we go!’”, erinnert sich Perälä und lacht. Wilson-Claridge gilt als Erfinder der Colundi-Sequenz, die den Produktionen zugrunde liegt. Wobei „Erfinder” Perälä zufolge nicht der richtige Ausdruck ist, da er in Colundi ein uraltes musikalisches Prinzip sieht, eine Art archaisches Wissen. „Es ist brandneu auf eine Art, aber gleichzeitig auch etwas Uraltes, Vertrautes. Das fühle ich bei Colundi die ganze Zeit, es fühlt sich an, wie zurück nach Hause zu kommen. Als wäre das schon immer dagewesen. Man war selbst auch schon mal dort und kommt wieder damit in Kontakt.”
Physikalische Beweise für Colundi findet Perälä in nicht-westlichen Musikkulturen. Kürzlich habe er eine tibetanische Klangschale, die ihm seine Frau geschenkt habe, analysiert und die Frequenzen berechnet: Sie waren alle auf der Colundi-Sequenz. Für ihn haben die Frequenzen eine Art heilsame Wirkung; eine Idee, die mitnichten neu ist: „Ich habe viel zu antiken Tempeln recherchiert und zu Sound-Healing-Kammern. Dadurch, dass es die Gebäude von damals ja noch gibt, kann man die Abstände zwischen den Wänden nehmen und daraus die stehende Welle im Raum berechnen. Häufig stellte ich dabei fest, dass diese Wellen oft Colundi-Frequenzen sind. Das beweist auf eine Art, dass diese Frequenzen schon lange verwendet wurden. Auch wenn wir die Musik nicht hören können, die in diesen Kammern gespielt wurde.”
Aleksi Perälä live in den Londoner Printworks
Am liebsten würde er selbst eine Art Sound-Healing-Tempel bauen, in dem sich stehende Wellen erzeugen lassen, eine weitere seiner zahlreichen Ideen. „Ich hab so viele Projekte im Kopf, die ich nicht alleine realisieren kann – ich brauche Hilfe!”, sagt Perälä lachend. Er möchte eine Colundi Drum Machine bauen, einen Colundi Synthesizer und eine Colundi Circle Machine. „Das wäre mein Traum!”, schwärmt er. Für Perälä scheint Colundi vor allem eins zu sein: Ein nicht versiegender Quell der Inspiration. Wie sonst sollte man innerhalb einen Jahres auch 16 Alben in dieser Qualität schreiben? Seinen Produktionsprozess beschreibt er als „Jam”, den er als Momentaufnahme gerne so unverändert stehen lässt wie möglich. In einem anderen Interview bezeichnete sich Perälä selbst einmal als „Werkzeug” und als „Gefäß” für Colundi, das eigentlich die Musik komponiere, quasi durch ihn.
Man kann nicht über Colundi sprechen, ohne irgendwann auf eine metaphysische, fast spirituelle Ebene zu geraten. Die Auseinandersetzung mit Spiritualität und Mystik ist in der elektronischen Musik nichts Neues – denkt man etwa an die Weltraum-Thematik bei Jeff Mills, Drexciyas Flucht in die Tiefsee oder auch der New Age einer Suzanne Ciani oder Kaitlyn Aurelia-Smith. Colundi hebt dieses mystische Element jedoch buchstäblich auf eine andere Ebene, da sich hinter der Colundi-Philosophie eine fast schon kultische Community formiert hat, die über eine mittlerweile gelöschte Website eine kryptische Philosophie verbreitete.
Darauf wurde Colundi als „way of life” beschrieben und als „Energietheorie”, die sich durch die „Colundi-Kolleg*innen” fortschreibe und durch eine quasi-religiöse, nicht weiter spezifizierte Entität, die als „The One” bezeichnet wurde. Die wohl aufsehenerregendste Aktion war ein 2015 von Wilson-Claridge initiiertes Crowdfunding, mit dem ein Stück Land in Cornwall gekauft werden sollte. Dieses sollte das physische Musikformat für das Release von „Colundi Level 9” werden. Das Projekt scheiterte an der Finanzierung.
Auch wenn Aleksi Perälä nicht direkt an diesem Projekt beteiligt war, bezeichnet auch er den Landstrich als „Colundi-Land”, von dem es auf der ganzen Welt verschiedene Orte gäbe. Für ihn ist Colundi eine Offenbarung, die positiven Wandel in sein Leben gebracht hat. Perälä findet: „Jede*r sollte Colundi wenigstens mal eine Chance geben. Es ist gut für jede*n auf diesem Planeten. Ich fühle das. Ich glaube, es könnte vielen Menschen helfen.” Dass diese Art der Erleuchtung für Außenstehende befremdlich sein kann und auch Skeptiker*innen auf den Plan ruft, hat er selbst schon erfahren. „Colundi hat auch einen massiven Einfluss auf mein Privatleben gehabt. Das war schon ein krasser Ritt”, erinnert er sich, ohne näher ins Detail zu gehen. Er schweigt kurz. Dann sagt er unvermittelt: „Ich würde den Moment gerne nutzen, um meine Kinder zu grüßen: Hi! Ich liebe euch.”
Es gibt ein paar solcher Momente während des Gesprächs, in denen man merkt, dass Alekski Perälä, wie er selbst sagt, „in seiner eigenen Welt lebt”. Für die Zukunft wünscht er sich, dass es weitergeht mit der Release-Reihe The Colundi Sequence, die mittlerweile schon bei Level 17 angekommen ist. „Es gibt 21 Level von Colundi. Also kann es nicht mehr so viele geben. Es geht also auch darum, die Serie angemessen zu Ende zu bringen. Aber ich möchte es noch nicht jetzt zu Ende bringen, da man Level 21 nicht lebend erreichen kann”, sagt er beiläufig. Auf mein verdutztes Schweigen hin fährt er fort: „Es gibt so viel zu tun und so wenig Zeit. So viele Ideen. Das ist toll. So lange ich lebe, werde ich nicht mit Colundi aufhören. Hoffentlich erreichen wir eines Tages Level 21.” Dann lacht er etwas verschmitzt. „Manche Dinge müssen eben auch ein bisschen mysteriös bleiben.”