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April 2021: Die essenziellen Alben (Teil 1)

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Ethereal Logic – Intergalactic World Music (Slow Life)

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Freundinnen und Freunde der Zero-Gravity-Experience, das ist eure Platte. Ethereal Logic, das Berliner Slow-Life-Duo um Indi Zone und Sergio Moreira, lässt die Sonne vom Himmel fallen, stecken das Weltall in ein schwarzes Loch und nennt es: den Ozean. Intergalactic World Music, ihre zweite LP, ist das entspannende Bad, mit dem man sich neue Strategien einbilden möchte. Es ist der Rahmen für einen Teich, eine Waldpfütze im Labor – mit spiegelglatter Oberfläche und Reflexionen der Milchstraße. Ein Album wie ein Deprivation Tank, hermetisch abgeschlossen, ohne Ausgang nach dem Eingang. Buy the ticket, take the ride, die Unternehmung von Parabelflügen für Mittellose ist der Ausdruck eines Raketenstarts. Man schwebt, lässt sich von Impulsen leiten, um in den Gleitflug zu wechseln. Unaufhaltsam. Frei. Bis sich der Brustkorb anhebt. Die Musik wird zum Medium, die einen isoliert und in einen Paranoia-gefilterten Raum sperrt. Das leise Trommeln regelt die Luftzufuhr. Ihr Echo den Abzug. Das ist Recyclingprozess der Restenergie, ein Brainstorming zum sonischen Fracking, das Ritual der Zimmerreise. Niemand weiß, wo man landen wird. Zwischen „Wherewerewe?” und „Signals From Elsewhere“ schnallt man sich in eine Rakete ohne Ziel. Die Triebwerke schießen uns so weit, wie wir uns denken können. Nur der Abriss der Musikzufuhr kann zur Störung der Übertragung führen. In case of emergency: Auf Repeat schalten. Christoph Benkeser

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Extrawelt – Eigensender (Furthur Electronix)

Extrawelt - Eigensender (Furthur Electronix)

Bei den Hits von Extrawelt ging es um eben diese wie um randständige Tracks des Duos, die auf schon lang nicht mehr erhältlichen Maxis erschienen sind. Das Album davor, Unknown, war eigentlich auch eine Compilation, denn es versammelte Breakbeat-Stücke aus verschiedenen Phasen der Hamburger. Somit ist Eigensender die erste LP seit 2017, die den Status Quo der fluffigen, freundlichen Psychedelik von Extrawelt spiegelt, die ebenso sehr Parallelwelt ist, wie sie sich im Hier und Jetzt verortet. Die Tracktitel deuten  augenzwinkernd die Reibungsfläche zwischen Rausch und Normalität an, „Premonition of a Flashback” etwa.

Ähnlich spielerisch setzen Extrawelt die verschiedenen Genres der elektronischen Tanzmusik in Beziehung. Musikalisch ist die Nummer satter Drum’n’Bass, der mit seinen reduzierten, eindringlichen Basslines und sanften Pads doch von einer technoiden Monotonie getragen wird. Oder „Ungerade”: Das Stück verschmilzt einen 1994er-Jungle-Groove mit Achtziger-Hip-Hop-Scratches, die, sehr lustig, einem Synthesizer entstammen und keinem Plattenspieler. Der Titeltrack des Albums gewinnt mit einem schuckeligen, beschaulichen Groove einer in sich gekehrte Bassfigur einen unerwarteten Ernst ab. Auf der zweiten Platte lässt eine aufgekratzte 303 Rave-Stimmung aufkommen, „Schutt & Asche” eskaliert mit verschachtelten, akustischen Drum-Sequenzen. Aber Extrawelt wären nicht Extrawelt, wenn es auch in so einem Track keinen Ruhepol gäbe. Hier materialisiert er sich als als housiges Riff, das die Tänzer*innen in wattige Sounds bettet. Alexis Waltz

Facta – Blush (Wisdom Teeth)

Facta – Blush (Wisdom Teeth)

Blush ist ein Kind der Pandemie. Oscar Henson alias Facta produzierte sein Debüt im letzten Jahr, als das Coronavirus alle möglichen Lebenszustände entgleiste und entschleunigte. Die LP klingt wie aus der beunruhigenden Stille entstanden, die sich im Lockdown über die Länder legte, in der man jedes kleinste Vogelgezwitscher hörte und in der Stille Trost finden musste. Blush, das auf Hensons eigenem Imprint Wisdom Teeth erscheint, fängt diese Stimmung auf: die Entzerrung, eine zumal erzwungene Konzentration aufs Wesentliche und eine wiedergefundene Sensibilität für kleinste Ereignisse. Erinnerungen an Clubnächte sind nur noch bei Tracks wie „Diving Birds” oder „Verge” als nachhallendes Echo zu hören. Ähnlich wie bei Hensons vorherigen, stärker Rhythmus-getriebenen Veröffentlichungen bleiben der entzerrte Charakter seiner Kompositionen und die wie unter Wasser anmutenden Klänge. Basslines treten dabei in den Hintergrund. Zum Vorschein kommen dafür stets fließend-seidenglatte Tracks, bei denen sich glitschig-aquatische Klangelemente in Schlieren übereinanderlegen.

So vermischen sich bei „Iso Stream” nach und nach Synth-Arpeggios mit gedämpften Drums und gechoppten Vocals. Henson schafft zwar Platz für verschiedene Genres wie Ambient, Dreampop oder moderne Klassik und Instrumente wie Gitarren, Harfen oder Xylophone. Aber er verliert seinen Sound nicht aus den Augen, den er mit wiederkehrenden Klängen wie Vogelgezwitscher und pastellig-weichen Synths anreichert.Wie lange man bei Hensons Sound auf harte Kanten warten kann, stellt der an Klassische Musik angelehnte Track „Low Bridge (Lights)” unter Beweis. Mit Geräuschen wie aus einer Tropfsteinhöhle und mit hallenden Streichern und Blasinstrumenten versehen, schleicht sich das Bild einer nebeligen Morgendämmerung in den Kopf. Der Titeltrack „Blush” nutzt den Hall noch etwas mehr aus und schleift so etwas von der Härte der gläsernen Synths ab. Ähnlich gleitend kommt der Opener „Sistine (Plucks)” daher, bei dem zu Blubbergeräuschen und Vogelgezwitscher eine Harfe ihre verträumten Schleifen zieht. Jedoch läuft der Track fast Gefahr, durch die etwas wie ein generischer Handy-Wecker klingende Melodie ins Nichts zu laufen. Da lohnt es sich, Blush nicht nach dem ersten Track zu verurteilen. Stattdessen sollte man Hensons Fingerfertigkeit lauschen, mit der er seine Tracks zu verflüssigen scheint, sodass diese geschmeidig in die Ohren fließen. Louisa Neitz

Franck Roger – 44 (Real Tone)

Franck Roger - 44LP (Real Tone)

Als hätte Sasu Ripatti mit seinem Deep-House-Entwurf als Luomo sich an einem festplattensirrend verrauschten Update zu Slave to the Rhythm versucht, so hebt sich mit „Belphegor” der Vorhang zu Franck Rogers jüngstem Album 44. Tatsächlich gehört die grundlegende Rolle der Percussions in den Tracks des französischen Producers, der seit der Jahrtausendwende mit einer dreistelligen Anzahl von Releases auf Labels wie Versatile, Needs, Circus Company oder Deeply Rooted, zumeist indes auf dem eigenen Imprint Real Tone in Erscheinung getreten ist, zu den kennzeichnenden Merkmalen seiner Soundsignatur. Das gilt bedingt auch für die zehn Nummern auf „44”. Denn mehr als um die Präsentation seiner Dancefloor-Kompetenz ist es Roger hier offenkundig darum zu tun, möglichst viele Facetten seiner musikalischen Kreativität aufscheinen zu lassen. Die Hälfte der Stücke sind Vocal-Tracks – Gladys, Laroye, Hatt heißen die Stimmen, die sie Mikrofonen vorgetragen haben. Mit „Everything Now” zeigt Roger, dass er keinerlei Berührungsängste mit Eighties-Pop und Autotune hat. „The Reason” dagegen geht als R’n’B der jazzigen Art durch. Outstanding: die beiden zwischen Balearic Beats und Quiet Storm angelegten Tunes „Les Yeux Fermes” und „Part” mit Gladys. Dazwischen demonstriert Roger seine Expertise in Filter House („Mystery Track”), Tribal („Gaia”) und organisch atmenden, tropischen Deep-House-Soundscapes („When Animals Manifest Part 2”). Der „Easygoing Mix” von „Everything Now” lag zum Zeitpunkt der Rezension nicht vor. Harry Schmidt

Iglooghost – Lei Line Eon (Gloo)

Iglooghost - Lei Line Eon (Gloo)

Seamus Rawles Malliagh ist ein 25-jähriger Brite, der bereits seit 2014 unter dem Künstlernamen Iglooghost veröffentlicht. Die Altersangabe findet hier Erwähnung, weil Malliaghs Musik eine Tiefe und eklektische Dimension besitzt, die in einem Blindtest vermutlich überwiegend eher älteren Jahrgängen zugeordnet werden würde. Iglooghosts Kompositionen beinhalten beispielsweise als wesentliches Hauptelement Violinmusik mit Bezügen zu verschiedensten musikalischen Epochen – von der Frühzeit deren Notation bis in die Moderne der E-Musik: Strawinsky-, Debussy- und Bartók-Assoziationen poppen regelmäßig auf, manche Passagen erinnern an die legendären Live-Improvisationen der Prog-Rock-Band King Crimson in ihrer besten Phase um 1972 mit dem Violinisten David Cross und Bill Bruford am Schlagzeug – eine Besetzung, die das Fusionieren ebensolcher stilistischer Epochensprünge mit zeitgenössischer (Rock-)Musik tief verinnerlicht hatte. Im Hier und Jetzt paart sich auf Lei Line Eon Renaissance-Beeinflusstes mit Dubstep-Bässen und tiefgestimmten Sprachfetzen, die an Thrash-Metal oder Horrorfilme erinnern. In manchen Passagen stoßen hochgepitcht-naive Stimmen und Kinderchoreinsätze kurz ein Fenster zu K-Pop und Bubblegum-Bass auf, um wenige Sequenzen später in eine ultimativ ans Herz gehende James-Blake-Situation zu münden. Diese Vielfalt und Verspieltheit hat etwas Überwältigendes im absolut positiven Sinn – wenn für irgendeine Musik jemals deep als Bezeichnung passend war, dann für die von Igloohost. Mathias Schaffhäuser

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