Alton Miller – Headspace EP (Forbidden Dance)

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Zunächst mal sei das Label Forbidden Dance kurz vorgestellt. Dieses ist erst seit diesem Jahr am Start, gegründet wurde es von einem DJ-Duo aus dem kroatischen Zagreb, das sich Legalize Lambada nennt. Der verbotene Tanz also, der Witz hat System. Ivan Ljutic und Marin Lakovic lieben nicht zuletzt deepe House-Musik der jazzigen Spielart, also einen Sound, der zwar nie weg gewesen ist, aber in den letzten Jahren wiederum nicht gerade Hochkonjunktur hatte. Dass die beiden dabei früher oder später an Alton Miller geraten würden, war klar. Der Produzent aus Detroit trat vor knapp drei Jahrzehnten als Schüler von Derrick May international auf den Plan. Lokal war er bereits vorher eine Größe, legte er doch als DJ-Partner von Chez Damier im Detroiter Club Music Institute auf. Zuletzt ist Miller, der heute mit seinem grauen Bart wie eine Fusion-Jazz-Legende aussieht, wieder ziemlich fleißig gewesen. Auf den vier Stücken dieser neuen EP  trifft Jazz, gerne an Fusion angelehnt, auf House und spirituelle Innerlichkeit. Damit ist er wie gewohnt nicht weit entfernt vom Lebenswerk eines Ron Trent. Der „Rollin to Detroit Mix” von „Shine on Me” ist der Edit eines Tracks, der bereits im Jahr 2003 auf Mahogani veröffentlicht wurde. Angefertigt hat ihn Ricardo Miranda. „After the Rain”, das sehr fusion-jazzige Highlight dieser so grundsoliden wie schönen Platte, tritt zum Schluss auf die Bremse und entfaltet dabei jede Menge Magie. Dieser Titel ist allerdings nicht neu, er stammt vom bereits 2007 erschienenen Album Souls Like Mine. Holger Klein

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Harmonious Thelonious – Aventure (Couldnt Care More)

Harmonious Thelonious - Aventure (Couldn't Care)

Der Name Harmonious Thelonious erinnert entfernt an Thelonious Monk, eine US-amerikanische Jazzlegende. Der mehr oder weniger vergessene Jonas Imbery von Gomma Records war mal unter dem Pseudonym Munk & Thelonious bekannt. Zwischen München und Köln könnten sich da möglicherweise geisterhafte Disco-Links loopen. Damals, als in den 1950er-Jahren Karlheinz Stockhausen gegen Joseph Anton Riedl, der WDR gegen Siemens, intellektuell, wissenschaftlich und kulturell antrat und die heroische deutsche Phase des Magnetband-Loops und damit die technologische Grundlage für Techno definierte. Und auch in der Folge – in den 1960er-Jahren, den frühen 1970er-Jahren oder auch wieder in den 1980ern und 1990ern – wurden in diesen beiden Städten entspannt psychedelische, analoge Reel-To-Reel-Tape-Grooves entwickelt, die den etwas intelligenteren Techno erschufen und bis heute erschaffen. Der Rheinländer Stefan Schwander alias Harmonious Thelonious verhandelt eben genau diese Art von Techno-Vorstellung, in der sich Jazz, Krautrock, Industrial, Dub, Punk und Disco nicht ausschließen. Im Gegenteil, sie sind der Ursprung dieser Groove-Vorstellung. Früher gab es im Berliner der 1990er-Jahre die Ansage Techno hat keine Conga. Es gab aber auch Kreise in Köln, Kassel, Frankfurt, Hamburg, München und auch in Berlin, die seit jeher eine komplexere Vorstellung von Loopmusik hatten, so auch Schwander: „Ta Ta Ta” ist ein Klassiker mit afrikanischen Reminiszenzen. „Some Blue” schreit Tangerine Dream als Risky Business in die Runde und erzählt dem endlos-jugendlichen Tom Cruise etwas völlig Neues. Mit „Adventure” denken wir an unsere toten Freunde, die am bösen Heroin starben. Die Artwork-Reminiszenz bleibt brasilianisch leicht. Geile Platte! Mirko Hecktor

Karim Maas – UVB76-017 (UVB-76 Music)

Karim Maas - UVB76-017 (UVB-76 Music)

Karim Maas wirbelt auf UVB76-017 in drei Post-D&B-Visionen einigen Staub auf. „The Force” mit Outer Heaven ist quietschender Dosen-Jungle. Staubige Atmosphären spritzen in alle Richtungen und werden von prallen D&B-Bässen vorwärts getragen. Resonante Frequenzen schrauben sich tief ins Ohr und nur vereinzelt presst sich Harmonisches durch den Spänewirbel nach vorne. Auch in „Mosquito” setzt sich das klirrende Rauschen fort. Organische Ausgangspunkte lassen sich nur entfernt erahnen, denn alles wurde durch den Splitterwolf gedreht und fleddert reflektierend durch den Raum. Dann klatschen die atemlosen und sich gegenseitig unheimlich dicht auffahrenden Drums ins Bild. Zerbröselte Hilfeschreie und zerstobene Synths bleiben in den Breaks verloren zurück. In „The People United Will Never Be Defeated” mit Charlene beschwören Stimmen den*die Hörer*in durch einen flüssigen Schleier aus elektrischen Bambusschlieren. Ein abendliches Leichtregengewitter gibt den Hintergrund, in dem sich die Stimmen mit großen Flügeln durch sakrale Hallen schwingen. Am Ende finden sich Maas’ Splitter in einer sanften Bewegung zusammen, und wir bleiben mit tief schlagendem Herzen zurück. Moritz Hoffmann

LUZ1E – Cybernetic Movements (International Chrome)

Luz1e - Cybernetic Movements (International Chrome)

Erfrischende Electro-Sounds von Luzie Seidel alias LUZ1E. War ihr erstes Release vor ein paar Jahren noch klar dem Deep House verschrieben, orientiert an der damals platzenden Low-Fi-Blase, hat sich die Frankfurterin seitdem mit Breaks angefreundet. Schon 2019 hatte sie eine Platte voller animierender Electro-Cuts auf Lobster Theremin, umspielt von sonnig-weichen Synth-Bögen. Ähnlich eine im Frühjahr erschienene EP für Shall Not Fade.Jetzt also wieder gebrochene Beats, trocken und knackig, aber mit ganz anderer Attitüde: Vergangenheit sind die warmen Pads und die atmosphärischen Breakdowns, hier kommt eine EP mit gefletschten Zähnen, mit vielen Ecken und spitzen Kanten. Der Sound geht eher zum Drum & Bass der 90er, klingt passend dystopisch zum Aufstand der Roboter. Es bleibt kleinteilig und eng in den Kompositionen, klaustrophobisch und nervös bewegt sich alles hin und her. Was hier aber als positiv gewertet werden darf, denn der Wirkungskraft der Tracks kommt das zugute. Insgesamt also eine stimmige, überzeugende Electro-EP von einer spannenden, im Auge zu behaltenden Nachwuchs-Produzentin. Leopold Hutter

Disclaimer: LUZ1E hat 2019 ein Praktikum bei der GROOVE absolviert.

Nico – Six Rooms (Akita)

Nico - Six Rooms (Akita)

Nicolas Guerrero veröffentlichte bis 2016 als White Visitation Techno für die Dub-Stunde auf Labels wie RVNG Intl. und L.I.E.S. Records. Es folgten ein Breaking-Through-Feature auf Resident Advisor und ein Boiler-Room-Set in seiner Heimatstadt Mexico City, der Flieger für den Umzug nach Berlin stand bereit. Vier Jahre später kehrt Guerrero aber, inzwischen unter dem Google-technisch eher suboptimalen Namen Nico, zurück. Six Rooms für sechs Tracks, die zwischen dem Rauschen von Basic Channel und dem Burial-Geknister auf der Landebahn für Linienflüge aus dem mexikanischen Underground aufsetzen, in die Eisen steigen und den Vogel in sichere Techno-Häfen lenken. Die Beats verhaspeln sich unter Subbässen, die Vocals zerschnippeln, als hätte Guerrero die letzten vier Jahre damit verbracht, seinen Fruit-Ninja-Account auf Level 100 zu zocken. Zu scharf schleift Nico die Klingen aber nicht. Ob „Return to the House of Mercury” oder das gestolperte „Elkanah Settle”, der Mann kleistert die Sounds mit mattgrünem Dämmmaterial aus. Sieht schick aus, macht was her – Headmusic for Headpeople! Christoph Benkeser

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