Ralph Böge (Foto: Konrad Kennedy)
Dixon und Modeselektor, Alva Noto und Boris Brejcha gehören zu den Künstler*innen, die gegen die GVL protestieren. Anfang Juli veröffentlichte die Paradise Entertainment & Distribution federführend für hunderte Musiker*innen, Produzent*innen und Labels einen Offenen Brief an diese Einrichtung. Der Stein des Anstoßes: Jahrelang forderten die Kulturschaffenden die Verwertungsgesellschaft auf, die Tantiemen auszuzahlen, die den Künstler*innen zustehen und den Verteilungsprozess transparenter zu gestalten. Da diese Aufforderungen unbeantwortet blieben, wollen sie die Arbeitsweise der GVL nun in der Öffentlichkeit thematisieren.
Die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, kurz GVL, wurde 1959 von der deutschen Orchestervereinigung und der deutschen Landesgruppe der International Federation of the Phonographic Industry gegründet. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, die Zweitverwertungsrechte von Musiker*innen wahrzunehmen. Sie steht damit an der Seite der GEMA, die sich um die Urheberrechte kümmert.
Kaum jemand in Deutschland kennt sich in Deutschland mit dem Thema so gut aus wie Ralph Böge. Gründer, Inhaber und Geschäftsführer der Paradise Entertainment & Distribution GmbH – gehört zu den Verfassern der Petition. Mit drei Partnern hat er vor zehn Jahren die Firma gegründet und inzwischen zwei Tochterfirmen in den USA und in Afrika aufgebaut. Sie vertreiben und monetarisieren die Inhalte von zahllosen Labels und Künstlern – und sammeln unter anderem die GVL-Gelder für sie ein.
Mit dem Offenen Brief und eurer Kampagne kritisiert ihr die GVL. Was ist in euren Augen das Problem dieser Einrichtung?
In den letzten Jahren gestaltete sich das Einsammeln der GVL-Gelder für uns als immer schwieriger. Es gab Verzögerungen, die nicht hinnehmbar waren und auch rechtlich nicht erklärbar sind. Die GVL hatte viele Ausreden parat warum diese Gelder nicht ausgezahlt werden können, wir mussten das über Jahre hinnehmen – bis das Frustpotential bei uns zu groß wurde.
Warum zahlt die GVL die Gelder nicht aus?
Als Content-Vertrieb haben wir viel Erfahrung im Abrechnungs- und Music-Recognition Bereich. Daher war es für uns schon länger klar, dass die GVL nicht nur viel zu wenig technisches Verständnis für die Aufgabe des Daten-Matchings hat, sondern auch gar nicht dazu bereit ist in Technologie zu investieren – um die Gelder an die entsprechenden Künstler*innen und Labels zu verteilen.
An welchem Punkt ist das Fass übergelaufen?
Wir haben über Jahre geprüft und gebohrt, haben viel Zeit und Geld investiert. Wir sind zum Thema in Arbeitsgruppen mit diversen europäischen Verwertungsgesellschaften – also den Pendants zur GVL innerhalb der EU – aktiv. Mit denen haben wir immer auf Augenhöhe über Probleme und Verbesserungen diskutiert. Deshalb wussten wir genau, dass das auch anders geht. Aber die GVL hat sich im Vergleich dazu gar nicht bewegt.
Als mich Anfang des Jahres der Spiegel zu dem GVL-Fall befragt hat und sich dann auch noch die deutschen Schauspieler*innen, die das gleiche Problem mit der GVL haben wie wir, an uns gewendet haben, wurde uns nochmal deutlicher, dass hier was nicht stimmt. Es ging auf einmal nicht mehr nur um Unschärfen bei der GVL Abrechnung. Es gab den Verdacht, dass Konzerne ein System geschaffen haben könnten, welches sich an Geld bedient, das allen Kulturschaffenden gehört. Denn sie kontrollieren die GVL.
Was habt ihr dann als erstes unternommen?
Wir haben uns mit anderen Mitstreitern gemeinsam organisiert, eine Arbeitsgruppe gebildet, einen Offenen Brief verfasst und den an die GVL, das Deutsche Patent- und Markenamt und das Bundesjustizministerium geschickt. Unsere Arbeitsgruppe besteht aus Vertrieben, Rechteverwertern und einem Anwalt. Dazu kommt Frank Röth, der den Kontakt zu den Schauspieler*innen hergestellt hat. Auf einmal hatten wir Schauspieler*innen wie Katja Riemann, Lars Eidinger, Jürgen Vogel, Nicolette Krebitz, Benno Fürmann, Axel Milberg oder Katharina Böhm auf unserer Seite.
„Es wurde gesagt, dass es keine Probleme gibt, dass alles in Ordnung sei.”
Was passierte dann?
Unser Offener Brief wurde von der GVL nur trotzig und arrogant kommentiert. Es wurde gesagt, dass es keine Probleme gibt, dass alles in Ordnung sei. Wir haben immer wieder versucht, mit der GVL in einen Dialog zu treten. Wir sind vom Fach, kennen uns mit Technik aus, daher wollten wir unsere Hilfe anbieten. Die GVL hat nur auf Zeit gespielt, eine öffentliche Kommunikation wurde vermieden, um zu verhindern, dass alle Interessengruppen von den Abrechnungs-Problemen erfahren.
Wie sehen eure Forderungen konkret aus?
Wir fordern die Einhaltung der Verteilungsfristen nach dem entsprechenden Gesetz. Insbesondere im Bereich der Künstler*innen sind immer noch Einnahmen nicht verteilt, die vor 2016 aufgelaufen sind. Die offenen Verteilungen gehen für bestimmte Verteilsegmente zurück bis in das Jahr 2010. Wir fordern auch mehr Transparenz im allgemeinen Geschäftsbetrieb. Da sind auch die Details wichtig: Bei der Verteilung der Künstler*innenanteile muss es detaillierte Aufstellungen der Sender und Sendeminuten geben, anstelle der Angabe von nicht überprüfbaren Nutzungswerten. Diese Informationen sollten zur besseren Überprüfung zusätzlich im Excel- oder CSV-Format bereitgestellt werden, und nicht in PDFs. Außerdem brauchen wir eine transparentere Beschreibung des IT-Systems, um den Berechtigten detaillierte Einblicke zu gewähren, wie und was erfasst wird. Die GVL muss transparent arbeiten, insofern brauchen wir auch nachvollziehbare Informationen über die exakten Ausgaben der GVL für die IT-Entwicklung, also die öffentliche Nennung von externen Firmen und Beratern, die bezüglich IT-Projekten beauftragt wurden, unter Angabe der Kosten und des genauen Zwecks.
Tilo Gerlach, der Geschäftsführer der GVL, hat sich zu eurem Offenen Brief in einem Interview geäußert. Dort hat er viele Aussagen von euch als falsch charakterisiert. Wenn die Vorschüsse auf alle 200.000 potenziellen Empfänger*innen verteilt werden würden, dann bliebe kein signifikanter Einzelbeitrag übrig. Am Ende wäre so niemand geholfen.
Wir wollen keine Vorschüsse, die Vorschüsse sind für uns eine Verschleierungstaktik. Wir wollen die Gelder, die den Musiker*innen zustehen und die von den Kulturschaffenden erwirtschaften werden. Die GVL ist nur ein Treuhändler. Ich muss auch betonen, dass die GVL unsere Fragen nie komplett beantwortet hat.
Warum geht es nicht um die Vorschüsse?
Stell es dir so vor: Ich schulde dir 100 Euro. Ich zahle sie nie, haben viele Ausreden. Dann kommt Corona, und bist mehr oder weniger pleite. Ich biete dir dann ‘nen Fuffi an, als „Vorschuss”. Du wiederum sprichst den offenen Betrag von 100 Euro an, den ich dir schulde. Ich ignoriere das alles, und erzähle stattdessen allen, dass ich dir geholfen habe. Ich denke, Du würdest mich nicht mehr mögen.
Das leuchtet ein.
Wir versuchten diese Sache so einfach und seriös wie möglich darzustellen. Aber mittlerweile sind wir einfach nur noch genervt und fragen uns, wo unser Geld ist und warum die GVL das nicht hinbekommt. Deswegen diese Kernforderungen. Wenn die GVL behauptet, dass kein Budget für technische Neuerungen da ist, fragen wir uns, warum die GVL im Jahr 20 Millionen an Admin-Kosten benötigt. Das passt alles nicht. Es ist klar, dass es nie hundertprozentige Transparenz geben wird. Aber es ist halt kein Wille da, irgendetwas im Unternehmen zu verändern.
Es gehen Gelder an externe Firmen raus, die nicht dargestellt werden. Es gibt laut GVL eine IT-Beratung, wird sehen diese aber nicht.
Laut Gerlachs Aussage im Interview mit artechock müssten sich über die Jahre etliche Millionen, wenn nicht sogar Milliarden angehäuft haben, wenn 200 bis 300 Millionen jährlich zusammen kommen, aber nur ein Bruchteil davon ausgezahlt wird. Warum hat die GVL kein Interesse, dieses Geld auszuschütten?
Alle Gelder, die innerhalb der GVL nicht zugeordnet werden, gehen letztendlich an die Inhaber bzw. Gesellschafter, also an Sony, Universal und Warner. Dh je ungenauer die GVL arbeitet, desto mehr bleibt innerhalb des Systems stecken, desto besser geht es der GVL.
Wieso ist das so?
Die GVL hat prinzipiell kein Interesse daran, etwas zu verändern, weil wohl die Gesellschafter, also die deutsche Orchestervereinigung, der Bundesverband Schauspiel, der Verband unabhängiger Musikunternehmen, der Bundesverband Musikindustrie kein Interesse daran haben. Warum soll man Geld ausgeben, um die Gelder an vergleichsweise kleinen Musiker*innen auszuzahlen, wenn man sich den Löwenanteil selber einfahren kann?
Was hast du für eine Rolle übernommen bei dem Ganzen?
Meine Mitarbeiter*innen organisieren eine Arbeitsgruppe mit Gleichgesinnten, wir haben diverse Kompetenzen und teilen uns die Aufgaben. Unsere Kompetenzen liegen bei der Technik, der Distribution, der Monetarisierung und den Daten. Dann haben wir noch eine Firma in unseren Reihen, die sich auch um Zweitauswertung kümmert. Denn die Zweitauswertung wird in Deutschland durch Leistungsschutzrechte abgedeckt, das ist das Territorium der GVL. Dann haben wir noch eine Anwaltskanzlei in unseren Reihen. Diese Arbeitsgruppe ist auch politisch aktiv, wir halten Kontakt zu dem deutschen Independent-Verband, VUT, und zur Impala, dem europäischen Independent-Verband.
„In einem anderen Land hätte man diese Organisation wohl schon längst zugemacht.”
Worin unterscheidet sich die GVL zu vergleichbaren Verwertungsgesellschaften in anderen Ländern?
Die GVL hat in Deutschland eine Sonderposition. In Deutschland gehört die GVL den Majors. Das sind schon mal die falschen Inhaber und das ganze wird auch noch durch das DPMA, das Deutsche Patent- und Markenamt geschützt. Das heißt, dass ist gesetzlich so geregelt. In einem anderen Land hätte man diese Organisation wohl schon längst zugemacht. Wenn man rechtliche Ansprüche an die GVL adressiert, dann muss man sich an das DPMA wenden. Das DPMA hat nach unserer Erfahrung kein großes Interesse daran Beschwerden zu bearbeiten. In Frankreich, Belgien oder den Niederlanden würde es wie gesagt sowas gar nicht geben. Die Verwertungsgesellschaften sind sich dort bewusst, dass für die Kreativen gearbeitet wird, nicht andersrum.
Was wäre euer Vorschlag, um die von der GVL eingesammelten Gelder besser zuzuordnen?
Wer Daten und Gelder einsammelt und abrechnet, muss als Daten-Austausch-Plattform agieren. Digital-Vertriebe wie wir machen genau sowas den ganzen Tag. Diese Tatsache ist bis jetzt noch nicht bei der GVL angekommen. Music-Recognition-Technologien müssen flächendeckend eingesetzt werden, das Feld muss komplett beackert werden. Wenn ein Track im Radio, im Club, in einer Bar oder auf einem Festival läuft, dann muss das getrackt werden, damit die*der Künstler*in bezahlt werden kann. Man sollte auch Streaming-Plattformen wie Netflix nicht vergessen.
Wo du die Gema angesprochen hast: Was ist der Unterschied zwischen der GVL und der Gema?
Die Gema ist für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte zuständig. Sie tritt aber auch als Inkasso-Unternehmen für die GVL auf: Festivals in Deutschland bezahlen zuerst an die Gema, ein Teil dieser Gelder geht an die GVL, ca. zehn Prozent.
Ein Beispiel aus dem letzten Jahr: Das Parookaville zahlt 1,2 Millionen Euro für ein Festivalwochenende an die Gema. Es wird fast nur Elektronische, Independent- und Alternativmusik gespielt. Also genau die Inhalte, welche wir vertreten. Die Gema kommt dann mit ihrem Einsammelmänneken rum. Das Eingesammelte sind also große Geldbeträge ohne jegliche Daten dazu. Das Parookaville hat jedoch Recognition-Technologie eingesetzt und kann genau sagen wer, wann, wo gespielt wurde. Genau das hat das Parookaville der Gema angeboten: Daten plus Geld, damit auch alle Künstler, die gespielt wurden, ihren Anteil bekommen. Das wollte die GEMA nicht. Das heißt, die fahren sich die 1,2 Millionen ein, zehn Prozent gehen an die GVL, ohne dass das Geld jemals zugeordnet bzw. verteilt werden kann. Wir sind damals auf den Fall aufmerksam geworden – das gilt natürlich für jedes große Festival in Deutschland.
Was sind die Folgen dieser Praxis?
Ich würde sagen, dass die treuhänderische Aufgabe von der GVL nicht wahrgenommen wird. Der Skandal ist, dass bei den einzelnen Künstlern nur geringe Summen ankommen. Wenn das Geld dort ankommen würde, wo es hingehört, dann bräuchten wir zur Zeit auch nicht über Kulturförderungen oder Corona-Hilfen sprechen. Es wäre genügend da für alle. Wir wollen nicht als Meinungs- oder Stimmungsmacher auftreten, aber sind mittlerweile so schockiert, dass wir nicht mehr daran glauben, dass das Ganze gut ausgeht.
„Wenn das Geld dort ankommen würde, wo es hingehört, dann bräuchten wir zur Zeit auch nicht über Kulturförderungen oder Corona-Hilfen sprechen.”
Welche Dokumentationspflichten hat die GVL von Seite des Gesetzgebers?
Es gibt natürlich eine Veröffentlichungspflicht für die GVL, diese ist uns aber zu ungenau, deswegen fordern wir mehr Transparenz im generellen Geschäftsbetrieb. Bei den Verteilungen der Künstler*innenanteile sollte es detaillierte, minutengenaue Aufstellungen geben, anstelle der Angabe von nicht überprüfbaren Nutzungswerten. Diese Informationen sollten zur besseren Überprüfung zusätzlich im Excel- oder CSV-Format bereitgestellt werden und nicht als PDF. Darüber hinaus fordern wir eine transparentere Beschreibung des IT Systems, um den Berechtigten detaillierte Einblicke zu gewähren, wie und was erfasst wird. Ferner soll die die GVL dokumentieren, was sie für die IT-Entwicklung ausgibt und wer welche Aufgaben dazu übernimmt.
Die Petition von Ralph Böge und seinen Mitstreiter*innen findet ihr hier.