Adam X – Acid Archives 92-94 (L.I.E.S.)
Vierzig Jahre ist es nun schon her, seit in Chicago, Detroit und New York die ersten säurehaltigen Tracks für Tanzflure auf der ganzen Welt synthetisiert wurden. Adam Mitchell gehörte zu den frühen Tüftlern dieses Sounds, der aus House entstand und den Siegeszug elektronischer Clubmusik über die 90er hinweg bis in den Mainstream hinein prägen sollte. Und weil derzeit nicht nur im Techno-Segment vieles abgestaubt wird, was mal frisch oder gar subversiv klang, hat auch Adam X in der Mottenkiste gebuddelt und 15 Tracks aus den glorreichen Jahren 1992 bis 1994 freigelegt. Die Funde sind von roher Qualität, quasi im Nachglühen längst verhallter Clubnächte entstanden und zeugen von der wilden Experimentierwut, mit der Acid Techno in dieser Phase gesegnet war. Kross frittierte Kicks schnalzen hier mit den klassischen 130 bis 150bpm durchs Bild, die 303-Lines blubbern ölig getweakt aus den Sprechern und wenn mal Voice Samples wie in „Faces Of Death“ oder „House Of Horror“ auftauchen, sind die stilecht leicht cheesy moduliert aber angenehm zurückhaltend – alles in allem wird Acid Archives 1992-1994 also seinem Namen erwartungsgemäß vollkommen gerecht. In der surreal surrenden Hitze des Openers „Executioner“, ausgestattet mit chaotischen Videospielvibes, dem hyperaggressiv kloppenden „What’s That“ oder dem elfminütigen Highlight „Urban Bass“ zeigt sich außerdem, warum Adam X schon anno ’92 zu den Besten seines Metiers zählte. Aber auch, dass er gut daran tat, mit seinem Projekt Traversable Wormhole ab den 2010ern einen noch weitaus beeindruckenderen Style zu verfolgen. Da sich derzeit jedoch in beinahe allen Clubs des Landes eher gar nichts regt, bleibt das Abspacken so oder so auf den heimischen Waschkeller beschränkt. Für Acid-Puristen auch so ein Fest. Nils Schlechtriemen
Discos en 3/Cuartos (Kebrada)
Rafael Pereira und Felipe Salmon alias Dengue Dengue Dengue ist das peruanische Vorzeige-Duo für süd- und mittelamerikanische Volksmusik-Rhythmen, die sie elektronisch in der Ableton Live-DAW nachbauen. Die Ursprünge dieser Musik sind durch die afrikanische Diaspora, die kulturellen Einflüssen indianischer Ureinwohner, der spanischen und portugiesischen Eroberer und ab den 1950er Jahren von globalen Pop-Feedbackprozessen wie Latinrock, Disco, Boogiefunk, Reggae oder Hip Hop geprägt. In erster Linie ist der Sound durch Triolen und Polyrhythmik, durch gegeneinander verschobene Dreiviertel-Takte gekennzeichnet. Deshalb macht der schlichte Titel der Compilation, „Platten in Dreiviertel” auf Pereiras und Salmons neuem Label Kebrada durchaus Sinn. Bei Funerals „Flota” finden Samba-Rhythmen und Synthflöten-Triolen zusammen. Diese ahmen westafrikanische Zouk-Gittarenläufe nach. Trapbeats lösen sich mit Four-To-The-Floor-Techno-Geradlinigkeit ab. Mit QOQEQAs „Toroidal” steht der Hörer bei mystisch synkopiertem Winebottle-Geklöppel, Ayahuasca-Indianervocals und Shaker-Zikaden im tropischen Regenwald, während DJ Pythons „Rosada” mit einem melancholisch treibenden Electro-Dub-Disco-Groove hypnotisch beruhigt. Im ähnlichen Downtempo erklingen bei DJ Raffs schön verspielten Elektro-Cumbia-Acid-Stück „Babel” karibische Steeldrum-Reminiszenzen und ein Stimmsample, das irgendwo zwischen Pariser TripHop-Lounge-Experimenten und brasilianischer MPB-Leichtigkeit angesiedelt ist. Nick Leons „Luna y Sol ft. Lila Tirando a Violeta“ verführt den Hörer dann endgültig mit Vodun-Cumbia a lá Wganda Kenya in die Untiefen der Psychedelic. Merci & Marcos erweckender Batucada-Groove („Mokossa“) lässt den einzigen Track von Dengue Dengue Dengue, „Del Alma”, – zwischen Afrotech und Basement-Jaxx-Stimmfetzen – in der Tracksammlung etwas verblassen. El Irreal Veintiunos uninspirierter Disco-Conga-Sample („TL-DM”) ist die einzige wirkliche Enttäuschung auf der Compilation. Diese inhaltlich spannende Ansammlung von Tracks – die leider technisch gesehen oft nach digitaler Simulation klingen – erinnert in ihrer DJ-Loungehaftigkeit entfernt an The K&D Sessions von Kruder & Dorfmeister auf K7! Ende der 1990er Jahre, bloß afri- bzw. südamerikanisiert. Mirko Hecktor
HOA012 (Haus Of Altr)
HAUS of ALTR ist ein Statement. Ein Ausrufezeichen inmitten des politischen Pulverfasses, das Amerika – und eigentlich die ganze Welt – geworden ist. Das gewählte Symbol, welches das Cover wie das der beiden Vorgänger-Compilations ziert, könnte gar nicht aussagekräftiger sein. Ein schwarze Panther – das Symbol der gleichnamigen People Of Color–Bewegung der 1960er Jahre. Die Message hallt klar und deutlich durch den Großstadtdschungel. Der echte Underground, die Wurzeln der Clubmusik und Dance Culture sind schwarz. Richtig. Eine Plattform für schwarze Künstler*Innen zu schaffen, wenn auf den Main Stages seit Jahren größtenteils weisse (männliche) Artists das große Geld einstreichen, ist eh längst überfällig gewesen. Und HOA012 hat auch musikalisch einiges zu bieten! Ob nun Chicago-Footwork á la DJ Rashad, nasty Garage, Dance Mania-House oder einfach nur verdammt coole Break-Beat-Killer. Obwohl quasi jede Spielart von Clubmusik vertreten ist, ergibt diese Compilation als ganzes Sinn. HOA012 gewährt durch sie nämlich einen tiefen Einblick in eine kreative Szene an Producer*Innen, die nun endlich ihre bunten Vorstellungen und Ideen von Musik teilen können. Und das Label lässt verlauten: „The story is not over, but only beginning“. Hört man gerne. Andreas Cevatli
Global Communication – Transmission (Evolution)
In nicht einmal zehn Jahren haben Tom Middleton und Mark Pritchard eine Menge Musik gemeinsam aufgenommen und veröffentlicht, die Diskographie ihres bekanntesten Projekts Global Communication ist allerdings gar nicht mal so groß. Transmissions fasst nun weite Teile davon in zwei Konfigurationen zusammen: Da wäre eine Box mit sieben Vinylen, die bereits ausverkauft ist, sowie ein Paket von drei CDs. Ein bisschen Exklusivmaterial ist auch dabei. Als kleine Sensation darf man die Lone-Coverversion des Global Communication-Klassikers „5:23“ bezeichnen. Natürlich nimmt das 1994er-Album 76:14, auf dem das Original von „5:23“ enthalten ist, eine zentrale Rolle ein. Wenn Ambient das Thema ist, kommt kein Mensch an dieser Platte vorbei. Hört man dieses die frühen Rave-Jahre reflektierende Album heute, kann man nicht behaupten, dass es kein Kind seiner Zeit sei. An Intensität und Spannung hat dieser Klassiker jedoch kein bisschen verloren. Trotz aller Verwurzelung im frühen Rave-Kosmos schwingt immer auch ein wenig Vangelis oder Jean-Michel Jarre mit. Während Mark Pritchard und Tom Middleton unter dem Namen Reload Ambient unter den Bedingungen von düsteren Techno-, Hardcore- und Industrial-Sounds erforschten, setzte das Duo aus dem Südwesten Englands mit 76:14 auf opulente Melodik. Weniger Rave-zugewandt klingt Pentamerous Metamorphosis, eigentlich der erste Global Communication-Longplayer, aber lange Zeit nur als Beigabe zu einem Album der britischen Indie-Band Chapterhouse erhältlich gewesen. Blood Music hieß diese furchtbare Platte, kennen sollte man sie ausdrücklich nicht. Weil sich die Leute von Chapterhouse damals aber für elektronische Musik zu begeistern begannen, fragten sie Tom Middleton und Mark Pritchard, ob sie ihr Album nicht remixen könnten. Am Ende kam eine Neuinterpretation in fünf Teilen heraus, die mit dem Original so gut wie nichts zu tun hat. Erst Jahre später wurde diese großartige LP als eigenständige Global Communication-Platte veröffentlicht. Komplettiert wird Transmissions durch zwei Stücke der Keongaku EP, Remixe für Sensorama und The Grid, die bereits erwähnte Coverversion von Lone, ein Demo des Tracks „7:39“ sowie die dezent trippigen House-Stücke „The Way“ und „The Deep“. Besser als auf Vinyl funktioniert diese schöne Werkschau mit ihren drei Kapiteln ganz sicher auf CD. Holger Klein
Plastique De Rêve – The Singles 2000-2001 (self-released)
Der in Australien geborene und in Genf aufgewachsene Christopher „Daze“ Dasen alias Plastique De Rêve produziert nun schon seit fast vierzig Jahren elektronische Musik. Bekannt wurde Dasen aber erst ab 2000 im Zusammenhang der Electroclash-Welle. Auf seiner Compilation The Singles 2000-2010 fasst er mit 50 Tracks fast alle Produktionen aus diesem Zeitraum zusammen. Mit der Plastik-Ästhetik billiger Synths und Drumcomputer prägte Dasen zunächst die Szene in der Schweiz und fand wenig später mit Releases auf International Deejay Gigolo oder Turbo auch international Anerkennung. Stark referenziert Plastique De Rêve mit Namensgebung und Ästhetik New- und Synth-Wave-Bands der 1980er Jahre wie Mathématiques Moderne oder Bal Paré. Doch auch wenn er deren Stil mehr oder weniger übernimmt, ordnet er ihn mit seinen Produktionen einer anderen Musik zu. Seine Titel haben sich dabei den verspielten und pionierenden Zugang vergangener Jahrzehnte bewahrt; jeder der auf der Compilation vertretenden Songs experimentiert mit einem Sound, einem Field-Recording oder einem Vocal und baut sich darum auf. Dabei kreieren Tracks wie „Rodéo Mecanique“ einen grandiosen Mix aus US-amerikanischen Disco-Vocals, Electro und EBM. Wunderschön seltsame Zwitterwesen aus lokalen und internationalen Einflüssen und Stilen entstehen dabei genauso wie elektrisierende Synth- und Acid-Hymnen. Sicherlich hat sich Dasen auch aufgrund der heutigen Hochkonjunktur von Italo- und Wave-Revivals zur Wiederveröffentlichung seiner Singles entschlossen, doch kann man ihm das aufgrund der Qualität seiner Musik kaum verübeln. Vielmehr freut man sich, dass Plastique De Rêve seine charaktervollen musikalischen Figuren noch ein letztes Mal für uns auf der Tanzfläche seiner Compilation ihren Reigen tanzen lässt. Johann Florin