Kareem – Ligeia (Aesthetical)
Für Kareem, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Patrik Stottropp heißt, war keeping it real nie das hippe Kredo, zu dem es mittlerweile verkommen ist. Sein musikalisches Territorium, das sich seit 1996 zwischen klaustrophobischem Industrial mit überraschend filigranem Sounddesign und roughem, perkussivem Oldschool-Techno ansiedelt, kennt er wie seine Westentasche. Auch auf Ligeia bewegt sich der Zhark-Recordings-Gründer grundlegend in diesem Spektrum – und dann kommt alles doch ganz anders, als man denkt. Das gewollt monotone Kickdrum-Stakkato fährt runter und kräftige Drones blasen einem mit mächtig Reverb mal eben das Gehirn weg. Genau das macht Kareem seit jeher aus. Das hier ist voll und ganz sein eigenes Ding. Die hörbare Authentizität und seine Expertise an den Maschinen und Reglern machen Ligeia zu einer der spannendsten und gleichzeitig nervenaufreibendsten EPs des Sommers. Andreas Cevatli
Nikk – Dance Trax Vol. 28 (Dance Trax)
Unknown To The Unknowns Dance-Trax-Release-Serie zeichnet sich durch eine gewisse Ruppigkeit im Sound aus. Tracks, die ohne viel Federlesen und vordergründige Finesse produziert sind, deren Hauptaugenmerk, Genre-mäßig angesiedelt irgendwo zwischen Techno und House, auf Dancefloor-Kompatibilität liegt. Eine gewisse Chicago-House-Affinität schadet selbstredend auch nicht – das X im Serientitel kommt nicht von ungefähr. Da reiht sich Spandau 20s Nikk mit seinen drei gnadenlos über den Tanzflur jackenden Track-Bomben – wie auch der Mark-Broom-Remix als Tüpfelchen auf dem i – voller raumfüllend pumpender Kickdrums und dreckig verzerrter Percussion perfekt ein. Rüde, düster und perfekt. Einzig „Sluricane” mit seinen melancholischen Synth-Flächen fällt etwas aus der Reihe, groovt am Ende aber auch wie die Hölle. Tim Lorenz
Pangaea – Like This (Hessle Audio)
Manche Namen, die zuerst in Verbindung mit Dubstep aufgetaucht sind, lassen sich irgendwie immer noch schwer außerhalb dieses Koordinatensystems denken. Kevin McAuley alias Pangaea ist einer dieser Namen. Und Teil des Dreigestirns von Produzenten, das seit 2007 das Label Hessle Audio betreibt, auf dem im selben Jahr auch seine erste EP erschien. Zu einer Zeit, als Dubstep kurz vor dem ganz großen Durchbruch stand. Ein Revival des Genres steht derweil noch aus, im engeren Sinne eine Rolle spielt es aber schon eine Weile nicht mehr. Pangaea behilft sich unterdessen wie viele seiner Kollegen mit House und Techno, wobei er trotz geradlinig ausgerichteter Beat-Spur immer noch Spurenelemente von Stolper-Steps in seine Tracks programmiert. Selbst wenn die, wie „Like This”, in gut gelaunter Garage-Manier mit den Hi-Hats losklackern. Wenn dann nach zwei Minuten eine Collage aus hochgepitchten Stimmen die Zeilen „It’s been a long time / DJs, this is for you / Just ain’t nobody breaking it like this” singt, scheint die Botschaft eine selbstreferenziell-selbstironische Besinnung auf die guten alten Tage zu sein, die heute eben anderen Sitten gewichen sind. Im „Volt Mix” hat Pangaea noch ein wenig den Rhythmus aufgeräumt, dafür rumort es tief unten in digital wie als Verneigung vor der heroischen Bassmusik-Phase. „Midnight Plane” führt die Idee mit leicht variierten Mitteln fort. Trauern ist nicht, gefeiert werden muss eben. Bloß dass man aktuell nicht recht weiß, wo. Tim Caspar Boehme
Pearson Sound – Alien Mode EP (Hessle Audio)
Pearson Sound gehört seit 15 Jahren zu den zuverlässigsten Produzenten aus Großbritannien. Spannend ist dabei gerade in Bezug auf seine aktuelle EP, wie seine Ursprünge im Dubstep mit der Zeit gut hörbar in einem modernen Entwurf von Techno aufgegangen sind. Der geht spielend mit Referenzen aus IDM und Breakbeats um, ohne dabei klischeebeladen zu wirken. Dieses Zusammenspiel zeigt sich im titelgebenden Track, in dem UK Hardcore und Bleeps über einem düster-metallischen Vocal shaken, das sich an modernen Großraum-Techno anlehnt. „Cowebs” wiederum erinnert an die hyperaktiven Stücke von Forest Drive West wie „Cut and Run” und „Cannibal”. Pearson Sounds Faible für allerhand Cowbells und Bongos ist schon auf seinen Arbeiten als Ramadanman zu hören und kommt hier im Sampling von nigerianischem Folk von Adewale Ayuba vollumfänglich zur Geltung. In die über 150 BPM schnellen Grooves kann man sich förmlich den darauffolgenden Jungle oder Footwork Track auf großer Bühne hineindenken. Auf „Everything Is Inside Out” wird es dann tracky. Wieder konterkarieren die Drums die Synths, nur diesmal andersherum. Während sich letztere in der Tradition klassischer IDM-Tracks aus den 90er Jahren bewegen und jene melodiösen Spitzen zeigen, die Pearson Sound auch auf seinen letzten Platten in „Our Spirits Soar” oder „Robin Chasing Butterflies” immer wieder eingeflochten hat, bedienen die Drums eher das aktuelle Pearson-Sound-Credo. Einfach gut. Wie immer. Felix Hüther
Thee J Johanz – More Love! (Running Back)
Unter den Pseudonymen Rapid Eye und Static Resonance war Johanz Westerman mit Releases auf Djax-Up und Prime bereits Mitte der Neunziger ein Aktivposten der niederländischen Technoszene. Als Thee J Johanz hat er mit Alben auf Iridial Discs und Emergency Broadcast sowie EPs auf seinem eigenen Label Ballyhoo die Entwicklung entscheidend mitgeprägt. Nach einer fast 15-jährigen Auszeit lässt Westerman seit rund vier Jahren wieder vermehrt von sich hören. Seine jüngste EP ist auf Running Back erschienen – und schlicht die Wucht in Tüten! Das Titelstück tut kaum mehr, als mit einer Acid-Line auf Giorgio Moroders Sequencer-Loop von „I Feel Love” rumzureiten – aber wie! Nicht nur, weil es sich um ein reines Instrumental handelt, auch hinsichtlich der euphorisierenden Wirkung des ultra souveränen Arrangements liegen die Parallelen zum legendären Patrick-Cowley-Mega-Mix, den auch das wieder mal extrem pfiffige Running-Back-Cover zitiert, auf der Hand bzw. auf dem Plattenteller: I feel Acid! Die drei weiteren Tracks sind dann direkt Patrick Cowley, dem anderen großen Disco-Pionier, gewidmet: Während „Kickin’ In” tatsächlich ein Cover ist, stellt „Warped Minds” zwar auch einen losen Bezug zu einem Cowley-Hit her, bleibt aber musikalisch davon unabhängiger. More Love! besticht durch Humor, Leidenschaft, Stilsicherheit und Respekt gleichermaßen. Die Hälfte der Einnahmen aus „Kickin’ In” gehen an die San Francisco AIDS Foundation. Harry Schmidt