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Dominik Eulberg: Social Distancing als Chance

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Dominik Eulberg (Foto: Natalia Luzenko)

Mit Dominik Eulberg nur über sein künstlerisches Dasein zu sprechen, ist schlicht unmöglich. Im Interview führen die Wege immer wieder in die Natur. Der studierte Ökologe steht nämlich nicht nur seit über zwei Dekaden hinter den Decks und bereichert die Welt mit seiner Musik, der wir vor Jahren das Etikett „Öko-Techno” aufdrückten, sondern setzt sich auch tatkräftig für den Naturschutz ein. Bereits zu Studienzeiten arbeitete der leidenschaftliche Ornithologe als Parkranger, zeigte Schulklassen und Tourist*innen, was es abseits des Großstadtdschungels für ein geschultes Auge zu entdecken gibt. Heut nutzt er seine Reichweite als Künstler, um insbesondere die junge Generation für unsere Umwelt zu sensibilisieren.

Unter dem Eindruck der Corona-Krise hat Leonard Zipper mit dem Westerwälder telefoniert. Und zur Abwechslung lag der Schwerpunkt des Gesprächs mal nicht auf seiner Musik. Denn auch wenn der Umgang mit dem Gebot des Social Distancings schwierig sein mag, bietet die derzeitige Situation sicherlich Potenziale — auch, um sich auf die Natur einzulassen.


Wie kann man sich in Zeiten von Social Distancing als Stadtmensch und Raver*in, der*die Betonboden und stickige Clubs gewöhnt ist, der Natur öffnen?

Ein ganz einfacher Schritt ist etwa mal das Handy zuhause zu lassen und die Natur wahrzunehmen, nicht das kleine Display. Ich bin ein Freund der kontemplativen Naturbeobachtung. Das ist etwas, was ich oft mache, denn die Natur ist ein wunderbares Selbstfindungswerkzeug, das dich in einen transzendentalen Zustand versetzen kann; sodass man wieder spürt, wer man ist und warum man hier ist. Dafür suche ich mir ein lauschiges Plätzchen im Wald oder auf der Wiese. Irgendwo, wo ich keine anderen anthropogenen Anzeichen mehr wahrnehme, wo ich voll und ganz eins mit Mutter Natur sein kann. Dann höre ich zu, schaue, rieche, fühle, ohne das Bestreben zu haben, etwas verändern zu wollen. Wenn man das mal eine Stunde lang macht, dann passiert etwas mit einem. Das ist sehr beglückend. Zum anderen ist es super Artenkenntnisse zu haben; denn der Mensch nimmt nur wahr, was er kennt. Wissen erweitert also den Erfahrungshorizont. Nehmt Bestimmungsbücher mit in die Natur. Gerade schießen die Wildkräuter aus der Erde, etwa Löwenzahn oder Brennnessel: pflückt sie, esst sie, macht daraus Salat oder Saft, versteht, welche Pflanzen positive Wirkungen auf euren Organismus haben.

Welche einfachen Hilfsmittel können einem dabei behilflich sein?

Ganz profane Dinge wie Lupe und Fernglas. Es gibt mittlerweile einige Apps, die den Erfahrungshorizont dahingehend sehr gut erweitern. Das Deutsche Naturkundemuseum Berlin beherbergt etwa das Deutsche Tierstimmenarchiv, wo jedes Tier, was bei uns so kreucht und fleucht und Töne von sich gibt, aufgenommen wurde. Sie haben eine App entwickelt: Naturblick. Mit der kann man Vogelstimmen aufnehmen — und die App sagt einem dann mit erstaunlich hoher Wahrscheinlichkeit, was da zwitschert. Außerdem kann die App Pflanzenarten durch Fotografien ermitteln. So kann man seine Artenkenntnis in nur kurzer Zeit steigern. 

Dominik Eulberg, seines Zeichens leidenschaftlicher Ornithologe (Foto: Matthias Weimer)

Bist du eigentlich am liebsten alleine in der Natur?

Ich bin häufig gerne alleine in der Natur, weil es ein meditatives Werkzeug ist. Aber ich mag es auch, die Erfahrung zu teilen. Glück ist häufig etwas, was sich verdoppelt, wenn man es teilt. Ich gehe viel mit meiner Frau raus. Sie ist natürlich auch sehr naturbegeistert, sonst wäre sie ja nicht meine Frau. Ich bin hier im Westerwald gut vernetzt mit anderen Ornithologen. Wir verabreden uns regelmäßig zum gemeinsamen Birdwatching. Mit vier oder sechs Augen sieht man einfach mehr, das steigert die Freude an der Natur.

Und vor welche persönlichen Herausforderungen kann man sich bei der Erkundung der Natur stellen?

Dass man sich Ziele steckt. Dabei muss man aufpassen, das nicht mit zu viel Druck zu verbinden, schließlich existiert ein natürlicher Fluss des Lebens: panta rhei [altgriechisch πάντα ῥεῖ „alles fließt”, Anm. d. Red.]. Egal, was wir machen, ob wir viel oder wenig Geld verdienen oder eine Pandemie uns vor große Herausforderungen stellt: Die Erde dreht sich weiter, die Sonne geht auf und unter. Ich finde es immer gut, auf dieser Welle, auf diesem natürlichen Fluss, zu reiten und sich dem hinzugeben. Das Problem vieler Menschen ist, dass sie um ihren Mikrokosmos kreisen, Stichwort die Macht der Gedanken. Man hängt häufig in der Zukunft oder der Vergangenheit. Man denkt sich: „Hätte ich dies doch nicht getan” oder „Wie wird das nur werden”. Diese Gedanken lenken uns aber vom Hier und Jetzt ab. Der einzige Punkt im Leben, in dem wir glücklich sein können, ist jedoch die Gegenwart. Dahingehend muss man also aufpassen, sich nicht zu verstreben. Zum Beispiel kann einen die Fülle an Arten erstmal erschlagen.

Allein der Anblick der Farbe Grün hebt signifikant unser Wohlbefinden und lässt unsere Resilienz hochfahren.” 

Dominik Eulberg

Wie verhindert man, von dem Thema überwältigt zu werden?

Vielleicht ist es besser, sich einen Bereich auszusuchen und darin Experte zu werden. Dann geht man doch viel mehr darin auf. Je fertiger ein Puzzle wird, desto mehr Spaß macht es. Das Schöne an der Ornithologie ist, dass es in Deutschland nur 246 Brutvogelarten gibt, das ist ziemlich überschaubar. Allerdings gibt es 6537 Käferarten in Deutschland, da kann man schnell den Spaß verlieren. Geht in eurer Leidenschaft für die Natur auf. Find what you love and let it kill you!

Wie kann man sich dem Thema annähern, wenn man in der Stadt lebt und der unmittelbare Zugang ins Grüne nicht gegeben ist?

Vögel singen immer und überall, nachts sind Fledermäuse unterwegs, auch in Städten. Die kann man mit Fledermausdetektoren hörbar machen und mit einer Taschenlampe sichtbar. Die Natur bahnt sich auch ihren Weg in stark besiedelte Räume. In jeder Mauerritze wächst irgendwas. Man muss die Dinge nur mit einer positiven Neugier hinterfragen und mit offenen Sinnen durch die Gegend laufen.

Welche einfachen Maßnahmen kann man denn als Städter*in ergreifen, um die Koexistenz von Mensch und Natur zu fördern?

Die Artenvielfalt in suburbanen Bereichen ist mittlerweile höher als im Umland. Aufgrund des Raubbaus der agrochemischen, hoch industrialisierten Landwirtschaft und aufgrund von Monokulturen. Wir haben in diesen Bereichen eine besondere Verantwortung. Der Anteil der Gartenflächen an der Bundesfläche ist ungefähr vier Prozent, das entspricht interessanterweise nahezu exakt der Fläche unserer Naturschutzgebiete. Das bedeutet, wenn wir unsere Gärten naturnah, vogel- und insektenfreundlich gestalten, dann verstärken wir die Power des Naturschutzes in unserem Land erheblich. Ich bin ein Freund der Devise Lokal denken, global handeln. Manche vermeintlichen Allerweltsarten von Vögeln, die man auch im Garten antreffen kann, leben vor allem in Deutschland, etwa 20 Prozent aller Amseln, oder 25 Prozent aller Kernbeißer oder Sumpfmeisen. Das bedeutet: Wenn wir diese aktiv schützen, tun wir wirklich etwas für die Artenvielfalt, welche auch eine Art Überlebensversicherung für uns und kommende Generationen ist.

Im Unterholz (Foto: Tassilo Dicke)

Was kann man dafür tun?

Man kann im Garten oder auf dem Balkon heimische Gewächse anpflanzen wie Holunder, Schlehe oder Schwarzdorn. Vögel ernähren sich fast ausschließlich von heimischen Beeren. Nicht-heimische Pflanzen haben häufig kaum einen ökologischen Wert. Man kann Insektenhotels oder Vogeltränken aufstellen. Oder Sandbäder. Gerade Spatzen lieben das, daher kommt auch der Begriff „Dreckspatz”. Ich füttere die Vögel ganzjährig mit sogenannten Ganzjahresknödeln. Diese beinhalten neben Samen auch Mehlwürmer – die meisten Singvögel sind Insektenfresser, die im Winter nur notgedrungen auf Körner umsteigen. Außerdem ist im Sommer der Energieverbrauch von Vögeln 20- bis 25-mal höher als im Winter, da das Singen, die Revierverteidigung, das Nestbauen, das Brüten viel Kraft kostet. 

Du bist ohne Fernseher und Musik groß geworden, erst mit 15 mit elektronischer Musik in Kontakt gekommen. Vielmehr diente in deiner Kindheit die Natur als Entertainment- und Inspirationsquelle. Wie war das für dich? Und was hat dir als Kind daran gefallen?

Musik war mir in meiner Kindheit zu affektiert, zu aufgesetzt, zu unnatürlich, zu gekünstelt. Als ich elektronische Musik das erste Mal wahrgenommen habe, war das für mich komischerweise die natürlichste Musik, die ich je gehört habe. Weil sie so triebhaft und instinktiv ist wie die Natur. An der Natur hat mir wiederum gefallen, dass dieses Entertainmentsystem immer neu bestückt ist, egal zu welcher Tages- oder Jahreszeit. Außerdem ist es total gesund, draußen zu sein, etwa aufgrund des Vitamin D des Sonnenlichts und der frischen Luft. Das habe ich immer gespürt.

(Foto: Tassilo Dicke)

Kannst du das ausführen? 

Der Mensch ist in der Koevolution mit der Natur entstanden. Erst vor 10.000 Jahren, da war die Neolithische Revolution, wurden wir sesshaft. Vorher war die Natur faktisch unser Zuhause – und es ist logisch, dass unsere Sinne, unser Immunsystem, unser Geist und unsere Physis darauf konditioniert sind. Allein der Anblick der Farbe Grün hebt signifikant unser Wohlbefinden und lässt unsere Resilienz hochfahren. Pflanzen kommunizieren untereinander durch sogenannte Terpene. Das sind Kohlenwasserstoffverbindungen — und die kann unser Immunsystem wahrnehmen. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein dreistündiger Aufenthalt in der Waldluft die Stresshormone um über 50 Prozent reduzieren kann, kein Psychopharmakon schafft das. Außerdem ist das Naturerlebnis kostenlos. Der Buchfink gibt seine betörenden Finkenschlag schließlich auch in ökonomisch schwachen Zeiten von sich.

Ich denke ganz tief in unserem Kern ist Entschleunigung etwas, nach dem wir uns unbewusst sehnen.

Dominik Eulberg

Du wolltest die Menschen schon immer für die Schönheit und Schutzwürdigkeit unserer Umwelt sensibilisieren. Auf welche Art und Weise verfolgst du dieses Ziel heute?

Dafür nutze ich meine Reichweite als Künstler. Ich habe nach meinem Ökologie- und Umweltschutzstudium als Nationalparkranger gearbeitet, dann wurde ich mit meinen ersten Platten bekannt. Musik ist ein wunderbares Werkzeug, um die junge Generation zu erreichen. Meine Musik fußt auf Natur-Konzepten, die sich etwa um Artenvielfalt drehen. Im Rahmen von Festivals gebe ich vor oder nach meinen Gigs Naturführungen. Außerdem bin ich Fledermausbeobachter für den Nabu [Naturschutzbund Deutschland, Anm. d. Red] und Botschafter für diverse andere Naturschutzorganisationen. Meine Betätigungen sind breitgefächert, aber die Mission ist immer die Gleiche: Das kindliche Staunen zurückzubringen, die Herzen der Menschen für die Natur zu öffnen.

Was treibt dich an?

Zweierlei: Wir wundern uns, wie gut uns das tut, wenn wir Sonntags mal spazieren gehen. Dabei sollten wir uns vielmehr wundern, wie sehr wir uns schaden, wenn wir jeden Tag in viereckigen Kisten hocken und mit viereckigen Kisten zu anderen viereckigen Kisten fahren, um dort auf viereckige Kisten zu starren. Natur ist für mich der einfachste Schlüssel zum Glück und gut für die kollektive Psyche – und wenn viele Menschen das verstehen, dann habe ich glückliche Mitmenschen. Außerdem leben wir in politischen Systemen, wo sich Dinge nur ändern, wenn sie mehrheitsfähig sind. Wir haben wunderbare Wissenschaftlicher, die gute Prognosen treffen und Kausalzusammenhänge verstehen. Die erkennen, dass wir in unserer anthropozentrischen Hybris uns selbst die Lebensgrundlage entziehen. Wir haben Lösungen für das Plastikproblem und das Artensterben, allerdings stellen sich folgende Fragen: Warum wird das nicht umgesetzt? Warum rennen wir weiter sehenden Auges auf den Abgrund zu und drohen als Homo suizidales zu enden? Hier kommt mein Ansatz ins Spiel: Der Mensch sieht nur das, was er kennt, wofür er sensibilisiert wird. Wenn er Dinge wahrnimmt, all die kleinen Wunder der Natur vor der eigenen Haustür, dann fängt er auch an sie zu lieben und kämpft dafür.

Gespannt lauscht seine Zuhörerschaft Dominik Eulberg auf einer Fledermausexkursion (Foto: Matthias Weimer)

Denkst du, die zwangsverordnete Entschleunigung wird langfristige Auswirkungen auf den Menschen nach sich ziehen? 

Ich hoffe es. Ich denke ganz tief in unserem Kern ist Entschleunigung etwas, nach dem wir uns unbewusst sehnen. Das System des Hyperkapitalismus basiert auf höher, schneller, weiter. Das ist nicht natürlich. Wir leben auf der Erde – und hier gelten Naturgesetze. Die Tragfähigkeit der Erde ist begrenzt. Dem müssen wir uns anpassen. Unser System ist nicht nachhaltig, es basiert auf stetigem Wachstum. Natursysteme, die ein derartiges Wachstum aufweisen, sind etwa Krebs oder bakterielle Infektionen. Das kann nicht gut sein. Ich bin gespannt, wie viele Menschen überhaupt in ihr bisheriges System zurückkehren möchten, sobald wir die Krise hinter uns gelassen haben. Und nachdem sie erkannt haben, dass sie gar nicht so viel brauchen, wie sie denken.

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