Seit über zehn Jahren macht Patrick Holland nun bereits Musik. Am erfolgreichsten tat er das bislang unter dem Pseudonym Project Pablo, unter dem er eine schwerelose wie eigenwillige House-Variante zelebrierte, Bookings auf der ganzen Welt ergatterte und mit „Closer” 2016 einen Sommerhit landete. Im Portfolio finden sich außerdem eigene Labels wie ASL Singles Club und Sounds Of Beaubien Ouest. Umso erstaunlicher, dass der Kanadier sich Anfang 2020 dazu entschloss, nurmehr unter seinem Klarnamen zu veröffentlichen. Anlässlich eines Gigs in Berlin verriet er uns seine Beweggründe dafür und gab Auskunft über seine fortwährende musikalische Entwicklung, den schlauchenden Alltag als DJ und die Essenz von Big-Room-Techno.
Für einen Donnerstag ist in der Berliner Paloma Par schon kurz nach Mitternacht erstaunlich viel los. Jump Source, die mit ihrer vor träumerischen Melodien sprudelnden EP JS01 den Soundtrack des letzten Sommers für die gereifte Lo-Fi-Generation schufen, spielen einen Allnighter. Das Publikum spricht vorwiegend Englisch, optisch könnte der eine oder andere auch auf dem Skateboard zum Kottbusser Tor gefahren sein. Bis zum Kragen zugeknöpfte Flanelhemden und Panel Caps dominieren. Hinter den Decks schunkeln Patrick Holland alias Project Pablo und sein Partner Priori momentan noch munter zum Takt ihrer geradlinigen House-Platten und unterhalten sich immer wieder mit Gästen.
Beide wirken während ihres Sets äußerst locker. Ein Eindruck, der sich mit zunehmender Dauer des Abends naturgemäß noch verfestigt. Gegen 2 Uhr früh mäandern die ersten Acid-Lines durchs Obergeschoss der Paloma Bar. Holland, inzwischen nurmehr im Tanktop und wie ein Gummiball durch die Booth hüpfend, kanalisiert die Euphorie im Raum mit King Britts sagenhaftem Remix von JB Roses „Wake Up”. Bis etwa 6 Uhr morgens lief die Party noch, erzählt er am nächsten Tag, die Belegschaft sei irgendwann müde geworden. Wir sitzen am Küchentisch eines Neuköllner Airbnbs, das sich die beiden Musiker aus Montréal für ihren kurzen Berlin-Aufenthalt gemietet haben. An der Wand über uns hängt ein einsames Hirschgeweih, ansonsten wirkt die Wohnung steril. Holland sitzt mir mit Dreitagebart und zerknittertem Karohemd gegenüber, macht einen erstaunlich ausgeschlafenen Eindruck und beantwortet Fragen beinahe postwendend.
„Ich habe diese Zeit überhaupt nicht negativ in Erinnerung. Nur finde ich, dass die letzten drei Jahre für mich als Künstler weitaus prägender waren. Zuvor war ich nur ein Typ, der in seiner Wohnung saß und Musik gemacht hat”, erklärt Holland gleich zu Beginn des Gesprächs den Grund, wieso er keine große Lust hat, über seine Anfänge als DJ und Producer zu sprechen. „Ich will mich da nicht wiederholen, das Zeug ist doch alles online”, stellt er zweckmäßig fest. Die Musik, die er aus seiner Wohnung in den Äther sendete, meint vor allem sein Debütalbum I Want To Believe von 2015, dem im Jahr darauf die EP Beaubien Dream mit dem loungigen Sommerhit „Closer” folgte – der endgültige Durchbruch als Project Pablo.
Nachdem er zuvor, angesteckt vom Bass Music-Fieber an der kanadischen Westküste, als 8prn produzierte und dafür etwa James Blake sampelte, wollte er Club-freundlichere Musik machen und wandte sich so der Art von spielerischem House zu, die ihm bald auch in Europa zum Durchbruch verhalf. Dazwischen studierte er in Vancouver Komposition, beschäftigte sich in verschiedenen Kursen mit E-Musik, schrieb mithilfe von Software Noten für Orchester. Der Studiengang als solches gefiel ihm, in seiner Freizeit wollte er sich mit seinen Inhalten aber nicht beschäftigen. So nahm er Abstand vom Prinzip des Kontrapunkts und dissonanten Harmonien und entwarf seine serotoninschwangere Definition von House.
Abtauchen in tiefere House-Sphären
Diese sieht er heute allerdings nicht mehr als wirklichen Gradmesser. Die markanten, glimmenden Piano-Riffs, um die sich seine früheren Arbeiten entfalteten, finden sich in neueren Produktionen nicht mehr und verschwanden sukzessive aus Hollands Repertoire. „Das war alles sehr ähnlich geschrieben, auf eine einzige Melodie, einfache Akkordfolgen getrimmt. Ich habe mir überlegt, wie ich spannendere Musik machen kann, in der mehr steckt. Nur eine Melodie zu schreiben macht einen ja wahnsinnig”, lacht er. „Heute konzeptualisiere ich mehr und jamme nicht unbedarft drauf los.” In der Tat klingt Hollands Output heute signifikant anders als noch vor einigen Jahren. Mit den EPs Hope You’re Well, die eine verfremdete Aufnahme von Hundehaaren ziert, und There’s Always More At The Store für das Ninja Tune-Sublabel Technicolour kündigte sich spätestens Ende 2017 ein Paradigmenwechsel an.
Klangästhetisch begibt sich Holland seitdem in tiefere Sphären, streut hin und wieder Breakbeats ein und vereint mehr Elemente auf einen Track. Beispielhaft steht dafür die Sofware-EP aus dem September, die eine hohe stilistische Varianz und ein schwer groovender, von Delphin-Rufen durchzogener Titeltrack auszeichnen. In sich geschlossener, weniger offensichtlich klingen die Stücke nun. Ganz anders noch Come To Canada You Will Like It von 2018. Hollands zweiter Langspieler klingt wie eine vertonte Landpartie, organisch und durchweg entspannt. Das liegt daran, dass das „Home Listening-Album”, wie er es nennt, bereits zwei Monate nach dem ersten fertig war. Der optimale Start für Verdicchio Music Publishing, Hollands aktuelles Label. Sounds Of Beaubien Ouest (SOBO), nach einer Straße in Montréal benannt, in der er wohnte, und ASL Singles Club ruhen derzeit.
Vor allem habe ihn nach 2016 das viele Reisen als Künstler und Person verändert. Das bereits erwähnte „Closer” erwies sich dabei als Türöffner, bescherte ihm Bookings auf der ganzen Welt. Auch die ersten Boiler Rooms ließen nicht lange auf sich warten. Eine unangenehme Erfahrung für ihn, der vor Selbstinszenierung tendenziell eher Abstand nimmt? „Ich fühle mich in diesen Situationen auf keinen Fall unwohl. Das passiert eher, wenn ich mir das Video danach nochmal anschaue. Irgendwie macht es aber auch Spaß, da zu spielen, weil die Crowd ganz anders reagiert, als wenn sie nicht gefilmt wird. Das ist ein ziemliches interessantes soziales Experiment.” Keineswegs seien Sets vor der Kamera aber essentiell für Künstler*innen. „Wenn ich aber das Angebot bekomme, mache ich es. Ich meine, ganz nebenbei ist das auch gut für Promotion.” Das sei doch letztlich der Grund, wieso Auftritte überhaupt gefilmt werden. Die Leute gierten beispielsweise nach den Originalauftritten von Queen, deshalb liefen auf manchen Fernsehsendern den ganzen Abend lang deren Konzerte.
Hausparty schlägt den Big Room
Man nimmt Holland ab, dass er seine Musik nicht primär als Lifestyle-Attribut versteht. Gigs wie der in der Paloma Bar trieben ihn eigentlich an. Der ungefilterte Vibe einer großen Hausparty, das intime Setting. Den Auftritt kündigte er auf Instagram zwar augenzwinkernd mit den Hashtags #BigRoomTechno und #Ibiza an, gegen beide Phänomene habe er aber nicht wirklich was. „Ich war noch nie auf Ibiza und würde da echt gerne mal hin. Manches dort ist sicher interessant, das Spektakel beispielsweise. Aber ich habe darüber jetzt nicht unbedingt eine negative Meinung.” Die scheint der Kanadier über kaum etwas zu haben: Was Big-Room-Techno für ihn auszeichnet? „Dass er in einem großen Raum gespielt wird.” Und wenn doch, teilt er sie ungern während eines aufgezeichneten Gesprächs. Abneigung – oder besser: Ablehnung – schimmert nur in einzelnen Vokabeln und ihrer Betonung durch. Interessant scheint so eine zu sein: „Alles, was ich zu sagen habe, ist, dass ich die Kommerzialisierung auf Ibiza definitiv interessant finde.”
Sich selbst kann er sich in einem Big Room- respektive Ibiza-Setting eher nicht vorstellen. „Klar wäre das irgendwie schön, aber das ist definitiv nichts, was ich anstrebe. Auch was sein Privatleben betrifft, scheut er die große Bühne: „Früher wusste ich nicht wirklich, wie ich ein Interview zu führen habe. Deshalb sind einige Sachen in der Öffentlichkeit aufgetaucht, die ich lieber privat gehalten hätte”, bedauert der Endzwanziger. Dabei geht es aber mitnichten um dramatische Enthüllungen. Holland bevorzugt es nur, öffentliche und private Person zu trennen. „Du musst auch Teile im Leben haben, die du für dich reservierst. Ich möchte schon nahbar sein, das ist wichtig. Aber ich bin absolut kein Celebrity und will diesen Lifestyle auch nicht pflegen.”
Seinen Lifestyle hat er, seit er häufiger spielt, grundlegend geändert. Beispielsweise trinke er während seiner Sets kaum mehr und fühlt sich auf Tour seitdem merklich besser. „Verkatert im Flugzeug zu sitzen ist eines der schlimmsten Gefühle überhaupt. Ich tourte drei Jahre lang sehr intensiv und habe auf dem ein oder anderen Gig auf jeden Fall zu viel getrunken. Die Lösung ist aber denkbar einfach: Du nimmst den Alkohol aus der Gleichung und das war’s.” Das Flugzeug scheint ohnehin nicht Hollands bevorzugte Umgebung zu sein, auch was das Produzieren betrifft: „Man begibt sich da ja schon in seine eigene Welt. Neben so vielen Leuten fühlt sich das bizarr an. Außerdem atme ich wohl ziemlich laut, wenn ich im Flugzeug Kopfhörer trage. Das ist so komisch und muss für die Person neben mir total unangenehm sein. Am besten funktioniert es immer noch in einem kleinen, fensterlosen Raum”, stellt er unter heftigem Lachen fest.
Eine durchorchestrierte Routine wie viele seiner Kolleg*innen als Gegenwicht zum Tourleben habe er jedoch nicht. „Die letzten eineinhalb Jahre habe ich zwar gesünder, aber nicht wirklich aktiv gelebt. Das liegt wohl einfach dran, dass ich faul bin.” Für geistige Erzeugnisse gilt das aber keineswegs; Holland schrieb früher als Freelancer für verschiedene Publikationen, fotografiert nach wie vor leidenschaftlich und kümmert sich weitestgehend selbst um die PR-Arbeit für seine Labels. Von der Musikproduktion, die inzwischen den Hauptbestandteil seiner kreativen Bestrebungen einnimmt, ganz zu schweigen. 8prn, Project Pablo oder Jump Source sind bei weitem nicht alle Projekte, an denen Holland beteiligt ist. Mit EPs als 2 Responsible oder Rest Corp, beides einmalige Kollaborationen mit Freunden aus Nordamerika, wandte er sich weiteren szenischen Spielarten von House zu – ein Genre, das er weitestgehend abgegrast hat, das stets der kleinste gemeinsame Nenner seines Sounds bleibt, auf das er sich aber nicht festlegen will.
Bass Music reize ihn beispielsweise nach wie vor, kurz nach seinem Umzug nach Montréal 2014 – in der frankophonen Metropole in der Provinz Québec lebt es sich weitaus günstiger als im schwerindustriellen Vancouver – lernte er außerdem, für andere zu produzieren. Eine weitere Tätigkeit, die er zukünftig unter seinem Klarnamen zu intensivieren plant. Noch ein paar Auftritte als Project Pablo soll es geben, darunter auch Live-Shows, die er diesen Sommer auf Festivals spielen will. Seit Anfang 2020 verschiebt sich aber alles in Richtung Patrick Holland. Die plötzliche Änderung des Namens mutet möglicherweise überstürzt an, erspielte sich Holland als Project Pablo doch einen Ruf als kredibiler DJ und talentierter Producer. Die Sorgen, dass seine Bekanntheit und Bookings darunter leiden könnten, sind gering: „Ich bin Project Pablo gewesen, seit ich 21 bin. Jetzt bin ich 28. Mein echter Name stand doch ohnehin schon immer in sämtlichen Pressetexten. Es macht die Dinge einfach leichter, öffnet mir in Sachen Vielseitigkeit mehr Türen. Ich liebe House und Dance Music, will in Zukunft aber auch noch anderes Zeug machen.”
Einen Vorgeschmack auf die nächste Fokusverschiebung in Hollands Produktionen gibt die erste Single unter dem neuen Alias, der keiner mehr ist, „Up To You”. Eine Spur poppiger klingt der Track durchaus, eine Abkehr vom House lässt sich aber noch nicht konstatieren. Mit dem Wechsel seines Künstlernamens praktiziert Patrick Holland aber aufs Neue, was ihn am Leben als Musiker fasziniert: „Du triffst eigene Entscheidungen und kannst dich ziemlich frei bewegen. Du hast mehr Kontrolle, das mag ich sehr. Allerdings versuchst du auch etwas zu kontrollieren, das nicht kontrollierbar ist – ob Leute deine Musik überhaupt mögen.” Zweifelsohne bewegt sich Holland als Musiker, Labelgründer und PR-Mann in Personalunion irgendwo zwischen eigenwillig und eigenbrötlerisch. Auf diese Weise wirkt er aber der Stagnation entgegen und wahrt sich gleichzeitig maximale künstlerische Freiheit. Und die ist in der Bass Music, dem House und auf kleinen wie großen Bühnen gleichermaßen wichtig.