Bufiman (Fotos: Privat)
Die Post-Kraut-Trommel-Exkurse von Wolf Müller, der House-Not-House von Bufiman oder Achtziger-Exotika seiner Tropical Drums of Deutschland-Compilation. Kaum jemand kann heute randständige Musiken so schlüssig und humorvoll plausibel machen wie Jan Schulte. Mit seinen diversen Projekten bildet Jan Schulte ein Bindeglied zwischen dem Düsseldorfer Salon des Amateurs und dem niederländischen Dekmantel-Kosmos. Gerade ist mit dem Bufiman-Album sein zugänglichstes und ambitioniertestes Projekt bisher herausgekommen. Unser Autor Lars Fleischmann hat Jan Schulte in Düsseldorf besucht und sich mit ihm zwischen Pu-Erh-Tee und Hühnersuppe darüber unterhalten, wie aus einer unbefriedigenden Jugend ein erfüllendes Erwachsenenleben wird.
Wer zu Jan Schulte alias Bufiman möchte, der muss nach Düsseldorf reisen. Und wer nach Düsseldorf fährt, der hat vor dem geistigen Auge eine alte Residenzstadt und die Millionär*innen der Königsallee – kurz auch nur Kö genannt. Man denkt an Gucci, an Chanel, heitere reiche Frauen in Saint-Laurent-Kostümchen und Männer in Brioni-Anzügen.
Wer am Hauptbahnhof aussteigt und in die Straßenbahn steigt, der sieht kurz Bio-Läden – und dann das andere Düsseldorf, genannt Bilk. Von der ethnischen Gleichförmigkeit der Eliten bleibt hier wenig übrig. Die Kinder hier besitzen weder Affenzahn noch Satch-Tunister, sondern preiswertere Alternativen. Ein sechsjähriges Mädchen trägt genauso wie ihr Vater Adidas-Jogginghose und anders als ihr Vater stolz ihren Einhorn-Rucksack. Kids haben Schlüssel um den Hals, springen beim nächsten Halt aus der Bahn, um möglichst viele Türen später wieder reinzuhüpfen. Man kommt an Currywurst-Läden vorbei, aber auch an dampfenden Banh Mi-Buden. Überall klebt Werbung für Prepaid-Handykarten. Bilk ist still. Die Gentrifizierung gibt dem Viertel noch Bedenkzeit. Wenige hundert Meter weiter lauert der Medienhafen, und die Lorettostraße ist gehüllt in Aesop-Düfte und hochpreisigen Second-Hand und alle laufen mit Apartamento-Heften rum.
Doch in Bilk ist die Welt noch in Ordnung. Deswegen wohnt der Düsseldorfer Jan Schulte hier in einer zweigeteilten Wohnung. Vorne ist der Wohnbereich. Über einen langen Flur und sechs Treppenstufen kommt man nach hinten: In das „Wolf Müller Flanger-Studio“. Im vorderen Bereich begrüßt mich Jan, der erst vor wenigen Stunden von einem zweiwöchigen Nordamerika-Trip zurückgekehrt ist, mit Handschlag. Er telefoniert mit seinem respektive Düsseldorfs Mastering-Engineer du choix Carsten Dämbkes und diskutiert die Test-Pressungen, die angekommen sind, während er unterwegs war. Ganz zufrieden scheint er nicht.
Mein Pu-Erh-Tee ist fertig gezogen, das Telefonat beendet, das Update war erfolgreich. Jan ist jetlaggy und beginnt zu erzählen, obwohl wir noch gar kein Interview machen.
Ich setze mich in die rustikale Wohnküche an einen Holztisch; gleich neben den Riff-Raff-Sweater, der auf den ersten Blick arg nach Versace aussieht. Jan bietet mir einen Pu Erh-Tee an, den er bei der letzten Tour in China – zusammen mit seinem Freund und Drummer-Kollegen Niklas Wandt – mitnahm. Bevor ich mich wieder setzen kann, um dem Telefonat zu lauschen, klingelt es an der Tür. Es kommen weitere Testpressungen an: Für Growing Bin Records hat er mit genanntem Niklas Wandt und mit den Phaserboys, Philipp Otterbach, Suzanne Kraft und River Yarra, zusammengearbeitet.
Während er telefoniert, denke ich an meinen letzten Besuch bei Schulte, für einen Artikel zu der Music For Dreams-Compilation Tropical Drums Of Deutschland. Nicht wenige behaupten, dass diese Zusammenstellung obskurer Post-Kraut-Trommel-Exkurse den endgültigen Durchbruch für Jan Schulte bedeutete. Das war 2017, Wolf Müller – das Percussion-Alias – zum Geheimtipp geworden, Bufiman – das House-Not-House-Alter-Ego mit dem Maultrommel-Groove – tauchte immer wieder in Playlisten und DJ-Sets auf. Doch die Compilation, die Achtziger-Exotika versammelte, brachte ihn auf die Landkarte. Plötzlich sprachen Redakteure von Tageszeitungen über den Düsseldorfer „Newcomer”. Selbst im verschrobenen Plattenladen bei mir um die Ecke lag das Vinyl als Tipp an der Kasse.
Sammeln, suchen und Verbindungen erkennen
Das hatte sich alles noch nicht abgezeichnet, als ich Schulte das erste Mal 2011 traf. Damals sprang er für Lena Willikens in Köln für einen Gig in einer Pop-Up-Galerie ein. Willikens empfahl damals einen jungen Typen aus Düsseldorf, von dem sie sagte, dass der unheimlich gut auflege. Und obwohl Barnt zwei Tage später spielte, sprachen noch wochenlang alle von dem erfrischendem Set mit lauter obskuren Platten zwischen Psych-Sound und Italo-Disco. Ich denke an die vielen Sets zurück, die ich inzwischen von ihm gehört habe.
Mein Pu-Erh-Tee ist fertig gezogen, das Telefonat beendet, das Update war erfolgreich. Jan ist jetlaggy und beginnt zu erzählen, obwohl wir noch gar kein Interview machen. Er will schon einige Sachen loswerden, bevor er die vergisst. Ich mahne, dass wir Zeit haben und er mal durchatmen soll. Über den kleinen Balkon schauen wir auf das Evangelische Klinikum; Schulte musste vor ein paar Jahren seinen Freund und Wiener DJ-Kollegen Armin Schmelz mal im Huckepack rübertragen, als dieser sich bei einer feuchtfröhlichen Nacht im Salon des Amateurs das Bein gebrochen hatte. Jener Salon des Amateurs, mittlerweile ein sagenumwobener Club in der Düsseldorfer Kunsthalle, war nun mehrere Monate geschlossen. Es ist sein zweites Wohnzimmer. Und ist von besonderer Bedeutung für sein Schaffen.
Schulte wuchs in Düsseldorf auf, als es den Salon noch nicht gab. Es gab die Reste des Punk-Post-Punk-NDW-Ladens Ratinger Hof und ein, zwei Läden für Clubmusik. Das war’s. Von beiden Szenen war Schulte noch weit entfernt als Jugendlicher. Erstkontakt mit Jugendkultur geschah über Breakbeats und Breakdance. Schulte tanzte los und sein Interesse für Musik stieg täglich. Er begann, sich mit der Musiksammlung seines Vaters auseinanderzusetzen und suchte stundenlang nach Samples; am heimischen Rechner mit Windows 95, bewaffnet mit dem Magix Music Maker, versuchte er sich selbst an Break-Tracks. Und schnibbelte los.
Während Schulte davon redet, zieht er immer wieder wichtige Platten aus den Regalen. So etwa auch die Post-Kraut-Schlager-Platte „Wolfgang – Wir sind die Meiers”, die ihn zu seinem Pseudonym Wolf Müller inspirierte.
Auf den elterlichen CDs war wenig zu finden, auch wenn die Suche nach freistehenden Snares oder Drum-Kits voranschritt. Nächster Stop: Flohmärkte. Morgens fuhr er mit dem Fahrrad dorthin, auf der Suche nach Platten. Es war dunkel, manchmal regnete es, einen Plattenspieler hatte er auch nicht, sondern ging zu einem Freund, der dann die Platten digitalisierte. Kein Grund aufzugeben, einfach eintauchen in den Vinyl-Fetisch. Sammeln, suchen, entdecken und Verbindungen erkennen. Während Schulte davon redet, zieht er immer wieder wichtige Platten aus den Regalen. So etwa auch die Post-Kraut-Schlager-Platte Wolfgang – Wir sind die Meiers, die ihn zu seinem Pseudonym Wolf Müller inspirierte.
Wir reden weiter über Düsseldorf. „In das Ego bin ich damals nicht gegangen. Da waren die Techno-Leute. Ich wusste zwar, dass da was ging, aber nicht genau was. Das war uninteressant für mich. Doch der Unique-Club (von Henry Storch, im letzten Jahr verstorben, Anm. d. Aut.), der war schon wichtiger.” „Coole Leute” gingen da schon früher hin, er erst, als er 18 wurde. Das Unique wurde wichtig für ihn, prägte der Laden doch mit seiner schwülen Atmosphäre und seinem außergewöhnlich geschmackssicheren Booking eine ganze Generation – auch Schulte. Der Big Beat, der dort unter anderem lief, verknüpfte sein Breaker-Interesse mit dem Club-Alltag. Ein wichtiger Nexus zu dem, was Schulte heute interessiert, auch wenn viele Entstehungslinien eher subtil sind denn offensichtlich.
„Das Chemical Brothers-Album Dig Your Own Hole stand meinem Albumsi Pate.“ Jenes kokett-albern betitelte Albumsi kommt nun im Januar bei Dekmantel raus und kann, nein, muss wohl den nächsten Schritt in seiner Karriere bedeuten. Endlich wird das Alias Bufiman in das Scheinwerferlicht geschoben respektive geworfen. „Manchmal fühle ich mich wohl mit den verschiedenen Pseudonymen, die tatsächlich auch alle einen anderen Klang-Entwurf bedeuten.” Doch das Namen-Wirr-Warr kann auch zu Problemen führen. Gerade wenn Club- und Festival-Booker nicht genau hinschauen, wen sie wann buchen.
Man merkt Jan Schulte an, dass ihm der Salon des Amateurs viel bedeutet; vielleicht weniger der Ort als die Leute, die sich dort Wochenende für Wochenende treffen.
Wolf Müller kommt live mit Drummer Wandt daher, Bufiman ist live tanzbarer. Als DJs können sich beide auch mal überschneiden. Häufig sieht die Problemlage aber noch anders aus: Promoter*innen wollen, wenn sie Wolf Müller buchen, Experimente hören. Das lässt sich aber nicht immer mit dem Publikum vereinbaren. Eine Zwickmühle, die Schulte als jemand, der das DJ-Handwerk schätzt, einfach umgeht. Die Crowd entscheidet, worauf sie Bock hat. Und dann müssen auch mal Promoter*innen ihre Ansprüche hinten anstellen. Die Party und die Stimmung sind immer noch der König im Club. Das erkannte das Nachtdigital im vorletzten Jahr, machte aus dem Problem (das keines ist) ein programmatisches Highlight und bot den verschiedenen Pseudonymen gleich dreimal an einem Wochenende eine Bühne: Ambient, Live und DJ-Fun – Schulte ist als Allzweckwaffe gemacht für Residencys.
Eine Partynacht mit den Chemical Brothers & Quasimoto
Diese Reife und „Wettbewerbshärte” holte er sich selbstverständlich im Salon des Amateurs. „Es war bedeutend, als ich das erste Mal in den Laden kam. Ich hatte richtig tollpatschig eine Platte unter dem Arm, die ich vorher wohl gekauft hatte.” Dennoch bedeutete all das Plattensammeln plötzlich nicht mehr so viel: „Am ersten Abend bin ich gleich dreimal zum DJ Marc Matter gegangen und musste wissen, was er da spielte.” Die Freiheit des Ladens ist mittlerweile sprichwörtlich, es ist ein Ort, an dem alles gehen soll. Er veränderte nachhaltig sein Verständnis von Musik. „Das Label Salon des Amateurs-Resident hat selbstverständlich so manche Tür geöffnet. Alle wollen den Vibe einkaufen; aber ich kann nun sagen, dass es nirgendwo so ist wie im Salon.”
Und obwohl die Platte Material aus den letzten elf Jahren vereint, ist sie als eine durchgehende Geschichte gedacht. Die Stücke gehen ineinander über, immer wieder tauchen Lines und Sounds aus anderen Tracks später wieder auf. Es soll nicht Stückwerk verkauft werden, sondern ein Ganzes.
Die Erfahrungen, die er in den letzten Jahren beim Dekmantel Selectors in Kroatien oder Brasilien oder auch gerade in den USA sammeln durfte, möchte er trotzdem nicht missen. Überall findet er gleichgesinnte Köpfe. Selbst wenn man sich nur peripher kennt oder über Eck, so verbinde die Musik doch. „Ich lerne immer wieder Veranstalter*innen und Gäste bei Partys kennen, die das gleiche machen wie ich. Denen ich ansehe, dass sie auch eine unbefriedigende Jugend hatten, die sich auch alleine gefühlt haben und unverstanden.”
Es sind nachdenkliche Worte, die sicher auch dem Jetlag geschuldet sind. Man merkt ihm an, dass ihm der Salon des Amateurs viel bedeutet; vielleicht weniger der Ort als die Leute, die sich dort Wochenende für Wochenende treffen. Das erkennt man auch, wenn man sich die Credit-Liste des Albumsi anschaut. Mit dabei sind Gregor Darman (Rasputin von den Phaserboys), 303 (Credit 00), Niklas Rehme-Schlüter (Cass.), Lucas Croon, Nikolai Szymanski (von Stabil Elite), Florian Van Volxem, Michael Leuffen (Cómeme Radio, GROOVE-Autor) und zu guter Letzt: Seine Lebensgefährtin Sara Dudzinski Rodriguez, die ihre Stimme im Track „Sara Sara” zum Besten gibt. Dazu gesellt sich noch AkiAki, die andere Hälfte der Phaserboys: „Aki hing häufig mit mir im Studio ab. Wenn man die ganze Zeit mit seinen eigenen Ideen zusammensitzt, dann braucht man Input von außen. Aki half mir, meine Gedanken zu ordnen.”
Eigentlich gehört zu seiner Crew auch DJ Normal 4. Als ich ihn auf das Thema [DJ Normal 4 schrieb letztes Jahr einen langen Beitrag bei Facebook, in dem er sich für einen „Übergriff” in einem englischen Club entschuldigte. Daraufhin legte er seine Arbeit für das Party-Projekt Warning nieder und eine Pause ein] anspreche, zögert Schulte lange: „Ich glaube nicht, dass ich darüber nebenbei bei einem Interview sprechen kann. Die Situation damals war komplex – und hier ein paar Sätze zu sagen, kann der Sache nicht gerecht werden.”
Also kommen wir nochmal zur LP selbst zurück, immerhin müssen wir noch klären, inwieweit die Chemical Brothers die Platte inspiriert haben. „Es sind eigentlich zwei Alben. Da ist einerseits Quasimotos The Unseen mit seiner Art eine ganze Geschichte zu entrollen. Und dann ist da Dig Your Own Hole: Es ist die Story einer Partynacht. Mit Vorbereitung, dann geht es los, es wird psychedelisch, trippy. Ich wollte, dass das Albumsi genauso wird wie die beiden Alben.” Und obwohl die Platte Material aus den letzten elf Jahren vereint, ist sie als eine durchgehende Geschichte gedacht. Die Stücke gehen ineinander über, immer wieder tauchen Lines und Sounds aus anderen Tracks später wieder auf. Es soll nicht Stückwerk verkauft werden, sondern ein Ganzes. „Gerade wenn man im Albumformat denkt, ist es wichtig, dass sich etwas entspinnt, was man verfolgen möchte.”
Dass es ganz nebenbei um das Vermitteln eines Gefühls von Gemeinschaft geht, gibt, das merkt man spätestens bei der Auslaufrille. „IT IS NOT ABOUT DELIVERY / IT IS ABOUT DISCOVERY / AND IT IS TIME TO OVERTHROW ALL GOVERNMENTS / TO SAVE ALL LIFE ON PLANET EARTH” steht dort geschrieben. Es ist ein Aufruf zum gemeinsamen Handeln, es geht auch um eine Re-Politisierung der oft oberflächlichen Club-Szene. Doch die sinnstiftenden Momente zwischen den Sets, in Gesprächen mit anderen DJs, Promoter*innen und Gästen zeigen doch, dass selbst heute im Club noch eine Verheißung liegt – selbst wenn man in Düsseldorf aufwächst. Diese Energie heißt es zu nutzen. Ein Appell, ein ernstgemeinter.
Schulte schaut mich leicht müde an, das Interview ist jetzt auch vorbei. Er koche jetzt noch eine Hühnersuppe. Der Satz in der Rille sei ihm aber wirklich wichtig, betont er nochmal. Ich glaube es ihm.