Fotos: Tilman Brembs / Erstmals erschienen in Groove 118 (Mai/Juni 2009)
30 Jahre Mauerfall, 30 Jahre Techno, 30 Jahre Forward Ever, Backward Never: Die Gründerzeit der Technobewegung feiert diese Woche Jubiläum. Viele der für uns heute selbstverständlichen Strukturen wie Clubs, Labels, Plattenvertriebe oder Booking-Agenturen wurden damals mit viel Engagement ins Leben gerufen. Die Mauer fiel am 9. November 1989 und im wiedervereinigten Berlin kam ein dynamischer Prozess in Gang, der seine Energie aus Freiheitsbegeisterung, Neugierde, ungeklärten Eigentumsverhältnissen und nicht zuletzt einer neuen Musik bezog, die noch längst nicht definiert war. Sie hatte damals noch ein breites Stilspektrum zu bieten und kam aus Detroit, Chicago, London oder auch Frankfurt am Main, wo sich gerade ein junger Sven Väth entschlossen hatte, jetzt „Techno durchzuziehen”.
Für viele Berliner waren die Tekknozid-Parties 1990 und 1991 eine Initiationserfahrung in Sachen Techno. Der in Ostdeutschland aufgewachsene Veranstalter, Clubbetreiber und DJ Wolle XDP erinnert sich an seine ersten Kontakte mit elektronischer Musik in der DDR und an die Partys unmittelbar nach dem Mauerfall:
„Mein Leben in der DDR war keineswegs grau. So sehr hat es sich gar nicht von dem eines westdeutschen Jugendlichen unterschieden. Auch im Osten gab es Punks, Popper und Breakdance – nahezu zeitgleich mit dem Westen. Ich habe seit 1983 auf dem Alexanderplatz vor den Wasserspielen getanzt und war ’84 Breakdance-Vizemeister der DDR. Das war zwar nicht erwünscht, Ärger hatte ich deswegen aber trotzdem kaum. Durch Funk und Fernsehen wussten die Jugendlichen im Osten genau über das Leben der West-Jugendlichen Bescheid: was die trugen, was die hörten, was die cool fanden. Umgekehrt war das nicht so. Jogginganzüge haben wir uns selbst genäht. Platten hatten wir keine, die Musik haben wir aus dem Radio aufgenommen, vom SFB 2. Der Moderator Barry Graves war für mich fast wichtiger als die ja sehr einflussreiche Monika Dietl. Graves hatte Mitte der achtziger Jahre die Sendung Studio 89, in der er endlose Discomixe aus New York spielte. Das war für uns Goldstaub, diese Musik haben wir vergöttert.
Eine Platte aus dem Westen hat damals hundert Ostmark gekostet – etwa soviel habe ich als Lehrling in einem Monat verdient. Dinge des alltäglichen Bedarfs waren extrem günstig, westliche Konsumartikel dagegen kaum erschwinglich. Meine Ein-Zimmer-Wohnung hat vierzig Mark Miete im Monat gekostet, der Eintritt in die Disco 1,61 Mark, ein Bier 63 Pfennig. Ein einfacher Kassettenrekorder schlug aber mit mehr als tausend Mark zu Buche, ein paar Turnschuhe aus dem Westen mit fünfhundert Mark. Meine West-Oma hat uns mit Westmark versorgt und uns so das Leben extrem versüßt. Ich persönlich habe mich nicht so eingesperrt gefühlt wie andere, zwischen 1986 und ’89 sind gefühlte neunzig Prozent meiner Freunde ausgewandert. Ich wollte mich kulturell und ideell verwirklichen. Im SEZ (Sport- und Erholungszentrum) habe ich als Veranstaltungsorganisator gearbeitet. Der Job war zwar extrem stressig und schlecht bezahlt. Aber ich konnte was bewirken und mir wurde ein Studium zum Ingenieur für Theatertechnik zugesichert. Ich habe abgewogen: In der DDR waren es politische Dinge, die mich beschränkten, im Westen wären es soziale und wirtschaftliche gewesen.
Staatlich geprüfte DJs
Diskotheken waren in der DDR normale Gaststätten. Gegen 18 Uhr machten sie zu und die Tische wurden an den Rand geschoben. Der Diskjockey kam mit dem Auto angefahren, packte seine Anlage aus mit zwei Boxen auf Stativen. Wenn er gut war, hatte er noch paar Scheinwerfer und eine Spiegelkugel dabei. Das war die Diskothek. Um 20 Uhr hat das Ding aufgemacht. Um rein zu kommen, musste man jemanden kennen und dem Türsteher fünf oder zehn Mark in die Hand drücken. Die Diskjockeys waren staatlich geprüft. Die haben wie Radiomoderatoren gearbeitet und für jedes Lied eine Ansage gemacht: ‘Hey Mädels, jetzt kommt ganz frisch das neue Stück von Peter Maffay’. Danach liefen die Pet Shop Boys oder Modern Talking. In besseren Diskos gab es stilistische Blöcke: Zu Depeche Mode, OMD, Soft Cell und Thomas Dolby etwa haben die New Romantics und Grufties losgetanzt. Wir haben immer auf den Electro-Funk-Block gewartet – das sind meine Wurzeln, deshalb hatte ich später eine große Affinität zur elektronischen Musik. Die ersten House-Stücke haben mich irritiert, weil sie so schnell waren. Die Unterschiede zwischen HipHop und House haben mich gar nicht interessiert. Diese Unbedarftheit war einer der Gründe dafür, dass Techno in Ostberlin so gut funktioniert hat: Weil wir stilistisch nicht festgelegt waren, konnten wir so viele Szenen vereinen.
„Die Unterschiede zwischen HipHop und House haben mich gar nicht interessiert. Diese Unbedarftheit war einer der Gründe dafür, dass Techno in Ostberlin so gut funktioniert hat: Weil wir stilistisch nicht festgelegt waren, konnten wir so viele Szenen vereinen.”
Tanith und Roland BPM waren die ersten DJs auf unseren Tekknozid-Parties. Tanith verkörperte den experimentellen Bereich, Roland BPM hat für die Abfahrt gesorgt. Roland war kein Szene-Clubgänger. Für ihn war nur wichtig, dass man zu der Musik gut tanzen konnte. In seinen Sets war alles dabei, das sich auf 128 BPM mixen ließ, von Donna Summer bis Nitzer Ebb. Für einen Wessi lagen dazwischen Welten, für uns war das alles elektronische Tanzmusik. Meine erste Party fand noch im SEZ statt – eine Woche nach der Maueröffnung. Am Tag der Maueröffnung waren wir im UFO, haben viele Ausgewanderte wieder getroffen und Kontakte zur Westberliner House-Szene geknüpft. Bei der Party im SEZ haben noch Kellner im schwarzen Anzug Rotkäppchen Sekt kredenzt wie in einem feinen Hotel. Für die Kreuzberger aus dem UFO war das immer eine Mordsgaudi.
Westberlin war damals absolut von House dominiert: Im UFO lief kein Techno. Monika Dietl hatte große Aversionen gegen die Musik, Motte war erklärter Technohasser, Westbam spielte Soul II Soul. Techno, wie man es später verstand, wurde in Berlin zum ersten Mal von Tanith gespielt. Weil aber unter Techno damals Synthiepop verstanden wurden, erfanden wir den Begriff Tekkno. Auf unserer ersten Tekknozid-Party haben wir zum ersten Mal das XDP-Konzept vollständig umgesetzt: Die Wände waren schwarz abgehängt, es gab keine Diskolampen, sondern nur Stroboskope und Nebel. Laser haben wir durch Diaprojektoren ersetzt. Später wurde der Raum komplett schwarz eingekapselt. Es ging nur noch um das Tanzen. Anders konnte man sich dort gar nicht aufhalten. Bass, Licht, Menschen: Alles war auf 128 BPM eingestellt. Nach meiner XDP-Theorie musste sich jeder dieser Frequenz anpassen – oder den Raum verlassen. Wer sich aber auf den Beat einließ, der konnte ein ganz besonderes Glücksgefühl erfahren.”