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Simo Cell: Zwischen Bass Music und Bier trinken

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Foto: Lorenzo Milelli (Presse)
Der Sound, den Simo Cell von Nantes aus kultivierte, stammt direkt aus dem Bass-Music-Epizentrum Bristol: Vielschichtige Basslandschaften im moderaten BPM-Bereich paaren sich mit atmosphärischen Flächen und nisten sich an der Grenze zwischen Dubstep und Techno ein.

Nach vielbeachteten Releases auf Labels wie Livity Sound, Timedance oder Brothers From Different Mothers wagt sich der Franzose aus der persönlichen Komfortzone Bass Music und erschließt neue Aufgabenfelder.

Simon Aussel klingt gehetzt, als er am frühen Abend ans Handy geht. Die Session in seinem Studio in Nantes hat sich länger gezogen als angenommen. Er arbeite derzeit am Score zu einem Kurzfilm, das nehme viel Zeit in Anspruch. Nach der Ankunft in seiner Wohnung wirkt Aussel merklich entspannter. Im anschließenden Gespräch gibt er Auskunft über seine Beziehungen nach Bristol, inwiefern ihn seine Familie musikalisch beeinflusste und wie er das Spannungsverhältnis zwischen Underground und Mainstream einschätzt.

Als Sohn einer klassischen Gitarristin und eines klassischen Gitarristen ging er schon als Kind auf das Konservatorium, wo er jahrelang Musiktheorie und Gitarre studierte. Mit zwölf Jahren quittierte er schließlich frustriert den aufreibenden Frontalunterricht und wandte sich nach und nach dem Auflegen und Produzieren zu. Dabei reizten ihn vor allem die künstlerische Unabhängigkeit, die kollektive Erfahrung und die Möglichkeit, Musik ohne einen starren theoretischen Überbau zu kreieren. Einen Berührungspunkt zum musikalischen Kosmos seiner Eltern gibt es dann aber doch.

GROOVE: Es gibt ja offensichtlich einen großen Unterschied zwischen klassischer Gitarrenmusik und Bass Music aus Bristol. Wie kam deine Leidenschaft für diese Szene zustande?

Simo Cell: (lacht) Die ersten Berührungspunkte damit hatte ich 2010 oder 2011, als Hessle Audio immer stärker wurde. Das war auch die Zeit, in der ich durch Boiler Room mit einer großen Welle von Musik aus UK vertraut wurde, die Dubstep und Techno verschmolz. Damals wusste ich nicht mal, was das für eine Musik war. Das war für mich etwas komplett Frisches. Da war ich aber sicherlich nicht der Einzige. Viele DJs – auch wenn sie heute teilweise keine Bass Music mehr spielen – haben das registriert und fanden es cool, vor allem aus meiner Generation. Dann erschien plötzlich auch noch Livity Sound auf der Bildfläche. Ich fing dann an, mit einer Crew namens Phonographe Corp Partys in Reims zu organisieren. Die wurden dann immer populärer und wir veranstalteten dann schließlich auch in Paris. Vor ungefähr drei Jahren haben wir dann Hodge eingeladen, dem ich nachher ein paar meiner Tracks schickte. Plötzlich rief mich dann Peverelist an und fragte, ob er sie veröffentlichen könne. Das war wie ein Traum!

Und das war das erste Mal überhaupt, dass du zu Livity Sound Kontakt hattest?

Eigentlich schon. Zuvor hatte ich ihnen zwar mal Musik geschickt, worauf sie aber nicht antworteten. Ich war nur ein französischer Typ, der versuchte, Musik zu machen, die von der Szene in Bristol inspiriert war. Ich habe mir echt lange überlegt, ob es richtig ist, das zu tun. Im Gegensatz zu allen anderen von Livity Sound komme ich nicht aus Bristol. Deswegen kam es umso unerwarteter, dass sie mein Zeug gut fanden.

Was kannst zum derzeitigen Status der Bass Music im Allgemeinen sagen? Denkst du, sie bekommt neben House und Techno genug Aufmerksamkeit?

Natürlich ist das eher Nischenmusik, die sich allerdings in jedem Land ihre Nische sucht. Du hast überall Bass Music-Communities. Das heißt, selbst wenn du Bass Music spielst, findest du dafür überall auf der Welt ein Publikum. Vielleicht irre ich mich, aber ich stelle, seit ich vor zehn Jahren als DJ angefangen habe, einen großen Unterschied fest. Bass Music erfährt inzwischen eine größere Wertschätzung, du kannst mittlerweile viel mehr Broken Beats spielen. Ich sehe das Genre als Ganzes noch stärker und aufregender als vor etwa fünf Jahren oder so.

In einem Interview von vor zwei Jahren hast du erklärt, dass Dubstep für dich der Sound der Zukunft sei. Wie passt das damit zusammen, dass nicht wenige das Genre schon vor Jahren für tot erklärten?

Da geht es mir vor allem wieder um den Nischencharakter, den Dubstep für mich noch immer innehat. Es gibt nach wie vor nicht so viele Bass Music-Producer und auch deswegen noch viel zu tun und zu entdecken. Der Grund, warum ich mir dieses Genre ausgesucht habe, ist auch, dass es für mich einfach extrem schwierig ist, ein innovativer House- oder Techno-Producer zu sein. Diese Felder sind weitestgehend abgegrast. Nach der ersten Generation an Bass Music mit Hessle Audio und Livity Sound kann ich jetzt einen neuen Vibe fühlen, den zum Beispiel Timedance repräsentiert. Das entwickelt sich alles noch weiter, diese Musik verändert sich ständig.


Foto: Presse

“Clubs werben zwar immer mit Vielfalt, aber ich bin mir nicht sicher, ob das so stimmt. Die meisten Leute dort stammen ja aus höheren Bildungsschichten und ähnlichen Milieus.”

Du hast Hodge und Peverelist bereits genannt. Welche Künstler haben dich außerdem inspiriert?

Da gibt es so viele! Die Leute, dich mich jetzt beeinflussen, sind nicht dieselben wie früher. Das spielt sich irgendwie in Zyklen ab. An einem Punkt fand ich die ganzen Detroit-Sachen super. Drexciya, Jeff Mills. Peverelist kann ich trotzdem nochmal nennen, Objekt natürlich auch. Ich versuche natürlich, meinen eigenen Stil zu entwickeln, kann mich einigen Einflüssen aber nie ganz entziehen. Dabei bleibt aber immer wichtig, seine Vorbilder nicht einfach zu kopieren. Derzeit finde ich vor allem die ganzen Sachen aufregend, die aus Ägypten kommen.

Im Zusammenhang mit dir liest man immer wieder von Steve Reich. Wie kommt’s?

Ach, das habe ich mal in einem Interview gesagt, und seitdem versuchen alle, mich damit in Verbindung zu bringen. (lacht) Der eigentlich Grund dafür ist, dass ich Steve Reich als musikalisches Bindeglied zwischen meinem Vater und mir sehe. Er hat nämlich anfangs als klassischer Musiker nicht wirklich verstanden, was ich mache. Als er dann aber merkte, dass es in eine experimentelle Richtung geht, hat er es verstanden und wir konnten uns auf den Nenner Steve Reich einigen. Seitdem haben wir immer mehr Berührungspunkte und Querverbindungen entdeckt. Dieser Prozess hat seine Zeit gebraucht, vor allem weil ich nach dem Konservatorium echt die Schnauze voll von klassischer Musik hatte.

Du hast väterlicherseits Verwandtschaft aus Argentinien. Wirkt sich das auf deinen kreativen Prozess aus? Interessierst du dich für argentinische Musik?

Würde ich schon sagen! Für meine letzte EP habe ich zum Beispiel einen Track über Lionel Messi gemacht, “La Pulga”. Das erste, was ich tat, nachdem ich den Track fertig hatte, war, ihn meiner Familie in Buenos Aires zu schicken. Dieses ganze Dancehall- und Cumbia-Zeug mag ich definitiv sehr gern, das liegt wohl an meinen argentinischen Wurzeln.

Du interessierst dich ja generell stark für Fußball. Wie gehen für dich Underground Music und ein riesiges soziales Phänomen wie Fußball zusammen? Funktioniert das überhaupt?

Weil du auf der einen Seite den elektronischen Nischenmarkt und auf der anderen das Mainstream-Thema Fußball hast? Ich mache da, ehrlich gesagt, keine großen Unterschiede oder versuche das zu trennen. Ich gebe auch offen zu, dass ich mich sehr für den Mainstream interessiere. Ob das Mainstream-Rap von Travis Scott oder Drake oder aber Pop aus Frankreich ist. Das fasziniert mich, weil es sich so grundlegend von meiner Szene unterscheidet. Wenn ich Musik mache, versuche ich persönlicher zu sein. Das werden aber nur wenige Menschen verstehen. Am Mainstream mag ich die Denkweise, etwas Universelles anzustreben, das zu allen spricht. Das würde mich auch interessieren. Nicht als Simo Cell, nicht um Geld zu machen, darum geht’s nicht. Ich würde aber gerne wissen, wie es wäre, einen Track für Millionen von Menschen zu machen und zu versuchen, die perfekte Melodie zu finden. Und genau das mag ich auch an Fußball. Es ist enorm simpel, du gehst in eine Bar, niemand versucht anzugeben. Was ich daran im Vergleich zur elektronischen Musik so schätze, ist das Unprätentiöse. Clubs werben zwar immer mit Vielfalt, aber ich bin mir nicht sicher, ob das so stimmt. Die meisten Leute dort stammen ja aus höheren Bildungsschichten und ähnlichen Milieus. Das hast du beim Fußball nicht. Da sitzen einfach Menschen zusammen und trinken Bier, das war’s dann auch.

Was denkst du denn dann insgesamt über den Underground? Du meintest mal, dass man sich von Zeit zu Zeit schämen müsste, eine Facebook-Seite zu haben.

Ich weiß ja nicht mal, ob elektronische Musik derzeit überhaupt noch Underground ist oder sein kann. Klar gibt es auch in Paris noch inoffizielle Partys, die transformieren sich aber schnell zu regulären Venues. Das ist für mich aber kein Problem. Es ist großartig, in unserer Szene viele gute Künstler zu haben, die das Rampenlicht suchen. Umso mehr Leute können schließlich auch davon leben. Ich würde auch mich selbst nicht strikt zum Underground zählen. Ich versuche einfach nur, Musik zu machen.

Es ging in dem Fall auch weniger darum, illegale Partys zu veranstalten, als um das Mindset, das damit einhergeht.

Das hat sich für mich nicht besonders verändert. Elektronische Musik war in den Neunzigern sehr politisch, das ist sie jetzt nicht mehr in dem Ausmaß. Die Leute suchen teilweise nach politischen Inhalten, haben dabei aber nicht viel zu sagen. Damit meine ich nicht, dass es heute nicht politisch ist, aber eben nicht mehr so wie früher. Partys sind heute eher Orte, an denen Leute Spaß haben wollen. Natürlich sind manche Communitys sehr stark und verteidigen Ideale. In Paris gehen die Leute aber hauptsächlich in Clubs, um ihre Jobs zu vergessen, Musik zu hören, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen. Das ist aber nicht als Kritik zu verstehen, es ist einfach eine andere Zeit.


Foto: Presse

Auch vor dem Hintergrund deines Interesses für den Mainstream: Wo siehst du dich in ein paar Jahren? Du konntest für nächstes Jahr bereits Headliner-Bookings, etwa beim Monticule, verzeichnen.

Momentan befinde ich mich in seiner sehr kreativen Phase. Clubmusik hat mich definitiv wieder zur Musik gebracht, derzeit habe ich aber viele verschiedene Projekte. Wie gesagt mache ich derzeit die Musik zu einem Kurzfilm, der demnächst erscheint. Dann sind da natürlich noch verschiedene Residencies. Im Moment habe ich eine in Nantes, anschließend werden es mehr in ganz Frankreich werden. Das ist für mich von Vorteil, weil ich so an neue Leute komme, die mit mir gemeinsam Musik machen wollen. Mit Batu und Low Jack fand ich so auch meine idealen b2b-Partner. Eventuell ziehe ich auch um, um neue Ideen zu bekommen. Wenn du immer am selben Ort bleibst, wird es damit schwierig.

Du hältst aber trotzdem große Stücke auf deine Heimatstadt Nantes, oder?

Klar, Nantes bedeutet mir viel. Vor der Residency habe ich hier seit zwei Jahren nicht mehr gespielt und die Leute haben sich echt gefreut, mich wieder da zu haben. Sie waren sehr empfänglich für meine Musik und Bass Music im Allgemeinen. Ich werde hier immer wieder gerne zurückkommen. Neben meinen Eltern ist vor allem Raphael von Fragil Musique eine wichtige Persönlichkeit dort, weil er mich ermutigte, mit der Musik weiterzumachen, als ich frustriert war und eigentlich hinschmeißen wollte. Dafür bin ich ihm nach wie vor sehr dankbar.

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